VwGH 95/12/0349

VwGH95/12/034916.12.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwalt in Wien I, Stubenring 20, gegen den Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 7. November 1995, Zl. MA 2/64/94, betreffend Zurechnung nach § 9 Abs. 1 der Pensionsordnung 1995, zu Recht erkannt:

Normen

PensionsO Wr 1995 §9 Abs1;
PensionsO Wr 1995 §9 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Stadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die 1948 geborene Beschwerdeführerin steht seit 1. Juli 1993 in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zur Stadt Wien. Vor ihrer von Amts wegen erfolgten Ruhestandsversetzung war sie als Kindergartenhelferin, zuletzt im Schema I der Verwendungsgruppe 3 P, tätig.

Im Ruhestandsversetzungsverfahren waren auf Grund des (orthopädischen) Gutachtens des Amtssachverständigen der MA 15 (Gesundheitsamt) Dr. Pr. vom 10. Februar 1993 bei der Beschwerdeführerin chronisch rezidivierende Dorsolumbalgie und muskuläre Insuffizienz diagnostiziert worden. Nach diesem Gutachten liege das Hauptproblem jedoch in der psychischen Erkrankung der Beschwerdeführerin. Vom rein orthopädischen Gesichtspunkt aus wäre durch eine gezielte Physiotherapie und Heilgymnastik eine Besserung möglich. Aus diesem Grund sei auch orthopädischerseits die Zurechnung nach § 9 der (damals geltenden) Pensionsordnung 1966 (PO 1966) nicht gerechtfertigt.

Der Amtssachverständige Dr. B. stellte in seinem psychiatrischen Gutachten vom 18. Februar 1993 fest, bei der vorgenommenen Exploration fänden sich zunächst einmal durchaus demonstrative Züge (nachdem die Beschwerdeführerin Platz genommen und noch bevor sie ein Wort gesagt habe, habe sie zunächst einmal geweint!). Bei recht bescheidener psychischer Strukturierung finde sich ein neurotisch gelagertes depressives Syndrom ohne jegliche endogene Komponenten. Die Beschwerdeführerin sei sowohl allgemein motorisch als auch psychomotorisch etwas unruhig, auf die Affektlabilität sei bereits eingegangen worden. Zusammenfassend finde sich ein demonstrative Züge zeigendes neurotisch-depressives Syndrom bei einfacher Persönlichkeitsstruktur. Die Frage nach der Prognose könne der Gutachter nur rhetorisch verstehen (alle pragmatisierten Beamten, die nicht arbeiten wollten, hätten sozusagen eine schlechte Prognose!), sodaß man so betrachtet eine ersprießliche Dienstleistung nicht mehr erwarten dürfe. Für die Anwendung des § 9 (PO 1966) gebe es aus nervenärztlicher Sicht keine Begründung.

Gestützt auf diese beiden Gutachten, zu denen der Beschwerdeführerin im Ruhestandsversetzungsverfahren die Möglichkeit der Einsichtnahme eröffnet worden war, führte die MA 15 in ihrer an die Dienstbehörde erster Instanz gerichteten Stellungnahme vom 19. April 1993 (verfaßt von Dr. M.) aus, auf Grund des körperlichen Leidens seien Heben und Tragen von Lasten über 10 kg und längere Zwangshaltung nach Möglichkeit zu vermeiden. Eine (an sich mögliche) Besserung werde durch neurotische Mechanismen verhindert. Wegen der neurotischen Depression seien psychisch besonders belastende Tätigkeiten wie Nacht- oder Akkordarbeit abzulehnen. Wegen einer Sehschwäche links seien Tätigkeiten, die genaues räumliches Sehen erforderten, nicht möglich.

Auf diesem Gutachten beruht die mit Wirkung vom 1. Juli 1993 von Amts wegen ausgesprochene Ruhestandsversetzung der Beschwerdeführerin, die unangefochten blieb.

In der Folge führten die Dienstbehörden ein Verfahren nach § 9 der damals geltenden PO 1966 durch.

In der an die Dienstbehörde erster Instanz gerichteten Stellungnahme der MA 15 vom 5. Juli 1993 (verfaßt von Dr. M.) wurde auf das Augenleiden der Beschwerdeführerin näher eingegangen. Sie weise, vielleicht sogar auch angeboren, eine Fehlsichtigkeit links auf und sei funktionell als einäugig zu betrachten (wird näher ausgeführt). Feine motorische Tätigkeiten, die räumliches Sehen erforderten, seien unmöglich.

Die Dienstbehörde erster Instanz übermittelte mit Schreiben vom 15. Juli 1993 der Beschwerdeführerin eine Ablichtung des amtsärztlichen Gutachtens vom 19. April und 5. Juli 1993 zur Kenntnis.

Mit Schreiben vom 10. August 1993 legte die Beschwerdeführerin das "Nervenärztliche Attest" des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 29. Juli 1993 vor. Dr. S. führte darin aus, die Beschwerdeführerin stehe seit Oktober 1992 in seiner ärztlichen Behandlung. Bei ihr finde sich ein chronifiziertes neurasthenisch/depressives Syndrom. Das Zustandsbild könne als weitgehend chronifiziert bezeichnet werden mit nur geringfügigen Schwankungen in der Befindlichkeit. Seit Beginn der Behandlung bestehe eine antidepressive Therapie. Weiters habe die Beschwerdeführerin auch psycho-therapeutische Therapieversuche unternommen. Als Folge der oben beschriebenen Störung sei eine verminderte Belastbarkeit sowie eine verminderte Frustrationstoleranz mit Sicherheit anzunehmen. In ihrem Begleitschreiben wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dieses Gutachten stehe im Widerspruch zum eingeholten Gutachten der MA 15, weil als Folge der darin beschriebenen Störungen eine verminderte Belastbarkeit sowie eine verminderte Frustrationstoleranz mit Sicherheit anzunehmen sei. Sie beantrage daher die Beiziehung eines gerichtlich beeideten Sachverständigen, in eventu die Ergänzung des Gutachtens der MA 15 unter Berücksichtigung des von ihr nunmehr vorgelegten ärztlichen Attestes.

Über Aufforderung der Dienstbehörde erster Instanz teilte die MA 15 in ihrer Stellungnahme vom 20. September 1993 mit, das von Dr. S. diagnostizierte depressive Syndrom sei bereits im psychiatrischen Gutachten des Amtssachverständigen Dris. B. vom 18. Februar 1993 beschrieben. Das Gutachten vom 5. Juli 1993 bleibe aufrecht.

Über Veranlassung der Dienstbehörde erster Instanz erstellte der allgemein beeidete gerichtliche Sachverständige für Berufskunde Ing. P. sein "Berufskundliches Sachverständigen-Gutachten" vom 22. November 1993 auf der Grundlage der Gutachten der MA 15 vom

22. (richtig wohl 18.) Februar, 19. April, 15. (richtig wohl 5.) Juli und 20. September 1993. Er kam zum Ergebnis, daß eine Arbeitskraft mit der Berufslaufbahn und den Leistungseinschränkungen der Beschwerdeführerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mehrfach die Möglichkeit habe, einer Erwerbstätigkeit im Hilfsarbeiterbereich nachzugehen. Als Verweisungsberufe wurden Bandeinlegerin in der Bekleidungsindustrie, Waschraumwärterin, Werkstättenschreiberin sowie Verpackerin in der Leichtindustrie genannt (wird näher ausgeführt).

In ihrer Stellungnahme vom 5. Jänner 1994 bestritt die Beschwerdeführerin, der dieses berufskundliche Gutachten zur Kenntnis gebracht worden war, die Richtigkeit dieses Sachverständigengutachtens, da der von ihr vorgelegte Befund Dris. S. unberücksichtigt geblieben sei und das berufskundliche Gutachten daher auf einer unrichtigen medizinischen Grundlage aufbaue. Darüber hinaus beantragte sie zum Beweis dafür, daß sie zu keinerlei geregelter Arbeitstätigkeit fähig sei, die Durchführung eines psychologischen Arbeitstestes und die Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie.

Mit Bescheid vom 21. März 1994 sprach die Dienstbehörde erster Instanz aus, daß eine Zurechnung eines Zeitraumes zur ruhegenußfähigen Dienstzeit der Beschwerdeführerin zur Stadt Wien gemäß § 9 PO 1966 nicht verfügt werden könne. Sie stützte sich dabei auf die medizinischen Gutachten der MA 15 vom 19. April, 5. Juli und 20. September 1993 sowie auf das berufskundliche Sachverständigen-Gutachten vom 22. November 1993. Den (medizinischen) Einwendungen der Beschwerdeführerin hielt sie die ergänzende amtsärztliche Stellungnahme vom 20. September 1993 entgegen.

In ihrer Berufung machte die Beschwerdeführerin Verletzung des Parteiengehörs geltend, weil ihr die Stellungnahme vom 20. September 1993 niemals zur Kenntnis gebracht worden sei. Im psychiatrischen Gutachten des Amtssachverständigen Dr. B. vom 18. Februar 1993 sei weder von einer - im von ihr vorgelegten Attest Dris. S. beschriebenen - "verminderten Belastbarkeit" noch von einer "verminderten Frustrationstoleranz" die Rede. Das nervenärztliche Attest Dris. S. weiche damit vom Gutachten der MA 15 ab. Außerdem gehe das psychiatrische Gutachten des Amtssachverständigen Dris. B. vom 18. Februar 1993 davon aus, die Beschwerdeführerin wolle nicht mehr arbeiten. Dies treffe nicht zu:

Auf Grund des chronifizierten neurasthenisch-depressiven Syndroms könne sie einer geregelten Arbeit nicht mehr nachgehen. Zum Beweis dafür beantragte die Beschwerdeführerin die Einholung eines psychologischen Arbeitstests, mit der ihre Behauptung objektiv überprüft werden könne.

Nach Übermittlung der Stellungnahme der MA 15 vom 20. September 1993 wiederholte die Beschwerdeführerin in einer weiteren Eingabe im wesentlichen ihr bisheriges Berufungsvorbringen (insbesondere zum Widerspruch der verschiedenen Gutachten) und ihren Beweisantrag. Diese Stellungnahme der MA 15 sei inhaltlich unrichtig und enthalte bloß eine unüberprüfbare Behauptung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 7. November 1995 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, daß die anzuwendende Rechtsvorschrift § 9 der Pensionsordnung 1995 (PO 1995) zu lauten habe. In der Begründung wies sie nach Darstellung des bisherigen Verwaltungsgeschehens darauf hin, die Verletzung des Parteiengehörs bezüglich der Stellungnahme der MA 15 vom 20. September 1993 sei in der Zwischenzeit saniert worden. Dem von der Beschwerdeführerin behaupteten Widerspruch der amtsärztlichen Gutachten zu dem von ihr vorgelegten Gutachten Dris. S. könne daher nunmehr die amtsärztliche Stellungnahme vom 20. September 1995 entgegengehalten werden. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin liege keine inhaltlich unüberprüfbare Behauptung vor, weil im psychiatrischen Gutachten des Amtssachverständigen Dris. B. vom 18. Februar 1993 ausdrücklich ein neurotisch-depressives Syndrom der Beschwerdeführerin festgestellt worden sei. Die Aussage in der Stellungnahme der MA 15 vom 20. September 1993 sei damit durch bloße Einsichtnahme in das genannte Amtssachverständigen-Gutachten überprüfbar. Richtig sei, daß die im nervenärztlichen Attest von Dr. S. angeführten Folgen der Störung (verminderte Belastbarkeit und verminderte Frustrationstoleranz) im Gutachten des Amtssachverständigen vom 18. Februar 1993 nicht expressis verbis angeführt seien. Die Folgen des festgestellten depressiven Syndroms fänden jedoch im ärztlichen Gutachten vom 19. April 1993 Berücksichtigung (Ablehnung psychisch besonders belastender Tätigkeiten wie Nacht- oder Akkordarbeit). Damit sei offenkundig, daß auch das letztgenannte Gutachten von einer verminderten Belastbarkeit der Beschwerdeführerin ausgehe, weshalb der von ihr behauptete Widerspruch nicht vorliege. Im übrigen sei das nervenärztliche Attest Dris. S. als bloße Bescheinigung ohne jede Begründung nicht geeignet, die schlüssig und widerspruchsfreien amtsärztlichen Gutachten zu widerlegen. In der Folge setzte sich die belangte Behörde mit dem Vorwurf auseinander, der psychiatrische Amtssachverständige Dr. B. sei davon ausgegangen, die Beschwerdeführerin wolle nicht mehr arbeiten. Da sämtliche Gutachten nach Ansicht der belangten Behörde vollständig, logisch nachvollziehbar und widerspruchsfrei seien, der Sachverhalt sohin ausreichend geklärt erscheine, habe es auch nicht der Einholung der von der Beschwerdeführerin beantragten Beweise bedurft. Die Änderung der zitierten Rechtsquelle sei auf Grund der in der Zwischenzeit erfolgten Wiederverlautbarung der PO 1966 erforderlich geworden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Zurechnung einer Zeit gemäß § 9 PO 1966 (nunmehr PO 1995) zu ihrer ruhegenußfähigen Dienstzeit zur Stadt Wien verletzt.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt sie im wesentlichen vor, eine Zurechnung nach § 9 PO 1995 könne nur dann verfügt werden, wenn es der Beschwerdeführerin aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei, eine auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angebotene Arbeit durchzuführen. Die Behörde habe es unterlassen, den maßgebenden Sachverhalt, nämlich die Schwere ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung auf psychiatrisch-neurologischem Gebiet, erschöpfend aufzuklären und die von ihr im Verwaltungsverfahren beantragten Beweise einzuholen. Sie habe im Verwaltungsverfahren vorgebracht, ihre psychischen Störungen äußerten sich in völliger Antriebslosigkeit, Aufregung über Belanglosigkeiten und häufigen Weinkrämpfen. Dies habe sie auch dem Amtssachverständigen Dr. B. bei der Untersuchung für sein psychiatrisches Gutachten vom 18. Februar 1993 mitgeteilt. Dieses Gutachten komme aber zum Ergebnis, daß die Beschwerdeführerin ihre psychische Beeinträchtigung nur demonstriere; auch das Gutachten der MA 15 vom 19. April 1993 sei vom Vorliegen einer angeblich demonstrativen Begehrenshaltung ausgegangen. Die MA 15 habe sich auch nicht mit dem von der Beschwerdeführerin beigebrachten nervenärztlichen Attest Dris. S. vom 29. Juli 1993 inhaltlich auseinandergesetzt, sondern nur darauf hingewiesen, daß das in diesem Attest beschriebene Krankheitsbild bereits im psychiatrischen Gutachten des Amtssachverständigen Dr. B. vom 18. Februar 1993 beschrieben worden sei. Eine Vorlage dieses nervenärztlichen Attestes an Dr. B. sei nicht erfolgt. Es bestünden aber entgegen der Auffassung der belangten Behörde erhebliche Unterschiede zwischen dem Gutachten Dris. S. vom 29. Juli 1993 und dem Amtssachverständigengutachten Dris. B. vom 18. Februar 1993, die aufklärungsbedürftig geblieben seien: Zum einen spreche Dr. S. von einem chronifizierten neurasthenisch/depressiven Syndrom, während Dr. B. ein neurotisch gelagertes depressives Syndrom ohne jegliche endogene Komponente (Unterstreichungen im Original) diagnostiziert habe. Zum anderen beschreibe Dr. B. demonstrative Züge bei der Beschwerdeführerin, gehe also davon aus, daß die von der Beschwerdeführerin beschriebene psychische Beeinträchtigung nicht wirklich vorliege. Dr. S. habe hingegen überhaupt nicht auf ein solches demonstratives Verhalten hingewiesen. Schließlich habe Dr. S. darauf verwiesen, daß als Folge der von ihm beschriebenen Störung eine verminderte Belastbarkeit und eine verminderte Frustrationstoleranz anzunehmen sei. Von einer solchen sei im psychiatrischen Gutachten von Dr. B. überhaupt nicht die Rede. Weder das psychiatrische Gutachten Dris. B. vom 18. Februar 1993 noch das Ergänzungsgutachten der MA 15 vom 20. September 1993 seien einer objektiven Überprüfbarkeit zugänglich. Insbesondere lege das Ergänzungsgutachten vom 20. September 1993 nicht offen, warum das im ärztlichen Attest von Dr. S. beschriebene Krankheitsbild im psychiatrischen Gutachten Dris. B. bereits beschrieben worden sei. Es sei auf die oben aufgezeigten augenscheinlichen Differenzen zwischen diesen beiden Gutachten nicht eingegangen worden. Ob die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer psychischen Beeinträchtigung in der Lage sei, einer Arbeit nachzugehen, lasse sich anhand eines psychologischen Arbeitstestes objektiv überprüfen. Im Verfahren vor den Sozialgerichten sei die Einholung solcher Tests bei schweren psychischen Beeinträchtigungen die Regel. Die Behörde wäre zur Durchführung dieses Beweises im Hinblick auf das ärztliche Attest Dris. S. vom 29. Juli 1993 verpflichtet gewesen.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.

Gemäß § 9 der Pensionsordnung 1966, LGBl. Nr. 19/1967 (= § 9 der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden wiederverlautbarten Fassung der Pensionsordnung 1995) ist dem Beamten, wenn er ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden ist, aus Anlaß der Versetzung in den Ruhestand der Zeitraum, der für die Erlangung des Ruhegenusses im Ausmaß der Ruhegenußbemessungsgrundlage erforderlich ist, höchstens jedoch ein Zeitraum von zehn Jahren, zu seiner ruhegenußfähigen Dienstzeit zur Stadt Wien zuzurechnen.

Wegen der Inhaltsgleichheit dieser Bestimmung mit § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965 in der Fassung der 8. Pensionsgesetznovelle, BGBl. Nr. 426/1985, kommt auch die Heranziehung der Rechtsprechung zu dieser bundesrechtlichen Bestimmung für den Beschwerdefall in Betracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu z.B. in seinem Erkenntnis vom 25. März 1998, 97/12/0349, unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung folgendes ausgeführt:

Die Behörde hat die in einem Verfahren nach der genannten Gesetzesstelle entscheidende Rechtsfrage, ob der Beamte noch "zu einem zumutbaren Erwerb" fähig ist, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Versetzung des Beamten in den Ruhestand zu lösen; hiebei hat sie zunächst auf der Grundlage eines mängelfreien und schlüssigen ärztlichen Gutachtens die Frage zu beantworten, ob der Beamte überhaupt noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit befähigt ist; bejahendenfalls hat sie sodann auf der Grundlage dieses sowie eines mängelfreien und schlüssigen berufskundlichen Gutachtens die Frage zu klären, ob dem Beamten jene Erwerbstätigkeiten, die er nach seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit vom medizinischen Standpunkt aus noch auszuüben vermag, zugemutet werden können. Letzteres ist dann der Fall, wenn diese Tätigkeiten ihrer sozialen Geltung nach der früheren Beschäftigung, der dienstlichen Stellung und der Fortbildung des Beamten annähernd gleichkommen und wenn die Aufnahme solcher Tätigkeiten vom Beamten auch nach seinen sonstigen persönlichen Lebensumständen billigerweise erwartet werden kann. Ob dem Beamten eine solche Beschäftigung, die an sich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes ist, tatsächlich vermittelt werden kann, ist für die abstrakt vorzunehmende Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ohne Bedeutung.

Erwerbsfähigkeit nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet, in der Lage zu sein, durch eigene Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Fähigkeit ist abstrakt zu beurteilen; es kommt aber darauf an, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Einsatzfähigkeit für bestimmte Tätigkeiten vorliegen. Hiebei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit auch im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (z.B. Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) gegeben ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. November 1994, Zl. 94/12/0162). Vor allem die letztgenannten Fähigkeiten können aber bei Depressionen gravierend beeinträchtigt sein oder ganz fehlen.

In einem dem Standpunkt des Beamten nicht vollinhaltlich Rechnung tragenden Bescheid nach § 9 Abs. 1 der Pensionsordnung 1995 hat die Behörde entsprechend den §§ 58 Abs. 2, 60 AVG und § 1 DVG in einer sowohl die Wahrnehmung der Rechte durch den Beamten als auch die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichenden Art und Weise die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Das im Beschwerdefall durchgeführte Verfahren und der angefochtene Bescheid werden diesen Anforderungen nicht gerecht.

Im Beschwerdefall hat der von der belangten Behörde beigezogene Amtssachverständige Dr. B. in seinem Gutachten vom 18. Februar 1993 festgestellt, die Beschwerdeführerin leide an einem neurotisch-depressiven Syndrom ohne endogene Komponente. Daraus wurde von Dr. M. in der Stellungnahme der MA 15 vom 19. April 1993 nicht bloß der Schluß gezogen, daß diese Erkrankung eine Besserung bestimmter physischer Leidenszustände (gemeint waren damit offenkundig die Dorsalumbalgie in Verbindung mit einer muskulären Insuffizienz) verhindere, sondern auch besonders belastende Tätigkeiten wie Nacht- oder Akkordarbeiten für die Beschwerdeführerin abzulehnen seien.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann aus der von Dr. B. in seinem Gutachten vom 18. Februar 1993 verwendeten Wortwahl, bei der Beschwerdeführerin finde sich "eine demonstrative Züge zeigendes neurotisch-depressives Syndrom bei einfacher Persönlichkeitsstruktur" und auch sonstigen Wendungen nicht zwingend abgeleitet werden, dieser Amtssachverständiger sei davon ausgegangen, daß überhaupt keine psychische Beeinträchtigung (mit Krankheitswert) vorliege, eine solche vielmehr bloß vorgetäuscht werde. Der gesamte weitere Verfahrensverlauf, insbesondere die ärztliche Stellungnahme der MA 15 vom 19. April 1993, auf der auch das berufskundliche Gutachten von Ing. B. aufbaute, zeigt klar und unmißverständlich, daß der Depression Krankheitswert beigemessen wurde.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die unterschiedlichen Umschreibungen des psychischen Leidenszustandes der Beschwerdeführerin im Gutachten Dris. B. vom 18. Februar 1993 einerseits und im Attest Dris. S. andererseits wirklich Unterschiedliches bezeichnen. Zutreffend hat die Beschwerdeführerin nämlich darauf hingewiesen, daß die Auswirkung ihres psychischen Leidenszustandes unterschiedlich eingestuft und dieser unter dem Gesichtspunkt der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit rechtserhebliche Widerspruch nicht hinreichend aufgeklärt wurde. Die amtsärztliche Stellungnahme vom 19. April 1993, in der aus medizinischer Sicht Aussagen über die Auswirkungen der Krankheiten auf die Arbeitsfähigkeit getroffen wurden, hat nämlich wegen der Depression der Beschwerdeführerin aus medizinischer Sicht nur psychisch belastende Tätigkeiten wie Nacht- oder Akkordarbeit ausgeschlossen, während das ärztliche Attest Dris. S. darüber hinausgehend auch auf die verminderte Frustrationstoleranz der Beschwerdeführerin hingewiesen hat, die sich grundsätzlich bei jeder Art von Tätigkeit auswirken kann. Sowohl die zu den Auswirkungen der diagnostizierten Depression vom Amtssachverständigen als auch die von Dr. S. getroffenen Feststellungen stehen auf gleichem Begründungsniveau, sodaß daraus kein Qualitätsunterschied der Gutachten abgeleitet werden kann. Jedenfalls in dieser Beziehung liegt ein Widerspruch zwischen den Stellungnahmen der Amtssachverständigen und des Dr. S. vor, die nicht bloß mit dem Hinweis, die Depression der Beschwerdeführerin sei ohnehin bereits berücksichtigt worden, erledigt werden kann, zumal die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren auf diesen Widerspruch mehrfach hingewiesen hat und zu dessen Aufklärung auch die Einholung eines Beweises beantragt hat, der nicht von vornherein als untauglich angesehen werden kann, zur Klärung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen.

Die belangte Behörde hätte daher Feststellungen zum Grad der Depression, zu deren konkreten Auswirkungen im Arbeitsleben sowie zu den therapeutischen Möglichkeiten zu dessen Behebung zu treffen gehabt. Da sie dies unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 und 49 VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft Stempelgebühren

für die nichterforderliche dritte Beschwerdeausfertigung sowie die entbehrliche zweite und dritte Ausfertigung des angefochtenen Bescheides.

Wien, am 16. Dezember 1998

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