VwGH 97/19/0731

VwGH97/19/073122.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, in der Beschwerdesache der 1978 geborenen ST in Wien, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres 1.) vom 27. Jänner 1997, Zl. 121.124/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, sowie 2.) vom 19. Juni 1997, Zl. 121.124/8-III/11/97, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens in Angelegenheiten einer Aufenthaltsbewilligung, den Beschluß gefaßt:

Normen

B-VG Art131 Abs1 Z1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §56;
VwGG §58 Abs2 idF 1997/I/088;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §56;
VwGG §58 Abs2 idF 1997/I/088;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als gegenstandslos geworden erklärt und die Verfahren eingestellt.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

Mit dem Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Jänner 1997 wurde die von der Beschwerdeführerin beantragte Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgewiesen. Die belangte Behörde begründete den erstangefochtenen Bescheid damit, daß die Beschwerdeführerin am 16. Dezember 1996 den Entschluß gefaßt habe, sich ihres (ca. zwei Wochen alten) Sohnes zu entledigen. Sie sei mit ihrem Kind zum Donaukanal, etwa zwei Minuten Gehweg von ihrer Wohnung, gegangen und habe das Kind dort über eine Mauer ins Wasser geworfen. Die Beschwerdeführerin sei geständig ihren Sohn getötet zu haben. Aufgrund des der Beschwerdeführerin vorgeworfenen und objektiv vorliegenden Sachverhaltes liege für die Berufungsbehörde jedenfalls der Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor und könne ihr daher keine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Es stehe außer Zweifel, daß damit ein Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden sei. Bei Abwägung der privaten Interessen mit den öffentlichen im Sinne des Art. 8 MRK sei für die Berufungsbehörde auch wesentlich gewesen, daß es sich im Fall der Beschwerdeführerin um einen Erstantrag gehandelt habe und daher noch keine Integration im Bundesgebiet vorliege, weshalb den öffentlichen Interessen Priorität einzuräumen gewesen sei. Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu hg. Zl. 97/19/0731 erhobene Beschwerde.

Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Juni 1997 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 20. Mai 1997 auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 AVG abgewiesen. Die Beschwerdeführerin hatte ihren Antrag darauf gestützt, daß mit Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 23. April 1997, Zl. 11 Vr 841/97, das gegen sie geführte Strafverfahren gemäß § 109 Abs. 1 StPO eingestellt worden sei. Das eingeholte Gutachten des Gerichtssachverständigen habe ergeben, daß die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Tat nicht schuldfähig gewesen sei. Die belangte Behörde stellte im zweitangefochtenen Bescheid fest, daß sich an dem von der Behörde im erstangefochtenen Bescheid festgestellten und objektiv vorliegenden Sachverhalt, wonach die Beschwerdeführerin ihr Kind getötet habe, durch den Beschluß des Jugendgerichtshofes nichts geändert habe. Die Beurteilung, ob die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Tatbegehung zurechnungsfähig bzw. zurechnungsunfähig gewesen sei, obliege nicht der Verwaltungsbehörde. Unabhängig davon, daß das Gerichtssachverständigengutachten ergeben habe, daß die Beschwerdeführerin zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig gewesen sei, sei das objektive Tatbild der Tötung eines Menschen gegeben und ausschließlich darauf habe sich die Behörde im (den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung) abweisenden Bescheid vom 27. Jänner 1997 gestützt. Demnach könne die Vorlage des Einstellungsbeschlusses des Jugendgerichtshofes zu keinem im Hauptstück des Spruches anderslautenden Bescheid führen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu hg. Zl. 97/19/1288 protokollierte Beschwerde.

Mit Schriftsätzen je vom 16. April 1998 erklärte die Beschwerdeführerin in beiden obgenannten Verfahren klaglos gestellt zu sein, da ihr zwischenzeitlich eine Niederlassungsbewilligung erteilt worden sei.

Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluß als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, daß der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde.

Bei einer Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG ist unter einer "Klaglosstellung" nach § 33 Abs. 1 und § 56 erster Satz VwGG nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides - im besonderen durch die belangte Behörde oder die allenfalls in Betracht kommende Oberbehörde oder durch den Verfassungsgerichtshof - eingetreten ist (vgl. dazu den Beschluß eines verstärkten Senates vom 9. April 1980, Slg. Nr. 10.092/A).

§ 33 Abs. 1 VwGG ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Beschluß vom 9. April 1980, darlegte, z.B. auch dann vor, wenn der Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat (vgl. unter vielen den hg. Beschluß vom 23. Februar 1996, Zl. 95/17/0026). Ob in letzerem Sinn das rechtliche Interesse eines Beschwerdeführers weggefallen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof nach objektiven Kriterien zu prüfen; er ist nicht an die Erklärung des Beschwerdeführers gebunden, dieser habe das rechtliche Interesse an seiner Beschwerde verloren. Andernfalls wäre es in die Hand einer beschwerdeführenden Partei gegeben, anstelle einer Zurückziehung der Beschwerde auf eine Gegenstandslosigkeitserklärung auszuweichen und damit die Kostenfolgen einer Zurückziehung zu vermeiden (vgl. hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1991, Zl. 88/07/0061).

Im Hinblick auf das geschilderte Verwaltungsgeschehen besteht für die Beschwerdeführerin - auch unter Berücksichtigung ihrer Erklärung, klaglos gestellt zu sein - kein rechtliches Interesse mehr an Sacherledigungen des Verwaltungsgerichtshofes in den vorliegenden Beschwerdesachen. Die Beschwerden waren daher in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und die Verfahren einzustellen.

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 88/1997 ist bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei einer Beschwerde nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt hinsichtlich beider Verfahren den Standpunkt, daß die Entscheidung über die Kosten angesichts der vorliegenden außergewöhnlichen Fallgestaltung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, zumal weder die Ansicht der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe durch den von ihr verwirklichten Sachverhalt die Gefährdungsprognose des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG erfüllt, noch die Ansicht der Beschwerdeführerin, wonach diese Gefährdungsprognose aus einem ihr mangels Zurechnungsfähigkeit nicht vorwerfbaren Verhalten nicht abgeleitet werden könne, ohne nähere Prüfung als unzutreffend erscheint. Dies gilt auch für das Wiederaufnahmeverfahren. Der Verwaltungsgerichtshof hat daher nach freier Überzeugung entschieden, daß kein Aufwandersatz zugesprochen wird (§ 58 Abs. 2

zweiter Halbsatz VwGG in der Fassung des Art. II Z. 14 BGBl. I. Nr. 88/1997).

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