Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 18. April 1994 wies die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension mit der (in den Spruch aufgenommenen) Begründung ab, der Beschwerdeführer sei "nicht invalid". In der Bescheidbegründung wurden - nach einem allgemein gehaltenen Hinweis auf die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Invaliditätspension und der Angabe des für den Beschwerdeführer maßgeblichen Stichtages - die Invaliditätsbegriffe des § 255 Abs. 1 (als "Punkt 1") und Abs. 3 (als "Punkt 2") ASVG inhaltlich wiedergegeben. Die weitere Bescheidbegründung lautete wie folgt:
"Die in diesem Falle durchgeführte ärztliche Begutachtung ergab folgende Diagnose:
1. Larvierte Depression mit multiplen somatoformen
Beschwerden
2. Chronisches Cervicalsyndrom bei Osteochondrosen der unteren Halswirbelsäule im Sinne vom leichten degenerativen Veränderungen Bandscheibendegeneration Cervical 3/Cervikal 7
3. Chronisches Lumbalsyndrom bei Computertomographie verifizierter Bandscheibenprominenz dersomedian Lumbal 3/Lumbal 4, Lumbal 4/Lumbal 5 ohne Wurzelkompressionssymptomatik, mäßige Intervertebralarthrose und Iliosacralgelenksarthrose
4. Funktionelle Herzbeschwerden, paroxismale
Sinustachycardien seltene ventrikuläre Extrasytolien LOWN II a ohne Einschränkung der cardialen Leistungsfähigkeit.
Diese Diagnose bezieht sich ausschließlich auf die zu beurteilende Frage der Invalidität.
Aufgrund der von Ihnen ausgeübten Tätigkeiten liegt ein Berufsschutz nach Punkt 1 nicht vor. Nach dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtung sind Sie noch imstande, eine auf dem Arbeitsmarkt bewertete Tätigkeit im Sinne von Punkt 2 auszuüben.
Der Antrag war daher abzulehnen."
Welche Tätigkeiten der Beschwerdeführer ausgeübt habe, war dem Bescheid - abgesehen von der in der beigelegten Versicherungszeitenaufstellung enthaltenen Bezugnahme auf die Pflichtversicherung des Beschwerdeführers "als Arbeiter" - nicht entnehmbar. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Am 21. Februar 1996 beantragte der Beschwerdeführer die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG. Diesen Antrag begründete er damit, dass er von Beruf "gelernter Betriebsschlosser" sei, diese Tätigkeit "jahrelang" ausgeübt habe und das Arbeitsverhältnis bei seinem letzten Arbeitgeber nach 18 Jahren ausschließlich wegen seiner langen Krankenstände gekündigt worden sei. Es sei daher "aus Versehen festgestellt" worden, "ein Berufsschutz nach Punkt 1" liege "nicht vor", und der Beschwerdeführer sei "irrtümlich in die Gruppe unter Punkt 2. eingestuft" worden. Der Beweis der ausgeübten Tätigkeit bzw. des beruflichen Werdeganges sei "aktenkundig", könne auf Aufforderung aber erneut zugeschickt werden.
Mit dem - nicht vorliegenden - erstinstanzlichen Bescheid vom 6. November 1996 wies die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt diesen Antrag ab. Dagegen erhob der Beschwerdeführer aufgrund der ihm erteilten Rechtsbelehrung Klage beim Arbeits- und Sozialgericht. Nach ihrer Zurückweisung durch das Gericht wurde diese Klage als rechtzeitiger Einspruch behandelt.
In einer Eingabe vom 17. Juni 1997 - die zwar an die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt adressiert ist, sich in Kopie aber auch in den vorgelegten Akten der belangten Behörde befindet - führte der Beschwerdeführer u.a. noch aus, der "Irrtum", durch den er "versehentlich in die Gruppe der Hilfsarbeiter" statt in die "Gruppe der Facharbeiter" eingeordnet worden sei, sei "auf den ersten Blick festzustellen" gewesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch nicht Folge. Die fallbezogene Begründung hiefür lautet - nach einer allgemein gehaltenen Darstellung der Voraussetzungen des § 101 ASVG und Ausführungen zur Zuständigkeit der belangten Behörde - wie folgt:
"Aus der Aktenlage ist ersichtlich, dass der Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 18.4.1996 (richtig: 1994), Zahl: SPA 5280 190349/1 01, mit dem der Antrag vom 11.1.1994 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension gemäß §§ 254 und 255 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes mangels Vorliegens einer Invalidität im Sinne des § 255 Abs. 3 ASVG abgelehnt wurde, in Rechtskraft erwachsen ist.
Bei der Frage, ob Invalidität im Sinne des § 255 Abs. 1 oder Abs. 2 ASVG vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die nicht mit Hilfe der Bestimmung des § 101 ASVG richtiggestellt werden kann. Der Kläger hätte seinerzeit die Möglichkeit gehabt, den oben bezeichneten Bescheid vom 18.4.1994 innerhalb von drei Monaten ab Zustellung des Bescheides beim Landesgericht Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht durch die Einbringung einer Klage zu bekämpfen.
In den Ausführungen des Einspruchswerbers findet sich kein Hinweis, dass der Bescheid vom 18.4.1994 durch einen der in § 101 ASVG normierten Gründe wie wesentlichem Irrtum über den Sachverhalt oder ein offenkundiges Versehen zustande gekommen ist.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat - mit der unrichtigen Beifügung, der erstinstanzliche Verwaltungsakt sei dem Verwaltungsgerichtshof von der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vorgelegt worden - die Akten des Einspruchsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet. Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat an den Verwaltungsgerichtshof ein als Gegenschrift bezeichnetes Schreiben gerichtet, dessen Inhalt sich in dem Satz erschöpft, die Mitbeteiligte schließe sich der im angefochtenen Bescheid dargelegten Rechtsmeinung an und beantrage die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 101 ASVG ist mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen, wenn sich nachträglich ergibt, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde.
Die Entscheidung, ob der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, ist eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache (vgl. dazu zuletzt etwa das Erkenntnis vom 8. September 1998, Zl. 97/08/0639).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, der "aktenkundige" Umstand, dass er nicht Hilfsarbeiter, sondern "Betriebsschlosser" sei, sei bei der Entscheidung über seinen Pensionsantrag übersehen und sein Fall daher zu Unrecht nach § 255 Abs. 3 ASVG ("Punkt 2" im Bescheid vom 18. April 1994) beurteilt worden. Dieser "Irrtum" sei "auf den ersten Blick" feststellbar.
Im angefochtenen Bescheid (der sich insoweit an einer Stellungnahme der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt orientiert) wird dem nicht entgegengehalten, die seinerzeitige Entscheidung habe auf der Ermittlung eines Sachverhaltes beruht, dessen Subsumtion unter § 255 Abs. 3 ASVG zumindest vertretbar erscheinen konnte. Argumentiert wird mit der Behauptung, die "Frage, ob Invalidität im Sinne des § 255 Abs. 1 oder 2" (gemeint wohl: Abs. 3) ASVG "vorliegt" (gemeint wohl: nach welcher dieser Bestimmungen die Frage, ob Invalidität vorliegt, zu beurteilen sei), sei "eine Rechtsfrage, die nicht mit Hilfe der Bestimmung des § 101 ASVG richtiggestellt werden" könne, und im Vorbringen des Beschwerdeführers finde sich "kein Hinweis" darauf, dass die Entscheidung auf einem wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt oder einem offenkundigen Versehen beruht habe.
Damit unterstellt die belangte Behörde, ein "offenkundiges Versehen" im Sinne des § 101 ASVG könne nicht darin bestehen, dass ein Sachverhalt, dessen "Aktenkundigkeit" die belangte Behörde im vorliegenden Fall nicht in Abrede stellt, nicht etwa aufgrund komplizierter rechtlicher Erwägungen, sondern aufgrund eines auf den ersten Blick erkennbaren Versehens rechtlich falsch beurteilt wurde. Diese Ansicht entspricht nicht dem Gesetz (vgl. dazu schon die Nachweise bei Teschner/Widlar, Anm. 4 zu § 101 ASVG; aus neuerer Zeit die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/08/0057, vom 8. April 1997, Zl. 97/08/0089, und vom 8. September 1998, Zl. 97/08/0639). Die Voraussetzungen des § 101 ASVG wären aber auch erfüllt, wenn der für die rechtliche Beurteilung maßgebliche Sachverhalt nicht im Sinne der Behauptungen des Beschwerdeführers aktenkundig, sondern seine Ermittlung im seinerzeitigen Verfahren unterblieben wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 16. Februar 1999
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