VwGH 96/05/0004

VwGH96/05/000431.8.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde des Karl Kutalek in Wien, vertreten durch Dr. Günter Wappel, Rechtsanwalt in Wien I, Stock im Eisen-Platz 3, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 23. Oktober 1995, Zl. MD-VfR-B XIV-36/95, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Edda Mrakotsky in Wien, vertreten durch Dr. Egbert Schmid und Dr. Michael Kutis, Rechtsanwälte in Wien III, Landstraßer Hauptstraße 113), zu Recht erkannt:

Normen

BauO Wr §134a litd;
BauO Wr §70 Abs1;
BauO Wr §71;
BauRallg;
BauO Wr §134a litd;
BauO Wr §70 Abs1;
BauO Wr §71;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer suchte mit Eingabe vom 13. November 1992, eingelangt bei der Behörde am 1. Dezember 1992, um die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines Hauskanalanschlusses auf dem Grundstück Nr. 335/9, EZ 674, KG Hadersdorf (Wien XIV, Kampfstr. 12), an. Mit einem am 16. Dezember 1992 bei der Behörde eingelangten Ansuchen beantragte er die Erteilung der nachträglichen Baubewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses auf derselben Liegenschaft. Das Baugrundstück wird westseitig von der Kampfstrasse, nord- und ostseitig von der L-förmig verlaufenden Stiegengasse umschlossen. Der mitbeteiligten Nachbarin gehört die an der Stiegengasse ostseitig unmittelbar gegenüberliegende Parzelle Nr. 335/176.

Der Magistrat der Bundeshauptstadt Wien, Magistratsabteilung 37/14, beraumte über diese Ansuchen eine mündliche Verhandlung für den 3. Dezember 1993 an, zu der auch die Mitbeteiligte unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen geladen wurde. Die Mitbeteiligte erklärte bei der Verhandlung, keinen Einwand zu erheben, wenn durch den Ausbau der Stiegengasse keine Kosten für sie anfielen und keine Grundabtretungen erforderlich seien. Nach dem Einreichen verbesserter Pläne wurden bis dahin übergangene Nachbarn zu einer neuerlichen mündlichen Verhandlung am 13. April 1995 geladen; diese erhoben keine Einwendungen.

Mit Bescheid vom 17. Juli 1995 erteilte der Magistrat der Stadt Wien die Baubewilligung für die Hauskanalanlage gemäß § 70 der Bauordnung für Wien (Spruchpunkt II), für das Einfamilienhaus wurde nur eine Bewilligung auf jederzeitigen Widerruf gemäß § 71 BO erteilt (Spruchpunkt I), weil das Gebäude weder die Baufluchtlinien, noch die zulässige Gebäudehöhe einhalte. Die Einwendungen der Mitbeteiligten wurden zurückgewiesen.

Gegen diesen Bescheid, soweit damit die Bewilligung für ein Einfamilienhaus erteilt wurde, erhob die Mitbeteiligte am 3. August 1995 Berufung mit folgendem Wortlaut:

"Berufung zu Bescheid über Errichtung eines Einfamilienhauses in 1140 Wien, Kampfstraße 12, EZ 674 Kat.-Gem. Hadersdorf

Bezugnehmend auf Ihren Bescheid vom 17.7.1995, der mir am 27.7.95 zugestellt wurde, möchte ich um Überprüfung meiner Einwendungen ansuchen.

Bei der mündlichen Bauverhandlung, zu der ich als Anrainer eingeladen wurde, habe ich eingewendet, dass ich mein Einverständnis zur nachträglichen Baubewilligung erteile wenn mir daraus kein Schaden erwächst.

Nachdem Sie in Ihrer Begründung meine Einwendungen als unzulässig zurückweisen, muss ich darauf hinweisen, dass das Haus auf dem Grundstück EZ 674 der Grundstücksgrenze zur Stiegengasse viel zu nahe liegt.

Sollte eine Sanierung oder Verbreiterung der Stiegengasse im öffentlichen Interesse durchgeführt werden, befürchte ich jene Grundfläche zur Verfügung stellen zu müssen, die zu diesem Zweck das Grundstück EZ 674 abtreten müsste. Auch die daraus erwachsenden Kosten für Pfeiler und Stützwände gingen dann womöglich zu meinen Lasten.

Ich ersuche daher meine Berufung nochmals zu überprüfen und in der Baubewilligung zu berücksichtigen."

Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde auf Grund der Berufung der Mitbeteiligten gegen den Spruchpunkt I des erstinstanzlichen Bescheides (Bewilligung des Einfamilienhauses) diesen Bescheidteil gemäß § 66 Abs. 4 AVG dahingehend ab, dass gemäß § 71 der Bauordnung für Wien die Bewilligung versagt wurde, auf der Liegenschaft in Wien XIV, Kampfstraße 12, das Einfamilienhaus zu errichten. Der Spruchteil, mit dem die Einwendungen der Mitbeteiligten als unzulässig zurückgewiesen wurden, sowie darauf Bezug nehmende Vorschreibungen wurden aufgehoben.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte habe dadurch, dass dem Beschwerdeführer bloß eine Widerrufsbewilligung und keine definitive Baubewilligung erteilt worden sei, in keinem Recht verletzt werden können. Zu prüfen sei jedoch, ob die Bewilligung auf Widerruf gemäß § 71 BO ungeachtet der von der Mitbeteiligten vorgebrachten Einwendungen zulässig gewesen sei. Der Inhalt des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes ergebe sich hier für den interessierenden Bereich aus dem Beschluss des Wiener Gemeinderates vom 18. Februar 1983, PrZl. 440/83 (PD 5709). In diesem Plandokument sei das Gebäude des Beschwerdeführers als tatsächlich vorhandener Bestand bereits dargestellt. Es liege fast an der Grenze zur Verkehrsfläche Stiegengasse, die als Fußweg gemäß § 53 BO festgesetzt sei. Auf der gegenüberliegenden Seite des 4 m breiten Fußweges befinde sich die Liegenschaft der Mitbeteiligten. Die auf der Liegenschaft des Beschwerdeführers unmittelbar bebaubare Fläche sei durch Baufluchtlinien begrenzt. Das tatsächlich vorhandene Gebäude, um dessen nachträgliche Bewilligung angesucht wurde, befinde sich nicht innerhalb der so umgrenzten Fläche. Es reiche insbesondere über die vordere Baufluchtlinie hinaus bis zur Baulinie, somit in den vom Bebauungsplan vorgesehenen Vorgarten, der der Liegenschaft der Mitbeteiligten genau gegenüberliege. Die Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinien gewährten gemäß § 134a lit. d BO subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, woraus sich im Beschwerdefall ergebe, dass die Mitbeteiligte, als an der Stiegengasse gegenüberliegende Nachbarin, einen Rechtsanspruch auf Nichtverbauung jenes Teiles des Baugrundstückes habe, der sich zwischen der Baulinie und der vorderen Baufluchtlinie befinde. Von den sonstigen Voraussetzungen abgesehen, dürften Baubewilligungen gemäß § 71 BO nur erteilt werden, wenn durch die Bauordnung gegebene subjektiv-öffentliche Rechte einer solchen Bewilligung nicht entgegenstünden oder der Berechtigte der Bewilligung ausdrücklich zugestimmt habe oder gemäß § 42 AVG als der Bewilligung zustimmend anzusehen sei. Aus welchem Grund der Berechtigte seine Zustimmung zur Bewilligung gemäß § 71 BO verweigere, sei im baubehördlichen Verfahren bedeutungslos. Es bleibe gleichgültig, ob die Einwendungen, die die Mitbeteiligte im Zuge der mündlichem Bauverhandlung gegen das Vorhaben erhoben habe, ihrerseits der Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Rechte dienten. Sobald ein Nachbar in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt sei, könne er die Bewilligung gemäß § 71 BO durch den bloßen Widerspruch verhindern. Er sei nicht verpflichtet, für die Verweigerung der Zustimmung überhaupt einen Grund anzugeben. Die Erklärung, die die Mitbeteiligte bei der mündlichen Verhandlung am 3. Dezember 1993 abgegeben habe, könne nur unter der Bedingung als Zustimmung gewertet werden, dass der Straßenbau der Mitbeteiligten keine Kosten verursache und keine Grundabtretungen erforderlich seien. Ob Grundabtretungen erforderlich seien, könne dahingestellt bleiben. Dass für die Anlieger einer Verkehrsfläche gemäß § 53 BO beim Ausbau dieser Verkehrsflächen keine Kosten anfielen, sei auf Grund der gesetzlichen Regelung ausgeschlossen. Die Besonderheit dieser Verkehrsflächen bestehe gerade darin, dass sie von den Eigentümern (Miteigentümer) der anliegenden Bauplätze oder Baulose nach den Anordnungen der Gemeinde hergestellt, erhalten, gereinigt, beleuchtet und ebenso wie die notwendigen Einbauten hergestellt und erhalten würden. Mangels Zustimmung der für die Bauführung in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht verletzten Mitbeteiligten dürfte eine Bewilligung gemäß § 71 BO für das bestehende Einfamilienhaus des Beschwerdeführers nicht erteilt werden. Die von der Erstinstanz erteilte Bewilligung gemäß § 71 BO habe daher in eine Versagung nach dieser Gesetzesstelle umgewandelt werden müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die Mitbeteiligte, eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst rügt die Beschwerde, dass die Eingabe der Mitbeteiligten vom 3. August 1995 in rechtlicher Hinsicht keine Berufung darstelle, da sie keinen begründeten Berufungsantrag enthalte. Die Berufung hätte gemäß § 66 AVG als unzulässig zurückgewiesen werden müssen.

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG 1991 hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, darf § 63 Abs. 3 AVG im Geiste des Gesetzes nicht formalistisch ausgelegt werden; die Berufung muss wenigstens erkennen lassen, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt (siehe die Nachweise bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 1183).

Die mit Berufung überschriebene Eingabe der Mitbeteiligten vom 3. August 1995 ist begründet, sie enthält den Antrag, die "Berufung nochmals zu überprüfen und in der Baubewilligung zu berücksichtigen". Mit dem Vorbringen, dass das Gebäude des Beschwerdeführers zu nahe an der Grundstücksgrenze zur Stiegengasse liege, hat die Mitbeteiligte auf ihre subjektiv-öffentlichen Rechte

hingewiesen. Sie hat ihrer Befürchtung Ausdruck verliehen, dass sie (aufgrund der bewilligten Bauführung im Vorgartenbereich) jene Grundfläche zur Verfügung stellen müsse, die zu diesem Zweck ansonsten das Baugrundstück abtreten müsste. Damit hat sie aber zu erkennen gegeben, was sie anstrebt, nämlich eine Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides. Die belangte Behörde war daher gehalten, eine meritorische Entscheidung über die Berufung zu fällen.

Gemäß § 71 BO kann die Behörde Bauten, die vorübergehenden Zwecken dienen oder nicht dauernd bestehen bleiben können, sei es wegen des bestimmungsgemäßen Zweckes der Grundfläche, sei es, weil in begründeten Ausnahmefällen die Baulichkeit den Bestimmungen dieses Gesetzes aus sachlichen Gegebenheiten nicht voll entspricht, auf eine bestimmte Zeit oder auf Widerruf bewilligen. Für sie gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes insofern nicht, als nach Lage des Falles im Bescheid auf die Einhaltung dieser Bestimmungen verzichtet worden ist. Der Bewilligung dürfen durch dieses Gesetz gegebene subjektiv-öffentliche Rechte nicht entgegenstehen, es sei denn, dass der Berechtigte der Bewilligung ausdrücklich zugestimmt hat oder gemäß § 42 AVG als der Bewilligung zustimmend anzusehen ist.

Der hier anzuwendende Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, Plandokument 5709, legt an der Verkehrsfläche Stiegengasse, die als Fußweg gemäß § 53 BO festgesetzt ist, die bebaubare Fläche durch Baufluchtlinien fest. Das Gebäude, um dessen nachträgliche Bewilligung angesucht wurde, reicht über die vordere Baufluchtlinie hinaus und somit in den vom Bebauungsplan vorgesehenen Vorgarten, der der Liegenschaft der Mitbeteiligten genau gegenüberliegt. Die Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinien räumen gemäß § 134a lit. d BO subjektiv-öffentliche Nachbarrechte ein; der Eigentümer der dem Vorgarten gegenüberliegenden Liegenschaft hat einen Rechtsanspruch auf Freihaltung des Vorgartens. Da somit dem Bauprojekt subjektiv-öffentliche Rechte entgegenstanden, durfte die Bewilligung nach § 71 BO für das Gebäude nur erteilt werden, wenn sich die Mitbeteiligte ausdrücklich für die Erteilung der angestrebten Baubewilligung ausgesprochen hätte. Dies war nicht der Fall, wobei die Gründe, die die Nachbarn in diesem Zusammenhang anführen, rechtlich unerheblich sind (siehe zuletzt das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 1998, Zl. 97/05/0002).

Eine ausdrückliche Zustimmung zur angestrebten Bewilligung hat die Mitbeteiligte während der Verhandlung vom 3. Dezember 1993 nicht erteilt, da sie ihre Zustimmung an Bedingungen geknüpft hat, deren Erfüllung ihr weder der Beschwerdeführer noch die Baubehörde garantieren konnte. Die Straßenbaulast für den Ausbau von Verkehrsflächen gemäß § 53 BO trifft die Anlieger; aus der Sicht dieser gesetzlichen Bestimmung ist die Kostenfreistellung eines einzelnen Anliegers nicht möglich. Auch Grundabtretungen (§ 53 Abs. 3 BO), die die Eigentümer (Miteigentümer) ohne Anspruch auf Entschädigung an die Gemeinde zu erfüllen haben, können nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Die Erklärung der Mitbeteiligten, keinen Einwand zu erheben, wenn durch den Ausbau der Stiegengasse keine Kosten für sie anfielen und keine Grundabtretungen erforderlich seien, wurde somit zu Recht von der belangte Behörde als Verweigerung der Zustimmung zu dem Bauvorhaben gewertet.

Mit den Ausführungen in der Beschwerde, es stelle keine Einwendung im Sinne des § 42 AVG dar, wenn eine Zustimmung von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht werde, verkennt der Beschwerdeführer die durch § 71 BO bestimmte Rechtslage. Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend ausführte, muss das gegen die Bewilligung des Bauvorhabens gerichtete Vorbringen des Nachbarn keineswegs eine Einwendung im Rechtssinn sein. Sobald feststeht, dass der Nachbar durch das Bauvorhaben in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt würde, kann er durch die bloße Verweigerung der Zustimmung eine Erteilung der Baubewilligung verhindern. Eine unter Bedingungen, die nicht erfüllt werden können, erteilte Zustimmung ist in Bezug auf eine Erteilung einer Baubewilligung nach § 71 BO als Verweigerung der Zustimmung zu werten. Die Wortfolge im § 71 BO dritter Satz "... oder gemäß § 42 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes als der Bewilligung zustimmend anzusehen ist", kann als Alternative zu der im Gesetz vorgesehenen ausdrücklichen Zustimmung nur so verstanden werden, dass ein Nachbar, der rechtzeitig von der Anberaumung der Verhandlung verständigt wurde und bis zum Tag vor Beginn der Verhandlung keine Einwendungen erhoben hat, entweder an der Verhandlung nicht teilnimmt oder zwar teilnimmt, aber keine Vorbehalte gegen das Bauvorhaben deponiert.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. August 1999

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