VwGH 97/08/0131

VwGH97/08/013121.9.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des E in I, vertreten durch Dr. Albert Heiss, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 28, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 14. August 1996, Zl. Va-456-24.468/1, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

SHG Tir 1973 §7 Abs5;
SHG Tir 1973 §7 Abs5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid vom 29. Februar 1996 gewährte die Bezirksverwaltungsbehörde Innsbruck Stadt, Sozialamt, dem Beschwerdeführer für den Monat März 1996 eine einmalige Geldaushilfe nach dem Tiroler Sozialhilfegesetz in Höhe von S 4.000,--.

Am 8. März 1996 beantragte der Beschwerdeführer, ihm für den Monat März eine weitere Geldaushilfe in Höhe von S 950,-- zu gewähren, weil der für den Monat März 1996 gewährte Betrag von S 4.000,-- nicht der Höhe des Richtsatzes entspreche. In einem weiteren Antrag vom 2. April 1996 begehrte der Beschwerdeführer insbesondere für den Monat April 1996 die Gewährung einer Geldaushilfe in Höhe des Richtsatzes für einen Alleinstehenden (S 4.950,--).

Mit dem Bescheid vom 2. April 1996 gewährte die Bezirksverwaltungsbehörde Innsbruck Stadt, Sozialamt, dem Beschwerdeführer für den Monat April 1996 eine Unterstützung von S 4.000,-- zum Lebensunterhalt, lehnte jedoch das Begehren auf einen weiteren Betrag von je S 950,-- für die Monate März und April 1996 mit der Begründung ab, dass zwar bis inklusive Juni 1996 eine vom städtischen Gesundheitsamt bestätigte Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers vorliege, sodass ihm vorbehaltlich der Regelung des § 7 Abs. 5 Tiroler Sozialhilfegesetz (TSHG) eine Sozialhilfe für Alleinstehende in Höhe von S 4.950,-- zustünde. Demgegenüber stehe jedoch die Tatsache, dass die Notlage grob fahrlässig herbeigeführt worden sei. Dazu führte die Behörde folgendes aus:

"Konkret hat der Antragsteller lt. vorgelegtem Versicherungszeitenauszug seit 1980 nur sehr wenige versicherungspflichtige Tätigkeiten ausgeübt und bestreitet diesen Sachverhalt der Antragsteller in der aufgenommenen Niederschrift vom 2.4.1996 auch nicht. In dieser Niederschrift wurde bereits die Kürzung der Sozialhilfe angekündigt und die Partei nach etwaigen entlastenden Gründen befragt, die ihm eventuell die Aufnahme von regelmäßigen versicherungspflichtigen Arbeiten nicht möglich gemacht hätten. Der Antragsteller konnte jedoch keine Gründe angeben weshalb er keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist und ist daher seitens der entscheidenden Behörde davon auszugehen, dass die nunmehrige durch vorübergehende Arbeitsunfähigkeit verursachte Notlage grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Jedem normal denkenden und empfindenden Menschen ist klar, dass über Jahre andauernde Schwarzarbeit neben dem Vorteil des höheren (da unversteuerten) Einkommens die Nachteile fehlender Kranken- und Sozialversicherungsvorsorge gegenüber stehen. Wer diese Nachteil bewusst in Kauf nimmt und sich dadurch im positiven Fall ein höheres Einkommen verschafft hat daher im Falle der Notwendigkeit eines Sozialhilfeantrages die Nachteile der Kürzung des Anspruches in Kauf zu nehmen.

Der Richtsatz von S 4.950,-- wurde daher auf S 4.000,-- verringert."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 10. April 1996 Berufung, in der er vorbrachte, er sei schon seit vielen Jahren alkoholkrank und in der Folge obdachlos und zumindest stark eingeschränkt arbeitsfähig gewesen. Bei der Unterstellung, dass der Beschwerdeführer aus steuerlichen Gründen die Schwarzarbeit einem normalen Arbeitsverhältnis vorgezogen hätte, sei außer Betracht geblieben, dass er wegen seiner Alkoholkrankheit und der dauernden Wohnungslosigkeit nur mehr eingeschränkt arbeitsfähig gewesen sei. Er habe versucht, seinen Lebensunterhalt (ohne der öffentlichen Hand Kosten zu verursachen) über "informelle Beschäftigungsverhältnisse" zu bestreiten. Darüber hinaus sei dem Sozialhilferecht eine retrospektive Betrachtungsweise der Entstehung der Notlage fremd.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. §§ 1, 4 und 7 Abs. 5 TSHG mit folgender Begründung abgewiesen:

"Die Ermittlungen haben ergeben, dass der Berufungswerber durch viele Jahre hindurch schwarz gearbeitet hat. Zum Zeitpunkt der Antragstellung (...) war der Berufungswerber wegen Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig. Er befand sich sohin in einer Notlage und hätte grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf den vollen Richtsatz eines Alleinstehenden in der Höhe von S 4.950,-- gehabt. Es ist jedoch unbestritten, dass der Berufungswerber seine Notlage zumindest grob fahrlässig herbeigeführt und damit den Tatbestand des § 7 Abs. 5 TSHG erfüllt hat. Demnach ist die Sozialhilfe auf das unerlässliche Mindestmaß einzuschränken, wenn ein Hilfesuchender seine Notlage vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Die grobe Fahrlässigkeit des Berufungswerbers liegt nun darin, dass er durch viele Jahre hindurch schwarz gearbeitet und damit bewusst in Kauf genommen hat, für zwar momentan höheres Einkommen jeglichen sozialversicherungsrechtlichen Schutz zu verlieren. Deshalb war der Berufungswerber im Zeitpunkt der Antragstellung auf Sozialhilfe auch nicht kranken-, unfallsowie pensionsversichert und hatte mangels Versicherungszeiten auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Dieser Sachverhalt wurde vom Berufungswerber in seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 2.4.1996 auch gar nicht bestritten und konnte er auch keine Gründe angeben, weshalb er keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist. Wenn nun in der Berufung vorgebracht wird, dass auf die Alkoholkrankheit des Berufungswerbers nicht eingegangen wurde, so ist dem entgegenzuhalten, dass aus dem Bericht des Gesundheitsamtes Innsbruck vom 11. April 1996 hervorgeht, dass seit ca. Dezember 1995 beim Berufungswerber Arbeitsunfähigkeit infolge von Alkoholabhängigkeit vorliegt, welche mit Sicherheit bereits viele Jahre bestehe. Dass die Alkoholabhängigkeit bereits seit vielen Jahren bestehe, ist eine reine Vermutung des Gesundheitsamtes und konnte durch nichts bewiesen werden.

Dem widerspricht auch das Schreiben der Univ. Klinik für Psychiatrie vom 10.4.1996 an das Sozialamt der Stadt Innsbruck, wonach der Berufungswerber zwischen 7.7. und 24.7.1992 sechs mal in der Ambulanz auf eine Alkohol-Entzugssymptomatik medikamentös behandelt wurde. Weitere Kontrollen hätten nicht stattgefunden. Die Alkoholabhängigkeit war also nicht so schwer, dass der Berufungswerber weiter behandelt werden musste oder gar stationär aufzunehmen war. Erst ca. 4 Jahre später wurde dem Berufungswerber eine neuerliche regelmäßige ambulante Betreuung in der Univ. Klinik für Psychiatrie nahegelegt.

Aus obigem Sachverhalt ist leicht erkennbar, dass der Berufungswerber jahrelange Schwarzarbeit ausüben konnte, ohne von einer Alkoholabhängigkeit wesentlich beeinträchtigt worden zu sein."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde, in welcher die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird, erwogen hat:

Sozialhilfe ist gemäß § 1 TSHG, LGBl. Nr. 105/1973, Personen zu gewähren, die sich in einer Notlage befinden. In einer Notlage im Sinne des zitierten Gesetzes befindet sich, wer den Lebensunterhalt für sich nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält oder wer außergewöhnliche Schwierigkeiten in seinen persönlichen, familiären oder sozialen Verhältnissen nicht selbst oder mit Hilfe anderer Personen oder Einrichtungen bewältigen kann.

Der § 7 Abs. 5 TSHG lautet:

"Wenn ein Hilfesuchender seine Notlage vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat oder trotz Belehrung und Ermahnung mit den eigenen oder ihm zur Verfügung gestellten Mitteln nicht sparsam umgeht, ist die Sozialhilfe auf das unerlässliche Mindestmaß einzuschränken. Der Lebensunterhalt unterhaltsberechtigter Angehöriger darf dadurch jedoch nicht beeinträchtigt werden."

Gemäß § 4 lit. a Z 1 der Tiroler Sozialhilfeverordnung, LGBl. Nr. 68/1974 in der Fassung LGBl. Nr. 102/1995, beträgt der Richtsatz für Alleinstehende ab dem 1. Jänner 1996 S 4.950,-- monatlich.

Die Bestimmungen des § 7 Abs. 5 TSHG, wonach die Sozialhilfeleistung gekürzt werden kann, wenn der Hilfesuchende die Notlage vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, ist als Ausnahmebestimmung einschränkend auszulegen. Aus der zweiten Tatbestandsalternative des § 7 Abs. 5 TSHG ("trotz Belehrung und Ermahnung mit den eigenen oder ihm zur Verfügung gestellten Mitteln nicht sparsam umgeht") ist abzuleiten, dass auch der ersten Tatbestandsalternative ("seine Notlage vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat") kein bestrafendes, sondern ein das aktuelle Verhalten des Hilfebedürftigen steuerndes Element innewohnt, was - zumindest in den Fällen der fahrlässigen Herbeiführung der Notlage - nahelegt, einen nicht allzu langen Zeitraum zwischen der Ursache der Notlage und ihrem Eintritt vorauszusetzen (vgl. in diesem Sinne auch Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht, 402).

Der Vorwurf einer mehrere Jahre zurückreichenden "Schwarzarbeit" bzw. der Vorwurf des Nichterwerbs von Versicherungszeiten, mit denen der Beschwerdeführer das Fundament für den Erwerb eines Anspruchs auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung oder der Pensionsversicherung hätte legen können, erfüllen die für eine "Herbeiführung der Notlage" im Sinne des § 7 Abs. 5 TSHG erforderliche zeitliche Nahebeziehung zur eingetretenen Notlage nicht. Auf die von der belangten Behörde erhobenen (und vom Beschwerdeführer bekämpften) Feststellungen der angeblich "über Jahre andauernden Schwarzarbeit" des Beschwerdeführers kommt es daher nicht an.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. September 1999

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