VwGH 96/02/0253

VwGH96/02/025319.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Riedinger und und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde der A in Kirchbichl, vertreten durch Dr. Ingrid Hochstaffl-Salcher, Rechtsanwalt in Wörgl, Bahnhofstraße 37, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 1. April 1996, Zl. Senat ME-95-006, betreffend Zurückweisung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung wegen Übertretung der StVO, zu Recht erkannt:

Normen

VStG §24;
ZustG §4;
ZustG §7;
ZustG §8 Abs1;
VStG §24;
ZustG §4;
ZustG §7;
ZustG §8 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Melk (kurz: BH) erließ gegen die Beschwerdeführerin eine mit 17. Dezember 1993 datierte Strafverfügung, in welcher der Beschwerdeführerin zwei Übertretungen der StVO mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeug auf einem näher bezeichneten Streckenabschnitt der Westautobahn (A 1) zur Last gelegt wurden. Diese Strafverfügung wurde nach einem erfolglosen ersten Zustellversuch an einer näher genannten Anschrift der Beschwerdeführerin in Wörgl am 21. Dezember 1993 und einem zweiten Zustellversuch am 22. Dezember 1993 am zuletzt genannten Tag beim Postamt Wörgl hinterlegt und von der Beschwerdeführerin innerhalb der Abholfrist nicht abgeholt.

Mit Schreiben vom 24. März 1994 teilte die Beschwerdeführerin der BH unter Angabe ihrer Anschrift in Wörgl und unter Bezugnahme auf eine "1. Mahnung" mit, sie habe die Strafverfügung vom 17. Dezember 1993 nicht übernehmen können, weil sie vom 18. bis 30. Dezember 1993 bei ihrer Mutter in Leonding/Oberösterreich und anschließend bis zum 18. Jänner 1994 in der Karibik gewesen sei. In diesem Schreiben gab sie den Namen und die Anschrift der Mutter bekannt und legte den Flugschein über die behauptete Fernreise bei.

Die BH erstellte daraufhin eine neue, mit 29. März 1994 datierte Strafverfügung bezüglich des Vorfalles vom 30. September 1993 und gab diese adressiert an die der Behörde bekannte Anschrift der Beschwerdeführerin in Wörgl am selben Tag noch zur Post. Diese Strafverfügung wurde am 1. April 1994 beim Postamt Wörgl nach erfolglosem zweiten Zustellversuch hinterlegt.

Mit Eingabe vom 25. April 1994 erhob die nunmehr rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin Einspruch gegen die zuletzt genannte Strafverfügung. In diesem Einspruch teilte die Beschwerdeführerin der Behörde mit, sie habe sich am 22. März 1994 in Wörgl abgemeldet und sei nach Kufstein verzogen. Am 14. April 1994 habe ihr der (Noch-)Ehemann, der weiterhin in Wörgl wohne, mitgeteilt, daß ein Rückscheinbrief für sie beim Postamt hinterlegt worden sei.

Am folgenden Tag (15. April 1994) habe die Beschwerdeführerin diesen Brief von der Post abgeholt. Die Einspruchsfrist habe daher nach § 7 Zustellgesetz mit dem Tag der Abholung zu laufen begonnen, sodaß der Einspruch fristgerecht erfolgt sei.

Die BH hielt der Beschwerdeführerin in der Folge im Rechtshilfeweg die ihrer Ansicht nach vorliegende Verspätung des Einspruches vor und bot ihr Gelegenheit zur Akteneinsicht. Mit Bescheid vom 20. Dezember 1994 wies die BH gemäß § 49 Abs. 3 VStG "i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG" den Einspruch als verspätet zurück.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 1. April 1996 gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung führte die belangte Behörde unter anderem aus, die Beschwerdeführerin selbst habe den Aufenthalt an der Adresse in Kufstein nicht als eine bloß vorübergehende Ortsabwesenheit, sondern als eine "echte Änderung der Abgabestelle auf Dauer" dargestellt. Weil die Beschwerdeführerin ihrer daraus entstandenen Verpflichtung (§ 8 Zustellgesetz), der Behörde die Änderung der Abgabestelle mitzuteilen, nicht nachgekommen sei, sei die Zustellung der Strafverfügung (vom 29. März 1994) an der Adresse in Wörgl rechtswirksam geworden und der mit 25. April 1994 datierte Einspruch zu Recht als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof; dieser hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin wendet in der Beschwerde unter anderem ein, die Strafverfügung der BH "vom 1994-12-20" (gemeint wohl: vom 29. März 1994) sei gemäß § 17 Zustellgesetz am 1. April 1994 beim Postamt Wörgl hinterlegt worden, obwohl zu diesem Zeitpunkt in Wörgl für die Beschwerdeführerin keine Abgabestelle (mehr) im Sinne des § 4 Zustellgesetz gegeben gewesen sei. Diese Hinterlegung sei daher nicht rechtswirksam gewesen. Die belangte Behörde hätte der Berufung der Beschwerdeführerin stattgeben und erkennen müssen, daß der Einspruch gegen die Strafverfügung rechtzeitig erfolgt sei. Gemäß § 7 Zustellgesetz beginne nämlich im Falle der Heilung von Zustellmängeln die Frist ab dem Tag zu laufen, an dem die Beschwerdeführerin die Strafverfügung tatsächlich behoben habe.

Selbst im Falle der Verletzung der gemäß § 8 Zustellgesetz der Beschwerdeführerin auferlegten Mitteilungspflicht wäre eine Ersatzzustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch erst dann mit der "Wirkung der Zustellung ausgestattet" gewesen, wenn die Behörde eine derartige Hinterlegung ohne Zustellversuch "ausdrücklich angeordnet" hätte. Eine derartige Anordnung sei jedoch von der Behörde nicht verfügt worden.

Gemäß § 8 Abs. 1 Zustellgesetz hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz, soweit die Verfahrensvorschriften nichts anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten geht hervor, daß die Behörde keine Zustellung der Strafverfügung vom 29. März 1994 nach § 8 Abs. 2 Zustellgesetz verfügt hat, sodaß eine Anwendung dieser Vorschrift im Beschwerdefall nicht in Betracht kommt.

Aufgrund der Mitteilung der Beschwerdeführerin vom 24. März 1994 ging die BH und offenbar auch die belangte Behörde von der Unwirksamkeit der zunächst erfolgten Hinterlegung infolge der von der Beschwerdeführerin bekanntgegebenen Ortsabwesenheit im Dezember 1993/Jänner 1994 bezüglich der Strafverfügung vom 17. Dezember 1993, die am 22. Dezember 1993 beim Postamt Wörgl erfolgte, aus.

Aus dem Inhalt des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 24. März 1994, in dem diese auch auf ein Telefonat mit der BH vom 18. März 1994 Bezug nimmt, ist zu ersehen, daß die Beschwerdeführerin über die Anhängigkeit eines bei der BH gegen sie laufenden Verwaltungsstrafverfahrens (betreffend den Vorfall vom 30. September 1993) informiert war.

Unter Wohnung - somit Abgabestelle im Sinne des § 4 Zustellgesetz - ist jene Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich benützt, wo er also wohnt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1995, Zl. 95/21/0109 mwN). Durch die von der Beschwerdeführerin behauptete Übersiedlung am 22. März 1994 von Wörgl nach Kufstein, die auch von der Behörde nicht in Zweifel gezogen wird, verlor jedoch diese Wohnung ihre Eigenschaft als Abgabestelle bezüglich der Beschwerdeführerin. Der Verwaltungsgerichtshof hat - nicht zuletzt aufgrund des bereits dargestellten und an die BH gerichteten Schreibens der Beschwerdeführerin vom 24. März 1994 - davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin während des anhängigen und ihr auch bekannt gewesenen Verwaltungsstrafverfahrens der BH betreffend den Vorfall vom 30. September 1993 die Abgabestelle in Wörgl aufgegeben hat. Dies hätte sie aber gemäß § 8 Abs. 1 Zustellgesetz der Behörde unverzüglich mitteilen müssen. Die Beschwerdeführerin stellt selbst nicht in Abrede, eine solche Mitteilung unterlassen zu haben.

Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde auf Grund der am Rückschein lediglich mit Datum 1. April 1994 vermerkten Hinterlegung keine Veranlassung, an einer "rechtswirksamen Zustellung" der Strafverfügung vom 29. März 1994 durch Hinterlegung zu zweifeln, zumal sich auf dem Rückschein, auf dem die am 1. April 1994 erfolgte Hinterlegung vom Postamt bestätigt wurde, kein Hinweis auf die nach Behauptung der Beschwerdeführerin erfolgte Aufgabe der Abgabestelle in Wörgl - etwa durch den Vermerk "Empfänger verzogen" - findet.

Daß die Änderung der Abgabestelle aufgrund des postalischen Vermerkes nicht erkennbar war, geht zu Lasten der Beschwerdeführerin; mit der Unterlassung der ihr oblegenen Mitteilung der Änderung der Abgabestelle trägt sie die Gefahr, daß Zustellungen an die frühere Abgabestelle durchgeführt werden und die Behörde diese Änderung nicht ohne Schwierigkeiten erkennen kann (vgl. etwa den hg. Beschluß vom 22. Mai 1986, VwSlg. 12152/A).

Die Unterlassung der Mitteilung der Aufgabe der Abgabestelle in Wörgl hatte zur Folge, daß an diese Abgabestelle zugestellt werden konnte, gleichgültig wo sich die Beschwerdeführerin befunden hat und welche Abgabestelle für sie zu diesem Zeitpunkt sonst in Betracht gekommen wäre (vgl. den vorzitierten hg. Beschluß vom 22. Mai 1986 sowie den hg. Beschluß vom 9. März 1998, Zl. 96/10/0112, und das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1996, Zl. 95/20/0129).

Im Hinblick auf die bereits mit 1. April 1994 rechtswirksame Zustellung der Strafverfügung vom 29. März 1994 durch Hinterlegung ist daher die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht von der verspäteten Erhebung eines Einspruches gegen diese Strafverfügung ausgegangen, weshalb sich die Beschwerde als unbegründet erweist und gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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