VwGH 96/08/0248

VwGH96/08/024822.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 28. März 1996, Zl. MA 12 - 17136/84, betreffend Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes für den Zeitraum vom 9. Mai 1995 bis 8. Juli 1995, zu Recht erkannt:

Normen

SHG Wr 1973 §13 Abs2;
SHG Wr 1973 §3 Abs2;
SHG Wr 1973 §38;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;
SHG Wr 1973 §13 Abs2;
SHG Wr 1973 §3 Abs2;
SHG Wr 1973 §38;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 8. Mai 1995 auf Zuerkennung einer Geldaushilfe für den Zeitraum vom 9. Mai bis 8. Juni 1995 und den Antrag vom 26. Mai 1995 auf Zuerkennung einer Geldaushilfe vom 9. Juni 1995 bis 8. Juli 1995 abgewiesen.

Nach einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der §§ 8 Abs. 1 und 13 Abs. 2 WSHG begründete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid damit, es sei unstrittig, daß der Beschwerdeführer für sich selbst infolge Richtsatzüberschreitung seines Einkommens (ergänze: eines Notstandshilfebezuges) keinen Anspruch auf Sicherung des Lebensbedarfes (ergänze: nach dem Wiener Sozialhilfegesetz) habe. Zu entscheiden sei lediglich die Frage gewesen, ob seiner Ehegattin Virginia bzw. den gemeinsamen Kindern Karl und Christina Sozialhilfe gebühre (gemeint: ob der für den Beschwerdeführer geltende Richtsatz für die Genannten um jenen für Mitunterstützte im Sinne des § 13 Abs. 2 WSHG in Verbindung mit der Richtsatzverordnung zu erhöhen sei). Ein solcher Anspruch bestehe nach Auffassung der belangten Behörde schon deshalb nicht, weil sich die Ehegattin des Beschwerdeführers sowie beide Kinder im verfahrensgegenständlichen Zeitraum auf den Philippinen aufgehalten hätten. Dies gehe einerseits daraus hervor, daß die Ehegattin des Beschwerdeführers am 12. Juni 1995 in einer näher genannten philippinischen Stadt entbunden habe. Dazu liege im Akt die Geburtsurkunde der Tochter in Kopie auf. Andererseits ergebe sich dies aus der Zeugenaussage einer im Hause wohnenden Partei, die in glaubwürdiger und unbedenklicher Weise angegeben habe, daß die Ehegattin des Beschwerdeführers im Zeitraum von Oktober 1994 bis Oktober 1995 nicht im Haushalt des Beschwerdeführers gewohnt habe.

Dem Einwand des Beschwerdeführers, daß sein Sohn Karl nicht auf den Philippinen gewesen sei, da in seinem österreichischen Reisepaß kein Einreisestempel der philippinischen Behörden aufscheine, müsse entgegengehalten werden, daß seine Mutter philippinische Staatsbürgerin sei und somit die Möglichkeit gehabt hätte, "aufgrund der paßrechtlichen Vorschriften ihres Heimatlandes Vorkehrungen für die Einreise ihres Sohnes Karl in die Philippinen zu treffen". Es sei auch anzumerken, daß der Beschwerdeführer die Vorlage des philippinischen Reisepasses seiner Gattin entweder verweigert oder ihn bei Vorsprachen bei der Behörde nicht aus der Hand gegeben habe und dem Beamten nur die erste, ihm unverfänglich erscheinende Seite des Passes zur Einsichtnahme hingehalten habe. Die fehlende Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ergebe sich daraus, daß er nicht bereit sei, genaue Angaben über den Zeitraum der Abwesenheit seiner Gattin und der Kinder zu machen und während seines jahrelangen Kontaktes mit der erstinstanzlichen Behörde sowohl in der Vergangenheit als auch derzeit sämtliche Erhebungstätigkeiten der Behörde, die nach den Bestimmungen des WSHG verpflichtet sei, die tatsächlichen Lebensumstände von Hilfesuchenden, insbesondere bei Familie mit Kindern zu ermitteln, "konterkariere". So ignoriere er seit Jahren immer wieder Ladungen, die ihn allein oder auch seine Gattin beträfen, bzw. könne niemals ein Hausbesuch durchgeführt werden. Regelmäßig verweigere der Beschwerdeführer die Vorlage von Urkunden und Dokumenten und es gelinge ihm von Anbeginn an durch Jahre hindurch eine direkte Kontaktaufnahme der Behörde mit seiner Gattin zu verhindern. Ein aussagekräftiges Faktum zur Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sei auch die Tatsache, daß er sich seit Jahren "querulatorischerweise" an verschiedene Dienststellen des Magistrates wende, wobei seinen Behauptungen zufolge ständig Benachteiligungen seiner Person erfolgen würden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur An- bzw. Abwesenheit seiner Familienmitglieder im verfahrensgegenständlichen Zeitraum könne daher im gegebenen Fall bei Abwägung aller Erhebungsergebnisse und der bisherigen Kooperationsunwilligkeit des Beschwerdeführers kein Glauben geschenkt werden. Bezeichnend sei auch, daß die Aufnahme einer Niederschrift mit der als Zeuge aufgetretenen Hauspartei nicht habe erfolgen können, da die Partei "aufgrund der problematischen Persönlichkeit des (Beschwerdeführers)" Repressalien durch diesen befürchtet habe. Das vom Gesetz verlangte Erfordernis des Lebens in Familiengemeinschaft mit dem Beschwerdeführer bzw. des Aufenthaltes in Wien sei somit bei der Gattin des Beschwerdeführers und den beiden Kindern nicht gegeben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 8 Abs. 1 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 11/1973, in der Fassung der Novelle

LGBl. Nr. 50/1993, hat Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, wer diesen für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

Gemäß § 13 Abs. 1 leg. cit. hat die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen, die durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen sind.

§ 13 Abs. 2 leg. cit. regelt den Inhalt einer solchen Verordnung in folgender Weise:

"(2) In der Verordnung über die Festsetzung der Richtsätze sind folgende Arten von Richtsätzen vorzusehen:

  1. 1. Richtsatz für den Alleinunterstützten,
  2. 2. Richtsatz für den Hauptunterstützten,
  3. 3. Richtsatz für den Mitunterstützten

Der in Z. 1 bezeichnete Richtsatz hat im Umfang des Abs. 3 den Lebensunterhalt eines Hilfesuchenden zu decken, der keine mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen hat. Die in den Z. 2 und 3 bezeichneten Richtsätze haben zusammen den Lebensunterhalt eines Hilfesuchenden, seines Ehegatten oder Lebensgefährten und der sonst mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen im Umfange des Abs. 3 zu decken.

Bezieht ein mit dem Hilfesuchenden in Familiengemeinschaft lebender unterhaltsberechtigter Angehöriger von einem außerhalb der Familiengemeinschaft lebenden Dritten eine Unterhaltsleistung, die die Höhe des Richtsatzes für einen Mitunterstützten übersteigt, so ist dieser Angehörige bei der Bedarfsermittlung nicht zu berücksichtigen. Dies gilt sinngemäß auch für Lehrlingsentschädigungen oder für ein allfälliges sonstiges Einkommen dieses Angehörigen."

Gemäß § 38 WSHG sind für die Gewährung von Sozialhilfe die Organe des Landes und der Gemeinde Wien örtlich zuständig, wenn der Hilfesuchende seinen ordentlichen Wohnsitz oder mangels eines solchen seinen Aufenthalt in Wien hat.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt eine Bemessung der Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Richtsatz für den Hauptunterstützten und Mitunterstützten somit voraus, daß der Hilfesuchende mit unterhaltsberechtigten Angehörigen IN FAMILIENGEMEINSCHAFT lebt und diese Angehörigen hilfsbedürftig im Sinne des § 8 Abs. 1 Wiener SHG sind (vgl. etwa aus jüngerer Zeit das Erkenntnis vom 29. Juni 1993, Zl. 92/08/0067, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

In seiner Beschwerde bringt der Beschwerdeführer unter anderem vor, daß die Ehegattin im "April 1995 zu ihren Eltern" gefahren und "im September 1995" zum Beschwerdeführer in die eheliche Wohnung zurückgekehrt sei. Seine Frau sei "zur Entbindung zu ihren Eltern geflogen ... wobei sie ihren Sohn, das Kleinkind Karl, selbstverständlich mitgenommen" gehabt habe. Dies habe der Beschwerdeführer auch gegenüber den Behörden offengelegt. Auch habe die Behörde erster Instanz von der Niederkunft gewußt, weil für die Rückkehr der Familie samt Neugeborenen die Ausstellung eines Reisepasses für die neugeborene Tochter erforderlich gewesen sei. Zur Ausstellung dieses Reisepasses sei die Tochter "unter Vorlage der Geburtsurkunde ... hier angemeldet" worden.

In rechtlicher Hinsicht vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, daß der Begriff der "Familiengemeinschaft" im Sinne der sozialen Institution Familie, der Gemeinschaft der natürlichen oder rechtlichen Verwandten, zu verstehen sei, wozu noch die Unterhaltspflicht bzw. Unterhaltsberechtigung hinzutrete. Diese bleibe auch bei einem zeitlich beschränkten Aufenthalt der Ehegattin des Beschwerdeführers auf den Philippinen bestehen, weshalb dieser Aufenthalt die Familiengemeinschaft, welche die belangte Behörde rechtsirrig als Hausgemeinschaft verstanden habe, nicht aufhebe. Überdies verlange die erste Instanz immer wieder aufs Neue den Nachweis, in welcher Form die Ehegattin des Beschwerdeführers ihrer Unterhaltspflicht nachkomme.

Was das zuletzt erwähnte Argument betrifft, so muß darauf schon deshalb nicht eingegangen werden, weil die belangte Behörde die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Sicherung des Lebensunterhaltes im Zeitraum vom 9. Mai 1995 bis 8. Juli 1995 darauf nicht gestützt hat. Der angefochtene Bescheid ist vielmehr schon deshalb nicht rechtswidrig, weil die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, daß die Ehegattin des Beschwerdeführers mit diesem im genannten Zeitraum nicht in Familiengemeinschaft gelebt hat:

Der Verwaltungsgerichtshof vermag der Beschwerdeargumentation, daß der Begriff Familiengemeinschaft die Verwandtschaft bzw. Ehe in Verbindung mit der Unterhaltsberechtigung als solcher umschreibe, nicht aber die Hausgemeinschaft erfordere, nicht zu folgen. In diesem Fall wäre nämlich nicht verständlich, aus welchem Grund das Gesetz zusätzlich zum Begriff der "unterhaltsberechtigten Angehörigen" (worunter auch die Ehegattin zu verstehen ist) das Erfordernis der "Familiengemeinschaft" enthält. Wenn die Auffassung des Beschwerdeführers zuträfe, daß bereits die Eigenschaft als Ehefrau und die Unterhaltsberechtigung zur Annahme einer Familiengemeinschaft ausreichten, dann bedürfte es dieses zusätzlichen Tatbestandselements im Gesetz nicht. Davon kann aber im Zweifel nicht ausgegangen werden.

Während das Gesetz beim Hilfesuchenden das Erfordernis des ordentlichen Wohnsitzes bzw. (in Ermangelung eines solchen) zumindest des Aufenthaltes im Geltungsbereich des Wiener Sozialhilfegesetzes fordert, richtet sich die Höhe SEINES Lebensbedarfes, insbesondere jenes zum Lebensunterhalt, nicht nur nach seinen eigenen Bedürfnissen, sondern auch nach den Bedürfnissen derjenigen Personen, mit denen er in seinem Haushalt gemeinsam wirtschaftet. Personen, mit denen der Hilfebedürftige nicht in seinem Haushalt wirtschaftet, sondern die von ihm getrennt leben, sind nicht bei der Bemessung der Geldleistung des Hilfesuchenden selbst zu berücksichtigen, sondern haben allenfalls - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - einen eigenen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, aber wieder nur unter der Voraussetzung, daß sie im Geltungsbereich des Gesetzes zumindest einen Aufenthalt haben.

Vor diesem Hintergrund ist daher zu prüfen, welche Bedeutung die persönliche Anwesenheit im gemeinsamen Haushalt für den Begriff der "Familiengemeinschaft" hat. Dies ist unter Einbeziehung von Sinn und Zweck der Leistung von Sozialhilfe im allgemeinen und der Grundsätze, die das Wiener Sozialhilfegesetz im besonderen dafür vorsieht, zu beurteilen. So ist gemäß § 3 Abs. 2 WSHG darauf Bedacht zu nehmen, daß die familiären Beziehungen zwischen dem Hilfesuchenden und seinen Angehörigen erhalten und gefestigt und die Kräfte der Familie zur Selbsthilfe angeregt und gefördert werden.

Unter diesem Gesichtspunkt ist der Begriff der Familiengemeinschaft nicht so zu verstehen, daß schon jede kurzfristige, vorübergehende Abwesenheit die Familiengemeinschaft aufhebt. Für die Frage, wann dies der Fall ist, kann daher die Verkehrsauffassung nicht außer Betracht bleiben. So wird ein vorübergehender Krankenhausaufenthalt eines unterhaltsberechtigten Familienangehörigen oder eine das übliche Ausmaß nicht überschreitende Abwesenheit aus Urlaubsgründen am Fortbestehen der Familiengemeinschaft nichts ändern.

Wenn aber - so wie nach den Ausführungen im Beschwerdevorbringen im vorliegenden Fall - die Ehegattin des Beschwerdeführers im April 1995 "zu ihren Eltern" auf die Philippinen geflogen ist, dazu auch das gemeinsame Kind mitgenommen hat und erst im September 1995 (nach Entbindung von der gemeinsamen Tochter auf den Philippinen) zum Beschwerdeführer zurückgekehrt ist, dann kann nach der Verkehrsauffassung nicht davon die Rede sein, daß es sich dabei um eine übliche, kurzfristige Abwesenheit handelt. Jemand, der durch nahezu ein halbes Jahr die eheliche Wohnung verläßt, hat für diesen Zeitraum die Familiengemeinschaft (aus welchen Motiven immer) auch dann aufgegeben, wenn dies in der Absicht geschieht, danach wieder in die Hausgemeinschaft zurückzukehren, und diese Rückkehr tatsächlich erfolgte.

Der Beschwerdeführer hat somit im beschwerdegegenständlichen Zeitraum vom 9. Mai bis 8. Juli 1995 weder mit seiner Ehegattin noch mit seinem minderjährigen Kind in Hausgemeinschaft gelebt. Die belangte Behörde hat daher den Richtsatz des Beschwerdeführers zu Recht nicht um den Richtsatz für Mitunterstützte erhöht. Daß dem Beschwerdeführer ohne Berücksichtigung eines weiteren Richtsatzes für Mitunterstützte ein Sozialhilfeanspruch nicht zusteht, bestreitet er auch in seiner Beschwerde nicht.

Diese ist somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden, da die Begründung des angefochtenen Bescheides in Verbindung mit dem Beschwerdevorbringen erkennen läßt, daß der Sachverhalt hinreichend geklärt ist und die Lösung der Rechtsfrage - vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens - eine mündliche Erörterung zu ihrer weiteren Klärung nicht erfordert.

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