VwGH 98/18/0209

VwGH98/18/020921.12.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hofbauer, über die Beschwerde des M R in Wien, geboren am 16. Juni 1945, vertreten durch Dr. Walter Engler, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 18/14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. Mai 1998, Zl. SD 667/97, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37;
EMRK Art8 Abs2;
VwRallg;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37;
EMRK Art8 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 5. Mai 1998 wurde der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, gemäß § 33 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer habe sich im Zeitraum von 1972 bis 1992 mehrmals auf der Grundlage von Touristensichtvermerken in Österreich aufgehalten. Zuletzt sei er im Mai 1992 neuerlich aufgrund eines Touristensichtvermerkes eingereist. Nach Vorlage einer Verpflichtungserklärung habe er zunächst einen Sichtvermerk und im Anschluß daran eine Aufenthaltsbewilligung für einen "privaten Aufenthalt" bis 27. April 1995 erhalten. Seit 28. April 1995 halte er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der Einwand des Beschwerdeführers, er wäre aufgrund der Pflege seiner geistig schwerkranken Mutter (die von ihm am 6. Juni 1996 fahrlässig getötet worden sei, wofür der Beschwerdeführer zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei) gehindert gewesen, einen rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu stellen, vermöge an der Tatsache nichts zu ändern, daß sich der Beschwerdeführer seit drei Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Da er unter diesen Voraussetzungen vom Inland aus seinen Aufenthalt nicht legalisieren könne, sei die Ausweisung - vorbehaltlich des § 37 FrG - erforderlich im Sinn des § 33 Abs. 1 FrG.

Der Beschwerdeführer lebe mit seinem Vater, der österreichischer Staatsangehöriger sei, im gemeinsamen Haushalt. Da sein Vater schwer krank sei, verrichte der Beschwerdeführer in dessen Vertretung Hausbesorgertätigkeiten. Mit der Ausweisung sei daher ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Die vom Beschwerdeführer aufgrund des seit drei Jahren bestehenden unrechtmäßigen Aufenthaltes ausgehende Beeinträchtigung der maßgeblichen öffentlichen Interessen sei jedoch so groß, daß die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien. Die Ausweisung sei daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die dem Beschwerdeführer zuletzt erteilte Aufenthaltsbewilligung war unstrittig nur bis 27. April 1995 gültig. Da dem Beschwerdeführer - was in der Beschwerde nicht in Abrede gestellt wird - seitdem keine Aufenthaltsberechtigung zukommt, kam die belangte Behörde zu Recht zu dem Ergebnis, daß der Tatbestand des § 33 Abs. 1 zweiter Halbsatz FrG erfüllt sei.

2. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, er habe sich vor seiner letzten Einreise im Mai 1992 ab dem Jahr 1972 "überwiegend" in Österreich aufgehalten, ist ihm zu entgegnen, daß er sich in diesem Zeitraum nach den auf seinen eigenen Angaben (siehe insbesondere den Schriftsatz vom 12. November 1997) beruhenden behördlichen Feststellungen nur jeweils aufgrund von "Touristensichtvermerken" mehrmals in Österreich aufgehalten hat. Das aus solchen Aufenthalten allenfalls ableitbare Ausmaß der Integration ist jedoch nur gering, weil touristische Aufenthalte von vornherein jeweils nur auf kurze Dauer angelegt sind und es daher an der für eine Integration wesentlichen Kontinuität des Aufenthaltes mangelt. Anders als der Beschwerdeführer meint, sind daher mehrere derartige Aufenthalte über einen längeren Zeitraum verteilt in ihre Gewichtung zugunsten des Beschwerdeführers keineswegs einem durchgehenden Aufenthalt gleichzuhalten. Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer mit seinem schwerkranken Vater, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, im gemeinsamen Haushalt lebt und in dessen Vertretung Hausbesorgerarbeiten erledigt, hat die belangte Behörde zu Recht zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt.

Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer durch den dreijährigen unrechtmäßigen Aufenthalt das aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) einen hohen Stellenwert aufweisende öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1998, Zl. 98/18/0252) gravierend beeinträchtigt hat und demgegenüber die dargestellten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers, der sich nur von Mai 1992 bis April 1995 durchgehend legal im Bundesgebiet aufgehalten hat, vergleichsweise schwächer ausgeprägt sind, kann das Ergebnis der von der belangten Behörde durchgeführten Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 FrG nicht als rechtswidrig erkannt werden.

3. Die Beschwerde führt weiters ins Treffen, daß gemäß § 33 Abs. 1 FrG eine Ermessensentscheidung zu treffen sei, was mit der Verwendung des Wortes "können" im Gesetzestext verdeutlicht werde.

Der vorliegend maßgebliche § 33 Abs. 1 FrG hat folgenden Wortlaut:

"Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten."

Ihrem Wortlaut nach räumt diese Bestimmung somit insofern Ermessen ein, als sie die Behörde ermächtigt, von der Erlassung einer Ausweisung trotz Vorliegens der tatbestandsmäßigen Voraussetzung des nicht rechtmäßigen Aufenthaltes abzusehen. Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. Sie hat hiebei in Erwägung zu ziehen, ob und wenn ja welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung gegen die Erlassung einer Ausweisung sprechen, und sich hiebei insbesondere von den Vorschritten des FrG leiten zu lassen. Es könnten etwa - anders als bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Ausweisung nach § 37 Abs. 1 FrG - öffentliche Interessen zu Gunsten eines Fremden berücksichtigt werden und bei entsprechendem Gewicht eine Abstandnahme von der Ausweisung im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen. Aber auch persönliche, schon im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit einer Ausweisung nach § 37 Abs. 1 FrG zu berücksichtigende Interessen sind bei der Handhabung des Ermessens nach § 33 Abs. 1 FrG dann zu beachten, wenn dies erforderlich ist, um den besonderen im Einzelfall gegebenen Umständen gerecht zu werden. (Vgl. zum Ganzen das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 98/18/0252, sowie das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0175.)

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid zur Frage des Ermessens lediglich festgehalten, daß die Ausweisung aufgrund des unberechtigten Aufenthaltes und der Unmöglichkeit der Legalisierung vom Inland aus "erforderlich" sei. Diese Ausführungen stellen nach dem oben Gesagten keine ausreichende Begründung der Ermessensentscheidung dar.

In der Beschwerde wird vorgebracht, daß der Beschwerdeführer sich lange Zeit im Inland "aufopfernd" um die Pflege und Betreuung seiner geistig schwerbehinderten Mutter, die österreichische Staatsbürgerin gewesen sei, gekümmert habe. Diese Tätigkeit habe ihn derart in Anspruch genommen, daß er die rechtzeitige Stellung eines Antrages auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung unterlassen habe. Er verrichte für seinen 78-jährigen, schwerkranken Vater Hausbesorgertätigkeiten, um die Kündigung der Hausbesorgerwohnung zu vermeiden. Ohne seine Mithilfe wäre der Vater der Obdachlosigkeit preisgegeben. Er habe sich in der Zeit ab 1972 überwiegend im Inland aufgehalten.

Da diese - bereits im Verwaltungsverfahren vorgebrachten - Umstände in ihrem Zusammenhalt nach den obigen Ausführungen bei der Ermessensentscheidung - unbeschadet der zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausgegangenen Abwägung - von Bedeutung sein können, kommt dem dargestellten Begründungsmangel Relevanz zu.

4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

5. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. Dezember 1998

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