Normen
B-VG Art130 Abs2;
SPG 1991 §16;
SPG 1991 §65 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
SPG 1991 §16;
SPG 1991 §65 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 65 Abs. 1 und § 77 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. Nr. 566/1991 (SPG), verpflichtet, sich zu einem näher angeführten Zeitpunkt am Gendarmerieposten Altheim einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei von Beamten des Gendarmeriepostenkommandos Braunau am 10. April 1998 mündlich und von der Bezirkshauptmannschaft Braunau mit Schreiben vom 10. August 1998 aufgefordert worden, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen. Dieser Aufforderung habe er keine Folge geleistet. Gemäß § 65 Abs. 4 SPG habe eine Person, die erkennungsdienstlich zu behandeln sei, an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken. Gemäß § 77 Abs. 2 SPG sei einer Person die Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung bescheidmäßig aufzuerlegen, wenn der Betroffene der Aufforderung zur erkennungsdienstlichen Behandlung nicht nachkomme. Der Beschwerdeführer stehe im Verdacht, in der Nacht vom 15. Juli 1997 zum 16. Juli 1997 auf dem Gelände des Bahnhofes Braunau am Inn eine Sachbeschädigung begangen zu haben. Das Gendarmeriepostenkommando Braunau am Inn habe den Beschwerdeführer wegen dieses Sachverhaltes am 28. Juli 1998 wegen des Verdachtes des Vergehens einer Sachbeschädigung bei der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis zur Anzeige gebracht. Bei diesem Delikt handle es sich um eine vorsätzlich begangene strafbare Handlung nach dem StGB, die nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt werde. Es liege damit ein gefährlicher Angriff im Sinne des § 16 SPG vor. Auf Grund dieses Sachverhaltes sei der Beschwerdeführer verpflichtet, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 30. November 1998, B 2015/98, ihre Behandlung ab und trat die Beschwerde sodann dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung maßgebenden Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991 (SPG) idF BGBl. I Nr. 112/1997, lauten:
"§ 16. ...
(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand
- 1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, oder
- 2. nach dem Verbotsgesetz, StGBl. Nr. 13/1945,
- 3. nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, handelt, es sei denn um den Erwerb oder Besitz eines Suchtmittels zum eigenen Gebrauch.
(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.
§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen, die im Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln. Hievon kann so lange abgesehen werden, als nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen.
(2) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, im Zusammenhang mit der Klärung der Umstände eines bestimmten gefährlichen Angriffes Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn diese nicht im Verdacht stehen, den gefährlichen Angriff begangen zu haben, aber Gelegenheit hatten, Spuren zu hinterlassen, soweit dies zur Auswertung vorhandener Spuren notwendig ist.
(3) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, deren Identität gemäß § 35 Abs. 1 Z. 3 festgestellt werden muss und die über ihre Identität keine ausreichenden Aussagen machen wollen oder können, sofern eine Anknüpfung an andere Umstände nicht möglich ist oder unverhältnismäßig wäre.
(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.
§ 77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.
(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.
(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden."
Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, eine erkennungsdienstliche Maßnahme angeordnet zu haben, ohne dass die erforderliche allgemeine Verdachtslage einer Sachbeschädigung gegen den Beschwerdeführer vorgelegen sei. Die auf den Waggons der ÖBB angebrachten Graffitis wiesen keinerlei Ähnlichkeit mit den Sprühmotiven auf, die sich in der Wohnung des Beschwerdeführers befänden. Die bloße Tatsache, dass der Beschwerdeführer im Besitz von leeren bzw. teilweise gefüllten Spraydosen gewesen sei, lasse keinesfalls den Schluss zu, er stehe mit der Sachbeschädigung am Bahnhof Braunau am Inn in irgend einem Zusammenhang. Auch liege keine Wiederholungsgefahr vor. Der gegenständliche Vorfall habe sich in der Nacht vom 15. zum 16. Juli 1997, sohin mehr als ein Jahr vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides ereignet. Da offenkundig seither keinerlei vergleichbare Sachbeschädigungen im Raume Braunau am Inn aufgetreten seien und von der belangten Behörde weitere Verdachtsmomente gegen den Beschwerdeführer nicht vorgebracht worden seien, bestehe keine Gefahr, dass der Beschwerdeführer weitere Sachbeschädigungen begehen werde. Dem angefochtenen Bescheid sei auch nicht zu entnehmen, warum der dem Beschwerdeführer zur Last gelegte gefährliche Angriff eine erkennungsdienstliche Behandlung erforderlich mache.
Die Ermächtigung zur erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 65 Abs. 1 SPG ist weit gefasst; sie umfasst auch den noch nicht ausreichend erhärteten Tatverdacht (vgl. Wiederin, Einführung in das Sicherheitspolizeirecht, 1998, Rz. 651). Der weit gefassten Ermächtigung steht andererseits die Verpflichtung der Behörde gegenüber, die erkennungsdienstlichen Daten von Amts wegen zu löschen, wenn der Verdacht entkräftet wurde.
Bei dieser Rechtslage kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie auf Grund des unbestrittenen Sachverhaltes - im Zimmer des Beschwerdeführers war hinter einer verborgenen Bodenluke der Zugang zu einem Kellerraum entdeckt und dort eine größere Anzahl von leeren Spraydosen und eine geringere Anzahl von noch teilgefüllten Spraydosen vorgefunden worden - von einem gegen den Beschwerdeführer bestehenden Tatverdacht ausgegangen ist.
Dennoch erweist sich die Beschwerde im Ergebnis als berechtigt. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2000, 96/01/0595) ausgesprochen hat, räumt die Bestimmung des § 65 Abs. 1 SPG der Behörde jedenfalls insoweit Ermessen ein, als sie trotz Vorliegens der Voraussetzungen hiefür von der erkennungsdienstlichen Behandlung absehen kann, wenn und solange nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen. Der der Behörde eingeräumte Ermessensspielraum für die Anordnung oder das Absehen von erkennungsdienstlichen Maßnahmen ist dann gegeben, wenn nach den Umständen des Einzelfalles eine vergleichsweise nur geringe Gefahr der Begehung weiterer Angriffe besteht. Hiebei ist auch zu beachten, dass ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung dann eher in Betracht kommt, wenn die Gefahr der Begehung weiterer Delikte eher hinsichtlich solcher Delikte gegeben ist, für deren Aufklärung aus erkennungsdienstlichen Daten nichts oder nur wenig gewonnen werden kann. Da § 65 Abs. 1 SPG auf den Verdacht der Begehung eines gefährlichen Angriffes abstellt, ist davon auszugehen, dass die gemäß dem zweiten Satz dieses Absatzes zu treffende Prognose hinsichtlich der Frage des Begehens weiterer gefährlicher Angriffe jedenfalls auch dann zu treffen ist, wenn lediglich der Verdacht der Begehung eines solchen Angriffes vorliegt. Auch in einem solchen Verdachtsfall müssen die genannten Ermessenskriterien - hiebei kommt insbesondere der Frage, ob sich aus der Art des vermutlich begangenen Deliktes eine Wiederholungsgefahr ergibt, besondere Bedeutung zu - von der Behörde geprüft werden, um entscheiden zu können, ob von der erkennungsdienstlichen Behandlung abgesehen werden kann (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1999, Zl. 96/01/0276, mit weiteren Nachweisen).
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid in keiner Weise dargetan, dass sie ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers überhaupt in Erwägung gezogen hätte. Vielmehr ist der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen, dass sie der Auffassung war, der Beschwerdeführer sei schon deshalb jedenfalls zur erkennungsdienstlichen Behandlung zu verpflichten gewesen, weil er im Verdacht stehe, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, und der formlosen Aufforderung zur Mitwirkung an der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht nachgekommen sei. Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt und ausgehend von dieser unzutreffenden Rechtsansicht die Prüfung der Frage, ob im Fall des Beschwerdeführers von der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung abgesehen werden könne, unterlassen bzw. keine Ausführungen zu den dargestellten Ermessenskriterien in die Begründung des angefochtenen Bescheides aufgenommen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. März 2000
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