Normen
AsylG 1997 §1 Z1 impl;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §1 Z1 impl;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, der am 26. November 1997 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 1. Dezember 1997 einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 3. Dezember 1997 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Er habe seine Heimat verlassen, weil er dort von "Terroristen" (islamische Fundamentalisten) bedroht worden sei. Diese hätten ihn aufgefordert, seinen Beruf als Berufsschullehrer aufzugeben. Er habe Angst gehabt, "daß mir diese Terroristen etwas antun" und daher beschlossen, zu flüchten. Probleme oder Schwierigkeiten mit den Behörden seines Heimatlandes habe er niemals gehabt.
Vor fünf oder sechs Monaten sei er von zwei Personen mit dem Tod bedroht worden, falls er weiterhin unterrichte. Es seien auch viele andere Personen, wie Lehrer oder Krankenhauspersonal, bedroht worden. An die Polizei habe er sich nicht gewendet. Die Polizei habe jedoch eine Liste mit den Namen der von den Terroristen bedrohten Personen besessen. Diese Liste habe auch den Namen des Beschwerdeführers enthalten. Er habe deshalb keine Anzeige erstattet, weil die Polizei aufgrund dieser Liste ohnehin von seiner Bedrohung gewußt habe.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 1997 hat das Bundesasylamt den Asylantrag abgewiesen.
Der Beschwerdeführer brachte dagegen rechtzeitig eine Berufung und am 11. März 1998 eine sehr umfangreiche Berufungsergänzung ein.
Mit Bescheid vom 24. Juli 1998 hat die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76 abgewiesen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde führt in ihrem Bescheid richtig aus, daß eine die Flüchtlingseigenschaft begründende Verfolgungsgefahr auch dann vorliegt, wenn staatliche Behörden nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, den Asylwerber vor einer von anderen Gruppierungen ausgehenden Verfolgung aus den in der Genfer Konvention genannten Gründen zu schützen.
Der Beschwerdeführer hat in der Berufungsergänzung dazu ausgeführt, daß die algerischen Behörden bei Übergriffen seitens der Islamisten nicht eingriffen. Zumindest Teile der Armee ließen die Mörder bewußt gewähren. Bei Massakern habe die in der Nähe stationierte Armee nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung eingegriffen. Personen, die den Schutz der staatlichen Stellen suchten, würden häufig verdächtigt, bewaffnete islamistische Gruppen zu unterstützen. Der Staat gewähre insbesondere Journalisten, "Intellektuellen" und auch Lehrern - welche ohnehin verstärkt Verfolgung durch die Islamisten ausgesetzt seien - keinen Schutz.
Die belangte Behörde ist auf dieses Vorbringen jedoch nicht eingegangen und hat die dazu beantragten Beweise nicht aufgenommen, sondern hat ohne jede Begründung die Ansicht vertreten, daß die "von den Terroristen ausgehende Verfolgung gegen Leib und Leben den algerischen Behörden nicht zurechenbar und nicht geeignet ist, begründete Furcht vor Verfolgung (darzutun)".
In diesem Zusammenhang führt die belangte Behörde auch aus, der Beschwerdeführer habe nicht vorgebracht, sich an staatliche Stellen um Schutz gewendet zu haben. Sein Vorbringen, er habe sich nicht an die Polizei wenden können, weil diese eine Liste der bedrohten Personen gehabt hätte, sei als Schutzbehauptung zu werten.
Dem ist zunächst zu entgegnen, daß der Beschwerdeführer nicht vorgebracht hat, er habe sich deswegen nicht an die Polizei wenden können, weil sich dort eine Liste von verfolgten Personen befunden hätte, sondern ausgesagt hat, er habe sich deshalb nicht an die Polizei gewendet, weil diese aufgrund der genannten Liste ohnehin bereits Kenntnis von seiner Verfolgung gehabt hätte. Darüberhinaus kann einer nicht von staatlichen Stellen ausgehenden Verfolgung nicht in allen Fällen bereits dann die Asylrelevanz abgesprochen werden, wenn sich der Asylwerber nicht an staatliche Stellen um Hilfe gewendet hat. Wenn nämlich - wie der Beschwerdeführer in der Berufungsergänzung vorgebracht hat - bereits von vornherein klar ist, daß die staatlichen Stellen vor Verfolgung nicht schützen können oder wollen, ist es nicht erforderlich, den
- aussichtslosen - Versuch zu unternehmen, bei staatlichen Stellen Schutz zu suchen.
Weiters vertrat die belangte Behörde die Ansicht, daß der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Bedrohung durch die islamischen Fundamentalisten keine asylrelevante Intensität zukomme. Auch dafür ist sie jede nachvollziehbare Begründung schuldig geblieben, zumal der Beschwerdeführer u.a. vorgebracht hat, mit dem Tod bedroht worden zu sein.
Soweit die belangte Behörde die Ansicht vertrat, das Vorbringen des Beschwerdeführers lasse darauf schließen, daß er in seiner Heimat keiner größeren Gefährdung ausgesetzt sei als alle anderen Bürger, ist ihr zu entgegnen, daß der Beschwerdeführer in der Berufungsergänzung vorgebracht hat, die Verfolgung durch die islamischen Fundamentalisten richte sich primär gegen Staatsangestellte, Vertreter eines "moderat-islamischen, säkulären Lebensstils" und als "francophone" eingestufte Personen; er gehöre allen diesen drei Gruppen an. Auch damit hat sich die Behörde in keiner Weise auseinandergesetzt.
Die belangte Behörde führte auch aus, daß der Beschwerdeführer nur befürchte, seine Lehrertätigkeit - und damit seinen Broterwerb - zu verlieren. Er habe aber nicht behauptet, daß ihm dadurch jede Lebensgrundlage entzogen würde.
Daran ist richtig, daß der von nichtstaatlichen Stellen erzwungenen Quittierung des Dienstes als Lehrer - ebenso wie dem Verlust des Arbeitsplatzes als Maßnahme einer staatlichen Verfolgung - nur dann Asylrelevanz zukäme, wenn es dadurch zu einem Entzug der Lebensgrundlage käme (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1996, Zl. 95/01/0305). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer jedoch vorgebracht, nicht nur wegen seiner Tätigkeit als Lehrer, sondern auch wegen seines "moderat-islamischen, säkulären Lebensstils" und seiner Einstufung als "francophone" zum Ziel der Verfolgung durch die Islamisten geworden zu sein. Von daher kann ohne Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen nicht gesagt werden, daß der Beschwerdeführer bei Quittierung seines Dienstes keiner Verfolgung mehr ausgesetzt wäre.
Soweit die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, daß der Beschwerdeführer keine konkret gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen behauptet habe, so zu verstehen sind, daß den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Bedrohungen deswegen keine Asylrelevanz komme, weil es bisher zu keinen Ausführungshandlungen gekommen sei, ist ihnen entgegenzuhalten, daß es für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf vergangene Verfolgungshandlungen ankommt, sondern darauf, ob die Furcht des Beschwerdeführers vor - künftiger - Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen wohl begründet ist. Zur Klärung dieser Frage wird die belangte Behörde aber - allenfalls im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - ein Ermittlungsverfahren zum Vorbringen in der Berufungsergänzung durchzuführen haben.
Aufgrund der aufgezeigten Verfahrensmängel war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. März 1999
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