VwGH 96/11/0356

VwGH96/11/035619.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Heinz Wille, Rechtsanwalt in Wien IX, Ferstelgasse 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 12. November 1996, Zl. 10.301/86-1.6/96, betreffend Aussetzung eines Verfahrens nach dem Waffengesetz 1986, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
KriegsmaterialG 1977 §2;
KriegsmaterialG 1977 §7;
VwRallg;
WaffG 1986 §28a Abs1;
WaffG 1986 §28a Abs2;
WaffG 1986 §28a Abs5;
WaffG 1986 §28b;
WaffG 1986 §36 Abs1 Z4;
WaffG 1986 §44 Z3;
WaffG 1986 §4a;
AVG §38;
KriegsmaterialG 1977 §2;
KriegsmaterialG 1977 §7;
VwRallg;
WaffG 1986 §28a Abs1;
WaffG 1986 §28a Abs2;
WaffG 1986 §28a Abs5;
WaffG 1986 §28b;
WaffG 1986 §36 Abs1 Z4;
WaffG 1986 §44 Z3;
WaffG 1986 §4a;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe an die belangte Behörde vom 1. Dezember 1994 begehrte der Beschwerdeführer die Feststellung, ob es sich bei näher bezeichneten, in seinem Besitz befindlichen Gegenständen um Kriegsmaterial handle, und gegebenenfalls die Erteilung einer Bewilligung zu deren Besitz. In seiner Stellungnahme vom 24. Juni 1996 zu einem von der belangten Behörde eingeholten Gutachten eines waffentechnischen Sachverständigen, in welchem die Objekte als Kriegsmaterial eingestuft wurden, vertrat der Beschwerdeführer die gegenteilige Auffassung. Dementsprechend sei für deren Besitz eine Ausnahmebewilligung nach dem Waffengesetz 1986 nicht erforderlich. Er stellte abschließend den Antrag festzustellen, daß es sich hiebei nicht um Kriegsmaterial im Sinne dieses Gesetzes handle.

Mit dem angefochtenen Bescheid setzte die belangte Behörde das bei ihr anhängige Verfahren gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des beim Landesgericht für Strafsachen Wien gegen den Beschwerdeführer unter der angegebenen Aktenzahl anhängigen Strafverfahrens aus.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde begründet die Aussetzung des Verfahrens damit, daß die Kriegsmaterialeigenschaft der Objekte auch ein Kriterium für eine allfällige Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Strafgericht nach § 7 des Bundesgesetzes über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial, BGBl. Nr. 540/1977 (KriegsmaterialG), sei. Die Aussetzung des bei ihr anhängigen Verfahrens liege daher im Sinne der Verfahrensökonomie.

Der Beschwerdeführer steht demgegenüber auf dem Standpunkt, daß die Frage der Kriegsmaterialeigenschaft der Gegenstände als Hauptfrage von der belangten Behörde und nicht vom Strafgericht zu entscheiden sei; dessen Entscheidung wäre für die belangte Behörde nicht präjudiziell.

Die Aussetzung eines Verfahrens setzt gemäß § 38 AVG unter anderem voraus, daß die Behörde eine Vorfrage zu beurteilen hat, die als Hauptfrage von einer anderen Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu entscheiden ist. Unter einer Vorfrage im Sinne dieser Bestimmung ist eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren zu entscheiden ist. Die Beantwortung der Vorfrage liefert ein unentbehrliches Tatbestandsmoment für die Entscheidung in der Hauptsache. Die Vorfrage muß möglicher Gegenstand eines rechtsfeststellenden oder rechtsgestaltenden Abspruchs, der als Hauptfrage einer anderen Behörde (oder derselben Behörde in einem anderen Verfahren) aufgetragen ist, sein (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E.5 zu § 38 AVG angeführte ständige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtshofes).

Die in den Eingaben des Beschwerdeführers vom 1. Dezember 1994 und vom 24. Juni 1996 gestellten Anträge richten sich an die für den Vollzug der Regelungen des Waffengesetzes 1986 über Kriegsmaterial zuständige belangte Behörde (§§ 28a, 28b, 44 Z. 3) und erfordern die Entscheidung darüber, ob es sich bei den betreffenden Objekten überhaupt um Kriegsmaterial im Sinne des Waffengesetzes 1986 handelt, und ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 28a dieses Gesetzes gegeben sind. Dies bildet die von der belangten Behörde zu entscheidende Verwaltungssache und damit die Hauptfrage im Sinne des § 38 AVG. Nur insoweit, als die belangte Behörde hiebei nach dem für ihre Entscheidung maßgeblichen gesetzlichen Tatbestand einen Umstand zu beurteilen hat, der für sie bloß Tatbestandsmerkmal, für eine andere Behörde (Gericht) aber vollständiger Tatbestand (Hauptfrage) ist, liegt eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG vor (vgl. zu den Begriffen Hauptfrage und Nebenfrage sowie ihrem Verhältnis zueinander Walter/Thienel, aaO Anm. 1 zu § 38).

Nach der Definition des § 4a Waffengesetz 1986 sind Kriegsmaterial im Sinne dieses Bundesgesetzes die aufgrund des § 2 KriegsmaterialG durch Verordnung bestimmten Waffen, Munitions- und Ausrüstungsgegenstände. Nach § 2 KriegsmaterialG ist es Aufgabe der Bundesregierung, im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates durch Verordnung zu bestimmen, welche Waffen, Munitions- und Ausrüstungsgegenstände als Kriegsmaterial im Sinne dieses Bundesgesetzes anzusehen sind.

§ 28a Abs. 1 Waffengesetz 1986 statuiert das Verbot des Erwerbes, Besitzes und Führens von Kriegsmaterial. Nach dem Abs. 2 dieses Paragraphen setzen Ausnahmebewilligungen unter anderem voraus, daß der Antragsteller verläßlich ist. Die Erteilung von Ausnahmebewilligungen und deren Widerruf obliegen gemäß § 28a Abs. 5 Waffengesetz 1986 dem Bundesminister für Landesverteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Inneres.

Wer Kriegsmaterial unbefugt erwirbt, besitzt oder führt, ist gemäß § 36 Abs. 1 Z. 4 Waffengesetz 1986 vom Gericht zu bestrafen. Die entsprechende gerichtliche Strafbestimmung für die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial ohne die dafür erforderliche Ausnahmebewilligung des Bundesministers für Inneres findet sich im § 7 KriegsmaterialG.

Aus diesen Regelungen ergibt sich, daß nicht nur die Entscheidung über Anträge auf Erteilung einer Bewilligung zum Erwerb, Besitz oder Führen von Kriegsmaterial, sondern auch die bescheidmäßige Feststellung der Kriegsmaterialeigenschaft im Einzelfall von der belangten Behörde zu treffen ist. Der Bundesregierung obliegt im gegebenen Zusammenhang nur die generelle, durch Verordnung vorzunehmende Bestimmung, welche Waffen, Munitions- oder Ausrüstungsgegenstände als Kriegsmaterial anzusehen sind. Die Strafgerichte haben darüber zu entscheiden, ob ein bestimmter Sachverhalt den Tatbestand des § 7 Abs. 1 KriegsmaterialG oder des § 36 Abs. 1 Z. 4 Waffengesetz 1986 verwirklicht. Bei dieser Entscheidung ist als ein Element des von den Gerichten zu prüfenden Tatbestandes zu beurteilen, ob die betreffenden Gegenstände Kriegsmaterial sind. Dabei handelt es sich im Sinne des § 38 AVG lediglich um die Beurteilung einer Vorfrage. Deren Entscheidung als Hauptfrage fällt, wie vorhin dargelegt, im gegebenen Zusammenhang in die Zuständigkeit der belangten Behörde. Dementsprechend wäre, wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, die Entscheidung der belangten Behörde darüber für das Strafgericht bindend, nicht aber umgekehrt, weil es sich bei der Lösung dieser Frage durch das Strafgericht eben nur um die Beurteilung einer Vorfrage für die von ihm zu treffende Entscheidung handelt.

Für den Standpunkt der belangten Behörde ist auch mit dem in der Gegenschrift (Seite 16) vorgetragenen Argument nichts zu gewinnen, daß eine strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen unbefugten Erwerbes und Besitzes von Kriegsmaterial jedenfalls ein maßgebliches tatbestandsmäßiges Kriterium für die Entscheidung über den Bewilligungsantrag wäre, weil in diesem Fall seine Verläßlichkeit zu verneinen wäre. Richtig ist, daß die Verläßlichkeit des Antragstellers tatbestandsmäßige Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung für Kriegsmaterial nach dem Waffengesetz 1986 ist und demnach eine gerichtliche Bestrafung nach diesem Gesetz oder dem KriegsmaterialG von maßgeblicher Bedeutung für die Bejahung oder Verneinung der Verläßlichkeit sein kann. Von einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG könnte im gegebenen Zusammenhang aber nur dann die Rede sein, wenn nach dem für die Entscheidung der belangten Behörde maßgebenden gesetzlichen Tatbestand zu prüfen wäre, ob der Beschwerdeführer eine gerichtlich strafbare Handlung nach den genannten Gesetzen begangen hat. Das ist nicht der Fall. Das Gesetz stellt nicht auf eine solche Verurteilung, sondern auf das Vorliegen der Verläßlichkeit des Beschwerdeführers ab. Bei deren Beurteilung kann zwar im Ergebnis auch die Begehung eines gerichtlich strafbaren Verstoßes gegen die genannten Gesetze von Bedeutung sein. Es handelt sich dabei aber entgegen der Ansicht der belangten Behörde jedenfalls nicht um ein für ihre Entscheidung unentbehrliches Tatbestandsmoment.

Aufgrund der unzutreffenden Auffassung, daß es sich bei der vom Strafgericht zu treffenden Entscheidung um die Entscheidung einer für die belangte Behörde präjudiziellen Vorfrage handle, entspricht die mit dem angefochtenen Bescheid verfügte Aussetzung des Verfahrens nicht dem Gesetz. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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