VwGH 99/20/0353

VwGH99/20/035324.2.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Mai 1999, Zl. 209.557/0-IX/26/99, betreffend Asylgewährung (mitbeteiligte Partei: VM, geboren am 28. Mai 1966, zuletzt Sporthotel), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §23;
AsylG 1991 §4 Abs1;
AsylG 1991 §4 Abs5;
AsylG 1997 §4 Abs5;
AVG §56;
AVG §73 Abs2;
FrG 1997 §57 Abs7;
VwGG §27;
AsylG 1991 §23;
AsylG 1991 §4 Abs1;
AsylG 1991 §4 Abs5;
AsylG 1997 §4 Abs5;
AVG §56;
AVG §73 Abs2;
FrG 1997 §57 Abs7;
VwGG §27;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte war nach der Aktenlage am 9. März 1999 unter Umgehung der Grenzkontrolle von der Slowakei kommend in das Bundesgebiet eingereist und beantragte am 10. März 1999 beim Bundesasylamt die Gewährung von Asyl. Die Einreise über die Slowakei wurde vom Mitbeteiligten im Verfahren nicht bestritten.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. April 1999 wurde der Asylantrag gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurückgewiesen, weil der Mitbeteiligte in der Slowakei Schutz vor Verfolgung finden könne. Dagegen erhob der Mitbeteiligte Berufung.

Aus Anlass dieser Berufung ersuchte die belangte Behörde die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See mit Schreiben vom 28. April 1999 um schriftliche "Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG iVm § 4 Abs. 5 AsylG, ob zum Anfragezeitpunkt eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers in den Drittstaat noch möglich ist".

Die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See teilte dazu am 30. April 1999 der belangten Behörde mit:

"Bezüglich der do. Anfrage betreffend Zurückschiebung in die Slowakei wird mitgeteilt, dass grundsätzlich alle illegalen Grenzgänger unverzüglich den slowakischen Grenzbeamten über die SID Niederösterreich zur Rückübernahme angeboten werden, wobei ersucht wird, den Zurückschiebetermin zu einem späteren Zeitpunkt zu vereinbaren.

Eine Zurückschiebung wäre daher jederzeit möglich.

Die Durchführung der Zurückschiebung ist äußerst mühsam, zumal die slowakischen Behörden den illegalen Grenzgänger bei der beabsichtigten Rückstellung niederschriftlich befragen. Eine Übernahme durch die slowakischen Beamten erfolgt in der Regel nur, wenn der Genannte genau sagen kann, wann, wo und wie er auf österr. Gebiet gelangt ist. Da für die slowakischen Grenzbeamten die Angaben des illegalen Grenzgängers immer unglaubwürdig erscheinen, wird der Fremde nicht übernommen.

Die Tatsache, dass der I.G. bei der illegalen Einreise beobachtet wurde, zählt für die slowakischen Behörden nicht als Beweis.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Zurückschiebung in die Slowakei aus bisheriger Erfahrung aussichtslos erscheint...."

Diese Mitteilung wurde von der belangten Behörde dem Bundesasylamt am 17. Mai 1999 mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht. Das Bundesasylamt nahm dazu Stellung wie folgt:

"Bei dem Schreiben der BH Neusiedl am See vom 30.04.1999 kann es sich keineswegs um eine Äußerung gemäß § 57 Abs. 7 FrG handeln, zumal diese Äußerungen nur im konkreten Einzelfall abgegeben werden können und undifferenzierten Prognosen betreffend der Umsetzung eines Schubabkommens nicht die Rechtsqualität einer diesbezüglichen Äußerung zukommt.

Da im vorliegenden Fall mangels entsprechender Rückstellungsversuche der fremdenpolizeilichen Behörden noch von keiner Unmöglichkeit der Rückstellung ausgegangen werden kann, erscheint ein derzeitiges Vorgehen gem. § 4 Abs. 5 AsylG nicht möglich. Es ist weiterhin davon auszugehen. dass eine Prognose betreffend Rückstellungsmöglichkeit am Wortlaut des entsprechenden Schubabkommens zu treffen sein wird, welches entsprechend dem Grundsatz 'pacta sunt servanda' zu interpretieren ist."

Mit dem bekämpften Bescheid vom 26. Mai 1999 hat die belangte Behörde das Verfahren über die Berufung des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bundesasylamtes "gemäß § 4 Abs. 5 AsylG als gegenstandslos eingestellt".

Mit der vorliegenden Beschwerde ficht der beschwerdeführende Bundesminister diesen Bescheid als rechtswidrig an: Die belangte Behörde habe es verabsäumt, die im vorliegenden Fall gebotene mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See sei für die Durchführung des Abkommens zwischen der österreichischen Regierung und der Regierung der slowakischen Republik über die Übernahme von Personen an der gemeinsamen Grenze nicht zuständig. Die Unmöglichkeit der Rückstellung stehe de facto - mit Ausnahme der Fristversäumnis bzw. der legalen Einreise nach Österreich - erst nach versuchter Übergabe an die Grenzbehörden der Slowakei fest. Der Gesetzgeber habe - entsprechend der gängigen Rückstellungspraxis - zuerst ein Verfahren nach § 4 AsylG und erst nach Abschluss eine "Effektuierung" vorgesehen. Der vorliegende Bescheid stütze sich spruchgemäß auf § 4 Abs. 5 AsylG. Diese Bestimmung setze für das Außerkrafttreten eines Bescheides gemäß § 4 Abs. 1 leg. cit. das Einlangen der Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG beim Bundesasylamt voraus. Die Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See betreffend ihre Ansicht über die Möglichkeit der Rückschiebung eines Fremden (im Allgemeinen) in die Slowakei könne schon deshalb nicht die im § 4 Abs. 5 leg. cit. normierten Rechtsfolgen herbeiführen, weil sie an die belangte Behörde und nicht an das Bundesasylamt gerichtet gewesen sei.

Die belangte Behörde beantragte in der fristgerecht erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 38 Abs. 5 AsylG umschreibt ein objektives Beschwerderecht. Diese Bestimmung sieht ausdrücklich vor, dass der Bundesminister die Amtsbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit sowohl zu Gunsten als auch zum Nachteil der betroffenen Fremden erheben kann. Die Wendung "sowohl zu Gunsten als auch zum Nachteil der betroffenen Fremden" stellt klar, dass die Amtsbeschwerde nicht nur zum Nachteil der Fremden erhoben werden darf, sondern dass es auf ihre Interessenlage überhaupt nicht ankommt. In einem solchen Fall ist die Beschwerdelegitimation ein von den Verfahrensparteien und den beteiligten Behörden losgelöstes Kontrollinstrument zur Prüfung, ob der angefochtene Bescheid in objektiver Weise rechtmäßig ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1999, Zl. 98/20/0304, m. w.N.).

Gemäß § 4 Abs. 5 AsylG tritt der Bescheid, mit dem der Asylantrag gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen wurde, mit dem Zeitpunkt des Einlangens der Mitteilung nach § 57 Abs. 7 FrG außer Kraft, wenn der oder die Fremde nicht in einen sicheren Drittstaat zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden kann. Mit diesem Zeitpunkt beginnt die Entscheidungsfrist nach § 73 Abs. 1 AVG von Neuem zu laufen; ein anhängiges Berufungsverfahren ist als gegenstandslos einzustellen.

§ 57 Abs. 7 FrG lautet:

"(7) Erweist sich die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder, deren Asylantrag gemäß § 4 des Asylgesetzes 1997 zurückgewiesen worden ist, in den Drittstaat als nicht möglich, so ist hievon das Bundesasylamt unverzüglich in Kenntnis zu setzen."

In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung (685 BlgNR 20. GP) heißt es:

"Erweist sich im Falle angenommener Drittlandsicherheit im Sinne des § 4 des Entwurfs des AsylG 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in den sicheren Drittstaat als unmöglich, so ist hievon das Bundesasylamt unverzüglich in Kenntnis zu setzen. In diesem Falle tritt der Bescheid, mit dem der Asylantrag zurückgewiesen wurde, gemäß § 4 AsylG 1997 mit dem Zeitpunkt des Einlangens dieser Mitteilung bei der Asylbehörde außer Kraft. Mit diesem Zeitpunkt beginnt die Entscheidungsfrist im Asylverfahren nach § 73 Abs. 1 AVG von neuem zu laufen."

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage stellt entgegen der Auffassung der belangten Behörde die Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 30. April 1999 keine Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG über die Unmöglichkeit der Abschiebung dar, die zu einem Außerkrafttreten des Bescheides des Bundesasylamtes führte. Die der belangten Behörde gegenüber erstattete Erklärung ist nämlich in sich widersprüchlich, wenn einerseits nur davon gesprochen wird, die Durchführung der Zurückschiebung sei "äußerst mühsam", eine "Übernahme durch die slowakischen Beamten erfolgt in der Regel nur, wenn der Genannte genau sagen kann, wann, wo und wie er auf österr. Gebiet gelangt ist", womit zwar Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Übernahmeabkommens mit der Slowakei, BGBl. 1992/667 idF BGBl. 1994/1046, mitgeteilt werden, nicht aber eine Unmöglichkeit der Ab- bzw. Rückschiebung des Mitbeteiligten, andererseits "zusammenfassend" ausgeführt wird, "dass eine Zurückschiebung in die Slowakei aus bisheriger Erfahrung als aussichtslos erscheint". Eine Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG liegt aber nur dann vor, wenn darin unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass sich die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des konkreten Fremden, dessen Asylantrag gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen wurde, in den in Aussicht genommenen Drittstaat als nicht möglich erweist.

Die belangte Behörde weist zwar richtig darauf hin, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284, ausgesprochen hat, ein Asylantrag dürfe wegen Drittstaatsicherheit nur zurückgewiesen werden, wenn die Prognose dahin laute, dass der jeweilige Antragsteller ("der oder die Fremde") in dem von der Behörde in Erwägung gezogenen Drittstaat Schutz vor Verfolgung "finden kann". Das setze zunächst einmal voraus, dass der Antragsteller in diesen Staat auch tatsächlich, sei es freiwillig oder im Wege der Abschiebung, einreisen könne. Die Einreise in den betreffenden Staat müsse also rechtlich möglich sein. Aus § 4 Abs. 5 AsylG lasse sich gegen diesen Standpunkt nichts ableiten. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage solle mit dieser Regelung des Falles gedacht werden, dass sich - erst - im Nachhinein herausstelle, dass ein Fremder, dessen Asylantrag wegen Drittlandsicherheit zurückgewiesen wurde, nicht in diesen Staat reisen könne und auch durch fremdenpolizeiliche Maßnahmen nicht dazu verhalten werden könne, sich in diesen Staat zu begeben. Stehe dieser Umstand hingegen bereits im noch laufenden Asylverfahren fest, sei dies eben schon von der Asylbehörde wahrzunehmen, die den Asylantrag dann nicht gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zurückweisen dürfe.

Eine in einem solchen Fall dennoch ausgesprochene Zurückweisung gemäß § 4 Abs. 1 leg. cit. hätte aber - auch wenn sich dieser Umstand erst im Stadium des Berufungsverfahrens erweisen sollte - ohne Vorliegen einer Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG nicht die Einstellung des Berufungsverfahrens als gegenstandslos zur Folge. Diesfalls wäre vielmehr die ausgesprochene Zurückweisung gemäß § 4 Abs. 1 AsylG durch die Berufungsbehörde zu beheben, was die weitere Behandlung des Asylantrages durch das Bundesasylamt unter Abstandnahme von diesem Zurückweisungsgrund zur Folge hätte. Die von der belangten Behörde ausgesprochene Einstellung des Verfahrens wäre somit selbst dann verfehlt, wenn die aus der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See abgeleitete Feststellung, der Mitbeteiligte könne nicht in die Slowakei zurückgestellt werden, unbedenklich wäre.

Letztlich erweist sich der angefochtene Bescheid vor dem Hintergrund der im vorliegenden Fall auf Grund der Amtsbeschwerde vorzunehmenden Prüfung der objektiven Rechtmäßigkeit schon deshalb nicht mit dem Gesetz in Einklang stehend, weil die Einstellung des Berufungsverfahrens im Falle einer Mitteilung gemäß § 57 Abs. 7 FrG auf Grund nachstehender Erwägungen nicht in der Form eines Bescheides zu erfolgen hat:

Aus § 4 Abs. 5 letzter Halbsatz AsylG ergibt sich, dass nach Außerkrafttreten eines auf § 4 Abs. 1 leg. cit. gestützten Zurückweisungsbescheides ein "anhängiges Berufungsverfahren als gegenstandslos einzustellen" ist. Eine besondere Form dieser Einstellung ist im AsylG nicht vorgesehen. Den Gesetzesmaterialien (vgl. die RV 686 Blg NR 20. GP) lässt sich kein Hinweis darauf entnehmen, dass diese Einstellung in Bescheidform erfolgen sollte. Auch im AVG, das die Asylbehörden gemäß § 23 AsylG (subsidiär) anzuwenden haben, ist eine nach außen in Erscheinung tretende Form einer Verfahrenseinstellung nicht vorgesehen (vgl. dazu das eine Verfahrenseinstellung in einer Angelegenheit nach der Kärntner Abfallordnung 1988 betreffende hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 1996, Zl. 95/07/0085). Gegen die bescheidmäßige Einstellung des Berufungsverfahrens spricht vielmehr, dass es bei Fehlschlagen der im § 57 Abs. 7 FrG genannten fremdenpolizeilichen Zwangsmaßnahmen im Gefolge eines nach § 4 Abs. 1 AsylG erlassenen Zurückweisungsbescheides nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss zu keiner Bescheiderlassung über dessen ex lege erfolgtes Außerkrafttreten kommt (so auch Rohrböck, Kommentar zum Asylverfahren, Rdz 219, wonach auch ein im Berufungsverfahren ergangener Zurückweisungsbescheid von Gesetzes wegen außer Kraft trete und für einen Bescheid "hier kein Raum" sei). Die Asylbehörde hat vielmehr in diesem Fall das Verfahren über den Asylantrag unverzüglich fortzusetzen und darüber innerhalb der Frist des § 73 AVG inhaltlich zu entscheiden (§ 4 Abs. 5 zweiter Satz erster Halbsatz AsylG). Dem Rechtschutzinteresse des Asylwerbers an einer bescheidmäßigen Erledigung seines Asylantrages für den Fall, dass die Asylbehörde zu Unrecht von einem nicht erfolgten Außerkrafttreten des Zurückweisungsbescheides ausgehen sollte, wird durch die mittels Devolutionsantrages bzw. Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof geltend zu machende Entscheidungspflicht hinreichend Rechnung getragen (vgl. die zur Einstellung nach § 30 AsylG angestellten Überlegungen im hg. Beschluss vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0046, m.w.N.). Es ist daher nicht zu erkennen, warum im Falle eines angefochtenen, somit noch nicht rechtskräftigen Bescheides die angeordnete Einstellung des Berufungsverfahrens "als gegenstandslos" in Bescheidform zu erfolgen hätte.

Der vom beschwerdeführenden Bundesminister weiters aufgeworfenen Frage der verpflichtenden Durchführung einer mündlichen Verhandlung kommt im vorliegenden Fall keine Bedeutung mehr zu.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Hinsichtlich der zitierten Erkenntnisse wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 24. Februar 2000

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