VwGH 96/21/1007

VwGH96/21/100722.5.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungsrat Dr. Hanel, über die Beschwerde des O in W, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 21. August 1996, Zl. Fr 2516/96, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §17 Abs2 idF 1996/436;
FrGNov 1996;
MRKZP 07te Art1;
FrG 1993 §17 Abs2 idF 1996/436;
FrGNov 1996;
MRKZP 07te Art1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 21. August 1996 (zugestellt am 27. August 1996) gerichtet, mit welchem der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 und Abs. 3 des Fremdengesetzes (FrG), in der Fassung BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen wurde. Dieser Bescheid wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer am 4. Mai 1996 illegal, zu Fuß über die grüne Grenze, nach Österreich eingereist sei und nicht im Besitz des erforderlichen Reisedokumentes gewesen sei. Er habe am 7. Mai 1996 einen Asylantrag eingebracht, welcher mit Bescheid vom 15. Mai 1996 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen worden sei. Dieser Paragraph besage, daß die Asylbehörde einem Asylantrag nur dann stattzugeben habe, wenn es sich bei dem Asylwerber um einen Flüchtling handle und der Tatbestand der direkten Einreise vorliege. Beim Beschwerdeführer liege letzterer Tatbestand, wie im Bescheid des Bundesasylamtes ausgeführt, nicht vor, daher komme dem Beschwerdeführer auch eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 6 des Asylgesetzes 1991 nicht zu. Daß der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesasylamtes fristgerecht Berufung eingebracht habe, würde an der Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörde nichts ändern. Der Beschwerdeführer habe durch die Art seiner Einreise den Tatbestand der Umgehung der Grenzkontrolle gemäß § 17 Abs. 2 Z. 6 FrG erfüllt. Der Mißachtung der für die Einreise nach und die Ausreise aus Österreich bestehenden Vorschriften komme im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Wenn der Beschwerdeführer darauf hingewiesen habe, daß Flüchtlinge gemäß § 31 GFK wegen rechtswidriger Einreise nicht bestraft werden dürften, so werde festgestellt, daß es sich hier nicht um ein Strafverfahren, sondern um eine administrativ-rechtliche Maßnahme handle. Die Behörde erster Instanz habe festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Mittel zu seinem Unterhalt nicht besäße; in seiner Berufungsschrift verweise er diesbezüglich auf die Möglichkeit der Bundesbetreuung. Dies reiche jedoch für die Erbringung eines Nachweises der Mittel zu seinem Unterhalt nicht aus. In § 37 FrG sei die Unzulässigkeit einer Ausweisung nicht angeführt; bei einer Erlassung des Ausweisungsbescheides sei nicht zu prüfen, in welches Land der Beschwerdeführer allenfalls abgeschoben würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil ihm ein vorläufiges Aufenthaltsrecht gemäß §§ 7 i.V.m. 6 Abs. 1 und 2 des Asylgesetzes 1991 zustehe; die Erlassung einer Ausweisung gegen ihn sei gemäß § 9 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 nicht zulässig.

Der Aktenlage zufolge wurde jedoch der Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Juli 1996, zugestellt am 10. Juli 1996, rechtskräftig abgewiesen. Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 kommt einem Asylwerber aber gemäß § 7 Abs. 3 leg. cit. ab dem Zeitpunkt nicht mehr zu, zu dem das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen wird. Dies war zum Zeitpunkt der Erlassung des vorliegend angefochtenen Bescheides am 27. August 1996 bereits der Fall. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. Juli 1996 betreffenden Beschwerde wurde erst mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. November 1996 stattgegeben, diese Entscheidung wirkte nicht zurück. Der Anwendung des § 17 Abs. 2 FrG stand vorliegend daher § 9 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nicht entgegen.

Die Beschwerde ist insoferne im Ergebnis aber berechtigt, als darin der Vorwurf erhoben wird, die belangte Behörde habe sich nicht zutreffend damit auseinandergesetzt, weshalb der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung gefährde. Die belangte Behörde hat nämlich übersehen, daß mit Wirksamkeit vom 21. August 1996 durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 436/1996 § 17 Abs. 2 des Fremdengesetzes in den vorliegend maßgeblichen Teilen wie folgt geändert wurde:

"(2) Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie

...

4. innerhalb eines Monats nach der Einreise den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögen oder

...

6. unter Mißachtung der Bestimmung des 2. Teiles oder unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen einem Monat betreten werden

und wenn ihre sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist."

Die neue Fassung der Bestimmung wird im Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten des Nationalrates, 204 Blg. NR. XX. GP, mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 1995, B 1306/95, begründet, mit welchem dieser Gerichtshof § 17 Abs. 3 und den zweiten Satz des § 27 Abs. 3 des Fremdengesetzes als verfassungswidrig aufgehoben hatte; dies im wesentlichen mit der Begründung, daß die aufgehobenen Bestimmungen des Fremdengesetzes dem Rechtsstaatsprinzip insoferne widersprächen, als sie Fremde ausnahmslos und generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange belasteten, bis über ihre Berufung gegen eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 2 FrG endgültig entschieden sei. Es träfe wohl zu, daß eine im Interesse der öffentlichen Ordnung gebotene unverzügliche Außerlandesschaffung eines Fremden nur im Wege der Durchsetzbarkeit vor Eintritt der Rechtskraft sowie unter Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung verwirklicht werden könne, doch sei es offenkundig, daß nicht alle denkbaren Fallkonstellationen, in denen zwar öffentliche Interessen die Verfügung einer Ausweisung rechtfertigten, automatisch deren sofortige Vollstreckbarkeit erforderten. Die Neufassung des § 17 Abs. 2 FrG wurde wie folgt begründet:

"Von diesen Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes ausgehend, hat sich der vorliegende Antrag dafür entschieden, nur in solchen Fällen eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 2 des Fremdengesetzes zuzulassen, in denen die sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung auch tatsächlich erforderlich ist. In anderen Fällen soll dieses Instrument gar nicht zur Anwendung kommen. Die für diese Entscheidung maßgebliche Überlegung besteht darin, daß solche Ausweisungen ihrem Wesen nach überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn sie in knappen zeitlichem Abstand vor (gemeint wohl: nach) der Einreise verwirklicht werden: Fremde, die kurz nach der Einreise strafrechtlich auffällig werden oder bei "Schwarzarbeit" im Bundesgebiet betreten werden oder mittellos sind, sollen deshalb, weil daraus eine unmittelbare Bedrohung der öffentlichen Ordnung abzuleiten ist, gehalten sein, das Bundesgebiet auch wieder schnell zu verlassen. Hiebei können Bagatellverstöße außer Betracht bleiben. Sofern keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, daß das maßgebliche Ereignis auf eine Gefährlichkeit des betreffenden Fremden in der Zukunft hinweist (zB der Fremde, für den eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz als Kellner vorliegt, wird von seinem Arbeitgeber als Koch eingesetzt; die Unterhaltskosten des Fremden werden durch Verpflichtungserklärung übernommen), bedarf es einer Ausweisung überhaupt nicht, zumal eine Berufung in solchen Fällen durch die damit einhergehende Verlängerung der Schubhaft zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die persönliche Freiheit führen würde."

Daraus geht hervor, daß eine Ausweisung aufgrund der durch die Novelle BGBl. Nr. 436/1996 hergestellten Fassung des § 17 Abs. 2 FrG nur dann zulässig ist, wenn die sofortige, vor Abschluß des Ausweisungsverfahrens angeordnete Ausreise des Fremden im Hinblick auf eine von ihm ausgehende unmittelbare Bedrohung der öffentlichen Ordnung tatsächlich erforderlich ist. Die Verwirklichung von Tatbeständen, die bereits in den einzelnen Ziffern des § 17 Abs. 2 FrG genannt sind, reichen für sich allein zur Begründung der Erforderlichkeit der sofortigen Ausreise im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht aus, eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 2 FrG ist vielmehr nur dann zulässig, wenn sowohl einer der in den Z. 1 bis 6 genannten Tatbestände vorliegt, als auch die zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung vorliegt, daß die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung auf die oben umschriebene Weise erforderlich ist (vgl. auch Art. 1 7. Zusatzprotokoll zur EMRK).

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde aber in Verkennung der Rechtslage überhaupt nicht damit auseinandergesetzt, aus welchen konkreten Gründen die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung tatsächlich erforderlich wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

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