VwGH 95/06/0260

VwGH95/06/026020.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des Z in W, vertreten durch D, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 2. August 1995, Zl. MBA 16-SL/5474/95, betreffend Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheiten Mietzinsrückzahlung (mitbeteiligte Partei: M in Y), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
MRG §37;
MRG §40;
VwGG §42 Abs3;
AVG §66 Abs4;
MRG §37;
MRG §40;
VwGG §42 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben

a) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, soweit damit dem Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit stattgegeben wird, und

b) wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde, soweit damit dem Wiedereinsetzungsantrag vom 24. Mai 1995 stattgegeben wird und die Entscheidung der belangten Behörde vom 9. Juni 1994 aufgehoben wird.

Die Stadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Entscheidung der Schlichtungsstelle der Stadt Wien gemäß § 39 MRG vom 9. Juni 1994 wurde festgestellt, daß durch die von der mitbeteiligten Partei vorgenommene Vorschreibung an Hauptmietzins von Jänner 1992 bis Juni 1994 gegenüber dem Beschwerdeführer als Mieter einer näher bezeichneten Wohnung das gesetzlich zulässige Zinsausmaß um jeweils S 1.126,--, insgesamt somit um S 33.804,-- (jeweils exklusive Umsatzsteuer), überschritten worden sei. Der Mitbeteiligten wurde aufgetragen, den genannten Betrag samt Anhang binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung zurückzuerstatten.

Die Entscheidung der Schlichtungsstelle wurde der Hausverwaltung T als Vertreterin der Mitbeteiligten am 23. August 1994 zugestellt. Die Entscheidung enthielt die Rechtsmittelbelehrung, daß "die Entscheidung der Gemeinde durch kein Rechtsmittel angefochten" werden könne, daß jedoch "die Partei, die sich mit ihr nicht zufrieden" gebe, "innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung die Entscheidung des BG ..." begehren könne.

Mit Datum vom 29. August 1994 sandte die Hausverwaltung T an das Magistratische Bezirksamt für den 16. Bezirk ein Schreiben, in welchem nach der Einleitung "erlauben wir uns, folgende Mitteilung zu machen" auf ein Räumungsverfahren, auf den Ablauf des befristeten Bestandverhältnisses zwischen der Mitbeteiligten und dem Beschwerdeführer sowie auf die Zahlungsbereitschaft hinsichtlich einiger Mietzinsperioden verwiesen wurde. Das Schreiben enthielt keine Erklärung des Inhaltes, daß sich die Vermieterin mit der Entscheidung der Schlichtungsstelle nicht zufrieden gäbe, und enthielt auch sonst keine Anträge. Es wurde darin ferner auf ein anhängiges Gerichtsverfahren hingewiesen. Das Schreiben wurde daher nicht als Rechtsmittel gewertet und nicht an das Gericht weitergeleitet.

Nach Ablauf der 14-tägigen Frist des § 40 Abs. 1 MRG bestätigte die Schlichtungsstelle mit Schreiben vom 7. Oktober 1994, daß gegen die genannte Entscheidung vom 9. Juni 1994 innerhalb offener Frist keine Anrufung des Gerichtes erfolgt sei.

Am 24. Mai 1995 richtete die Mitbeteiligte - nachdem die Exekution durch Pfändung, Verwaltung und Verkauf beweglicher Sachen bewilligt worden war - einen Antrag an den Magistrat der Stadt Wien, in dem

I. die Aufhebung der Vollstreckbarkeit der Entscheidung vom 9. Juni 1994 beantragt wird und II. ein Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt wird.

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung wird unter Hinweis auf die Sachverhaltsdarstellung zum Antrag unter I (es seien aufgrund einer Ausdehnung des Antrages des Beschwerdeführers in einer mündlichen Verhandlung, in der die Mitbeteiligte nicht vertreten gewesen sei, Zeiten berücksichtigt worden, zu denen das Mietverhältnis gar nicht mehr bestanden hätte; keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu dieser Ausdehnung des Antrages) darauf hingewiesen, daß durch den dargestellten Sachverhalt "ein unabwendbares Ereignis vor(liege), das mich an der rechtzeitigen Vornahme der geeigneten Prozeßhandlung verhinderte". Die Mitbeteiligte hätte alle diese Umstände bereits mittels Antrag beim BG Hernals zu einer bestimmten Geschäftszahl geltend gemacht, aufgrund eines am 24. Mai 1995 geführten Telefonates sei ihr im wesentlichen die Unzuständigkeit des BG Hernals mitgeteilt worden.

Tatsächlich hatte die mitbeteiligte Partei sowohl einen Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit der Entscheidung vom 9. Juni 1994 als auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an das Bezirksgericht gestellt. Mit Beschluß des BG Hernals vom 19. Mai 1995 wurde der Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung zurückgewiesen und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anrufung des Bezirksgerichtes abgewiesen. Aufgrund eines Rekurses der mitbeteiligten Partei wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 5. Juli 1995 dem Rekurs keine Folge gegeben.

Im Antrag vom 24. Mai 1995 an den Magistrat der Stadt Wien wird zur Wiedereinsetzung ausgeführt, daß das genannte Schreiben vom 29. August 1994 als Anrufung des Gerichtes aufzufassen gewesen sei, andererseits sei die mitbeteiligte Partei durch die Entscheidung (des Magistrates) auch "überrumpelt" worden, da die Ausdehnung auf Zeiträume nach dem 31. Oktober 1992 in der Verhandlung erfolgte, "wo aus unerfindlichen Gründen ich nicht durch die Hausverwaltung vertreten" worden sei. Die Mitbeteiligte habe vom Wiedereinsetzungsgrund "(im Sinne der abweislichen Entscheidung)" am 24. Mai 1995 erstmalig Kenntnis erlangt, die Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrages sei daher gewahrt. Die Mitbeteiligte hätte keine Gelegenheit gehabt, zum erweiterten Vorbringen im Sinne der unzulässigen Ausdehnung Stellung zu nehmen und es sei daher das rechtliche Gehör nicht beachtet worden. Aus diesem Grund sei die Wiedereinsetzung zu bewilligen bzw. die Entscheidung der Schlichtungsstelle vom 9. Juni 1994 zu beheben.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit der Entscheidung vom 9. Juni 1994 statt, bewilligte gemäß § 146 ZPO "die Wiedereinsetzung" und hob die Entscheidung vom 9. Juni 1994 auf.

Begründend führt die belangte Behörde aus, daß die mitbeteiligte Partei von der Ausdehnung des Antrages irrtümlich nicht verständigt worden sei und somit keine Stellungnahme abgeben habe können. Der belangten Behörde sei daher nicht bekannt gewesen, daß das gegenständliche Mietverhältnis nur befristet abgeschlossen worden sei. Es liege daher ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 146 ZPO vor, das die Vermieterin daran gehindert habe, rechtzeitig eine Stellungnahme abzugeben. Gemäß § 148 Abs. 2 ZPO müsse der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von 14 Tagen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Die Mitbeteiligte und ihr Vertreter hätten vom Wiedereinsetzungsgrund am 24. Mai 1995 erstmalig Kenntnis erlangt. Die Einbringung des Antrages am 26. Mai 1995 sei damit rechtzeitig. Der Wiedereinsetzungsantrag enthalte auch eine Stellungnahme zum Ausdehnungsantrag, sodaß auch die Voraussetzung des § 149 Abs. 1 ZPO, wonach die versäumte Prozeßhandlung zugleich mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen sei, erfüllt sei.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei daher zu bewilligen gewesen. Die Anwendung der §§ 146 bis 153 ZPO stütze sich auf die ausdrückliche Anordnung des § 37 Abs. 2 Z. 13 MRG.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluß vom 11. Dezember 1995, B 3098/95, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Die Beschwerde rüge die Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art. 83 Abs. 2 B-VG) sowie Verfahrensmängel. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

In der über Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Für die Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag bezüglich der Anrufung des Gerichtes gemäß § 40 Abs. 1 MRG sei die belangte Behörde nicht zuständig gewesen. Die belangte Behörde habe überdies über einen verspäteten Antrag auf Wiedereinsetzung entschieden.

Bei der Verhandlung, bei der der Beschwerdeführer seinen Antrag ausgedehnt habe, sei die Vermieterin bzw. deren Vertreterin unentschuldigt nicht erschienen. Einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung dieser Verhandlung habe die Mitbeteiligte nicht gestellt. Der Bescheid vom 9. Juni 1994 sei der Mitbeteiligten nach deren eigenen Ausführungen am 23. August 1994 zugestellt worden. Das Hindernis, eine Stellungnahme zu der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Ausdehnung abzugeben, sei damit jedenfalls am 23. August 1994 weggefallen.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Kopie der Gegenschrift im verfassungsgerichtlichen Verfahren übermittelt. In dieser Gegenschrift kommt die belangte Behörde selbst zur Auffassung, daß sie (im Hinblick auf die von ihr mit dem 11. Mai 1995 angenommene Gerichtsanhängigkeit der Sache) nicht mehr zuständig gewesen sei, über den Antrag der Mitbeteiligten vom 24. Mai 1995 zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde über die Anträge der Mitbeteiligten vom 24. Mai 1995.

Diese Anträge waren einerseits auf die Aufhebung der Vollstreckbarkeit, andererseits auf die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerichtet.

2. Zur Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und zur Aufhebung der Entscheidung vom 9. Juni 1994:

Der Antrag der Mitbeteiligten vom 24. Mai 1995 enthält keine Ausführungen zu der Frage, gegen welche Versäumung (Unterlassung einer befristeten Prozeßhandlung) die Wiedereinsetzung begehrt wird.

Ginge man davon aus, daß sich der Antrag auf die Wiedereinsetzung hinsichtlich der Versäumung der Anrufung des Gerichtes bezog, wäre die Unzuständigkeit der belangten Behörde im Hinblick darauf gegeben, daß über die Versäumung der Anrufung des Gerichtes nur das Gericht entscheiden könnte.

Aufgrund eines derart gedeuteten Antrages käme weder eine Sachentscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag noch die Aufhebung der Entscheidung vom 9. Juni 1994 in Betracht.

Die belangte Behörde hat aber offensichtlich den Antrag der Mitbeteiligten dahin gedeutet, daß er sich gegen die Versäumung einer Handlung im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (der belangten Behörde) richtete.

Auch insoweit ist der Antrag aber nicht zulässig.

Wie die belangte Behörde selbst im angefochtenen Bescheid ausführt, wurde der Mitbeteiligten keine Gelegenheit zur Stellungnahme zur Ausdehnung des Antrages des Beschwerdeführers eingeräumt. Sie konnte daher insofern auch keine Frist versäumen. Der Wiedereinsetzungsantrag wäre daher zurückzuweisen gewesen, wenn er sich - wie die belangte Behörde zwar nicht ausdrücklich feststellt, aber wohl zugrunde gelegt hat - gegen die Versäumung der Stellungnahmefrist gerichtet haben sollte.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben, soweit er die Bewilligung der Wiedereinsetzung und die Aufhebung der Entscheidung vom 9. Juni 1994 ausspricht.

3. Zur Aufhebung der Vollstreckbarkeit der Entscheidung vom 9. Juni 1994:

Da die Vollstreckbarkeit einer Entscheidung der Schlichtungsstelle gemäß § 37 MRG davon abhängt, ob die beteiligten Parteien das Gericht im Sinne des § 40 MRG anrufen oder nicht, hängt die Vollstreckbarkeit bzw. der Wegfall der Vollstreckbarkeit wesentlich davon ab, ob die Anrufung erfolgt ist bzw. ob im Falle der Versäumung der Frist für die Anrufung die Vollstreckbarkeit nachträglich durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Anrufungsfrist weggefallen ist. Die belangte Behörde hat sich jedoch nicht auf einen derartigen nachträglichen Wegfall der Vollstreckbarkeit durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung durch das Gericht berufen, sondern die Aufhebung der Vollstreckbarkeit der Entscheidung offensichtlich im Hinblick auf die von ihr gleichzeitig verfügte Aufhebung der Entscheidung vom 9. Juni 1994 gestützt.

Aufgrund der Aufhebung des angefochtenen Bescheides, soweit er diese Aufhebung der Entscheidung vom 9. Juni 1994 verfügt, fällt gemäß § 42 Abs. 3 VwGG (der die Rückwirkung der Aufhebung des angefochtenen Bescheides anordnet) die Grundlage für diese Annahme nachträglich fort (vgl. zur Wirkung der Aufhebung nach § 42 Abs. 3 VwGG und zur Berücksichtigung dieser Wirkung in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren betreffend einen Bescheid, der aufgrund des vom Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Bescheides ergangen ist, z.B. die hg. Erkenntnisse vom 29. November 1985, Zl. 85/17/0030, und vom 30. Juni 1994, Zl. 91/06/0174). Der angefochtene Bescheid war daher insoweit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

4. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 2 und 4 VwGG Abstand genommen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft zuviel verzeichneten Aufwand für Stempelgebühren.

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