VwGH 97/08/0564

VwGH97/08/056420.9.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der I in U, vertreten durch Dr. Karl Franz Leutgeb, Rechtsanwalt in Wien I, Singerstraße 4, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 30. Jänner 1997, Zl. 42.024/69-7/96, betreffend Zurückweisung von Anträgen und Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Behinderteneinstellungsgesetzes (mitbeteiligte Partei:

Stadtgemeinde Baden, vertreten durch Gruböck & Gruböck, Rechtsanwälte OEG in Baden, Beethovengasse 4-6), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §11;
BEinstG;
VwGG §13 Abs1;
ZustG §25;
AVG §11;
BEinstG;
VwGG §13 Abs1;
ZustG §25;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 2., mit dem die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 29. Dezember 1993 als verspätet zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die 1943 geborene Beschwerdeführerin gehört seit 1985 dem Kreis der begünstigten Behinderten an. In einem im Jänner 1991 im Zusammenhang mit einer mehrmonatigen Tätigkeit als Stationsgehilfin im Krankenhaus Baden von ihr angestrengten arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen die Stadtgemeinde Baden erging zunächst am 19. November 1991 ein klagsabweisendes Teilurteil, das mit einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 11. Dezember 1992 bestätigt wurde. Im fortgesetzten Verfahren über die restlichen Klagsansprüche - darunter das Begehren auf Feststellung des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses der Beschwerdeführerin zur Stadtgemeinde Baden - machte die Beschwerdeführerin in der Tagsatzung vom 15. März 1993, in der sie persönlich anwesend war, geltend, sie genieße den Kündigungsschutz des Behinderteneinstellungsgesetzes. Mit Schreiben vom 9. April 1993 gab sie dem Gericht Viktor H. als Zustellungsbevollmächtigten bekannt, "um im Zusammenhang mit auswärtigen Kuraufenthalten und -behandlungen in nächster Zeit eine Zustellung von Ladungen zu gewährleisten und keine Termine zu versäumen".

In einem an das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland gerichteten Antrag vom 28. Juni 1993 begehrte die Stadtgemeinde Baden die nachträgliche Zustimmung zu der am 30. Oktober 1990 ausgesprochenen Kündigung der Beschwerdeführerin. In dem darüber eingeleiteten Verfahren wurde am 25. August 1993 die mündliche Verhandlung für den 23. September 1993 anberaumt. Die Ladung zu dieser Verhandlung konnte der Beschwerdeführerin nicht zugestellt werden. Die Verhandlung wurde zur Ermittlung der Adresse der Beschwerdeführerin vertagt. Mit dem für den Vorsitzenden des beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland errichteten Behindertenausschusses ausgefertigten Bescheid vom 29. Dezember 1993 wurde ausgesprochen, der Ausschuss habe in seiner Sitzung vom 14. Dezember 1993 die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung der Beschwerdeführerin erteilt. In der Begründung der Entscheidung wurde unter anderem ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe nicht gehört werden können, weil sie unbekannten Aufenthaltes sei. Sie habe nicht ausgeforscht werden können. Zuschriften an alle bekannten Adressen der Beschwerdeführerin seien mit den Vermerken "verzogen" bzw. "an angegebener Abgabestelle derzeit nur eine Baustelle bzw. ein leeres Haus!" retourniert worden. Eine Anfrage an die Bundespolizeidirektion Wien habe ergeben, dass die Beschwerdeführerin sich mit 29. Jänner 1992 "unbekannt abgemeldet" habe. Die Zustellung dieser Entscheidung an die Beschwerdeführerin erfolgte durch "Anschlag an der Amtstafel, da unbekannten Aufenthaltes", im März 1994.

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren legte die Stadtgemeinde Baden vor der Verhandlungstagsatzung vom 31. Mai 1994 mit dem Schriftsatz ON 59 unter anderem den Bescheid vom 29. Dezember 1993 vor. In der Verhandlungstagsatzung wurden die mit dem Schriftsatz vorgelegten Urkunden verlesen und zum Akt genommen. In Bezug auf den Bescheid vom 29. Dezember 1993 wurde erörtert, dass ein Anruf beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland ergeben habe, dass der Bescheid seit Mitte April 1994 rechtskräftig sei. Die Verfahrenshelferin der Beschwerdeführerin bestritt die Richtigkeit der Urkunden und gab an, dass es ihr nicht gelinge, mit der Beschwerdeführerin in Kontakt zu treten. Im klagsabweisenden Endurteil vom 20. Oktober 1994 wurde unter anderem ausgeführt, das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland habe "mit Bescheid vom 29. 12. 1993 (Beilage ./3)" die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung der Beschwerdeführerin erteilt und dieser Bescheid sei "laut Mitteilung des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 31. 05. 1994 rechtskräftig geworden (ON 64)". Im Kopf dieses Urteils schien die Beschwerdeführerin unter Angabe des Zustellungsbevollmächtigten Viktor H., aber als im Übrigen unvertreten auf.

Mit Beschluss vom 28. August 1995 hob das Oberlandesgericht Wien erstinstanzliche Beschlüsse vom 24. August 1994, 20. Oktober 1994 und 14. Dezember 1994, mit denen der Beschwerdeführerin die Verfahrenshilfe entzogen, ein von ihr persönlich mit einem in Ungarn zur Post gegebenen Schreiben dagegen erhobener Rekurs als verspätet zurückgewiesen und ein neuerlicher, gleichfalls in Ungarn zur Post gegebener Verfahrenshilfeantrag der Beschwerdeführerin abgewiesen worden war, ersatzlos auf. In der Begründung dieser Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien wurde darauf Bezug genommen, dass der Beschluss über die Entziehung der Verfahrenshilfe sich unter anderem darauf gegründet habe, dass die Beschwerdeführerin für die Verfahrenshelferin nicht erreichbar sei, sie es in ihren eigenen Eingaben an das Gericht vermeide, ihre Adresse anzuführen, und die Verfahrensführung unter anderem deshalb mutwillig und aussichtslos sei, weil die Beschwerdeführerin die Unwirksamkeit ihrer Kündigung insbesondere damit begründe, dass sie eine begünstigte Behinderte sei. In der Zwischenzeit habe das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland aber die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung der Beschwerdeführerin erteilt. Dieser Bescheid sei rechtskräftig und dem Begehren der Beschwerdeführerin damit im Wesentlichen der Boden entzogen. Die Beschwerdeführerin ignoriere aber - so die Begründung des Erstgerichtes - den rechtskräftigen Bescheid und bringe weitere Klagsausdehnungen ein. Die Aufhebung dieser Entscheidung durch das Oberlandesgericht Wien gründete sich unter anderem darauf, dass die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 9. April 1993 Viktor H. als Zustellungsbevollmächtigten namhaft gemacht hatte.

Mit Beschluss vom 26. Februar 1996 hob das Oberlandesgericht Wien auch das Endurteil vom 20. Oktober 1994 auf, weil die Parteienvernehmung der Beschwerdeführerin unterblieben und die Ladung zur Parteienvernehmung an die Beschwerdeführerin "p.A."

ihres Zustellungsbevollmächtigten statt an diesen adressiert worden war.

Am 19. April 1996 beantragte Viktor H. im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland Akteneinsicht in den Kündigungsakt der Beschwerdeführerin. Er legte eine mit "Wien, 19.4.96" datierte und von der Beschwerdeführerin unterfertigte Vollmacht vor, worin er ermächtigt wurde, beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland "bzw. Bundesamt für Behinderte in den Akt, in dem einem Antrag auf Kündigung eines Dienstverhältnisses mit der Stadtgemeinde Baden ohne meine Mitwirkung die Zustimmung erteilt wurde, Einsicht zu nehmen und eine Aktenkopie für mich einzuholen", und erhielt eine Aktenkopie ausgefolgt.

Am 25. April 1996 fand im arbeitsgerichtlichen Verfahren in Anwesenheit der Beschwerdeführerin die abschließende Verhandlungstagsatzung statt. Die Verfahrenshelferin der Beschwerdeführerin trug vor, es sei "beim Landesinvalidenamt ein Verfahren wegen Aufhebung der erfolgten Zustimmung zur Kündigung anhängig", aber "noch nicht abgeschlossen". Die Beschwerdeführerin wurde als Partei vernommen, aber nicht über das Verfahren nach dem Behinderteneinstellungsgesetz befragt.

Am 2. Mai 1996 ging beim Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland ein mit 25. April 1996 datierter, von der Beschwerdeführerin unterschriebener Schriftsatz ein, mit dem beantragt wurde, die dem Bescheid vom 29. Dezember 1993 erteilte Rechtskraftbestätigung aufzuheben, den Bescheid an Viktor H. als Zustellungsbevollmächtigten zuzustellen, dem Antrag auf Aufhebung der Rechtskraftbestätigung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und über die Stadtgemeinde Baden eine Mutwillensstrafe zu verhängen. Diese Anträge gründeten sich unter anderem darauf, dass die Stadtgemeinde Baden es - nach Meinung der Beschwerdeführerin trotz Kenntnis des Schreibens vom 9. April 1993, mit dem sie dem Gericht einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft gemacht hatte - unterlassen habe, dies im Verfahren vor dem Landesinvalidenamt bekannt zu geben, und es in der Folge auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren vermieden habe, dem Schriftsatz, mit dem der Bescheid vom 29. Dezember 1993 vorgelegt worden sei, eine Abschrift des Bescheides für die Beschwerdeführerin anzuschließen, sodass die Beschwerdeführerin auch im Arbeitsgerichtsprozess keine Kenntnis von diesem Zustimmungsbescheid und seinem Inhalt jemals habe erlangen und "vielmehr erst jetzt, mehr als 2 Jahre nach ihrer prozeßvorschriftswidrigen bloß einfachen Vorlage des Bescheides zwecks Nichtinformation des Gegners und 3 Jahre nach seiner Ausfertigung durch das LIA und zwar nur zufällig, im Zuge einer beim Arbeitsgericht nach Aufhebung des Ersturteiles wegen Rechtswidrigkeit, am 19. 4. 96 gestatteten Akteneinsicht von dessen Inhalt erfahren habe können bzw. dürfen". Die Beschwerdeführerin "bzw." ihr dazu Bevollmächtigter habe daraufhin noch am 19. April 1996 auch den Akt beim Bundessozialamt eingesehen, aus dem sich nun erschließe, wie bei der Zustellung des Bescheides vom 29. Dezember 1993 vorgegangen worden sei. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sei der Zustellvorgang gesetzwidrig gewesen, weil das Schriftstück selbst und nicht eine Mitteilung darüber, dass es für die Beschwerdeführerin empfangsbereit bei der Behörde liege, angeschlagen worden sei, und weil der Beschwerdeführerin trotz ihres im arbeitsgerichtlichen Verfahren ausdrücklich bekannt gegebenen Auslandsaufenthaltes im Verfahren vor dem Landesinvalidenamt nicht gemäß § 10 Zustellgesetz die Namhaftmachung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten aufgetragen worden sei.

Am 20. Mai 1996 langte beim Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland eine weitere, mit 17. Mai 1996 datierte Eingabe der Beschwerdeführerin ein, in der sie einleitend unter anderem vortrug, nach der am 19. April 1996 erfolgten Bestellung und Einholung von Aktenkopien sowohl beim Arbeitsgericht als auch beim Bundessozialamt durch einen Beauftragten, der daraufhin für die Beschwerdeführerin hilfsweise einen Schriftsatz vorformuliert und der Beschwerdeführerin am 2. Mai 1996 "zusammen mit den von ihm besorgten Aktenkopien gezeigt" habe, habe sie "erstmals am 2. 5. 96 tatsächlich vom Inhalt des Kündigungszustimmungsantrages und dem des Kündigungszustimmungsbescheides des Behindertenausschusses persönlich erfahren".

Im Anschluss an inhaltliche Einwendungen gegen den Antrag der Stadtgemeinde Baden vom 28. Juni 1993 beantragte die Beschwerdeführerin für den Fall, dass von einer wirksamen Zustellung des Bescheides vom 29. Dezember 1993 ausgegangen werde, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für eine Berufung gegen diesen Bescheid. Zur Rechtzeitigkeit dieses Antrages führte sie aus, sie habe erst dadurch, dass der von ihr Beauftragte ihr die von ihm eingeholten Kopien aus dem Akt am 2. Mai 1996 gezeigt habe, "vom Inhalt des Kündigungszustimmungsantrages und dem des Kündigungszustimmungsbescheides persönlich Kenntnis erlangt". In der zugleich nachgeholten Berufung rügte die Beschwerdeführerin unter anderem, dass ihr die Ladung zur Verhandlung am 23. September 1993 nicht auf eine der in § 41 Abs. 1 AVG oder § 25 Abs. 1 Zustellgesetz vorgesehenen Weisen oder an einen gemäß § 11 AVG zu bestellenden Kurator zugestellt worden sei.

Für den Fall der Erfolglosigkeit auch des Wiedereinsetzungsantrages beantragte die Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des mit dem Bescheid vom 29. Dezember 1993 abgeschlossenen Verfahrens, wozu sie wieder ausführte, sie habe erst am 2. Mai 1996 erstmals vom Inhalt des Verhandlungsprotokolles vom 23. September 1993 und des Bescheides vom 29. Dezember 1993 sowie von den für die Entscheidung herangezogenen Tatsachen und Beweismitteln persönlich Kenntnis erlangt und daher die in ihrer nunmehrigen Eingabe angeführten neuen Tatsachen und Beweismittel ohne ihr Verschulden nicht schon früher geltend machen können.

Schließlich regte die Beschwerdeführerin noch die Nichtigerklärung des Bescheides vom 29. Dezember 1993 durch den Bundesminister für Arbeit und Soziales an.

Mit Bescheid des Behindertenausschusses für Niederösterreich beim Bundessozialamt Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 10. Juli 1996 wurden die von der Beschwerdeführerin in ihren mit 25. April 1996 und 17. Mai 1996 datierten Eingaben gestellten Anträge zurückgewiesen. Diese Entscheidung gründete sich in Bezug auf den Wiedereinsetzungs- und den Wiederaufnahmsantrag der Beschwerdeführerin darauf, dass diese (am 20. Mai 1996 bei der Behörde eingelangten) Anträge verspätet seien, weil die Beschwerdeführerin von den geltend gemachten Wiedereinsetzungs- und Wiederaufnahmsgründen gemäß den Angaben in ihrem Schriftsatz vom 25. April 1996 am 19. April 1996 Kenntnis erlangt habe.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin aus, sie habe am Vormittag des 19. April 1996 in der Geschäftsabteilung 23 des Arbeitsgerichtes Wien persönlich nicht Akteneinsicht genommen, sondern eine Teilkopie des Gerichtsaktes bestellt, die nicht sogleich anfertigbar gewesen und nicht von der Beschwerdeführerin, sondern von Viktor H., ihrem Zustellungsbevollmächtigten im Gerichtsverfahren, am Nachmittag abgeholt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe an diesem Tag daher keine persönliche Kenntnis vom Inhalt des Kündigungszustimmungsbescheides erlangt. Erst am 2. Mai 1996 habe ihr Viktor H. unter anderem eine Kopie dieses Bescheides gezeigt. Zum Beweis dieses Vorbringens beantragte die Beschwerdeführerin die Beischaffung des arbeitsgerichtlichen Aktes, die Zeugenvernehmung der (nicht namentlich genannten) "Leiterin der Geschäftsstelle der Gerichtsabteilung", in der die Akteneinsicht stattgefunden hatte, sowie des Viktor H. und ihre Einvernahme als Partei. In rechtlicher Hinsicht machte sie unter anderem auch geltend, dass für eine nicht erreichbare Partei zur Wahrung des Parteiengehörs ein Kurator zu bestellen sei.

Die belangte Behörde gab im Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 10. Juli 1996 keine Folge und wies im Spruchpunkt 2. ihrer Entscheidung die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 29. Dezember 1993 als verspätet zurück.

Zur Verspätung der Berufung führte die belangte Behörde aus, nach § 25 Zustellgesetz sei die Zustellung an eine Person, deren Abgabestelle unbekannt sei, als bewirkt anzusehen, "wenn das zuzustellende Schriftstück durch Anschlag an die Amtstafel vorgenommen wird" und seit dem Anschlag an der Amtstafel zwei Wochen verstrichen sind. Im vorliegenden Fall sei der Anschlag an der Amtstafel der Behörde erster Instanz am 4. März 1994 erfolgt und die Berufungsfrist daher am 5. April 1994 abgelaufen.

In Bezug auf die mit dem Bescheid vom 10. Juli 1996 zurückgewiesenen Anträge der Beschwerdeführerin führte die belangte Behörde aus, die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe am 19. April 1996 beim Arbeits- und Sozialgericht Wien nicht Akteneinsicht genommen, sondern nur eine Teilkopie des Gerichtsaktes bestellt, sei "völlig unglaubwürdig", weil die Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 25. April 1996 geschrieben habe, sie habe im Zuge einer am 19. April 1996 gestatteten Akteneinsicht beim Gericht vom Inhalt des Zustimmungsbescheides erfahren können bzw. dürfen. An dieser Darstellung zu zweifeln, bestehe kein Anlass, neuerliche Erhebungen "oder gar Zeugeneinvernahmen dazu" seien nicht erforderlich. Die belangte Behörde stelle "somit abschließend fest", dass die Beschwerdeführerin "am 19.4.1996 vom Inhalt des Bescheides vom 19. (gemeint: 29.) 12. 1993 erfahren" habe. Für den 19. April 1996 als "Zeitpunkt der Kenntnisnahme" vom Bescheid vom 29. Dezember 1993 spreche auch der Wortlaut der Vollmacht vom 19. April 1996. Die 14-tägigen Fristen für den Wiedereinsetzungs- und den Wiederaufnahmsantrag seien am 17. Mai 1996 daher bereits abgelaufen gewesen.

Zu dem in der Berufung gegen den Bescheid vom 10. Juli 1996 erstatteten Vorbringen der Beschwerdeführerin, es wäre in dem dem Bescheid vom 29. Dezember 1993 vorausgegangenen Verfahren ein Kurator für die Beschwerdeführerin zu bestellen gewesen, führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe schon mit dem Schriftsatz vom 17. Mai 1996 Berufung gegen den Bescheid vom 29. Dezember 1993 erhoben und das AVG sehe nicht vor, "daß die Partei gegen den Bescheid mehrere Berufungen einbringt". Eine spruchmäßige Zurückweisung einer zweiten Berufung gegen den Bescheid vom 29. Dezember 1993 enthält die angefochtene Entscheidung nicht.

Schließlich begründete die belangte Behörde noch das Unterbleiben einer Aufhebung des Bescheides vom 29. Dezember 1993 gemäß § 68 Abs. 2, 3 oder 4 AVG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die mitbeteiligte Stadtgemeinde Baden erwogen hat:

Der Ansicht der belangten Behörde, die Zustellung des Bescheides vom 29. Dezember 1993 an die Beschwerdeführerin im Wege der öffentlichen Bekanntmachung gemäß § 25 Zustellgesetz sei wirksam und die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid daher verspätet gewesen, wird in der Beschwerde zunächst mit dem Argument begegnet, die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung setze Erhebungen der Behörde voraus, aus denen sich ergibt, dass keine Abgabestelle ausgeforscht werden kann. Der angefochtene Bescheid gehe auf diese Frage überhaupt nicht ein.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Versuche der Behörde erster Instanz, eine Zustelladresse der Beschwerdeführerin ausfindig zu machen, aktenkundig sind und auch im Bescheid vom 10. Juli 1996 näher dargestellt wurden. Die Beschwerdeführerin hat auf diese Bemühungen in ihren Anträgen auch selbst Bezug genommen und im Verwaltungsverfahren nie den Standpunkt vertreten, dass die Ausforschung ihrer Abgabestelle möglich gewesen wäre. Derartiges wird auch in der Beschwerde nicht behauptet. Ein relevanter Begründungsmangel des angefochtenen Bescheides liegt in diesem Punkt daher nicht vor.

In der Beschwerde wird in diesem Zusammenhang weiters vorgebracht, die Wichtigkeit der Sache hätte die Bestellung eines Kurators gemäß § 11 AVG erfordert. Diese Bestimmung hat (seit der Änderung des letzten Satzteiles und der Aufhebung des zweiten Absatzes durch Art. VII des Sachwaltergesetzes, BGBl. Nr. 136/1983, und einer unbedeutenden sprachlichen Anpassung bei der Wiederverlautbarung durch BGBl. Nr. 51/1991) folgenden Wortlaut:

"§ 11. Soll von Amts wegen oder auf Antrag gegen einen handlungsunfähigen Beteiligten, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann die Behörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, die Bestellung eines Sachwalters (Kurators) bei dem hiefür zuständigen Gericht (§ 109 JN) veranlassen."

Ob dies bedeutet, dass die Behörde verpflichtet sein kann, für einen Beteiligten unbekannten Aufenthaltes die Bestellung eines Kurators zu veranlassen, ist seit langem strittig (vgl. dazu etwa Knell, Die Kuratoren im österreichischen Recht (1974), 142). In dem Erkenntnis vom 10. Mai 1949, Slg. Nr. 812/A, meinte der Verwaltungsgerichtshof, in der Unterlassung der Veranlassung einer Kuratorbestellung gemäß § 11 AVG für eine Person unbekannten Aufenthaltes könne auch dann, wenn diese Maßnahme "in Anbetracht der Wichtigkeit der Sache vielleicht angezeigt" gewesen wäre, keine Gesetzwidrigkeit erblickt werden, "denn eine Verpflichtung zur Kuratorbestellung legt das Gesetz nicht fest". Dem widersprach das Erkenntnis vom 2. Februar 1950, Slg. Nr. 1227/A, insofern, als darin - nicht in Bezug auf die Zustellung der Entscheidung in einer Verwaltungssache, sondern hinsichtlich der Wahrung des rechtlichen Gehörs in dem der Entscheidung vorausgegangenen Verfahren - die Auffassung vertreten wurde, die Behörde habe "entweder für die nicht erreichbare Partei einen Kurator bestellen zu lassen und das Verfahren mit diesem durchzuführen (§ 11 AVG)", oder - unter den dafür geltenden Voraussetzungen - einen Mandatsbescheid gemäß § 57 Abs. 1 AVG zu erlassen, gegen den der zuvor nicht zugezogenen Partei das Recht der Vorstellung gewahrt bleibe.

Zur Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (damals gemäß § 29 AVG) wurde sowohl von Krzizek (JBl. 1951, 312) als auch von Mannlicher (Das Verwaltungsverfahren5 (1951), Anmerkung 2 zu § 29 AVG) die Ansicht vertreten, dass in "wichtigen Sachen" statt der Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung mit der Veranlassung einer Kuratorbestellung vorzugehen sei. Dem trat Hellbling (Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen (1953), 208 ff) mit dem Hinweis darauf entgegen, dass dies in § 29 AVG - anders als in § 116 ZPO - nicht angeordnet werde, was damit zu erklären sei, dass im Verwaltungsverfahren - anders als im Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - Angelegenheiten ausgetragen würden, an denen "in erster Linie die Allgemeinheit Interesse" habe. Es sei "demnach begreiflich, daß das Verfahren in Verwaltungsangelegenheiten den Behörden eine größere Freiheit und Beweglichkeit einräumen muß, als es den Zivilgerichten gegenüber der Fall ist, selbst auch auf die Gefahr hin, daß Rechte und Interessen des einzelnen nicht in der gleichen Weise geschützt sind wie im Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten". Das Verhältnis dieser Ausführungen Hellblings zu seiner nur eingeschränkten Zustimmung zum Erkenntnis vom 10. Mai 1949, Slg. Nr. 812/A, (Hellbling, a.a.O., 142 f) ist nicht völlig klar.

Der Verwaltungsgerichtshof hob im Erkenntnis vom 24. Mai 1960, Slg. Nr. 2241/F, hervor, die Behörde habe vor einer Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung "alle ihr zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden", um (nach dem Wortlaut der damals auszulegenden Regelung) die "Wohnung" der Partei zu ermitteln (vgl. in diesem Sinn - unter Bezeichnung dieser Zustellungsform als "ultima ratio" einen "eher strengen Maßstab" anlegend - auch das Erkenntnis vom 8. März 1983, Slg. Nr. 10.993/A, und zu § 25 Zustellgesetz ähnlich das Erkenntnis vom 21. Mai 1996, Zl. 95/04/0201; Grenzen der Ermittlungspflicht aufzeigend die Erkenntnisse vom 29. November 1989, Zl. 89/01/0388, und vom 9. August 1994, Zl. 94/11/0185).

In Bezug auf das Verhältnis der Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung zur Kuratorbestellung gemäß § 11 AVG sprach der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 19. Februar 1963, Slg. Nr. 5974/A, ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Zustellung unbekannten Aufenthaltes gewesen sei, aber Folgendes aus:

"Bei dieser Sachlage hätte die Behörde von der Bestimmung des § 11 AVG 1950 Gebrauch machen und die Bestellung eines Kurators für den Beschwerdeführer in die Wege leiten können. Diese gesetzliche Bestimmung räumt der Behörde aber nur eine Vollmacht ein, ohne ihr eine Verpflichtung aufzuerlegen. Die von Mannlicher (Das Verwaltungsverfahren (1951), S. 118, Anmerkung 2) vertretene, auf die sinngemäße Heranziehung der Vorschrift des § 116 ZPO gestützte gegenteilige Auffassung teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht, weil diese Rechtsfrage im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 unabhängig von der Zivilprozeßordnung geregelt ist".

Auf seine (eine Pflicht der Behörde zum Vorgehen nach § 11 AVG in solchen Fällen verneinende und dies in dem zuletzt genannten Erkenntnis, zwar nicht auf Hellbling, aber wie dieser auf eine Abgrenzung gegenüber der Zivilprozessordnung stützende) Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt - in einer die Entscheidung nicht tragenden Weise und unter ausdrücklicher Bezugnahme nur auf die Entscheidung vom 10. Mai 1949, Slg. Nr. 812/A - in dem Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/06/0141, verwiesen.

Für Finanzstrafverfahren gegen Personen unbekannten Aufenthaltes sieht § 147 Finanzstrafgesetz vor, dass die Behörde einen Kurator bestellen zu lassen "hat", wenn "die Wichtigkeit der Sache es erfordert". Ist danach wegen der Wichtigkeit der Sache die Veranlassung der Kuratorbestellung geboten, so ist für eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes "kein Raum". Durch einen solchen Vorgang wird dann auch die Frist für ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Behörde nicht in Gang gesetzt (vgl. dazu das Erkenntnis vom 22. Oktober 1991, Zl. 91/14/0156).

In Bezug auf die "Kann-Bestimmung" des § 11 AVG (und die vergleichbare Vorschrift des § 82 Abs. 1 BAO) wird die Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes, die Behörde könne bei unbekanntem Aufenthalt der Partei auch in wichtigen Angelegenheiten statt der Veranlassung einer Kuratorbestellung mit Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung vorgehen, in der neueren Lehre nicht geteilt (vgl. dazu Stoll, BAO-Kommentar, 805 ff; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, Rz 148; für eine Interessenabwägung "nach heutigen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit" auch Madlberger, ÖStZ 1993, 313).

Der Verwaltungsgerichtshof findet nicht, dass der Schutz der Rechte und Interessen des Einzelnen wegen des allgemeinen Interesses an den auszutragenden Angelegenheiten (und, daraus abgeleitet, an Zustellungen ohne Kuratorbestellung) im Verwaltungsverfahren von geringerer Bedeutung sei als im Zivilprozess. Wie unzutreffend eine solche Verallgemeinerung wäre, zeigt wohl gerade der Fall eines Verfahrens über einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten mit besonderer Deutlichkeit. Auszugehen ist von der schon im Erkenntnis vom 2. Februar 1950, Slg. Nr. 1227/A, hervorgehobenen Bedeutung des Parteiengehörs auch in Fällen, in denen die betroffene Partei nicht erreichbar ist (zum davon zu unterscheidenden Fall der Kuratorbestellung gemäß § 11 AVG wegen mangelnder Handlungsfähigkeit vgl. schon das Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/06/0141, mit weiteren Nachweisen). Die Behörde hat hier im Rahmen einer Interessenabwägung zu entscheiden, ob es wegen der Wichtigkeit der Sache eines Vorgehens nach § 11 AVG bedarf, wobei ihr ein gewisser Beurteilungsspielraum offen steht (vgl. in diesem Sinn Walter/Mayer, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Wird dieser Spielraum überschritten und ist das Unterbleiben eines Vorgehens nach § 11 AVG daher rechtswidrig, so ist auch die Zustellung der Entscheidung durch öffentliche Bekanntmachung statt an den zu bestellenden Kurator nicht wirksam (vgl. in dieser Hinsicht das zu § 147 Finanzstrafgesetz ergangene Erkenntnis vom 22. Oktober 1991, Zl. 91/14/0156).

Einer Verstärkung des Senates gemäß § 13 Abs. 1 VwGG bedarf es für eine auf diese Rechtsansicht gestützte Entscheidung - anders, als dies in Hinkunft der Fall wäre, wenn die Entscheidung über den dann angefochtenen Bescheid in einer sie tragenden Weise auf die Erkenntnisse vom 10. Mai 1949, Slg. Nr. 812/A, und vom 19. Februar 1963, Slg. Nr. 5974/A, gestützt würde - deshalb nicht, weil seit diesen Entscheidungen an die Stelle des § 29 AVG der - für Zivilprozesse und Verwaltungsverfahren gleichermaßen geltende - § 25 Zustellgesetz getreten und auch § 11 AVG novelliert worden ist. Die auf die Vorjudikatur zustimmend Bezug nehmende Entscheidung vom 25. März 1999, Zl. 98/06/0141, ging auf den Fall der nicht handlungsunfähigen, sondern unerreichbaren Partei nur in der Form eines obiter dictums ein.

Im vorliegenden Fall kann nicht zweifelhaft sein, dass die Wichtigkeit der Sache angesichts des massiven Eingriffes in die Lebensinteressen eines begünstigten Behinderten, der in der Zustimmung zu dessen Kündigung zu sehen ist, an Stelle der Durchführung des Verfahrens ohne die Beschwerdeführerin und der Zustellung der Entscheidung an sie durch öffentliche Bekanntmachung ein Vorgehen nach § 11 AVG erfordert hätte. Da die Zustellung des - gegenüber der Stadtgemeinde Baden mängelfrei erlassenen - Bescheides vom 29. Dezember 1993 an die Beschwerdeführerin somit nicht wirksam war, war auch deren Berufung nicht verspätet.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Spruchpunkt 2. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Da die Berufung rechtzeitig ist, ist die Beschwerdeführerin durch Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides - soweit sie sich in der Beschwerde dagegen wendet, nämlich hinsichtlich der Entscheidung über den Wiedereinsetzungs- und den Wiederaufnahmsantrag - nicht in ihren Rechten verletzt. Die Beschwerde war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Auf den Ersatz trotz der Gewährung der Verfahrenshilfe entrichteter Stempelgebühren hat die Beschwerdeführerin keinen Anspruch, weil dieser Aufwand nicht nötig war.

Wien, am 20. September 2000

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