Normen
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §37 Abs2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 21. Mai 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1
iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei nach der Aktenlage im Dezember 1989 in das Bundesgebiet eingereist und habe in weiterer Folge Sichtvermerke und Aufenthaltsbewilligungen erteilt erhalten. Er sei mit Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 5. März 1992 erstmals wegen Sachbeschädigung rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden, wenig später sei eine Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 10. September 1992 wegen Sachbeschädigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten erfolgt. Am 10. Oktober 1996 sei der Beschwerdeführer vom Strafbezirksgericht Wien wegen versuchten Diebstahls rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weiters sei eine Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 10. Februar 1998 wegen § 133 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat erfolgt. Zuletzt sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 3. Juni 1998 wegen des Verbrechens der Vergewaltigung gemäß § 201 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil sei als Sachverhalt zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer, dessen Frau und beide Kinder auf Urlaub geweilt hätten, am 19. Februar 1998 zu einer im selben Haus lebenden Nachbarin gegangen sei, deren Ehegatte ebenfalls nicht zu Haus gewesen sei und deren Kinder bereits geschlafen hätten. Bei der Nachbarin habe es sich um eine langjährige Bekannte des Beschwerdeführers gehandelt. In deren Wohnung habe er sie mit einem circa 30 cm langen Küchenmesser bedroht und sie zur zweimaligen Duldung des Beischlafs genötigt.
Angesichts der Vielzahl der Verurteilungen und der Höhe der zuletzt verhängten Strafe könne kein Zweifel bestehen, dass der im § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG normierte Sachverhalt verwirklicht sei. Das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit in beträchtlichem Maß, sodass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 FrG - im Grund des § 36 Abs. 1 FrG als gerechtfertigt erweise.
Der Berufungswerber sei verheiratet und für zwei Kinder sorgepflichtig. Er gehe einer aufrechten Beschäftigung nach. Zweifelsfrei sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- bzw. Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, hier zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, dringend geboten sei. Das den Verurteilungen zu Grunde liegende Verhalten lasse erkennen, dass der Beschwerdeführer die auch für ihn maßgeblichen, nicht nur zum Schutz fremden Eigentums, sondern auch und insbesondere zum Schutz der Freiheit und körperlichen Unversehrtheit anderer aufgestellten strafrechtlichen Normen gering schätze. Noch am 27. November 1997 sei von weiteren fremdenpolizeilichen Maßnahmen trotz bereits vorliegender Verurteilungen des Beschwerdeführers abgesehen worden. Dies habe den Beschwerdeführer jedoch nicht daran hindern können, nur etwa drei Monate später - diesmal in einem weit schwer wiegenderen Ausmaß als zuvor - wieder straffällig zu werden. Angesichts dieser Umstände sei eine zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechende Zukunftsprognose nicht möglich. Zum Schutz der angeführten Rechtsgüter erweise sich die gegenständliche Maßnahme daher dringend geboten und zulässig im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG.
Bei der gemäß § 37 Abs. 2 FrG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen gewesen. Gleichzeitig sei jedoch zu berücksichtigen gewesen, dass die jeglicher Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch das wiederholte strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich an Gewicht gemindert gewesen sei. Diesen - unter Bedachtnahme auf seine familiären Bindungen und die Integration seiner Familienangehörigen - zweifelsfrei gewichtigen, in einem wesentlichen Punkt jedoch deutlich herabgesetzten Interessen des Beschwerdeführers sei das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit (d.h. an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und am Schutz der Freiheit und körperlichen Unversehrtheit anderer) gegenübergestanden. Bei Abwägung dieser Interessenlagen sei die erkennende Behörde zu der Ansicht gelangt, dass die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als das in seinem dargestellten Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG als zulässig. Aktenkundig sei, dass der Beschwerdeführer seit Dezember 1989, sohin keinesfalls - wie in der Berufung behauptet - seit mehr als zehn Jahren im Bundesgebiet aufhältig sei. Ein Sachverhalt gemäß § 38 FrG sei daher nicht gegeben gewesen.
Da auch sonst keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe die belangte Behörde angesichts des vorliegenden Sachverhaltes von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.
Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung auch nach Ansicht der belangten Behörde gerechtfertigt. Angesichts des dargestellten Gesamtfehlverhaltens könne ein Wegfall des für die Erlassung der gegenständlichen Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Im Hinblick auf die unbestrittenen rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen der genannten Straftaten (oben I.1.) begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt und die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken.
2. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde die Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers, seine Erwerbstätigkeit und das Zusammenleben mit seiner Gattin und seinen Kindern, für die er sorgepflichtig sei, berücksichtigt. Diese auch von der Beschwerde ins Treffen geführten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers werden jedoch - mit der belangten Behörde - dadurch relativiert, dass die für eine Integration wesentliche soziale Komponente durch die wiederholten Straftaten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt ist. Die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot auch unter Bedachtnahme auf die dargestellte persönliche Interessenlage des Beschwerdeführers zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes, kann demnach nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Soweit die Beschwerde ins Treffen führt, eine "Ausweisung" des Beschwerdeführers würde bedeuten, dass seine Ehefrau und seine zwei minderjährigen Kinder praktisch mittellos dastünden und ihnen alle Existenzgrundlagen entzogen würden, ist auszuführen, dass Unterhaltszahlungen - allenfalls in vermindertem Umfang - auch vom Ausland aus erbracht werden können und die - allenfalls - mit einer erschwerten Erwerbsmöglichkeit im Ausland verbundene Schmälerung des Unterhaltes im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden müsste.
3.1. Schließlich wendet der Beschwerdeführer gegen das Aufenthaltsverbot ein, dass ihm am 19. März 1999, sohin mehr als drei Wochen nach der Erlassung des befristeten Aufenthaltsverbotes durch die Erstbehörde am 1. März 1999, eine unbefristete Niederlassungsbewilligung (nach der Aktenlage: für jeglichen Aufenthaltszweck - vgl. Blatt 142 des Verwaltungsaktes) erteilt worden sei.
3.2. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder Z. 2 wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre.
Gemäß § 34 Abs. 1 FrG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn (unter anderem)
1. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre oder
2. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht.
Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage
(685 Blg. NR 20. GP) wird mit § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG dem Umstand Rechnung getragen, dass entweder die Behörde - aus welchem Grund auch immer - vom Bestehen eines Versagungsgrundes (erst nachträglich) Kenntnis erlangt hat, der der Erteilung eines Aufenthaltstitels bereits zum Zeitpunkt der ursprünglichen Erteilung entgegengestanden wäre, oder nachträglich ein Versagungsgrund eintritt, der die Versagung des Aufenthaltstitels rechtfertigt.
Die von der belangten Behörde als Grundlage für das Aufenthaltsverbot herangezogenen Verurteilungen stellen zweifellos einen Grund für die Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG dar. Dieser Versagungsgrund ist jedoch bereits vor Erteilung der weiteren Niederlassungsbewilligung eingetreten. Zudem ergeben sich aus dem Akteninhalt (vgl. den Ausdruck über die den Beschwerdeführer betreffenden Vormerkungen in der Fremdeninformationsdatei des Bundesministeriums für Inneres - Blatt 141 des Verwaltungsaktes) Anhaltspunkte dafür, dass die Tatsache der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes der Niederlassungsbehörde bekannt gewesen sein könnte. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Niederlassungsbehörde Zugang zum EDV-unterstützten Fremdeninformationssystem hat, aus dem der Grund für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes hervorgeht bzw. leicht zu ermitteln ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist, entzieht sich - mangels diesbezüglicher Feststellung seitens der belangten Behörde - einer abschließenden Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieses Versäumnis der belangten Behörde ist wesentlich, weil für den Fall, dass der Versagungsgrund nach § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG weder nachträglich eingetreten noch der Niederlassungsbehörde erst nachträglich (nach Erteilung der Niederlassungsbewilligung am 19. März 1999) bekannt geworden ist, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 2 (iVm § 34 Abs. 1 Z. 1) FrG unzulässig wäre.
5. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
6. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 3. August 2000
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