VwGH 99/20/0446

VwGH99/20/04468.6.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Juli 1999, Zl. 210.731/0-V/14/99, betreffend die §§ 6 und 8 Asylgesetz (mitbeteiligte Partei: VP, geboren am 25. Mai 1970, zuletzt in 8700 Leoben, J), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §32 Abs2;
AsylG 1997 §6;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
AVG §67;
VwGG §42 Abs2;
AsylG 1997 §32 Abs2;
AsylG 1997 §6;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
AVG §67;
VwGG §42 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte behauptete Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein, und sei seinen Angaben zufolge am 21. März 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Am 22. März 1999 beantragte er Asyl.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Mai 1999 wurde der Asylantrag des Mitbeteiligten gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen und zugleich gemäß § 8 AsylG ausgesprochen, seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria sei zulässig.

Das Bundesasylamt begründete die Abweisung des Asylantrages zusammengefasst im Wesentlichen damit, dass der Mitbeteiligte sich teilweise selbst widersprochen, unrichtige Angaben über alltägliche gesellschaftliche und politische Belange von Sierra Leone gemacht habe und ihm wesentliche Kenntnisse über geographische Gegebenheiten in Sierra Leone fehlten. Auf Grund der Ergebnisse der Einvernahme, bei welcher der Mitbeteiligte auf die Frage nach der Währung von Sierra Leone die nigerianische Währung erwähnt habe, sei davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte Staatsangehöriger von Nigeria sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung gemäß § 32 Abs. 2 AsylG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Die belangte Behörde stellte zunächst die Rechtslage dar und zog dann daraus die Schlussfolgerung, "dass bei Bestehen eines Vorbringenüberhangs, welcher sich auch nur ansatzweise auf den Tatsachen entsprechenden Umständen stützt, die Anwendbarkeit des § 6 Z. 3 leg. cit. bereits ausgeschlossen ist". Nach Meinung der belangten Behörde liege im vorliegenden Fall "die vom Gesetz geforderte Eindeutigkeit" der Unbegründetheit des Asylantrages nicht vor. Dies begründete die belangte Behörde letztlich nur wie folgt:

"§ 6 AsylG sieht in seiner Ziffer 3 einen Tatbestand vor, bei dessen Vorliegen anzunehmen ist, dass ein Asylantrag offensichtlich unbegründet ist und eindeutig jeder Grundlage entbehrt. Dieser Tatbestand steht jedoch unter der Rechtsbedingung, dass kein sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr vorliegt und das Vorbringen zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht.

Wenn der Asylwerber auch nur geringe topo- und geographische Kenntnisse über sein behauptetes Heimatland vorbringt, so ist seinen Aussagen bei der niederschriftlichen Verhandlung zu entnehmen, dass Hinweise auf eine mögliche Verfolgung i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen (siehe Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 27.7.1999, Seiten 7-9). Es ist daher dem Asylwerber von der Behörde erster Instanz im fortgesetzten Verfahren die Möglichkeit zu geben, allenfalls weitere, seiner Meinung nach asylrelevante Umstände i.S.d. § 7 AsylG glaubhaft zu machen.

Wenngleich der erstinstanzlichen Behörde in weiteren Teilen ihrer Begründung des angefochtenen Bescheides nicht entgegengetreten werden kann, kann insgesamt nicht erkannt werden, dass die Voraussetzungen für eine Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet gegeben wären."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende - gemäß § 38 Abs. 5 AsylG zulässige - Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der fristgerecht erstatteten Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 7 AsylG ist Asylwerbern auf Grund eines Antrages gemäß § 3 leg. cit. mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv (i.d.F. des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. I Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

§ 6 AsylG bestimmt, dass Asylanträge gemäß § 3 als offensichtlich unbegründet abzuweisen sind, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn "ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

  1. 1. ...
  2. 2. ...
  3. 3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder
  4. 4. ...
  5. 5. ..."

    Nach § 32 Abs. 2 erster Satz AsylG ist der Berufung stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet, nicht zutrifft. Hiebei bildet nur die offensichtliche Unbegründetheit den Gegenstand der Überprüfung (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175). Dabei sind die in der Berufung vorgebrachten Neuerungen im Berufungsverfahren nur daraufhin zu prüfen, ob der Asylantrag mit Rücksicht auf sie noch "eindeutig jeder Grundlage entbehrt".

    Träfe auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens (im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG besteht in Bezug auf die Abweisung von Anträgen als "offensichtlich unbegründet" kein Neuerungsverbot) zu, dass die Angaben des Mitbeteiligten über eine Bedrohungssituation in dem von ihm als seinen Herkunftsstaat bezeichneten Staat offensichtlich nicht den Tatsachen entsprächen, er somit - aus welchen Erwägungen auch immer - lediglich eine Verfolgung durch einen von ihm nur fälschlich als seinen Herkunftsstaat bezeichneten Staat behauptete, so lägen ohne "sonstigen Hinweis" für eine Verfolgung in einem anderen (tatsächlichen) Herkunftsstaat die Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG vor. Aus den §§ 6 und 7 AsylG ergibt sich in Verbindung mit § 3 leg. cit., dass ein Asylwerber zur Begründung seines Asylantrages konkret darzulegen hat, weshalb die für ihn asylrelevante Bedrohungssituation in welchem konkreten Staat verwirklicht sei.

    Der Verwaltungsgerichtshof geht zunächst davon aus, dass die belangte Behörde mit ihrer Wendung, im Falle des Bestehens eines "Vorbringenüberhangs, welcher sich auch nur ansatzweise auf den Tatsachen entsprechenden Umständen stützt, die Anwendbarkeit des § 6 Z. 3 leg. cit. bereits ausgeschlossen ist", zum Ausdruck bringen wollte, eine offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages sei dann nicht mehr gegeben, wenn die Würdigung des gesamten Vorbringens eines Asylwerbers einschließlich seines Berufungsvorbringens unter Berücksichtigung sämtlicher Ermittlungsergebnisse den Asylantrag als nicht (mehr) eindeutig jeder Grundlage entbehrend ansehen lassen.

    Der beschwerdeführende Bundesminister rügt, dem angefochtenen Bescheid sei nicht nachvollziehbar zu entnehmen, aus welchen Gründen entgegen der Auffassung des Bundesasylamtes das Vorbringen des Mitbeteiligten derart zu qualifizieren sei, dass der darauf aufbauende Asylantrag nicht gemäß § 6 Z 3 AsylG offensichtlich unbegründet sei. Damit ist der Beschwerdeführer im Recht:

    Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722).

    Im vorliegenden Fall räumt die belangte Behörde ein, der Beschwerdeführer bringe "nur geringe topo- und geographische Kenntnisse über sein behauptetes Heimatland vor". Seinen Angaben in der Berufungsverhandlung sei (aber) "zu entnehmen", dass es "Hinweise auf eine mögliche Verfolgung" (gemeint: in Sierra Leone) gebe. Hiezu wird - ohne weitere Ausführungen zur Beweiswürdigung und mit dem abschließenden Hinweis, der erstinstanzlichen

    Bescheidbegründung könne "in weiteren Teilen ... nicht

    entgegengetreten werden" - nur auf drei Seiten in der Niederschrift über die Berufungsverhandlung verwiesen. Es handelt sich dabei, wie den vorgelegten Akten zu entnehmen ist, um den Teil der Niederschrift, in dem die Angaben des Beschwerdeführers über seine behaupteten Erlebnisse mit den Rebellen der RUF einerseits und den ECOMOG-Truppen andererseits festgehalten wurden.

    Dieser Begründungsduktus ist zunächst insofern nicht nachvollziehbar, als die belangte Behörde den ihrer Entscheidung wohl zu Grunde liegenden Mangel an Überzeugung davon, dass das verfolgungsbezogene Vorbringen des Beschwerdeführers "offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht", unter dem Gesichtspunkt des "sonstigen Hinweises auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" im Sinne des Einleitungssatzes des § 6 AsylG für beachtlich zu halten scheint. In Verbindung mit § 6 Z 3 AsylG kommt das eigene Vorbringen des Asylwerbers zur behaupteten Bedrohungssituation zumindest im Regelfall aber nicht als "sonstiger Hinweis" in Betracht. Es ist hier der primäre Gegenstand der Prüfung. Hatte das Bundesasylamt sich ganz auf das mangelnde Allgemeinwissen des Beschwerdeführers über seine behauptete Heimatregion gestützt und meinte die belangte Behörde, worauf die Gegenschrift hinzudeuten scheint, dem stünden - nach den Ergebnissen der Berufungsverhandlung - für sich genommen nicht offenbar unglaubwürdige Angaben über verfolgungsbezogene Erlebnisse im behaupteten Heimatstaat gegenüber, so hätte die belangte Behörde diese Aspekte einer beweiswürdigenden Gesamtbetrachtung unterziehen und deren Ergebnis nachvollziehbar darlegen müssen. Ausführungen in der Gegenschrift ersetzen eine solche Begründung nicht.

    Da somit der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen vermag, warum die belangte Behörde zu ihrem Ausspruch gemäß § 32 Abs. 2 AsylG gelangte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

    Wien, am 8. Juni 2000

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