VwGH 98/19/0240

VwGH98/19/024025.6.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde 1.) der 1971 geborenen DN und 2.) der 1991 geborenen MS, beide vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 15. September 1998, Zlen. 1.) 107.591/14-III/11/98 und 2.) 107.591/18-III/11/98, beide betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1 impl;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4 impl;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §10 Abs1 Z6 impl;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §10 Abs1 Z3;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §10 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
AufG 1992 §5 Abs1 impl;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4 impl;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §10 Abs1 Z6 impl;
FrG 1997 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §10 Abs1 Z3;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §10 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerinnen haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 282,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerinnen verfügten über einen Touristensichtvermerk mit Geltungsdauer vom 6. Juni 1994 bis 8. Juli 1994. Sie beantragten am 31. August 1995 die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen. Die Anträge wurden von der Erstbeschwerdeführerin (auch namens der Zweitbeschwerdeführerin) an diesem Tag unterfertigt. Als Ort der Unterfertigung wurde eine österreichische Gemeinde genannt. Unter der Rubrik "derzeitiger Wohnsitz (im Ausland)" gaben die Beschwerdeführerinnen jeweils eine inländische Adresse an. Diese Anträge wurden am 18. September 1995 per Post von Österreich aus an die österreichische Botschaft in Budapest übermittelt, wo sie am 26. September 1995 einlangten. Auf dem Kuvert, in dem die Übersendung der Anträge erfolgte, scheint die Erstbeschwerdeführerin als Absenderin auf, wobei ebenfalls eine österreichische Anschrift derselben angeführt wurde.

Aus einem Aktenvermerk der erstinstanzlichen Behörde, der Bezirkshauptmannschaft Baden, vom 26. Februar 1997 geht hervor, dass die Beschwerdeführerinnen an einer inländischen Adresse aufrecht gemeldet waren.

Mit einem mit 6. April 1998 datierten, am 10. April 1998 bei der belangten Behörde eingelangten Devolutionsantrag machen die Beschwerdeführerinnen den Übergang der Entscheidungspflicht von der Bezirkshauptmannschaft Baden auf die belangte Behörde geltend.

In Stattgebung dieses Devolutionsantrages wurden mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 15. September 1998 die nunmehr als solche auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gewerteten Anträge der Beschwerdeführerinnen jeweils gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde in Ansehung der Antragsabweisungen der Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen gleich lautend aus, gemäß § 8 Abs. 1 FrG 1997 könne Fremden auf Antrag Einreise- und Aufenthaltstitel erteilt werden, sofern diese ein gültiges Reisedokument besitzen und kein Versagungsgrund wirksam werde. Bei der Ausübung des in § 8 Abs. 1 FrG 1997 eingeräumten Ermessens sei nach den Kriterien des § 8 Abs. 3 FrG 1997 vorzugehen. Gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 könne die Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen Gefährdung öffentlicher Interessen insbesondere versagt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Anhand der Aktenlage stehe fest, dass die Beschwerdeführerinnen mit einem Reisevisum (gemeint wohl: einem Touristensichtvermerk), gültig vom 8. Juni 1994 bis 8. Juli 1994, in das Bundesgebiet eingereist seien und sich nach Ablauf desselben noch immer im Bundesgebiet aufhielten. Diese Beurteilung werde insbesondere dadurch bekräftigt, dass die Beschwerdeführerinnen nach wie vor an einer inländischen Adresse polizeilich aufrecht gemeldet seien. Auch im Antrag sei als einziger Wohnsitz eine österreichische Adresse angegeben. Die Beschwerdeführerinnen unterlägen als jugoslawische Staatsbürgerinnen der Sichtvermerkspflicht, woraus folge, dass sie sich seit 9. Juli 1994 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten. Dieser unrechtmäßige Aufenthalt stelle einen schweren Verstoß gegen das österreichische Fremdenrecht dar. Die Beschwerdeführerinnen hätten damit gezeigt, dass sie nicht gewillt seien, die österreichischen Gesetze einzuhalten. Der Grund des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 liege vor. Eine Bewilligung könne nicht erteilt werden. Allerdings sei die Verweigerung des Aufenthaltstitels, sofern damit in das Privat- und Familienleben des Antragstellers eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele notwendig sei. Diese Notwendigkeit sei vorliegendenfalls gegeben, weil dem Fehlverhalten der Beschwerdeführerinnen insbesondere wegen seiner möglichen Beispielswirkung auf andere Fremde große Bedeutung beizumessen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 lautet:

"§ 10. ...

(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z 2) insbesondere versagt werden, wenn

...

3. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

In den Erläuterungen zum Fremdengesetz (RV: 685 BlgNR 20. GP) zu § 10 heißt es (auszugsweise):

"Abs. 2 fasst die - bereits im geltenden Recht vorhandenen - Versagungsgründe wegen Gefährdung öffentlicher Interessen - sprachlich adaptiert - zusammen, formuliert sie aber entsprechend der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes relativ ..."

§ 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG 1992) lautete:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

Die Beschwerdeführerinnen verfügten nach der Aktenlage noch nie über eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Die belangte Behörde wertete daher ihre Anträge zutreffend in Anwendung der Übergangsbestimmung des § 112 FrG 1997 als solche auf Erteilung von Erstniederlassungsbewilligungen.

Die Beschwerdeführerinnen rügen, dass es die belangte Behörde unterlassen hätte, im angefochtenen Bescheid darzulegen, weshalb die Feststellung, die Beschwerdeführerinnen hielten sich seit Ablauf ihres Touristensichtvermerkes im Bundesgebiet auf, getroffen worden sei. Aus der Ausstellung des in Rede stehenden Sichtvermerkes sei ein daran anschließender zeitlicher Aufenthalt der Beschwerdeführerinnen nicht abzuleiten. Auch seien die Beschwerdeführerinnen niemals im Inland geladen worden. Auch aus einer Vorsprache der Mutter der Erstbeschwerdeführerin könne nicht abgeleitet werden, die Beschwerdeführerinnen hätten sich im Bundesgebiet aufgehalten. Die Beschwerdeführerinnen seien der deutschen Sprache nicht mächtig. Es werde ihnen jedoch unterstellt, auch ohne Anleitung ein Formular fehlerfrei ausfüllen zu können und allfällige Feinheiten der deutschen Sprache sofort und richtig zu erkennen. Eine Belehrung durch die österreichische Botschaft in Budapest sei im Übrigen nicht erfolgt. Die belangte Behörde habe es auch unterlassen, den Beschwerdeführerinnen zur Frage des Aufenthaltes nach dem 8. Juli 1994 Parteiengehör zu gewähren. Wäre dies geschehen, so "verneinen die Beschwerdeführerinnen, dass die belangte Behörde trotzdem die nachteiligen Feststellungen getroffen hätte".

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass sich die belangte Behörde bei ihrer Feststellung, die Beschwerdeführerinnen hätten sich auch nach Ablauf des in Rede stehenden Touristensichtvermerkes im Bundesgebiet aufgehalten, auf deren eigene Angaben betreffend ihren Wohnsitz im Bundesgebiet am 31. August 1995 stützen konnte. Sollte das Beschwerdevorbringen, welches allerdings äußerst vage und unsubstantiiert - ja teilweise nicht nachvollziehbar - gehalten ist, darauf hindeuten, die Beschwerdeführerinnen hätten im Zeitpunkt ihrer Antragstellung keinen inländischen, sondern tatsächlich einen ausländischen Wohnsitz gehabt, so wäre es ihre Sache gewesen, dies bei Antragstellung zum Ausdruck zu bringen. Insoweit sie dabei mit Sprachschwierigkeiten konfrontiert gewesen wäre, hätten sie sich eines Dolmetschers bedienen können.

Weitere Indizien für einen Inlandsaufenthalt (im Zeitpunkt der Antragstellung) ergeben sich aus dem angegebenen Ort der Antragsunterfertigung sowie aus der auf dem Kuvert, in dem der Antrag übermittelt wurde, angegebenen Adresse der Erstbeschwerdeführerin. Schließlich konnte sich die belangte Behörde als weiteres Indiz auf die auch noch im Februar 1997 aufrechte Meldung der Beschwerdeführerinnen stützen.

Zu jenen Sachverhaltselementen, die die Beschwerdeführerinnen selbst geliefert haben, brauchte sie die belangte Behörde schließlich auch nicht zu hören (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. April 1998, Zlen. 95/19/1734 bis 1736). Die Rüge der Verletzung des Parteiengehörs vermag daher keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Es wäre Sache der Beschwerdeführerinnen gewesen, durch ein konkretes Vorbringen schon im Verwaltungsverfahren aufzuzeigen, wann sie (gegebenenfalls) das Bundesgebiet nach ihrer, wie sie selbst angaben, während eines Inlandsaufenthaltes erfolgten Antragstellung wieder verlassen hatten und wo sie sich im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides aufhielten. Ein derartiges konkretes Vorbringen wurde jedoch weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof legt daher die Feststellung der belangten Behörde, die Beschwerdeführerinnen hätten sich im Anschluss an den Ablauf ihres Touristensichtvermerkes bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Bundesgebiet aufgehalten, gemäß § 41 Abs. 1 VwGG der Überprüfung des angefochtenen Bescheides zugrunde.

Wie die oben wiedergegebenen Erläuterungen zum FrG 1997 zeigen, war es beabsichtigt, in § 10 Abs. 2 FrG 1997 die bisherigen Versagungsgründe wegen Gefährdung öffentlicher Interessen sprachlich adaptiert zusammenzufassen. § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 entspricht dem § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG 1992.

Zum letztgenannten Versagungsgrund hat der Verwaltungsgerichtshof (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1997, Zl. 96/19/1337) ausgesprochen, dass ein lang dauernder unrechtmäßiger Aufenthalt im Anschluss an den Ablauf eines Touristensichtvermerkes die Annahme rechtfertigt, der weitere Aufenthalt des Antragstellers werde die öffentliche Ordnung im Sinne dieser Bestimmung gefährden.

Diese Judikatur ist auch auf § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 anwendbar.

Auch die mangelnde Eigenberechtigung der Zweitbeschwerdeführerin steht der getroffenen Gefährdungsprognose nicht entgegen. Das schuldhafte Verhalten des gesetzlichen Vertreters an der unrechtmäßigen Fortsetzung des Aufenthaltes eines nicht eigenberechtigten Fremden ist letzterem in einem solchen Fall zuzurechnen (vgl. hiezu die zum Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG 1992 im Falle einer unrechtmäßigen Einreise und eines daran anschließenden unrechtmäßigen Aufenthaltes ergangenen hg. Erkenntnisse vom 17. Mai 1995, Zl. 95/21/0464, und vom 12. Februar 1999, Zlen. 98/19/0124, 0125, deren Überlegungen auch im hier vorliegenden Fall der unrechtmäßigen Fortsetzung eines Aufenthaltes nach Ablauf eines Touristensichtvermerkes Anwendung finden).

Nach dem Vorgesagten kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie vom Vorliegen des Grundes des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 ausging.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 97/19/0651, mit näherer Begründung ausgeführt hat, ist der Ausdruck "kann" in § 10 Abs. 2 FrG 1997 dahingehend zu verstehen, dass die Behörde bei Anwendung eines der dort angeführten Versagungsgründe zu prüfen hat, ob ein durch diese Anwendung allenfalls erfolgter Eingriff in ein durch Art. 8 MRK geschütztes Recht des Antragstellers aus den in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Gründen gerechtfertigt ist. Aufgrund des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerinnen im Anschluss an eine - vom Gesetzgeber zum Zweck der Einwanderung nicht vorgesehene - Einreise mit Touristensichtvermerk wäre vorliegendenfalls der Eingriff in ein gedachtes, durch Art. 8 MRK geschütztes Recht der Beschwerdeführerinnen auf Einwanderung zur Wahrung der durch die Anwesenheit der Eltern der Erstbeschwerdeführerin im Bundesgebiet begründeten Interessen in Österreich unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der öffentlichen Ordnung und dem damit verbundenen Recht des Staates auf Regelung der Neuzuwanderung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK gerechtfertigt (vgl. hiezu das zum Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG 1992 im Zusammenhang mit einem an eine sichtvermerksfreie Einreise anschließenden unrechtmäßigen Aufenthalt ergangene hg. Erkenntnis vom 5. Juni 1998, Zlen. 96/19/2054 bis 2056).

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Art. 6 Abs. 1 MRK steht dem nicht entgegen.

Wien, am 25. Juni 1999

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