VwGH 98/01/0468

VwGH98/01/046819.1.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der MC in W, geboren am 21. Mai 1979, vertreten durch Dr. Josef Olischar, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Museumstraße 4/4, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 5. Juni 1998, Zl. MA 61/IV - C 148/98 , betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
AVG §68 Abs1;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 5. Juni 1998 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 7. April 1997 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 - StbG -, abgewiesen. Die seit ihrer Geburt in Österreich lebende Beschwerdeführerin, eine tunesische Staatsangehörige, scheine in "den polizeilichen Evidenzen" folgendermaßen auf:

"1) 27. Juni 1994 (rechtskräftig 22. Juli 1994): vorläufige Einstellung des Jugendstrafverfahrens wegen §§ 15, 127 StGB (versuchter Diebstahl) gemäß § 9/1/1 JGG unter Setzung einer Probezeit von einem Jahr; endgültige Einstellung erfolgte am 8. September 1995 gemäß § 10/2 JGG;

2) 24. Juli 1995: vorläufige Einstellung des Jugendstrafverfahrens wegen § 83/1 StGB (Körperverletzung) gemäß § 9/1/2 JGG unter der Auflage an 4 Wochenenden 4 Stunden Dienst im Patientencafe Lainz zu versehen; endgültige Einstellung erfolgte am 12. Dezember 1995 gemäß § 10/2 JGG;

3) Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 18. April 1996 wegen § 8/1 Wr. Prost. Ges., Geldstrafe von

S 2.500,--, im Falle der Uneinbringlichkeit 2 1/2 Tage Ersatzfreiheitsstrafe;

4) 12. Juni 1996 (rechtskräftig 18. Juni 1996): Verurteilung durch den Jugendgerichtshof Wien wegen § 83/1 StGB. Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe (§ 13 JGG) unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren und Freispruch gemäß § 259/3 StPO wegen § 83/1 StGB bei einer zweiten Anklageerhebung;

5) 25. Februar 1997 (rechtskräftig 1. März 1997): Verurteilung durch den Jugendgerichtshof Wien wegen §§ 127, 229/1 StGB (Diebstahl, Urkundenunterdrückung) zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen a S 40,--, im Falle der Uneinbringlichkeit 10 Tage Ersatzfreiheitsstrafe."

Die gesetzliche Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG verlange eine materielle Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers daraufhin, ob es nach seinem bisherigen Verhalten für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit unbedenklich erscheine, wobei es auf formale Gesichtspunkte nicht ankomme. Maßgeblich sei nur, dass aus der Art, der Schwere oder der Häufigkeit "der Übertretungen" die negative Einstellung gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetzen deutlich zum Ausdruck komme. Die angeführten Vormerkungen bzw. Verurteilungen ließen keinen Zweifel offen, dass die Beschwerdeführerin nicht gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften zu respektieren. Sie zwinge die belangte Behörde zum Schluss, dass sie nach ihrem bisherigen Verhalten keine Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden. Es sei das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Mutter der Beschwerdeführerin niederschriftlich zur Kenntnis gebracht worden.

Hiezu sei keine Stellungnahme abgegeben worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines

Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens

vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im gegenständlichen Fall ist das StbG in seiner Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 124/1998 anzuwenden. Gemäß § 10 Abs. 1 StbG kann einem Fremden die Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat und kein Einbürgerungshindernis nach den Z. 1 bis 8 dieses Absatzes vorliegt. Insbesondere darf gemäß Abs. 1 Z. 6 leg. cit. die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur dann verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet.

Diese Bestimmung räumt - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - der Behörde kein Ermessen ein, sondern normiert einen Ausschließungstatbestand, bei dessen Erfüllung die Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden darf.

Die Beschwerdeführerin stellt die Begehung der den gerichtlichen Vormerkungen zugrundeliegenden Tathandlungen nicht in Abrede. Die Bestrafung nach dem Prostitutionsgesetz beruhe jedoch auf einem Irrtum. Sie habe aber "aus Geldmangel" gegen das Straferkenntnis keine Rechtsmittel eingelegt.

Dem letzten Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass das Verfahren zur Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht Raum bietet, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verwaltungsstrafverfahren neu aufzurollen. Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Erhebung einer Berufung gegen ein Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien weder kostenpflichtig ist noch das Einschreiten eines berufsmäßigen Parteienvertreters erfordert, weshalb das Argument, sie habe "aus Geldmangel" kein Rechtsmittel eingelegt, ohnehin ins Leere geht.

In ihrer Rechtsrüge bringt die Beschwerdeführerin zunächst vor, die belangte Behörde hätte die der beschränkten Auskunft nach dem Tilgungsgesetz unterliegenden "Verfahren vor dem Jugendgerichtshof" weder in Erfahrung bringen noch verwenden dürfen. Wie die belangte Behörde richtig ausführt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Frage, ob das Einbürgerungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG gegeben ist, eine Beurteilung des Gesamtverhaltens des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, vorzunehmen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz von Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe oder Ordnung erlassene Vorschriften missachten (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1998, Zl. 96/01/0985, uva.). Davon ausgehend erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass ein Staatsbürgerschaftswerber zwar nicht verpflichtet ist, von der beschränkten Auskunft umfasste Verurteilungen bzw. Vormerkungen der Staatsbürgerschaftsbehörde bekanntzugeben, von der Behörde jedoch auch solche Verurteilungen bzw. Vormerkungen - wenn sie ihr auf andere Weise bekannt werden - zu berücksichtigen sind. Denn es kommt zur Beurteilung des Gesamtverhaltens eben nicht - wie etwa in den Fällen des § 10 Abs. 1 Z. 2 und Z. 3 StbG - auf das Vorliegen einer oder mehrerer gerichtlicher Verurteilungen an, sondern auf das den jeweiligen Verurteilungen bzw. Vormerkungen zugrundeliegende Verhalten der Einbürgerungswerberin (vgl. z.B. das bereits genannte Erkenntnis vom 28. Jänner 1998).

Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde - wenngleich auch unter dem unrichtigen Aspekt des Ermessens gemäß § 11 StbG - vor, es habe sich bei den ihr "vorgeworfenen Delikten um Geringfügigkeiten" gehandelt und sie habe sich "seit bald zwei Jahren wohlverhalten". Die belangte Behörde hat die den im angefochtenen Bescheid angeführten Verurteilungen bzw. Bestrafungen zugrundeliegenden Taten, welche sich aus den von ihr eingeholten Akten (vgl. Verwaltungsakt Seite 12 bis 33 - daraus sind Tatbegehungen zwischen 14. Februar 1994 und 30. November 1996 ersichtlich) ersehen lassen, im angefochtenen Bescheid zwar nur hinsichtlich der Verurteilungen bzw. Bestrafungen, der von der Beschwerdeführerin verletzten gesetzlichen Bestimmungen und teilweise der schlagwortartigen Anführung der den Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten näher ausgeführt. Sie hat aber aus dem Gesamtzusammenhang des angefochtenen Bescheides noch erkennbar die den Verurteilungen bzw. Bestrafungen zugrundeliegenden Straftaten einer Wertung unterzogen. Angesichts der Art der Taten (Vergehen gegen das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit anderer sowie Schutz der Gesundheit und Moral), welche zwar jeweils einzeln für sich gesehen nicht besonders schwerwiegend sind, aber in ihrer Summe und insbesondere auf Grund des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin gehäuft Übertretungen im kurzem Zeitraum nach Erreichung der Strafmündigkeit bis zur Bescheiderlassung setzte, wobei die lezte Tat am 30. November 1996 begangen wurde, weshalb bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin lediglich ein Jahr, sechs Monate und 18 Tage vergangen war, erscheint die von der Behörde getroffene Prognose nicht rechtswidrig. Dieses kurze Wohlverhalten ist nicht geeignet, ein für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis herbeizuführen, zumal ihr Wohlverhalten bis zur Erreichung der Strafmündigkeit eine auf danach begangenen Straftaten beruhende negative Zukunftsprognose nicht zu ändern vermag (vgl. zur Bedeutung der Tatbegehung kurz vor Erlassung des angefochtenen Bescheides die hg. Erkenntnisse vom 25. Februar 1998, Zl. 96/01/0107, vom 22. Dezember 1999, Zl. 98/01/0086 - in diesem Fall lag die Tatbegehung zwei Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides, u.a.)

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Jänner 2000

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