Normen
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation", der am 8. Juni 1997 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 9. Juni 1997 die Gewährung von Asyl. Er wurde am selben Tag sowie am 10. Juni 1997 und 15. Juni 1997 niederschriftlich einvernommen.
Hiebei gab er an, er stamme aus dem Kosovo, gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei moslemischen Glaubens.
Die Behörde erster Instanz gab die Aussagen des Beschwerdeführers in dem den Asylantrag abweisenden Bescheid vom 28. Juli 1997 zusammengefaßt folgendermaßen wieder:
"Sie hätten seit Mitte 1994 in Suhareke einen Handel mit Baumaterialien betrieben. Als Sie am 01., 02. oder 03. Mai 1997 nach Hause gekommen seien, hätten Ihnen Ihre Eltern erzählt, daß Polizisten im Elternhaus nach Ihnen gesucht hätten und Ihre Eltern von den Polizisten aufgefordert worden seien, Sie zu verständigen, sofort bei der Polizeistelle in Suhareke zu erscheinen. Ihre Eltern hätten Ihnen erzählt, daß die Polizisten Ihren Bruder festgenommen und gesagt hätten, Ihr Bruder würde aus der Haft entlassen werden, wenn Sie bei der Polizeistelle erscheinen würden. Ihre Eltern hätten Ihnen erzählt, daß Sie wegen der Anschuldigung, an militärischen Übungen in Albanien teilgenommen zu haben, von den Polizisten gesucht worden seien.
Am erwähnten Tag, Anfang Mai 1997, seien Sie mit einem Lastwagen in Richtung Suhareke gefahren, um sich zur Polizeistelle zu begeben. Außerhalb von Suhareke seien Sie von uniformierten Polizisten angehalten und zur Ausweisleistung aufgefordert worden. Ein Polizist habe zu Ihnen gesagt: 'Du wirst von der Polizei gesucht. Warum hast Du Dich nicht gemeldet?' Über Aufforderung der Polizisten seien Sie vom Lastwagen gestiegen. Die Körperhaltung eines Polizisten habe Sie vermuten lassen, daß dieser beabsichtigte, Sie gegen den Bauch zu treten. Um dies zu verhindern, hätten Sie sich nach vor gebeugt. Deshalb seien Sie durch den Fußtritt des Polizisten am rechten Auge getroffen worden. Der Polizist habe Sie mit einem Stiefel getroffen. Sie hätten am rechten Auge nichts gesehen. Die Polizisten hätten Sie zur Polizeistelle in Suhareke eskortiert. Während der ersten, etwa fünf Minuten des Aufenthaltes bei der Polizeistelle, seien Sie von den Polizisten nach den Namen Ihrer Freunde gefragt worden, mit denen Sie an militärischen Übungen in Albanien teilgenommen hätten. Sie seien durch den erwähnten Fußtritt so geschwächt gewesen, daß Sie außerstande gewesen seien, zu antworten. Nach etwa fünf Minuten hätten Sie wegen des Fußtrittes das Bewußtsein verloren. Sie hätten das Bewußtsein in einem unbekannten Krankenhaus in einem unbekannten Ort, wiedererlangt.
Sie seien von Polizisten in dieses Krankenhaus gefahren worden. Im Krankenhaus seien Sie an Ihrem Auge behandelt worden.
Nach einem Aufenthalt von etwa einer Stunde in diesem Krankenhaus, seien Sie von Polizisten in einem Polizeiauto in Richtung eines Ihnen zunächst unbekannten Zieles gefahren worden. Während der Fahrt hätten die Polizisten zu Ihnen gesagt, daß Sie nach Prizren zu einem Gerichtsgefängnis gefahren würden, um dort inhaftiert zu werden. Einen Grund für die beabsichtigte Inhaftierung hätten die Polizisten nicht genannt. Sie seien sich dessen sicher, daß Sie wegen der zu Unrecht erhobenen Anschuldigung, an militärischen Übungen in Albanien teilgenommen zu haben, in das Gerichtsgefängnis in Prizren hätten überstellt werden sollen. Sie hätten befürchtet, dort schwer mißhandelt zu werden. Sie hätten deshalb beschlossen, während der Fahrt eine Gelegenheit zur Flucht wahrzunehmen. Als Sie durch eine bewaldete Gebirgslandschaft gefahren und das Polizeiauto wegen der ansteigenden Fahrbahn langsam gefahren sei, seien Sie aus dem Fahrzeug gesprungen.
Sie seien einen bewaldeten Hang hinuntergelaufen. Die Polizisten hätten Ihnen einmal aus einer Pistole und dann aus einer Maschinenpistole nachgeschossen. Im Schutze des Waldes sei Ihnen die Flucht gelungen. In Fußmärschen und per Autostop hätten Sie nach etwa acht Stunden die Stadt Peje erreicht. Dort hätten Sie sich bis 07.06.1997 bei einem Freund aufgehalten. Während der ersten zwei Wochen des Aufenthaltes bei Ihrem Freund in Peje seien Sie täglich von zwei Ärzten, die von Ihrem Freund verständigt worden seien, behandelt worden.
Innerhalb einer Woche, nachdem Ihnen von den Polizisten durch den erwähnten Fußtritt die Verletzung an Ihrem rechten Auge zugefügt worden sei, hätten Sie am rechten Auge überhaupt nichts gesehen. Seither würden Sie an diesem Auge verschwommen, wie durch Nebelschleier, sehen. Die Umgebung Ihres rechten Auges sei noch immer verschwollen und Ihr Auge sei gerötet.
Im Falle einer Rückkehr in den Kosovo würden Sie befürchten, wegen der genannten, zu Unrecht erhobenen Beschuldigung, von Polizisten festgenommen, in ein Gefängnis überstellt und dort schwer mißhandelt zu werden."
Die Behörde erster Instanz versagte den Angaben des Beschwerdeführers zur Gänze die Glaubwürdigkeit, weil ein medizinischer Sachverständiger "erhebliche Zweifel am angegebenen Unfallmechanismus" angemeldet habe. Dem Beschwerdeführer komme deshalb die Flüchtlingseigenschaft nicht zu.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer zunächst vor, daß der erste Begutachter in seinem Gutachten "in diesem Fall, da Augenverletzungen nicht in das Sachgebiet des Traumatologen fallen, die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Augenheilkunde" empfehle. Der Beschwerdeführer legte in der Folge ein Gutachten einer Fachärztin der Augenheilkunde vor, nach welchem die Augenverletzung des Beschwerdeführers mit der von ihm angegebenen Krankengeschichte "kompatibel" sei. Des weiteren behauptete der Beschwerdeführer in der Berufung, daß ethnische Albaner im Kosovo einer Gruppenverfolgung unterlägen.
Der unabhängige Bundesasylsenat führte am 17. März 1998 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde der bisherige Akteninhalt - soweit auf die Verlesung nicht verzichtet wurde - verlesen. Ferner erörterte die belangte Behörde in der Verhandlung eine Zusammenfassung über die deutsche Rechtsprechung zur Gruppenverfolgung, den Friedensbericht 1997, herausgegeben von "EPU Stadt Schlaining", sowie auszugsweise einen Bericht des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten, insbesondere zur Gruppenverfolgung. Sodann wurde der Beschwerdeführer ergänzend einvernommen. Abschließend verkündete die belangte Behörde den Berufungsbescheid mündlich und stellte in der Folge eine schriftliche Ausfertigung dem Beschwerdeführer zu.
In diesem nunmehr angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde dem Beschwerdeführer - anders als die Behörde erster Instanz - die Glaubwürdigkeit grundsätzlich nicht ab. Sie erhob das im Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Juli 1997 "richtig und vollständig" wiedergegebene Ergebnis der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers "als Feststellung" zur Grundlage des gegenständlichen Bescheides.
Zusätzlich traf die belangte Behörde ergänzende Feststellungen. Der Beschwerdeführer sei, nachdem er eine ordnungsgemäße schriftliche bei ihm zu Hause hinterlassene Vorladung der Polizei nicht befolgt habe, zufällig bei einer allgemeinen Straßensperre angehalten worden. Hiebei sei ihm vorgehalten worden, der Ladung nicht gefolgt zu sein. Die Straßensperre sei zufällig von derselben Polizei veranstaltet worden, die auch für die Ladung zuständig gewesen sei. Im Zuge der Anhaltung sei er vorschrifts- und regelwidrig unsanft behandelt und zum Teil aus dem Führerhaus seines Lkw gezerrt bzw. gestoßen worden. Er sei hiebei, da er sich an der Tür nicht habe festhalten können, vor den Füßen des auf der Fahrerseite postierten Polizisten zu Fall gekommen. Dieser habe auf ihn eintreten wollen. Als der Beschwerdeführer gesehen habe, daß ihn der Polizist treten wolle, habe er sich zusammengekauert bzw. zusammengezogen. Unmittelbar danach habe ihn der Polizist zufällig "am Auge erwischt". Der Beschwerdeführer glaube, daß die Absicht des Polizisten gewesen sei, ihn irgendwohin zu treten.
Ab dem Augenblick der Flucht des Beschwerdeführers aus der nach wie vor andauernden Polizeigewahrsame habe sich die Polizei zumindest insoweit korrekt verhalten, als sie vor Schußwaffengebrauch zur Hintanhaltung der Flucht mehrfach gewarnt habe. Während der Flucht und auch später, bereits in Österreich befindlich, habe der Beschwerdeführer lediglich aufgrund der Meinung Dritter - die ihrerseits auch nichts Genaues wüßten - angenommen, daß landesweit nach ihm gesucht werde.
Die belangte Behörde leitete aus diesen Feststellungen ab, daß in der Polizeikontrolle keine persönliche Verfolgungshandlung vorerst zu erblicken sei, als es sich um eine allgemeine Straßensperre zwecks Verkehrskontrolle gehandelt habe und erst im Rahmen der Identifizierung des Beschwerdeführers sich ergeben habe, daß dieser einer schriftlichen Ladung zur Polizei nicht gefolgt sei. Die folgenden Ereignisse seien regelübertretend und im Endeffekt durch nichts zu entschuldigen gewesen. Maßgeblich sei jedoch, daß die Verletzung des Auges durch den Polizisten nicht beabsichtigt gewesen sei. Damit könne der Polizei nicht unterstellt werden, sie habe dem Berufungswerber schwere, in ihrer Wirkung lange Zeit andauernde, körperliche Schäden zufügen wollen. Er sei sodann mit einem Polizeifahrzeug ins Spital zur Behandlung gebracht worden.
Tatsache sei, daß der Beschwerdeführer eine ordentliche Vorladung (sogar mit schriftlichem Ladungsbescheid) an seinem Wohnsitz hinterlegt erhalten habe. Er sollte vermeintlich über die Frage einvernommen werden, ob er in Albanien an "irgendwelchen militärausbildnerischen Übungen" teilgenommen habe. Mit solch einer Frage habe der Beschwerdeführer rechnen müssen, weil er tatsächlich, allerdings als Tourist, in Albanien gewesen sei, sogar für einen Zeitraum, der für einen Touristen nicht der üblichen Besuchslänge entspreche. Zu diesem Zeitpunkt hätten für die serbischen Polizeibehörden Informationen Gestalt angenommen, daß "möglicherweise ein - die friedliche Politik der LDK (Rugova) überschreitender - gewaltsamer Widerstand mit möglicherweise albanischer Unterstützung sich formiere". Es sei nicht denkunmöglich und für den Beschwerdeführer absehbar gewesen, möglicherweise früher oder später hiezu befragt zu werden. Hierin sei keine persönliche Verfolgungshandlung des Beschwerdeführers mit unangemessenen Konsequenzen zu erblicken. Auch im Schußwaffengebrauch sei keine unübliche polizeiliche Vorgangsweise, insbesondere keine persönliche Verfolgungshandlung, zu der kein Rechtsgrund bestanden hätte, zu erblicken, habe sich doch der Asylwerber, der auch für ihn klar werdenden Polizeigewahrsame durch seine Flucht entzogen.
Schließlich habe auch kein Grund für die Ereignisse gefunden werden können, der die Geschehnisse auf jene Gründe zurückgeführt habe, die in der Genfer Konvention verankert seien, sei doch der Berufungswerber nicht politisch tätig gewesen und es sei eine persönliche Verfolgung zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als die Amtshandlung durch Polizeikontrolle begonnen habe, nicht gegeben gewesen.
In der Folge befaßte sich die belangte Behörde ausführlich mit der vom Beschwerdeführer in der Berufung behaupteten Gruppenverfolgung und kam zum Ergebnis, daß eine solche im Kosovo den ethnischen Albanern nicht drohe. Die vom Beschwerdeführer relevierte "allgemeine Gefährdungssituation" vermöge ohne das "Hinzutreten weiterer, sich im Einzelfall konkretisierender, gegen den Asylwerber sich richtenden Auswirkungen, keinen tauglichen Asylgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darzustellen". Da im Zeitpunkt der Flucht eine Ladung des Beschwerdeführers zur Polizei in Verbindung mit seinem touristischen, aber doch längeren Aufenthalt in Albanien nicht an den Haaren herbeigezogen sei, weil Albanien damals als mögliche Störursache der sowieso angespannten Lage im Kosovo erkannt werde, könne dies nicht dahin ausgelegt werden, daß dem Beschwerdeführer aus dieser einzigen Vorladung zwingend Verfolgung mit erheblichen Konsequenzen gedroht habe, zumal er selbst angegeben habe, an keinerlei "Veranstaltungen" in Albanien teilgenommen zu haben. Daher sei aus objektiver Sicht keine Veranlassung für eine begründete Furcht vor Verfolgung gegeben gewesen. Die Situation habe sich zwar durch die spätere Flucht aus dem Polizeigewahrsam verschärft, aber selbst unter diesen Umständen sei nicht anzunehmen, daß nach einer genauen Befragung unbedingt "inadäquates Verhalten der Polizei, Folter oder Mißhandlung das zwangsläufige Ergebnis einer neuerlichen Einvernahme" wäre.
Dem Beschwerdeführer sei es zumindest in der Frage des Herganges der Amtshandlung seiner Anhaltung und Verletzung einerseits, sowie seiner Flucht nach Meinung der belangten Behörde gelungen, "seine Glaubwürdigkeit herzustellen". In "anderen Teilen seiner Aussage" habe der Beschwerdeführer die vollständige Glaubwürdigkeit wegen offengebliebenen Widersprüchen nicht erlangen können. Die belangte Behörde führte diesbezüglich nicht aus, welchen Teilen seiner Aussage sie die Glaubwürdigkeit absprach und aufgrund welcher Widersprüche sie zur letztgenannten Aussage gelangte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrundeliegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0858).
Nicht berücksichtigt hat die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme zu den Fluchtgründen am 10. Juni 1997, daß sein Bruder im Zusammenhang mit der Vorladung des Beschwerdeführers inhaftiert worden sei, wobei er solange in Haft verbleiben solle, bis sich der Beschwerdeführer bei der Polizei melde. Der Bruder sei zumindest bis zur Ausreise des Beschwerdeführers (7. Juni 1997 - somit ein Zeitraum von ca. fünf Wochen) in Haft verblieben. Zwar reicht die Verwandten widerfahrene bzw. drohende Verfolgung alleine für sich nicht aus, die individuell konkrete Verfolgung eines Asylwerbers darzutun, doch hat sie in die Beurteilung der gesamten Situation miteinbezogen zu werden, wenn sie grundsätzlich geeignet wäre, eine dem Asylwerber selbst drohende individuelle Verfolgung zu untermauern (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1997, Zl. 96/01/0467). Nach den Angaben des Beschwerdeführers wurde sein Bruder auch deshalb inhaftiert, damit der Beschwerdeführer sich selbst der Polizei stelle. Damit wäre die Verhaftung des Bruders des Beschwerdeführers aber zumindest auch gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtet.
Im gegenständlichen Fall hat sich die belangte Behörde ua. auf die in der öffentlichen mündlichen Verhandlung auszugsweise vorgehaltene Äußerung der österreichischen Botschaft Belgrad vom 23. Juni 1997 gestützt. Nach der Formulierung im angefochtenen Bescheid, welche Passagen vorgelesen wurden, hat die belangte Behörde anscheinend den Punkt II c) dieser Äußerung nicht berücksichtigt. Gerade in diesem Teil finden sich aber Aussagen, welche wesentlich für die Beurteilung sind, ob eine individuell konkrete Verfolgung eines albanischstämmigen Asylwerbers gegeben sein kann.
Punkt II c) der Äußerung der österreichischen Botschaft vom 23. Juni 1997 lautet:
"Natur der Repressionsmaßnahmen Repressionsmaßnahmen im Kosovo zeichnen sich allgemein durch
Unberechenbarkeit und Willkür aus. Hiermit wird gezielt eine allgemeine Verunsicherung erzeugt, und der Repressionsdruck so beständig aufrechterhalten. Die Maßnahmen betreffen die Mehrheit der Bevölkerung nicht ..., sie können aber jederzeit jeden treffen. Ausschlaggebend für eine eventuelle Betroffenheit könnte sein, in welchem Maß der Betroffene 'ins Blickfeld' der serbischen Behörden geraten ist. Repressionsmaßnahmen treffen natürlich immer wieder und ganz gezielt auch (aber nicht nur oder überwiegend) politische Aktivisten. Gerade die Unberechenbarkeit macht das Prinzip der Repression im Kosovo aus."
Die belangte Behörde stellte selbst fest, daß der Beschwerdeführer aufgrund der (vermeintlichen) Beteiligung an einer militärischen Ausbildung in Albanien ins "Blickfeld" der serbisch-dominierten Polizei im Kosovo geraten ist. Es mag durchaus sein, daß der Beschwerdeführer zufällig in die Verkehrskontrolle geriet, anläßlich der er unter dem Vorwurf, einer polizeilichen Ladung nicht Folge geleistet zu haben, unsanft aus seinem Lkw gestoßen, in der Folge durch einen Tritt eines Polizisten verletzt und festgenommen wurde. Wenngleich die belangte Behörde auch zu Recht davon ausgeht, daß der tretende Polizist offenbar den Beschwerdeführer nicht am Auge verletzen wollte, so zeigt doch schon die Tatsache, daß der Polizist mit den Stiefel auf den stürzenden Beschwerdeführer treten wollte, die Gewaltbereitschaft der Polizei auf. Diese Gewaltbereitschaft wird im Fall des Beschwerdeführers schließlich dadurch unterstrichen, daß die Polizisten anläßlich der Flucht des Beschwerdeführers diesem zwar vor Gebrauch der Schußwaffen nachriefen, jedoch anscheinend keine gelinderen Mittel (wie etwa die Nacheile) einsetzten, um des Beschwerdeführers habhaft zu werden, sondern von (automatischen) Schußwaffen Gebrauch machten.
Vor dem Hintergrund der im Beschwerdefall zutage getretenen Gewaltbereitschaft der Polizei, der behaupteten mehrwöchigen Inhaftierung des Bruders des Beschwerdeführers bloß zu dem Zweck, daß der Beschwerdeführer sich bei der Polizei melde, dem Umstand, daß der Beschwerdeführer durch die Anschuldigung der serbischen Behörden, in Albanien an einer Waffenausbildung teilgenommen zu haben und letztendlich der Flucht des Beschwerdeführers aus der Haft ist im Hinblick auf die in Punkt II c) der Äußerung der österreichischen Botschaft in Belgrad vom 23. Juni 1997 die vom Beschwerdeführer bereits anläßlich seiner Ersteinvernahme geäußerte Furcht, aufgrund der zu Unrecht erhobenen Beschuldigung von Polizisten festgenommen, in ein Gefängnis überstellt und dort schwer mißhandelt zu werden, aus objektiver Sicht asylrechtlich relevant. Denn es kann durchaus angenommen werden, daß dem Beschwerdeführer tatsächlich mehrwöchige Haft und aufgrund der Gewaltbereitschaft der serbischen Polizei Mißhandlungen (zumindest unter Inkaufnahme auch schwerer Verletzungen) drohen. Somit ist ein Eingriff von erheblicher Intensität mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Die belangte Behörde wäre jedoch dann im Recht, wenn sich der Eingriff als nicht auf einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe basierend oder als gerechtfertigt darstellte.
Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention sieht als Flüchtling an, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Es kann angesichts der auch von der belangten Behörde herangezogenen Erkenntnisquellen nicht zweifelhaft sein, daß der Beschwerdeführer ausschließlich wegen seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe im Kosovo "ins Blickfeld" der serbischen Behörden seines Heimatstaates geraten ist. Damit handelt es sich aber im gegenständlichen Fall um eine unter die genannte Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention fallende Verfolgung.
Insoweit die belangte Behörde das Vorgehen der serbisch-dominierten Polizei gegen den Beschwerdeführer (und allenfalls andere ethnische Albaner im Kosovo) lediglich als asylrechtlich unerhebliche (polizei)behördliche strafrechtliche Verfolgung im Zusammenhang mit den Informationen der serbischen Polizeibehörden, daß sich "möglicherweise" ein gewaltsamer Widerstand mit "möglicherweise" albanischer Unterstützung formiere, ansieht, kann ihr nur insoweit gefolgt werden, als dadurch grundsätzlich nur reine sicherheitsbehördliche Erhebungen und Ladungen zur Behörde zwecks Befragung (ohne mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Gewaltanwendung und Gefahr einer Inhaftierung mit längerer Dauer) gerechtfertigt erscheinen. Der Umstand aber, daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatland mit dem (möglicherweise ungerechtfertigten) Vorwurf der Teilnahme an militärischen Übungen in Albanien konfrontiert und in diesem Zusammenhang bereits einer Polizeiaktion mit Gewaltanwendung ausgesetzt war, schließt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft nicht aus, weil damit noch nicht gesagt ist, daß die allenfalls vom Beschwerdeführer zu erwartenden Sanktionen ihre Grundlage allein in strafrechtlichen Belangen, nicht aber auch in solchen hätten, die als Konventionsgründe zu werten sind. Einer allfälligen strafrechtlichen Verfolgung wäre der Charakter einer asylrelevanten Verfolgung aus Konventionsgründen (hier aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der ethnischen Albaner im Kosovo) nur dann genommen, wenn die Durchführung des (polizei)behördlichen Ermittlungsverfahrens bzw. eines allfälligen behördlichen oder gerichtlichen Strafverfahrens nach rechtsstaatlichen Prinzipien gewährleistet wäre, weil erst dadurch der Aspekt einer mit Konventionsgründen im Zusammenhang stehenden Verfolgung derart in den Hintergrund treten würde, daß von asylrelevanter Verfolgung nicht mehr die Rede sein könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 1995, Zl. 95/20/0028 mwN.). Der Beschwerdeführer hat insbesondere in seiner Berufung in Abrede gestellt, in seinem Heimatland die Gewähr für ein rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechendes behördliches Ermittlungs- und allfällig anschließendes gerichtliches Strafverfahren zu haben, weil Geständnisse unter Folter in Polizeihaft erzwungen würden und serbisches Prozeßrecht zum Schutz von Angeklagten nicht im Verfahren zur Anwendung gelange. Bei Zutreffen dieser Behauptungen wäre es dem Beschwerdeführer aber nicht zumutbar gewesen, sich einem von vornherein als zu Zwecken der Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der ethnischen Albaner im Kosovo mißbrauchten parteilichen Verfahren zu stellen. Die belangte Behörde hat in Verkennung der Rechtslage diesbezügliche Ermittlungen nicht durchgeführt bzw. nicht zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogen.
Indem die belangte Behörde vermeinte, aus den vom Beschwerdeführer vorgebrachten ihm widerfahrenen Ereignissen keine asylrechtlich relevante Verfolgung ableiten zu können, hat sie die Rechtslage verkannt und deshalb eine Befassung mit der behaupteten Inhaftierung des Bruders des Beschwerdeführers und mit Punkt II c) der von der belangten Behörde beigeschafften Äußerung der österreichischen Botschaft Belgrad vom 23. Juni 1997 unterlassen sowie von Ermittlungen zur tatsächlichen Durchführung von Erhebungsverfahren serbischer Behörden und zum Ablauf von Gerichtsverfahren in der Heimat des Beschwerdeführers abgesehen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. Oktober 1998
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