VwGH 96/03/0258

VwGH96/03/025817.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Gruber, Dr. Gall und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des H S und der M S, beide in H, beide vertreten durch Dr. Josef Broinger, Dr. Johannes Hochleitner, Dr. Erich Kaltenbrunner und Mag. Günther Eybl, Rechtsanwälte in 4070 Eferding, Kirchenplatz 8, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 24. Juni 1996, Zl. VI/4-J-129/5, betreffend Bewilligung eines Zuchtgeheges, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Hinsichtlich der Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 20. September 1995, Zl. 94/03/0114, verwiesen, mit dem der Bescheid der belangten Behörde vom 28. März 1994, soweit er den Auftrag auf Entfernung von Einfriedungen betraf, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, im übrigen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 24. Juni 1996 wurde der erstinstanzliche Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 30. Juni 1993 - mit welchem das Ansuchen der Beschwerdeführer um Bewilligung eines Zuchtgeheges für Gemsen im Bereich der Parzellen Nr. 96/1, 96/2, 78/1 und 78/2, KG Oisberg, abgewiesen worden war - aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde verwiesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, beantragen.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid im wesentlichen damit, daß auf Grund der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 1995 neuerlich über die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom "20. Juni 1993" (gemeint: 30. Juni 1993) zu entscheiden sei. In dieser Berufung sei zum Antrag der Beschwerdeführer auf Bewilligung nach § 7 Abs. 2 des NÖ Jagdgesetzes (JG) vorgebracht worden, daß sie ein Zuchtgehege für Gamswild zum Zwecke der Abgabe lebender Zuchtprodukte an Wildgehege oder in die freie Wildbahn errichten wollten. Den Beschwerdeführern sei mitgeteilt worden, daß ein Zuchtprogramm für die Gemsenzucht in diesem Gehege fehle. Bei allen im § 7 Abs. 4 JG angeführten Zuchtzwecken müsse es sich jedenfalls auf Grund des Gesetzes um die Zucht hochwertigen Wildes unter Bedachtnahme auf Auslesegrundsätze "(Zuchtprogramm)" handeln. Ein bloßes sich Vermehren der Tiere reiche nicht aus. Um das Vorliegen einer konkreten Zuchtabsicht beurteilen zu können, sei die Vorlage eines Zuchtprogrammes erforderlich. Die Beschwerdeführer hätten in ihrer Stellungnahme jedoch nur vorgebracht, gesunde und gute Trophäenträger für Gatter und die freie Wildbahn aufziehen zu wollen. Ein Zuchtprogramm müsse aber zumindest ein Zuchtziel, eine Zuchtmethode, genaue Angaben über die Zuchtpopulation und Art und Umfang der Leistungsprüfung unabhängig davon enthalten, ob Wild nach Auslesungsgrundsätzen bei der Zucht hochwertigen Wildes für Wildforschungszwecke oder zum Zweck der Abgabe lebender Zuchtprodukte gehalten werden solle. Diesen Anforderungen seien die Beschwerdeführer in ihrem Antrag und auch in ihrer Berufung nicht nachgekommen. Aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Mai 1994, Zl. 92/10/0458, gehe hervor, daß hinsichtlich der Parzelle Nr. 78/1 eine Rodungsbewilligung nicht erteilt wurde; auch dies sei zu berücksichtigen.

Daß mit einer Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides vorgegangen werde, begründete die belangte Behörde wie folgt:

"Da mit einer Abweisung des Antrages auf Bewilligung eines Zuchtgeheges untrennbar auch die Entfernung der bereits errichteten Einzäunung verbunden ist und eine solche, wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, nicht in die funktionelle Zuständigkeit der Berufungsbehörde fällt, war der angefochtene Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die Behörde I. Instanz zu verweisen."

Die Beschwerdeführer rügen in ihrer Beschwerde insbesondere die unrichtige Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch die belangte Behörde. Damit sind sie im Recht.

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Warum die belangte Behörde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in erster Instanz für erforderlich hielt, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt. Entgegen ihrer Auffassung ist der Umstand, daß - wie der Verwaltungsgerichtshof im eingangs genannten Erkenntnis ausgesprochen hat - sie für die Entscheidung über die Entfernung einer bereits errichteten Einzäunung nicht zuständig ist, kein Hindernis, über den Antrag der Beschwerdeführer auf Bewilligung eines Zuchtgeheges zu entscheiden. Es ist keine Grundlage dafür zu erkennen, daß es der Erstbehörde versagt wäre, nach Erledigung des Antrages auf Bewilligung des Zuchtgeheges durch die belangte Behörde gesondert über die Frage der Entfernung der bereits errichteten Einzäunung zu entscheiden.

Sollte die belangte Behörde - unter gesamter Würdigung der Begründung des angefochtenen Bescheides, denn expressis verbis ist dies nicht erkennbar - die Auffassung vertreten haben, daß die Frage des Zuchtzieles und des Zuchtprogrammes eine mündliche Verhandlung in erster Instanz erforderlich machen würde, so läge einer solchen Schlußfolgerung die Beurteilung zugrunde, daß das Vorbringen der Beschwerdeführer unvollständig sei. Auch dies wäre aber kein Grund für eine Aufhebung gemäß § 66 Abs. 2 AVG. Denn der Berufungsbehörde ist eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann gestattet, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich ist, somit nur dann, wenn sich der Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben läßt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 13. Jänner 1988, Zl. 87/03/0011, und vom 18. Jänner 1994, Zl. 93/05/0220, mit weiteren Judikaturhinweisen). In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde immer in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Instanz oder selbst vorzunehmen, und zwar selbst dann, wenn von der Vorinstanz kein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden wäre, was jedoch im gegebenen Fall ohnehin nicht zutrifft.

Daß die belangte Behörde ausgehend von dieser Rechtslage nicht imstande gewesen wäre, ohne mündliche Verhandlung in erster Instanz den Sachverhalt zu ergänzen oder warum das von ihr angestrebte Ziel nicht auch durch eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens hätte erreicht werden können, legt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht dar.

Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift auf Fragen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Populationsdichte hinweist und meint, daß dies nur "nach Durchführung einer neuerlichen mündlichen Verhandlung mit Lokalaugenschein überprüft" werden könne, ist ihr - abgesehen davon, daß Ausführungen in der Gegenschrift eine fehlende Begründung im angefochtenen Bescheid nicht zu ersetzen vermögen - zu entgegnen, daß auch diesbezüglich kein Grund ersichtlich ist, warum diese Frage nicht durch ein ergänzendes Sachverständigengutachten hätte geklärt werden können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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