Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 24. April 1996 um
22.20 Uhr ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug (LKW) in Stubenberg auf der L 433 bis zum Gendarmerieposten Stubenberg in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt (der Alkoholgehalt der Atemluft habe zum Zeitpunkt der Messung,
23.12 Uhr, 1,3 mg/l betragen). Er habe hiedurch die Rechtsvorschriften des § 99 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit § 5 Abs. 1 StVO 1960 übertreten, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 14.000,-- (und eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
In der Begründung des angefochtenen Bescheides ging die belangte Behörde im Wesentlichen davon aus, dass es am 24. April 1996 gegen 22.00 Uhr in einem näher bezeichneten Haus in V zwischen dem Beschwerdeführer einerseits und Herrn B. und Herrn P. andererseits nach einem gemeinsamen Trinkgelage zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen sei. Nach vorangegangen verbalen Provokationen durch den Beschwerdeführer hätten die Zeugen B. und P. dem Beschwerdeführer Schläge gegen den Kopf und Oberkörper versetzt, ihn aus dem Haus gezerrt und ihm dabei erhebliche Verletzungen zugefügt. Der Beschwerdeführer habe eine Kopfprellung und Hautabschürfungen links der Scheitelmitte erlitten, einen Nasenbeinbruch, mehrere Prellungen im Brustbereich, der oberen Gliedmaßen mit Blutunterlaufungen und Hautabschürfungen sowie eine Prellung des linken Kniegelenkes mit Hautabschürfung. Nachdem die Zeugen B. und P. den Beschwerdeführer zu seinem etwa vier bis acht Meter vor dem Hauseingang entfernten Fahrzeug gezerrt und ihn dabei noch körperlich attackiert hätten, hätten sie vom Beschwerdeführer abgelassen und seien in das Haus zurückgekehrt. Unmittelbar nach den Misshandlungen habe der Beschwerdeführer durch eine "neutrale Person, die für ihn ansprechbar war, Unterstützung erfahren". Der Beschwerdeführer habe in der Folge sein Fahrzeug in Betrieb genommen und habe damit eine etwa drei Kilometer lange Wegstrecke bis zum Gendarmerieposten Stubenberg zurückgelegt, in der Absicht, dort eine Anzeige wegen der Körperverletzungen zu erstatten. Auf dieser Fahrt habe ihn eine näher bezeichnete Person begleitet, die sich an der vorangegangenen Rauferei nicht beteiligt habe. Anlässlich der Amtshandlungen in den Räumlichkeiten des Gendarmeriepostens hätten die Gendarmeriebeamten beim Beschwerdeführer deutliche Alkoholisierungsmerkmale festgestellt und ihn deshalb einem Alkomattest unterzogen, der um 23.12 Uhr und 23.15 Uhr zwei Werte von je 1,03 mg/l Atemluftalkoholkonzentration erbracht habe.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er in alkoholisiertem Zustand mit seinem Kraftfahrzeug zum Gendarmerieposten Stubenberg gefahren sei, führt jedoch ins Treffen, dass für ihn eine Notstandssituation vorgelegen sei, weil die Zeugen B. und P. den Beschwerdeführer nach tätlichen Angriffen aus dem Haus ins Freie gezerrt und ihm auch dort Schläge versetzt hätten, sodass er keine andere Möglichkeit, sich den Aggressionshandlungen zu entziehen, gesehen habe, als sich in sein Auto zu setzen und damit zum Gendarmerieposten zu fahren, um sich einerseits in Sicherheit zu bringen und andererseits den gegenständlichen Vorfall anzuzeigen und auch seine Versorgung zu gewährleisten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. unter anderem die hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 1996, Zl. 95/02/0523, und vom 16. April 1997, Zl. 96/03/0334) ist unter Notstand gemäß § 6 VStG ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten zu verstehen, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im Allgemeinen strafbare Handlung begeht. Zum Wesen des Notstandes gehört es somit, dass der Beschuldigte einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die Freiheit oder das Vermögen ausgesetzt ist und diese Gefahr zumutbarer Weise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung behoben werden kann (vgl. außer der vorgenannten Rechtsprechung noch die in Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5 auf Seiten 788ff zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 6 VStG).
Auch die irrtümliche Annahme eines Notstandes (Putativnotstand) kann den Beschwerdeführer entschuldigen, und zwar dann, wenn der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Notstandes nicht auf Fahrlässigkeit beruhte, ihm also nicht vorwerfbar wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 1993, Zl. 91/10/0196, mit weiterem Judikaturhinweis, sowie die bei Hauer/Leukauf, a.a.O., unter A. 18 zu § 6 VStG zitierte hg. Judikatur).
Der Beschwerdeführer machte schon im Verwaltungsstrafverfahren geltend, dass ihm die Inbetriebnahme des Fahrzeuges im Hinblick auf die massive Gewaltanwendung der beiden Zeugen und die ihm bereits zugefügten erheblichen Verletzungen nicht vorgeworfen werden könne und dies für ihn die einzige Möglichkeit gewesen sei, der Situation und weiteren Tätlichkeiten zu entkommen.
Nun mag es zutreffen, wie die belangte Behörde festgestellt hat, dass die beiden Zeugen - nachdem sie den Beschwerdeführer zum Fahrzeug gezerrt und ihn auch dabei noch attackiert hatten - schließlich vom Beschwerdeführer abließen und ins Haus zurückgingen. Auch wenn damit die unmittelbar drohende Gefahr - objektiv - für den Beschwerdeführer beendet gewesen sein sollte, ist der belangten Behörde entgegenzuhalten, dass sie es unterlassen hat, den Sachverhalt auch hinsichtlich eines Putativnotstandes zu prüfen, was nicht nur aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers, sondern auch aufgrund des Gutachtens des von der belangten Behörde beigezogenen medizinischen Sachverständigen geboten war. Dieser führte nämlich in der mündlichen Verhandlung am 20. Oktober 1997 vor der belangten Behörde aus, dass der Beschwerdeführer sich "zumindest subjektiv" in einer Notstandssituation befunden habe und jedenfalls medizinisch durchaus nachvollziehbar ein "Fluchtreflex" - eine Folge psychogener Mechanismen - beim Beschwerdeführer zum Tragen gekommen sei. Es müsse dem Beschwerdeführer zugestanden werden, dass seine Fähigkeit, bezüglich der Gesamtsituation den Überblick zu bewahren, auch nach Starten des Fahrzeuges nicht gegeben gewesen sei und diese Phase zeitlich nicht eingeschränkt werden könne.
Die belangte Behörde wies zwar auf eine "stark verminderte Dispositionsfähigkeit" des Beschwerdeführers hin, unterließ es jedoch im übrigen, sich hinreichend mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinanderzusetzen. Sie wird dies im fortgesetzten Verfahren nachzutragen und Feststellungen zu treffen haben, die die Beurteilung der Frage zulassen, ob dem Beschwerdeführer ein entschuldigender Putativnotstand im Sinne der eingangs dargestellten Rechtslage zuzubilligen ist oder nicht.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass es eines Eingehens auf die weiteren Beschwerdebehauptungen bedurfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. April 1999
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