VwGH 98/18/0217

VwGH98/18/021721.1.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hofbauer, über die Beschwerde der S V, geboren am 8. Juli 1964, vertreten durch Dr. Elmar Kresbach, Rechtsanwalt in Wien I, Schottengasse 4/4/29, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 28. April 1998, Zl. St 372-1/97, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbots-Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 9. Oktober 1997, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 9. Oktober 1997 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von 10 Jahren erlassen. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 10. Oktober 1997 persönlich ausgefolgt. Die vom Beschwerdevertreter verfaßte, mit 3. November 1997 datierte und am selben Tag zur Post gegebene Berufung gegen diesen Bescheid wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) mit Bescheid vom 12. November 1997 als verspätet zurückgewiesen. Dieser Bescheid wurde am 21. November 1997 an den Beschwerdevertreter zugestellt.

Mit am 5. Dezember 1997 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und führte dazu im wesentlichen aus, daß sie den ihr zugestellten Aufenthaltsverbots-Bescheid an den Beschwerdevertreter übersendet habe, in dessen Kanzlei das Poststück am 20. Oktober 1997 eingelangt sei. Eine bislang völlig zuverlässige Kanzleikraft des Beschwerdevertreters habe das Poststück geöffnet und in der Annahme, es handle sich um eine direkte Zustellung durch die Behörde, einen Fristvermerk bis 3. November 1997 angebracht. Diese Kanzleikraft arbeite seit etwa einem dreiviertel Jahr in der Kanzlei des Beschwerdevertreters und sei seit dieser Zeit mit der Anbringung von Fristvermerken auf fristgebundenen Schriftstücken betraut. Diesbezüglich sei sie vom Beschwerdevertreter eingehend eingeschult worden. Ein derartiger Irrtum sei der Kanzleikraft bislang nicht unterlaufen. Der Beschwerdevertreter habe keinen Anlaß gehabt, an der Richtigkeit des von der Kanzleikraft angebrachten Fristvermerkes Zweifel zu haben. Der Umstand, daß der Aufenthaltsverbots-Bescheid bereits am 10. Oktober 1997 an die Beschwerdeführerin zugestellt worden sei, sei erst durch die Zustellung des die Berufung zurückweisenden Bescheides der belangten Behörde am 21. November 1997 aufgefallen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 28. April 1998 wurde der Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG abgewiesen.

In der Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß ein Rechtsanwalt die Festsetzung von Fristen nicht zur Gänze einer Kanzleiangestellten überlassen dürfe. Für die richtige Beachtung von Rechtsmittelfristen sei immer der Rechtsanwalt selbst verantwortlich. Es sei zwar einem Rechtsanwalt nicht zumutbar, seine Angestellten "auf Schritt und Tritt" zu überwachen, doch gehe es bei Beachtung der Sorgfaltspflichten zu weit, die Fristberechnung einer Kanzleiangestellten im selbständigen Wirkungsbereich zu überlassen.

2.Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, daß es einem Rechtsanwalt "gänzlich unmöglich" sei, "all jene Dinge, welche die Sicherheitsdirektion in ihrem Bescheid anführt, auch selbst durchzuführen". Dies würde eine für den Klienten völlig unerträgliche Kostenbelastung ergeben und "das Funktionieren der freien Rechtsanwaltschaft" als "Säule der Rechtsordnung" gefährden. Würde sich ein Rechtsanwalt an die im angefochtenen Bescheid aufgestellten "Verhaltensmaßregeln" halten, wäre "die wirtschaftliche Lebensfähigkeit jener Anwaltskanzlei nicht nur in Frage gestellt, sondern massiv gefährdet." Der Ansicht der belangten Behörde, daß jegliches Versehen eines Rechtsanwaltes die Gewährung der Wiedereinsetzung ausschlösse, könne nicht gefolgt werden. Weiters verweist die Beschwerdeführerin auf die Judikatur der ordentlichen Gerichte, wonach es "sehr wohl als entschuldbare Fehlleistung anzusehen" sei, "wenn eine Kanzleikraft eines Rechtsanwaltes eine Frist versäumt". In diesen Fällen werde vom Obersten Gerichtshof die Gewährung der Wiedereinsetzung nicht "schlechthin verneint", sondern es werde auf den konkreten Fall abgestellt. Für den Obersten Gerichtshof sei es durchaus denkbar, "daß auch in einer Anwaltskanzlei entschuldbare Fehlleistungen geschehen".

2.1. Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist einer Partei, die dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach dem Abs. 2 dieser Bestimmung muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt werden.

2.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und ihn höchstens ein minderer Grad des Versehens trifft. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Zu beurteilen ist somit das Verhalten des Rechtsanwaltes selbst. (Vgl. zum Ganzen den zu § 46 Abs. 1 VwGG ergangenen, auch hier maßgeblichen hg. Beschluß vom 13. März 1997, Zl. 97/18/0107, mwN). Entgegen der von der Beschwerdeführerin erkennbar vertretenen Ansicht kommt es somit nicht darauf an, ob der Kanzleikraft ein Versehen minderen Grades unterlaufen ist, sondern auf den Grad des Verschuldens des Rechtsanwaltes.

2.3. In einer Rechtsanwaltskanzlei ist für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall stets der Anwalt und nicht etwa jener Kanzleiangestellte verantwortlich, der den Termin weisungsgemäß in den Kalender einträgt. Der Anwalt selbst hat die entsprechende Frist festzustellen, ihre Vormerkung anzuordnen, sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen (vgl. aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes neben dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 16. September 1983, Slg. 11140/A, etwa die Beschlüsse vom 3. September 1997, Zlen. 97/01/0248, 0797 und 97/01/0249, 0798, sowie das Erkenntnis vom 30. September 1997, Zl. 96/01/1204).

Vorliegend hat der Beschwerdeführer unstrittig die Berechnung der Berufungsfrist seiner - besonders eingeschulten und verläßlichen - Kanzleiangestellten in Eigenverantwortung überlassen. Er hat somit der sich aus obiger Judikatur ergebenden Sorgfaltspflicht nicht entsprochen, wobei es sich hiebei um eine Vorgangsweise handelt, die nicht nur einen minderen Grad des Versehens darstellt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin können auch wirtschaftliche Überlegungen nicht rechtfertigen, die - bisweilen schwierige - Berechnung von Fristen allein einer, wenn auch verläßlichen Kanzleikraft zu überlassen. Schon aus diesem Grund hat die belangte Behörde dem Wiedereinsetzungsantrag zu Recht nicht stattgegeben.

3. Den Beschwerdevertreter trifft darüber hinaus aber auch insofern ein über einen minderen Grad hinausgehendes Verschulden, als er anläßlich der Abfassung der Berufung gegen den Aufenthaltsverbots-Bescheid am 3. November 1997 nicht bemerkte, daß die Berufungsfrist bereits abgelaufen war. Dieser Anwalt hat die Beschwerdeführerin nämlich vor Erhebung der Berufung im Verfahren, das zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes führte, nicht vertreten. Erst der Berufungsschriftsatz enthielt die Bekanntgabe der Bevollmächtigung. Beim Diktat dieses Schriftsatzes hätte dem Beschwerdevertreter bei entsprechender Sorgfalt daher jedenfalls auffallen müssen, daß der Aufenthaltsverbots-Bescheid von der Behörde nicht an ihn, sondern an die Beschwerdeführerin selbst zugestellt worden ist. Es hätte ihm daher bewußt sein müssen, daß die Berufungsfrist nicht erst mit dem Einlangen dieses - von der Beschwerdeführerin an ihn übersendeten - Schriftstückes in seiner Kanzlei am 20. Oktober 1997 ausgelöst wurde. Von daher wäre der erst am 5. Dezember 1997 zur Post gegebene Wiedereinsetzungsantrag als verspätet anzusehen.

4. Da die Beschwerdeführerin somit durch den angefochtenen Bescheid nicht in Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. Jänner 1999

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