VwGH 96/16/0256

VwGH96/16/025618.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. DDDr. Jahn, in der Beschwerdesache der Sandoz GesmbH in Wien, vertreten durch Dr. Paul Doralt, Dr. Wilfried Seist und Dr. Peter Csoklich, Rechtsanwälte in Wien IX, Währinger Straße 2-4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 9. September 1996, Zl. GA 9-200/96, betreffend Rechtsgebühr (hg. Verfahren Zl. 96/16/0256), den Beschluß gefaßt:

Normen

11992E005 EGV Art5 Abs2;
11992E006 EGV Art6;
11992E007A EGV Art7a;
11992E073B EGV Art73b Abs1;
11992E073D EGV Art73d Abs1 litb;
11992E073D EGV Art73d Abs3;
11992E177 EGV Art177;
11997E056 EG Art56 Abs1 impl;
11997E058 EG Art58 Abs1 litb impl;
11997E058 EG Art58 Abs3 impl;
11997E234 EG Art234 impl;
31988L0361 Kapitalverkehrs-RL Anh1 Art8;
31988L0361 Kapitalverkehrs-RL Art1 Abs1;
31988L0361 Kapitalverkehrs-RL Art4;
61981CJ0283 CILFIT und Lanificio di Gavardo VORAB;
61983CJ0283 Racke VORAB;
61990CJ0204 Hanns-Martin Bachmann VORAB;
61990CJ0300 Kommission / Belgien;
61993CJ0358 Aldo Bordessa VORAB;
61994CJ0163 Lucas Emilio Sanz de Lera VORAB;
BAO §22;
GebG 1957 §15 Abs1;
GebG 1957 §33 TP8 Abs1;
GebG 1957 §33 TP8 Abs4 idF 1993/818 ;
VwGG §38a;
11992E005 EGV Art5 Abs2;
11992E006 EGV Art6;
11992E007A EGV Art7a;
11992E073B EGV Art73b Abs1;
11992E073D EGV Art73d Abs1 litb;
11992E073D EGV Art73d Abs3;
11992E177 EGV Art177;
11997E056 EG Art56 Abs1 impl;
11997E058 EG Art58 Abs1 litb impl;
11997E058 EG Art58 Abs3 impl;
11997E234 EG Art234 impl;
31988L0361 Kapitalverkehrs-RL Anh1 Art8;
31988L0361 Kapitalverkehrs-RL Art1 Abs1;
31988L0361 Kapitalverkehrs-RL Art4;
61981CJ0283 CILFIT und Lanificio di Gavardo VORAB;
61983CJ0283 Racke VORAB;
61990CJ0204 Hanns-Martin Bachmann VORAB;
61990CJ0300 Kommission / Belgien;
61993CJ0358 Aldo Bordessa VORAB;
61994CJ0163 Lucas Emilio Sanz de Lera VORAB;
BAO §22;
GebG 1957 §15 Abs1;
GebG 1957 §33 TP8 Abs1;
GebG 1957 §33 TP8 Abs4 idF 1993/818 ;
VwGG §38a;

 

Spruch:

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Stehen Art. 73b iVm Art. 73d (insbesondere dessen Abs. 3) EG-Vertrag und Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 4 der Kapitalverkehrs-RL, 88/361/EWG, der Beibehaltung jener Bestimmung des § 33 TP 8 Abs. 4, Satz 1 Gebührengesetz 1957 (idF BGBl. 818/1993 entgegen, wonach in Fällen, in denen über das Darlehen eines Darlehensgebers, der im Inland weder einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt noch seine Geschäftsleitung oder seinen Sitz hat, keine Urkunde in einer für das Entstehen der Gebührenpflicht maßgeblichen Weise errichtet wurde, die nach den abgabenrechtlichen Vorschriften im Inland zu führenden Bücher und Aufzeichnungen des Darlehensschuldners, in die das Darlehen aufgenommen wurde, als Urkunde gelten?

2) Stellt die Besteuerung von Darlehen (soweit dabei ein Kapitalfluß von einem Mitgliedstaat in den anderen erfolgt) durch § 33 TP 8 Abs. 1 GebG eine willkürliche Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 73b des Vertrages dar?

Begründung

1) Sachverhalt:

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde eine Berufung der Beschwerdeführerin (einer inländischen Darlehensschuldnerin) gegen den erstinstanzlichen Rechtsgebührenbescheid vom 18. Dezember 1995 als unbegründet abgewiesen und auf der Basis einer sogenannten Ersatzbeurkundung die Gebührenpflicht für ein Darlehen bejaht, welches der Beschwerdeführerin in Höhe von ATS 220 Mio von der Sandoz Management Services SA Brüssel am 20. Jänner 1995 zugezählt worden war. Über dieses Darlehen war keine Urkunde errichtet worden, die Beschwerdeführerin hatte es jedoch in ihre Bücher aufgenommen.

In der dagegen erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin u.a. in ihrem subjektiven öffentlichen Recht auf "Festsetzung von Gebühren und Abgaben nur in Übereinstimmung mit dem EU-Recht, insbesondere in ihrem Recht auf Unterlassung der Festsetzung von Gebühren und Abgaben, die der Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG und/oder Art. 73b Abs. 1 EGV widersprechen" verletzt.

Die Beschwerdeführerin erachtet die von der belangten Behörde angewendete Bestimmung als eine Benachteiligung des Kapitalverkehrs zwischen einem ausländischen Darlehensgeber und einem inländischen Darlehensnehmer und als geeignet, einen inländischen Darlehensnehmer abzuschrecken, sich an einen in einem anderen Mitgliedsstaat ansässigen Darlehensgeber zu wenden. Es liege somit ein Hindernis für den Verkehr von Kapital vor.

Der Bundesminister für Finanzen legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und die von der belangten Behörde verfaßte Gegenschrift vor, in der ein Konflikt des § 33 TP 8 Abs. 4, Satz 1 GebG mit dem Gemeinschaftsrecht verneint wird. Die in Rede stehende Bestimmung des österreichischen Gebührengesetzes sei durch die Ausnahmebestimmungen des Art. 73d Abs. 1 EGV gedeckt. Die Schaffung des Tatbestandes der Ersatzbeurkundung durch die Novelle BGBl. 818/1993 habe nur den Zweck gehabt, eine bis dahin gegebene Begünstigung eines inländischen Darlehensnehmers, der ein Darlehen bei einem ausländischen Darlehensgeber aufnahm (wobei die Urkunde im Ausland beim Darlehensgeber verblieb), zu beseitigen. Die angewendete Bestimmung führe nicht zu einer Diskriminierung von Darlehen ausländischer Darlehensgeber, sondern sichere lediglich, daß Darlehen, die an Inländer vergeben werden, der gleichen steuerlichen Belastung unterliegen, egal ob sie von inländischen oder ausländischen Darlehensgebern gewährt würden. Ansonsten wäre es bei Darlehen von ausländischen Darlehensgebern möglich, daß durch die Beurkundung des Darlehens im Ausland und den Verbleib der Urkunde beim Darlehensgeber im Ausland keine Gebührenpflicht entstünde. Im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sei deshalb der Ersatzbeurkundungstatbestand geschaffen und in das Gebührengesetz aufgenommen worden.

Dazu komme weiters, daß die RL 88/361/EWG keine so konkreten Regelungen über die steuerliche Behandlung von Darlehen enthalte, daß sie unmittelbar anwendbar wäre. Auch die Richtlinie stehe daher einer Anwendung des § 33 TP 8 Abs. 4 Satz 1 GebG nicht entgegen.

2) Die maßgeblichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes lauten:

Art. 73b (Freier Kapital- und Zahlungsverkehr) EGV:

"(1) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

(2) Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten."

Art. 73d (Einzelstaatliche Beschränkungen) EGV:

"(1) Art. 73b berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, (a) die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts

anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln,

(b) die unerläßlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen oder Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind.

(2) Dieses Kapitel berührt nicht die Anwendbarkeit von Beschränkungen des Niederlassungsrechts, die mit diesem Vertrag vereinbart sind.

(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen und Verfahren dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Art. 73b darstellen."

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie des Rates 88/361/EWG lautet:

"(1) Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur im Anhang I gegliedert."

Art. 4 der zitierten Richtlinie lautet:

"Das Recht der Mitgliedsstaaten, auf insbesondere steuerrechtlichem oder bankenaufsichtsrechtlichem Gebiet die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen und Zuwiderhandlungen gegen ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verhindern und Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen, wird durch die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht berührt.

Die Anwendung dieser Maßnahmen und Verfahren darf keine Behinderung des im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht abgewickelten Kapitalverkehrs zur Folge haben."

Darlehen und Kredite von Gebietsfremden an Gebietsansässige fallen gemäß Art. VIII der Nomenklatur des Anhangs I der zitierten Richtlinie unter den Kapitalverkehr.

3) Die maßgeblichen Bestimmungen des österreichischen Gebührengesetzes 1957, BGBl 1957 Nr. 267, idF BGBl 1952 bzw. BGBl 818/1993 lauten:

§ 15 Abs. 1 GebG:

"(1) Rechtsgeschäfte sind nur dann gebührenpflcihtig, wenn über sie eine Urkunde errichtet wird, es sei denn, daß in diesem Bundesgesetz etwas Abweichendes bestimmt wird."

§ 33 Tarifpost (TP) 8 Abs. 1 und Abs. 4 GebG:

"(1) Darlehensverträge nach dem Werte der dargeliehenen

Sache ... 0,8 v.H.

...

(4) Wurde über das Darlehen eines Gesellschafters an seine Gesellschaft oder über das Darlehen eines Darlehensgebers, der im Inland weder einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt noch seine Geschäftsleitung oder seinen Sitz hat, keine Urkunde in einer für das Entstehen der Gebührenpflicht maßgeblichen Weise errichtet, so gelten die nach den abgabenrechtlichen Vorschriften im Inland zu führenden Bücher und Aufzeichnungen des Darlehensschuldners, in die das Darlehen aufgenommen wurde, als Urkunde."

Gemäß § 15 Abs. 1 leg. cit. sind Rechtsgeschäfte nur dann gebührenpflichtig, wenn über sie eine Urkunde errichtet wird, es sei denn, daß in diesem Bundesgesetz etwas Abweichendes bestimmt ist.

4) Voraussetzungen der Vorlage:

Dem Verwaltungsgerichtshof ist im Rahmen der Sicherung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 129 B-VG) auch die Sicherung der Konformität der österreichischen Verwaltung mit dem Gemeinschaftsrecht übertragen (vgl. Jabloner, Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und Verwaltungsgerichtsbarkeit, ÖJZ 1995, 922). Gemeinschaftsrecht, welchem unmittelbare Anwendbarkeit und Geltung zukommt, ist insofern "Gesetz" im Sinne der "Gesetzmäßigkeit" nach Art. 129 B-VG (vgl. Öhlinger, Unmittelbare Geltung und Vorrang des Gemeinschaftsrechts und die Auswirkungen auf das verfassungsrechtliche Rechtsschutzsystem in FS Rill, Wien 1995, 377).

Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht im Sinne des Art. 177 Abs. 3 EGV, also ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können.

Wie der EuGH im Urteil vom 6. Oktober 1982, RS 283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415 ff, ausgesprochen hat, hat ein Gericht im Sinne des Art. 177 Abs. 3 EGV, wenn sich in einem bei ihm anhängigen Verfahren eine Frage der Auslegung von Gemeinschaftsrecht stellt, diese dem EuGH vorzulegen, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, "daß die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, daß die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder daß die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechtes derart offenkundig ist, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt". Der EuGH führt zum Fehlen vernünftiger Zweifel aus, das innerstaatliche Gericht dürfe nur dann davon ausgehen, daß ein solcher Fall für das Gericht vorliege, "wenn es überzeugt ist, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewißheit bestünde". Eine derartige Gewißheit besteht für den Verwaltungsgerichtshof nicht (s. dazu unten).

5) Erläuterungen zu den Vorlagefragen:

Die Sonderbestimmungen des EG-Vertrages über die Kapitalverkehrsfreiheit sind als besondere Ausprägung des in Art. 6 Abs. 1 EGV normierten Diskriminierungsverbotes zu verstehen und gehen dem genannten allgemeinen Grundsatz vor (vgl. Lenz in Lenz, EGV-Komm Rz 5 zu Art. 6). Für die Begriffe Kapital und Kapitalverkehr ist auf die Begriffsverwendung in der Kapitalverkehrs-RL, 88/361/EWG, abzustellen (R.H. Weber in Lenz, a.a.O. Rz 4 zu Art. 73b). Der freie Kapitalverkehr ist eine der Grundfreiheiten der Gemeinschaft und hat das Ziel, das Kapital ungehindert dorthin fließen zu lassen, wo es den höchsten Ertrag bringt (Weber a.a.O. Rz 2 zu Art. 73b). Materiell geht es bei der Verwirklichung der Kapitalverkehrsfreiheit u.a. auch um die Beseitigung von Benachteiligungen durch Abgaben und Gebühren (Weber a.a.O. Rz 10 zu Art. 73b). Da Art. 73b EGV ein Ausdruck des allgemeinen Diskriminierungsverbotes ist, sind insbesondere Diskriminierungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit bzw. betreffend den Anlageort unzulässig (vgl. Weber a.a.O. Rz 13 zu Art. 73b).

Zwar sind gemäß Art. 73d Abs. 1 lit. a und b EGV unterschiedliche Behandlungen bzw. Einschränkungen zulässig, jedoch dürfen diese Maßnahmen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs darstellen (Weber a.a.O. Rz 10 zu Art. 73d).

In der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften wurde die Aussage getroffen, daß gemäß Art. 73b Abs. 1 des Vertrages alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten sind (Urteil vom 14. Dezember 1995, in den verbundenen Rechtssachen C-163/94 , C-165/94 und C-250/94 , Lucas Emilio Sanz de Lera u.a., Slg. 1995 I-4821 ff insb. I-4836) und daß sich auch der einzelne auf die Vorschriften der RL 88/361/EWG berufen kann. Die in Art. 1 der zitierten RL den Mitgliedstaaten auferlegte Verpflichtung, alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zu beseitigen, ist klar und unbedingt formuliert und bedarf keiner besonderen Durchführungsmaßnahme (Urteil vom 23. Februar 1995, in den verbundenen Rechtssachen C-358/93 und C-416/93 , Aldo Bordessa u.a., Slg. 1995 I-361ff insb. I-387). Eine Diskriminierung liegt (nur) dann vor, wenn vergleichbare Sachverhalte rechtlich unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte rechtlich gleich behandelt werden (Urteil vom 13. November 1984, in der Rechtssache 283/83, Firma A. Racke gegen Hauptzollamt Mainz, Slg. 1984/3791ff).

Gemäß § 15 Abs. 1 GebG ist Voraussetzung für die Gebührenpflicht eines Rechtsgeschäftes grundsätzlich, daß über das Rechtsgeschäft eine förmliche Urkunde errichtet wird (vgl. dazu das bei Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern, Band I,

2. Teil, Stempel- und Rechtsgebühren, 4B zu § 15 GebG referierte hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1983,

Zlen. 82/15/0059, 0060). Von diesem Grundsatz (dem sogenannten Urkundenprinzip) besteht nach § 33 TP 8 Abs. 4 Satz 1 leg. cit. im Wege einer Spezialnorm eine Ausnahme, indem (soweit dies für den Beschwerdefall von Interesse ist) die im Inland zu führenden Bücher und Aufzeichnungen, in die das Darlehen aufgenommen wurde, dann, wenn nicht schon eine andere Urkunde die Gebührenpflicht ausgelöst hat, als Rechtsurkunde anzusehen sind und damit als Ersatztatbestand zur Gebührenpflicht des Rechtsgeschäftes führen (Fellner, a.a.O., Ergänzung H, 18/1 H zu § 33 TP 8 GebG).

Die zitierte Bestimmung des § 33 TP 8 Abs. 4, Satz 1 leg. cit. wurde im Wege der Novelle BGBl. 818/1993 geschaffen. Der Bericht des Finanzausschusses (1301 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, XVIII GP.,8) führt dazu u.a. folgendes aus:

"... Im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sind

bei der Darlehens- und Kreditvertragsgebühr außerdem weitere Änderungen vorgesehen:

...

...

  1. b) das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 6;
  2. c) die unmittelbare Geltung der Richtlinie des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrages, die auf der Grundlage der obzitierten Bestimmungen des Vertrages die Freiheit des Kapitalverkehrs gewährleistet.

    Daher erscheint insbesondere die Frage klärungsbedürftig, ob Art. 73d Abs. 1 lit. a einerseits bzw. Art. 73d Abs. 1 lit. b des Vertrages iVm Art. 4 der RL 88/361/EWG andererseits eine ausreichende Rechtfertigung für § 33 TP 8 Abs. 4 Satz 1 GebG 1957 darzustellen vermögen.

    Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Erhebung der Darlehensgebühr gemäß § 33 TP 8 Abs. 1 GebG nicht überhaupt eine Diskriminierung bzw. eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Art. 73b des Vertrages darstellt (Art. 73d Abs. 3 des Vertrages), sofern davon ein Darlehensfluß von einem in den anderen Mitgliedstaat betroffen ist.

    Gemäß Art. 177 EGV war daher die im Spruch formulierte Frage dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorzulegen.

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