VwGH 96/21/0870

VwGH96/21/08705.11.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ungersböck, über die Beschwerde des (am 1. Juni 1969 geborenen) K Ö, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft in Ankara vom 12. September 1996, Zl. 3.31.0/271/96, betreffend Sichtvermerk, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
FrG 1993 §69 Abs1;
FrG 1993 §69 Abs2;
FrG 1993 §69 Abs5;
VwRallg;
AVG §58 Abs2;
FrG 1993 §69 Abs1;
FrG 1993 §69 Abs2;
FrG 1993 §69 Abs5;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 20. November 1995 beantragte der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, bei der belangten Behörde die Erteilung eines Touristensichtvermerkes in der Dauer von sechs Monaten mit folgender Begründung:

  1. "1. Zunächst teile ich mit, daß ich Rechtsanwalt Dr. G W mit meiner Vertretung beauftragt habe.
  2. 2. Ich, K Ö (geb. 1. Juni 1969), türkischer Staatsangehöriger, wohnhaft in G/Türkei, möchte zu einem sechsmonatigen Besuchsaufenthalt zu meinen Angehörigen nach Österreich kommen. Mein Bruder H Ö ist seit vielen Jahren in W aufenthaltsberechtigt. Meine Tante E D wohnt seit vielen Jahren in D. Meine Cousine N A ist ebenfalls in Österreich aufenthaltsberechtigt. Mein Bruder N Ö ist mit seiner Familie bereit, mich aufzunehmen. Ich verweise auf die entsprechende Verpflichtungserklärung. Auch eine entsprechende Unterkunft steht mir in M zur Verfügung. Ich möchte den Aufenthalt in Österreich dazu nützen, meine Verwandten zu besuchen, die deutsche Sprache zu lernen und Österreich kennenzulernen."

Mit Eingabe vom 7. März 1996 legte der Beschwerdeführer über telefonische Aufforderung der belangten Behörde einen Lohnzettel sowie eine Beschäftigungsbewilligung seines Bruders N Ö sowie seinen Reisepaß vor.

Am 24. April 1996 sprach der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde auftragsgemäß vor und gab als Reisezweck "Besuch" an.

Mit Aktenvermerk vom 24. April 1996 wurde festgehalten, "laut Chef - R W - arbeitet Frau vom Bruder nicht mehr" (zuletzt 1995). Weiters wurde in diesem Aktenvermerk festgehalten: "Aufgrund der vorliegenden Unterlagen und der Tatsache, daß die Ehegattin ho. Informationen zufolge keiner Tätigkeit nachgeht, ist der Unterhalt in Ö. nicht gesichert § 10 (1) 2."

Mit einem weiteren Aktenvermerk vom 4. Juni 1996 wurde festgehalten: "Tel. Rechtsanwaltskanzlei Dr. W Sekretärin Frau A benachrichtigt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 + § 10 Abs. 2 abgelehnt."

Mit Schreiben vom 4. Juni 1996 gab der Beschwerdeführer der belangten Behörde folgendes bekannt:

  1. "1. Ö M arbeitet bei R W als Saisonkraft seit mehr als 12 Monaten; sie ist seit Mai 1996 wieder beschäftigt.
  2. 2. Unter Hinweis auf die Bestimmungen des FrG wird ersucht, die Entscheidung, falls dem Antrag nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird, schriftlich auszufertigen und zu Handen des Vertreters zuzustellen."

Diesem Schreiben war eine Arbeits- und Lohnbestätigung vom 3. Juni 1996 angeschlossen.

In einem weiteren Schreiben des Beschwerdeführer vom 8. August 1996 teilte er mit, daß er zum Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 16. Juli 1996 wie folgt Stellung nehme:

  1. "1. Ich arbeite in der Türkei auf unserem eigenen landwirtschaftlichen Familienbetrieb. Eine formelle Arbeits- bzw. Lohnbestätigung bzw. ein formeller Nachweis über einen sechsmonatigen Urlaubsanspruch kann daher nicht vorgelegt werden.
  2. 2. Bei unserer Landwirtschaft handelt es sich um einen Familienbetrieb. Insgesamt arbeiten mit mir vier Erwachsene und es helfen zwei Kinder (13 und 15 Jahre) mit. Bei den Erwachsenen handelt es sich um meinen Bruder K Ö und seine Frau Y Ö und meine Mutter Z Ö. Während meiner sechsmonatigen Abwesenheit wird die Landwirtschaft von den anderen Familienmitgliedern geführt. Da wir eine große Familie haben, ist dies ohne weiteres möglich. Ich bin ledig. Ich war noch nie in Österreich. Ich war auch noch nie in anderen europäischen Staaten. Ich möchte meinen Besuchsaufenthalt in Österreich dazu nützen, meine in Österreich seit vielen Jahren lebenden Angehörigen zu besuchen, Österreich kennenzulernen und die deutsche Sprache zu lernen; ich möchte auch den einen oder anderen landwirtschaftlichen Betrieb in Österreich besichtigen. In der Beilage lege ich eine neue Lohn- und Arbeitsbestätigung meiner Schwägerin M Ö vor. Ich lege auch eine Lohn- und Gehaltsabrechnung meines Bruders N Ö vor.
  3. 3. Nachweise über Erträge und Landbesitz können mangels entsprechender Unterlagen nicht vorgelegt werden. Meines Erachtens können aber die Fragen des Landbesitzes und des Ertrages von keiner wesentlichen Bedeutung für das gegenständliche Verfahren sein.

Ich ersuche nunmehr die beantragte Bewilligung umgehend zu erteilen und - falls dem Antrag nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird - die Entscheidung schriftlich auszufertigen und zu Handen meines Vertreters zu erlassen."

Über Ersuchen der belangten Behörde teilte das Bundesministerium für Inneres mit, daß der Sichtvermerkserteilung an den Beschwerdeführer nicht zugestimmt werde, weil die Wiederausreise nicht gesichert sei.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 12. September 1996 wurde der Antrag des Beschwerdeführers "gemäß § 10 (2) FrG" abgelehnt.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht, einen Touristensichtvermerk für den angegebenen Zweck mit der Gültigkeitsdauer von sechs Monaten zu erhalten, verletzt. Er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, allenfalls wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, der Spruch des angefochtenen Bescheides, die Wiederausreise des Beschwerdeführers sei nicht gesichert, sei in keiner Weise begründet und daher nicht nachvollziehbar. Die Anführung der maßgeblichen Gesetzesbestimmung allein stelle nicht sicher, daß sich die Entscheidung auf eine haltbare oder nachvollziehbare Begründung stütze. Sollte der Verwaltungsgerichtshof die Meinung vertreten, die belangte Behörde hätte ihrer im § 69 FrG geregelten Begründungspflicht doch entsprochen, müßten verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmung angemeldet werden. Die belangte Behörde habe ihm nie abschließend Gelegenheit gegeben, zu allfälligen Bedenken bezüglich der Wiederausreise Stellung zu nehmen. Da lediglich ein befristeter Sichtvermerk beantragt worden sei, sei dem Antragsteller von vornherein klar gewesen, daß er nach sechs Monaten Österreich wieder verlassen müsse.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der Aktenlage und dem Vorbringen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren strebte der Beschwerdeführer einen Touristensichtvermerk für sechs Monate ohne datumsmäßige Festlegung an.

Gemäß § 69 Abs. 1 FrG haben Antragsteller in Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes zweckdienlichen Urkunden und sonstige Beweismittel selbst vorzulegen; die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

§ 69 Abs. 2 FrG sieht vor, daß über schriftlichen oder niederschriftlichen Antrag der Partei die Entscheidung gemäß Abs. 1 auch schriftlich auszufertigen ist; hiebei sind außer der getroffenen Entscheidung die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen anzuführen; einer weiteren Begründung bedarf es nicht.

Diese Regelung des Verfahrens vor österreichischen Vertretungsbehörden hat sich laut den Gesetzesmaterialien (692 BlgNR 18.GP, 56f) von dem vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Prinzip leiten lassen, daß für dieses Verfahren "die im AVG niedergelegten Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens in der Verwaltung" gelten, und diese Grundsätze nun ausdrücklich festgelegt. Die "Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens" erfordern jedoch auch, daß der für eine Entscheidung maßgebliche Sachverhalt, wenn er schon nicht in der Begründung des Bescheides darzulegen ist, zumindest im Akt nachvollziehbar sein muß, wie dies im letzten Satz des die Versagung eines Sichtvermerkes aufgrund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit regelnden § 69 Abs. 5 FrG verlangt wird. Aus der in dieser Bestimmung enthaltenen Wendung "auch in diesen Fällen" ergibt sich, daß das Erfordernis der Nachvollziehbarkeit des maßgeblichen Sachverhaltes im Akt über die Fälle des § 69 Abs. 5 FrG hinaus, also in Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden nach dem Fremdengesetz schlechthin, zu gelten hat. Damit ist die Überprüfbarkeit von Bescheiden österreichischer Vertretungsbehörden aber gewährleistet, weshalb die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des letzten Halbsatzes des § 69 Abs. 2 FrG ("einer weiteren Begründung bedarf es nicht") vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0331, und das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1994, B 966, 1089/93).

Dieser dargestellten Rechtsauffassung entspricht das Verfahren vor der belangten Behörde nicht. In dem wiedergegebenen Akteninhalt findet sich kein Hinweis, worauf sich die Annahme stützt, daß die Wiederausreise des Beschwerdeführers nicht gesichert sei. Aus der vom Beschwerdeführer gegebenen Begründung für die Antragstellung und den weiteren Eingaben im Verfahren kann nicht der Schluß gezogen werden, daß die Wiederausreise des Beschwerdeführers offensichtlich nicht gesichert sei. Auch die Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres kann nicht als ausreichend angesehen werden, weil darin ebenfalls keine Begründung für die getroffene Annahme enthalten ist. Bloße Bedenken, daß die Wiederausreise des Beschwerdeführers nicht gesichert sei, hätte die belangte Behörde zum Anlaß nehmen müssen, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu bieten, hiezu Stellung zu nehmen (siehe § 69 Abs. 1 letzter Satz FrG) und ihn anzuleiten, diese Bedenken durch ergänzende Vorbringen allenfalls auszuräumen (§ 69 Abs. 1 erster Satz FrG).

Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, verletzte sie Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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