VwGH 97/19/1012

VwGH97/19/101210.9.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1975 geborenen VB in Wien, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Dezember 1996, Zl. 120.816/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §3 Abs1;
AufG 1992 §3 Abs4;
AufG 1992 §4 Abs1;
FrG 1997 §6 Abs1 Z1;
FrG 1997 §6 Abs1 Z4;
FrG 1997 §6 Abs3;
AufG 1992 §3 Abs1;
AufG 1992 §3 Abs4;
AufG 1992 §4 Abs1;
FrG 1997 §6 Abs1 Z1;
FrG 1997 §6 Abs1 Z4;
FrG 1997 §6 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 26. August 1996 (Einlangen bei der erstinstanzlichen Behörde) im Wege der österreichischen Botschaft in Pressburg die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, wobei als Aufenthaltszweck sowohl die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit als auch Familiengemeinschaft mit ihrer österreichischen Mutter angegeben wurde. Der Landeshauptmann von Wien wies diesen Antrag mit Bescheid vom 21. September 1996 gemäß § 5 Abs. 2 AufG ab. Die Beschwerdeführerin erhob Berufung und brachte insbesondere vor, der Zweck ihres Aufenthaltes in Österreich bestehe nicht in der Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit, sondern in der Familienzusammenführung mit ihrer Mutter.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Dezember 1996 wies der Bundesminister für Inneres diese Berufung gemäß § 3 Abs. 1 AufG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 3 Abs. 1 AufG sei ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten 1. von österreichischen Staatsbürgern oder 2. von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerkes oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z. 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliege. Gemäß Abs. 4 dieser Bestimmung könne in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen und unter den selben Voraussetzungen, wenn dies zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten sei, eine Bewilligung auch volljährigen Kindern und Eltern der in Abs. 1 genannten Personen erteilt werden, wenn sie von diesen wirtschaftlich abhängig seien. Da die Beschwerdeführerin bereits volljährig sei und keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe zur Vermeidung besonderer Härte vorlägen, könne der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AufG für den Aufenthaltszweck "Familienzusammenführung mit Fremden (offensichtlich gemeint: mit Österreichern)" keine Bewilligung erteilt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die §§ 3 Abs. 1 und 4, sowie 4 Abs. 1 AufG lauteten:

"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten

  1. 1. von österreichischen Staatsbürgern oder
  2. 2. von Fremden, die auf Grund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerkes oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.

    ...

(4) In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen und unter denselben Voraussetzungen kann, wenn dies zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten ist, eine Bewilligung auch volljährigen Kindern und Eltern der in Abs. 1 genannten Personen erteilt werden, wenn sie von diesen wirtschaftlich abhängig sind.

§ 4. (1) Eine Bewilligung kann Fremden unter Beachtung der gemäß § 2 erlassenen Verordnung sowie unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes erteilt werden, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt. Auf die Verlängerung von Bewilligungen finden die gemäß § 2 erlassenen Verordnungen keine Anwendung."

Die Beschwerdeführerin verfügte noch nie über eine Aufenthaltsbewilligung, weshalb auf den gegenständlichen Beschwerdefall die Bestimmung des § 113 Abs. 6 und 7 der Fremdengesetzes 1997 nicht anzuwenden war.

Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 1997 gab die Beschwerdeführerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bekannt, dass ihr von der österreichischen Botschaft in Budapest ein gewöhnlicher Sichtvermerk (Visum D) vom 24. Juli 1997 bis zum 31. März 1998 erteilt worden sei.

Eine Gegenstandslosigkeit der Beschwerde ist dadurch jedoch nicht eingetreten. Im Falle einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides aufgrund der vorliegenden Beschwerde wäre das Verfahren über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 112 FrG 1997 als Verfahren zur Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung fortzuführen. Dass der hier beantragten Aufenthaltsbewilligung nunmehr eine Niederlassungsbewilligung entspricht, geht auch aus den Übergangsbestimmungen des § 113 Abs. 3, 4 und 5 leg. cit. hervor. Weder die Erteilung eines gewöhnlichen Sichtvermerkes gemäß § 6 Abs. 1 Z. 1 FrG 1992 noch die Erteilung eines Visums D nach § 6 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1997 ist jedoch mit der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vergleichbar:

Nach § 6 Abs. 1 Z. 4 sowie Abs. 5 des Fremdengesetzes 1997 gilt das Aufenthaltsvisum (Visum für den längeren Aufenthalt, Visum D) als Einreisetitel und berechtigt zu einem drei Monate übersteigenden Aufenthalt in Österreich. § 6 Abs. 3 leg. cit. legt fest, dass Visa für die Einreise zu einem sechs Monate nicht übersteigenden Aufenthalt ausgestellt werden dürfen, wobei die Ausübung einer Erwerbstätigkeit außer im Rahmen von Geschäftsreisen nicht zugelassen ist. Ein Aufenthalt in Österreich auf Grundlage des Visums D würde daher im gegenständlichen Fall eine Niederlassung auf Dauer ebenso wenig zulassen wie den (allerdings nur im erstinstanzlichen Verfahren) beantragten Aufenthaltszweck der unselbständigen Erwerbstätigkeit (außer im Rahmen von Geschäftsreisen). Auch ein gewöhnlicher Sichtvermerk gemäß § 6 Abs. 1 Z. 1 FrG 1992 berechtigte nicht zur dauernden Niederlassung (vgl. § 7 Abs. 7 FrG 1992 iVm § 1 Abs. 1 AufG). Schon aus diesem Grund ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin durch die zwischenzeitliche Erteilung eines derartigen Visums eine Bewilligung erhalten hatte, die der von ihr angestrebten Berechtigung entsprach. Von einer Gegenstandslosigkeit der Beschwerde kann daher im gegenständlichen Beschwerdeverfahren nicht ausgegangen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 97/19/0227).

Die Beschwerde bringt vor, die Behörde gehe - ohne diesbezügliche Erhebungen überhaupt durchgeführt zu haben - davon aus, dass im Fall der Beschwerdeführerin keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe zur Vermeidung besonderer Härte im Sinne des § 3 Abs. 4 AufG vorlägen. Es sei nicht geprüft worden, ob die Beschwerdeführerin nicht doch von einer besonderen Härte getroffen wäre, müsste sie in Argentinien leben. Die belangte Behörde habe es unterlassen zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin in Argentinien noch andere Verwandte habe, bei denen sie trotz ihrer Volljährigkeit leben könnte; weiters, ob die einzigen Verwandten der Beschwerdeführerin in Österreich lebten und österreichische Staatsbürger seien; des weiteren, ob die Beschwerdeführerin bereits über eine eigene Ausbildung verfüge und in der Lage sei, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen; schlussendlich, ob die Beschwerdeführerin von ihrer Mutter wirtschaftlich abhängig sei.

Die belangte Behörde hat ihre abweisliche

Entscheidung - anders als die erstinstanzliche Behörde - auf § 3 AufG gestützt. Ändert die Behörde gegenüber den Bescheid der Vorinstanz den Abweisungsgrund, so ist sie verpflichtet, dies dem Beschwerdeführer vorzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1997, Zl. 96/19/0730). Diese Verfahrensvorschrift hat die belangte Behörde missachtet. Das Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde unterliegt daher nicht dem aus § 41 VwGG ableitbaren Neuerungsverbot.

Die Beschwerdeführerin hatte während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht, der Zweck ihres Aufenthaltes in Österreich bestehe (nur) in der Familienzusammenführung mit ihrer österreichischen Mutter, die sich auch bereit erklärt habe, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Mit ihrem nicht dem Neuerungsverbot unterliegenden, eingangs wiedergegebenen Beschwerdevorbringen verweist die Beschwerdeführerin nunmehr ausdrücklich auf die Bestimmung des § 3 Abs. 4 AufG und vermeint, dass alle Voraussetzungen dieser Bestimmung auf sie zuträfen.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin liegen bei ihr die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 AufG jedoch selbst bei Zutreffen der Tatsachenbehauptungen in der Beschwerde nicht vor. Die vorgetragenen sonstigen Gründe (keine Möglichkeit, bei anderen Verwandten in Argentinien zu leben, noch keine abgeschlossene Schulausbildung) sind nicht von solchem Gewicht, dass die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten erschiene. Um von einem besonderen Härtefall bei volljährigen Kindern von Fremden sprechen zu können, muss bei diesen Personen eine der Abhängigkeit von Minderjährigen gleichzuhaltende Abhängigkeit von ihren Eltern vorliegen, welche über ein bloß wirtschaftliche Abhängigkeit hinausgeht. Da das Gesetz die wirtschaftliche Abhängigkeit als eigenes Tatbestandsmerkmal vorsieht, hat diese Ausnahmebestimmung, die als weiteres Tatbestandsmerkmal das Vorliegen einer besonderen Härte normiert, volljährige, von ihren Eltern wirtschaftlich abhängige Kinder vor Augen, deren individuelle Lebenssituation sich von der allgemeinen Lage anderer, von ihren Eltern wirtschaftlich abhängiger volljähriger Fremder unterscheidet. Da durch die in Rede stehende Gesetzesbestimmung volljährige Kinder ausnahmsweise minderjährigen Kindern gleichgestellt werden, wird ein Fall besonderer Härte im Besonderen dann gegeben sein, wenn die Schutzbedürftigkeit und Abhängigkeit des Volljährigen (außerhalb der bloß wirtschaftlichen Abhängigkeit) mit jener eines minderjährigen Kindes vergleichbar ist (zB. wegen körperlicher oder geistlicher Gebrechen). Darüber hinaus muss es die besondere, individuelle Lebenssituation des Fremden zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten erscheinen lassen, im Inland einen Hauptwohnsitz zu begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. September 1997, Zl. 96/19/0685). Eine der Abhängigkeit von Minderjährigen gleichzuhaltende Unterstützungsbedürftigkeit durch ihre Mutter im Inland wurde durch die Beschwerdeführerin durch die eingangs wiedergegebenen Gründe nicht dargetan. Es liegt somit keine besondere Härte im Sinne des § 3 Abs. 4 AufG vor, zu deren Vermeidung die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung geboten erschiene.

Der belangten Behörde war es daher verwehrt, im Wege einer gesonderten Ermessensentscheidung gemäß § 3 Abs. 4 AufG eine Bewilligung im Sinne des § 3 Abs. 1 AufG dennoch zu erteilen. Dies bedeutet jedoch, dass die belangte Behörde gehalten gewesen wäre, eine Ermessensentscheidung gemäß § 4 Abs. 1 AufG - sei es durch die Erteilung einer Bewilligung oder einer Versagung einer solchen - unter Berücksichtigung der geltend gemachten familiären Gründe zu treffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. April 1998, Zlen. 96/19/1842 bis 1844). Indem sie diese Rechtslage verkannte, belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

In dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Fällung eines Erkenntnisses nach "allfälliger" Verhandlung kann ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung im Sinne des § 39 Abs. 1 Z. 1 VwGG nicht erblickt werden. Die Durchführung einer Verhandlung wurde auch nicht für zweckmäßig erachtet (§ 39 Abs. 1 Z. 2 VwGG).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes ist ein Ersatz weiterer Kosten unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht vorgesehen.

Wien, am 10. September 1999

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