VwGH 97/19/0349

VwGH97/19/03497.3.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über den Antrag des H in U, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in K, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. November 1996, Zl. 307.237/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, den Beschluß gefaßt:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Antragsteller begründet seinen Wiedereinsetzungsantrag im wesentlichen damit, daß der verfahrensgegenständliche Bescheid des Bundesministers für Inneres seinem Vertreter am 11. Dezember 1996 zugestellt und von dessen langjähriger und verläßlicher Kanzleikraft für den 8. Jänner 1997 sowie für den 20. Jänner 1997 kalendiert worden sei. Anläßlich der Aktenwiedervorlage am 8. Jänner 1997 habe die Kanzleikraft seines Rechtsvertreters bei der Bearbeitung der Post wegen eines vom Beschwerdeführer zwischenzeitig übermittelten stattgebenden Urteils des Arbeits- und Sozialgerichtes den Rechtsmitteltermin unrichtig als erledigt abgehakt, sodaß es zu keiner fristgerechten Ausführung gekommen sei. Da jedoch gerade am 8. Jänner 1997 Schwierigkeiten mit dem Computersystem seines Rechtsvertreters aufgetreten und infolgedessen wichtige Daten gelöscht worden seien, habe die Kanzleikraft des Rechtsvertreters lange Schreiben auf einer mechanischen Schreibmaschine durchführen müssen und darüber hinaus zahlreiche Termine bzw. Datenrekonstruierungen neu auf die Festplatte des Computers eingeben müssen. Daher habe die an und für sich verläßliche Kanzleikraft, welche über mehrjährige Erfahrung als Rechtsanwaltssekretärin verfüge, in einer einmaligen Streßsituation diese entschuldbare Fehlleistung begangen. Erst durch Vorsprache des Beschwerdeführers am 28. Jänner 1997 sei diese Fehlleistung entdeckt worden; er habe fristgerecht den vorliegenden Antrag sowie eine Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde erhoben.

Trotz einer "Kontrolle der Übertragung der erfahrenen und verläßlichen Bürokraft" durch seinen Rechtsvertreter habe der Fehler nicht gefunden werden können, da es vorerst richtigerweise zu einer Fristvormerkung sowohl im Fristenbuch 1996 als Vormerk für 1997, als auch am 8. Jänner 1997 und am 20. Jänner 1997 im Fristenbuch 1997 gekommen sei. Das Abstreichen eines Fristtermines erfolge jeweils durch seinen Rechtsvertreter am Vortag der vorgemerkten Frist. Eine Kontrolle seines Rechtsvertreters am 20. Jänner 1997 bei seiner zweiten Sekretärin habe ergeben, daß der gegenständliche Termin im Computer, nicht zuletzt wegen des Neuaufbaues der Festplatte, bereits als erledigt vermerkt gewesen sei.

Zugleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist wurde die versäumte Handlung nachgeholt und die Beschwerde gegen den genannten Bescheid des Bundesministers für Inneres erhoben. Antrag und Beschwerde wurden am 5. Februar 1997 zur Post gegeben.

Der Verwaltunsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Wie der Beschwerdeführer richtig angibt, ist auf Grund der Zustellung des Bescheides des Bundesministers für Inneres vom 29. November 1996 am 11. Dezember 1996 die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof am 22. Jänner 1997 abgelaufen.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Die Folgen eines Versehens eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. Erkenntnis vom 19. April 1994, Zl. 93/07/0137 u.a.).

Als Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG ist jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen. Gehindert wird eine Person durch eine Erkrankung wie durch eine Naturkatastrophe, durch eine eigene menschliche Unzulänglichkeit ebenso wie durch Gewaltanwendungen von außen. Unvorhergesehen ist aber ein Ereignis dann, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme von zumutbarer Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (vgl. Erkenntnis vom 17. November 1994, Zl. 94/09/0218).

Im gegenständlichen Fall wurde nach dem Vorbringen des Antragstellers im Fristenbuch für 1997 sowohl am 8. Jänner 1997 als auch am 20. Jänner 1997 eine Eintragung hinsichtlich der Beschwerdeerhebung des Antragstellers vorgenommen. Nach dem Vorbringen im Antrag herrschte am 8. Jänner 1997 in der Kanzlei des Rechtsvertreters des Antragstellers eine einmalige Streßsituation, da es zu Schwierigkeiten mit dem Computersystem gekommen war und offensichtlich Datenrekonstruierungen und Neueingaben auf die Festplatte des Computers notwendig wurden. Dadurch sei es irrtümlich anläßlich der Aktenwiedervorlage auf Grund eines zwischenzeitlich übermittelten stattgebenden Urteils des Arbeit- und Sozialgerichtes dazu gekommen, daß der Rechtsmitteltermin als erledigt abgehakt wurde.

Nun mag es zwar zutreffen, daß der Zusammenbruch oder die massive Störung einer Computeranlage in einer Rechtsanwaltskanzlei ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG darstellt. Allerdings fand dieses Ereignis nach dem Vorbringen des Antragstellers am 8. Jänner 1997, also 12 Tage vor dem Ende der Beschwerdefrist statt. Es wird auch nicht in Abrede gestellt, daß durch eine derartige Streßsituation Fehlleistungen und Irrtümer auftreten können. Daraus ergibt sich aber für einen rechtskundigen Parteienvertreter, an dessen Sorgfalt ein strengerer Maßstab als an einen Rechtsunkundigen anzulegen ist, daß er - nach Wegfall dieser Streßsituation - eine erhöhte Kontrollpflicht hinsichtlich der Maßnahmen und Vorgänge hat, die während dieses Zeitraumes vorgenommen wurden bzw. aufgetreten sind.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß ein minderer Grad des Versehens, der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht hindert, nur dann vorliegt, wenn ein Fehler begangen wird, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an Rechtsunkundige oder an bisher noch nie an Verfahren beteiligte Personen. Wenn die Versäumung einer Frist voraussehbar ist und durch ein dem Parteienvertreter zumutbares Verhalten abgewendet hätte werden können, dann ist die Wiedereinsetzung zu verweigern (vgl. Erkenntnis vom 6. Oktober 1994, Zl. 93/16/0075/0076).

Zur Sorgfaltspflicht bei EDV-mäßig geführten Fristenbüchern hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 95/05/0060, ausgesprochen, daß bei Klärung der Frage, ob ein minderer Grad des Versehens vorliegt, von einem Rechtsanwalt, der eine EDV-unterstüzte Fristenverwaltung unterhält, zu verlangen ist, daß er nach Kontrolle der Richtigkeit der Eintragungen des Fristbeginns, der Art der Frist und der Fristdauer besondere Vorkehrungen für die Art der Friststreichung ergriffen hat.

Kontrollen, die Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach ausschließen sollen, haben auch dort stattzufinden, wo sich Kanzleikräfte eines EDV-Systems bedienen, weil auch in diesem Bereich Fehlbedienungen der Kanzleiangestellten nicht ausgeschlossen sind. Während nämlich bei einem händisch geführten Terminkalender eine Streichung eines Termines einen entsprechenden Auffälligkeitswert hat, sodaß der Anwalt bei seiner Kontrolle die Richtigkeit der Streichung nachvollziehen kann, läßt sich die Löschung einer Texteintragung in einer EDV-Datei nicht ohne weiteres nachträglich erkennen (vgl. hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1996, Zl. 96/05/0047). Das Fehlen eines derartigen Kontrollsystems stellt einen Organisationsmangel dar, der auch nicht als minderer Grad des Versehens qualifiziert werden kann.

Aufgrund der besonderen Umstände am 8. Jänner wäre es dem Rechtsvertreter des Antragstellers zumutbar gewesen, die an diesem Tag vorgemerkten oder gestrichenen Termine entsprechend genau zu kontrollieren. Da in der Kanzlei des Rechtsvertreters des Antragstellers ein händisches Fristenbuch parallel zu einem EDV-System geführt wird, kann der Hinweis auf ein Nicht-mehr-Aufscheinen des Vormerktermines 20. Jänner 1997 im EDV-System dem Antrag jedenfalls nicht zum Erfolg verhelfen, da - unbestritten - dieser Termin im Fristenbuch nach wie vor aufscheint. Selbst beim Abhaken dieses Termines wäre eine Prüfung des Grundes und eine Kontrolle der Richtigkeit dieser Maßnahme zumutbar gewesen.

Der Verwaltungsgerichshof gelangt daher zur Ansicht, daß an die Kontrollpflicht und die Aufmerksamkeit des Rechtsvertreters hinsichtlich der Wahrung von Fristen gerade bei Vorliegen besonderer Umstände, wie sie der "Zusammenbruch eines Computersystems" darstellt auch entprechend höhere Anforderungen zu stellen sind. Daß diese Pflichten vernachlässigt wurden, kann bei den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen auch nicht als bloß minderer Grad des Versehens angesehen werden.

Aus diesem Grund war dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben.

Da sich somit die am 5. Februar 1997 zur Post gegebene und zur Zl. 97/19/0331 protokollierte Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid der belangten Behörde, der nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers am 11. Dezember 1996 seinem Rechtsvertreter zugestellt wurde, als verspätet erweist, war sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Damit erübrigt sich auch eine Entscheidung des Berichters über den zur Zl. AW 97/19/0198 gestellten Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 und 7 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

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