VwGH 98/13/0104

VwGH98/13/01044.11.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Repa, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Otto Ackerl, Rechtsanwalt in Wien XXI, Brünner Straße 37/5, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat II) vom 29. April 1998, Zl RV/163-15/12/97, betreffend Einkommensteuer 1996, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §24 Abs6 idF 1996/201;
EStG 1988 §37 Abs1 idF 1996/201;
EStG 1988 §37 Abs5 idF 1996/201;
GSVG 1978 §131c Abs1 Z3;
StruktAnpG 1996 Art35 Z47;
StruktAnpG 1996 Art35 Z48;
StruktAnpG 1996 Art39 Z24;
StruktAnpG 1996 Art39 Z44;
EStG 1988 §24 Abs6 idF 1996/201;
EStG 1988 §37 Abs1 idF 1996/201;
EStG 1988 §37 Abs5 idF 1996/201;
GSVG 1978 §131c Abs1 Z3;
StruktAnpG 1996 Art35 Z47;
StruktAnpG 1996 Art35 Z48;
StruktAnpG 1996 Art39 Z24;
StruktAnpG 1996 Art39 Z44;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer erklärte in seiner Einkommensteuererklärung für 1996 Einkünfte von S 724.101,-- und beantragte die Besteuerung mit dem Hälftesteuersatz, weil der Betrieb wegen Erwerbsunfähigkeit verkauft worden sei.

Bei der Veranlagung des Beschwerdeführers zur Einkommensteuer wurde der begünstigte Steuersatz nicht gewährt, weil trotz Vorhaltes der Nachweis einer vollständigen, dh hundertprozentigen Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht nachgewiesen worden sei.

In einer dagegen eingebrachten Berufung vertrat der Beschwerdeführer die Ansicht, daß nach § 37 Abs 5 EStG der Hälftesteuersatz u.a. zu gewähren sei, wenn "der Steuerpflichtige erwerbsunfähig" sei. Ein Erfordernis einer hundertprozentigen Minderung der Erwerbsfähigkeit werde nicht gefordert. Der Beschwerdeführer legte eine Bestätigung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vor, wonach er laufend Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Wie bei Gesprächen mit dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger festgestellt worden sei, gebe es zwei Arten der Erwerbsunfähigkeitspension: Einerseits die Erwerbsunfähigkeitspension, die unabhängig vom Alter des Versicherten gewährt werde, wenn dieser auf Dauer außerstande sei, irgendeinem Erwerb nachzugehen, und andererseits die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 131 lit c Abs 1 Z 3 GSVG, welche Männern ab dem 57. Lebensjahr gewährt werde, wenn der Versicherte auf Dauer gesehen außerstande sei, die in den letzten 60 Monaten ausgeübte Tätigkeit weiter auszuüben. Die diesbezügliche Überprüfung finde durch einen Arzt der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft statt. Dem Beschwerdeführer werde eine solche Pension gewährt. Dies bedeute aber nichts anderes, als daß er nicht mehr imstande sei, seinen Beruf auszuüben. Damit sei klar ersichtlich, daß keine hundertprozentige Erwerbsminderung vorliege.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 37 Abs 1 EStG 1988 idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl 201, ermäßigt sich der Steuersatz u.a. für außerordentliche Einkünfte (Abs 5) auf die Hälfte des auf das gesamte Einkommen entfallenden Durchschnittssteuersatzes. Gemäß § 37 Abs 5 leg cit sind außerordentliche Einkünfte Veräußerungs- und Übergangsgewinne, wenn der Betrieb deswegen veräußert oder aufgegeben wird, weil der Steuerpflichtige gestorben ist, erwerbsunfähig ist oder das 60. Lebensjahr vollendet hat und seine Erwerbstätigkeit einstellt. Für Veräußerungsgewinne steht der ermäßigte Steuersatz nur über Antrag und nur dann zu, wenn seit der Eröffnung oder dem letzten entgeltlichen Erwerbsvorgang sieben Jahre verstrichen sind. Nach dem klaren Wortlaut dieser gesetzlichen Bestimmungen ist das (im Beschwerdefall) entscheidende Kriterium für die Zuerkennung des Hälftesteuersatzes die Erwerbsunfähigkeit.

Beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen davon aus, daß der Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Sinn des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (GSVG) zu verstehen sei. Ein solches Verständnis kann diesem Begriff aber für Zwecke des Steuerrechtes schon deshalb nicht beigemessen werden, weil das GSVG entsprechend seinem Zweck der sozialen Absicherung in verschiedenen, insbesondere durch das Lebensalter des Versicherten geprägten Lebensabschnitten - schon vor Inkrafttreten des Strukturanpassungsgesetzes 1996 - einen mehrstufigen Erwerbsunfähigkeitsbegriff verwendet (vgl Rudda, Gedanken zur Erwerbsunfähigkeit gewerblich Selbständiger, ZAS 1994, 119 ff). Aus diesem Grund kommen die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - wiewohl beide vom Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Sinn des GSVG ausgehen - zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Für den Bereich des Steuerrechts muß schon zur Vermeidung einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung der Abgabepflichtigen je nach ihrem Alter der Begriff der Erwerbsunfähigkeit einheitlich verstanden werden. Aus dem Gesamtzusammenhang der Bestimmung des § 37 Abs 5 EStG 1998 idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996 (und des § 24 Abs 6 leg cit) kann in diesem Sinn für den Bereich des Steuerrechts nur eine Person als erwerbsunfähig verstanden werden, die keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben kann (vgl in diesem Zusammenhang den dritten Tatbestand des § 37 Abs 5 leg cit, wonach der Abgabepflichtige das 60. Lebensjahr vollendet und seine Erwerbstätigkeit eingestellt haben muß).

Der belangten Behörde ist daher im Ergebnis zwar zuzustimmen, daß die Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 131c Abs 1 Z 3 GSVG kein entscheidendes Kriterium für die Bejahung der im § 37 Abs 5 leg cit normierten Begünstigung darstellt, weil dem Versicherten nach dieser gesetzlichen Bestimmung ein Anspruch auf die entsprechende Pension zusteht, wenn er eine bestimmte - kurz gesagt, die in letzter Zeit ausgeübte - Erwerbstätigkeit nicht mehr ausüben kann. Allerdings ist der Umstand, daß (nur) diese Pension zuerkannt wurde, auch kein entscheidendes Kriterium gegen die Bejahung der vom Beschwerdeführer beantragten Begünstigung, weil damit nur zum Ausdruck gebracht wird, daß die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen (jedenfalls) für diese Pension erfüllt waren. Zur Beantwortung der Frage, ob allenfalls eine darüber hinausgehende Unfähigkeit, eine Erwerbstätigkeit ausüben zu können, vorliegt, trägt der Umstand, daß "nur" eine Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit zuerkannt worden war, nichts bei. Die aus der Zuerkennung der entsprechenden Alterspension abgeleitete Folgerung der belangten Behörde, daß damit "klar ersichtlich ist, daß keine 100 %-ige Erwerbsminderung vorliegt", ist daher verfehlt.

Da die belangte Behörde daher in Verkennung der Rechtslage keine Feststellungen getroffen hat, die eine abschließende Beurteilung der allein entscheidenden Frage ermöglicht, ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Betriebsveräußerung in seiner Erwerbsfähigkeit soweit gemindert war, daß er keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben konnte (und deswegen der Betrieb veräußert wurde), hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994.

Wien, am 4. November 1998

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