VwGH 95/14/0125

VwGH95/14/012528.1.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der C in E, vertreten durch F, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 11. August 1995, 221/3-8/NW-1995, betreffend Rückforderung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages, zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §2 Abs1 litc;
FamLAG 1967 §6 Abs2 litd;
FamLAG 1967 §2 Abs1 litc;
FamLAG 1967 §6 Abs2 litd;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 16. März 1994 forderte das Finanzamt von der Beschwerdeführerin die für ihren am 17. Februar 1970 geborenen Sohn RF für den Zeitraum Februar 1993 bis Jänner 1994 gewährte Familienbeihilfe in Höhe von S 43.200,-- und den für diesen Zeitraum gewährten Kinderabsetzbetrag in Höhe von S 4.200,-- zurück. Zur Begründung führte es aus, ein Kind, das trotz eines vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Leidens oder Gebrechens in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt durch ein Dienstverhältnis durch Jahre hindurch nach Vollendung des 21. Lebensjahres zu verdienen, erfülle nicht die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG, weil die im Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres vorhandene Behinderung offenkundig keine dauernde Erwerbsunfähigkeit bewirkt habe.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. RF habe am 17. Februar 1991 das 21. Lebensjahr vollendet. In der Zeit vom 1. August 1985 bis zum 10. Jänner 1993 sei er als Hilfsarbeiter im Stift W beschäftigt gewesen. Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 4. Februar 1993 sei RF nach dem Oberösterreichischen Behindertengesetz 1991 Hilfe durch geschützte Arbeit im Rahmen einer geschützen Werkstätte gewährt worden. In der Zeit vom 17. Februar 1993 bis 15. April 1993 habe RF Arbeitslosengeld bezogen, anschließend sei er bis zum 31. August 1993 in der Außenstelle des Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrums Linz tätig gewesen. Vom 3. September 1993 bis zum 1. Februar 1994 sei ihm Arbeitslosengeld und vom 2. Februar 1994 bis zum 30. April 1994 Notstandshilfe gewährt worden. Mit Bescheid des Arbeitsamtes Eferding vom 31. Mai 1994 sei die Gewährung der Notstandshilfe mit Wirkung ab 1. Mai 1994 eingestellt worden, weil das Ermittlungsverfahren ergeben habe, daß RF nicht arbeitsfähig sei. Eine mehrjährige berufliche Tätigkeit stehe nach Ansicht der belangten Behörde der Annahme entgegen, daß ein Kind voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dies ergebe sich auch aus den Gesetzesmaterialien, wonach der Familienbeihilfenanspruch für Personen gedacht sei, die bereits im Kindesalter erheblich behindert gewesen und niemals erwerbsfähig geworden seien. Die Beschwerdeführerin habe im Verwaltungsverfahren die Einvernahme des im Stift W tätigen Pater G beantragt; dieser habe im Rahmen der Zeugeneinvernahme vom 25. Juli 1995 angegeben:

"RF stand vom 1.8.1985 bis 30.1.1993 in einem Dienstverhältnis zum Stift W. RF war beschäftigt als Hilfsarbeiter in der Stiftsgärtnerei. Die Bezahlung erfolgte entsprechend dem Kollektivvertrag. Im Vordergrund stand das caritative Motiv. Die Entlassung erfolgte nicht wegen schlechter Arbeitsleistungen, sondern wegen der Agressionen. Arbeitsleistung war eigentlich nie da. Eher war es eine Beschäftigungstherapie (reine Hilfsarbeiten). Mündliche Anweisungen konnte er nicht in die Tat umsetzen. Einfachste Tätigkeiten mußten ihm vorgemacht werden. Der Lohn betrug ca. S 8.000,-- netto (volle Arbeitszeit)."

Mit Bescheid vom 4. Februar 1994 habe zwar die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter die Ablehnung des Antrages auf Zuerkennung einer Invaliditätspension im wesentlichen damit begründet, daß eine ärztliche Begutachtung ergeben habe, das Leiden des RF beruhe auf einer Oligophrenie; RF wäre damit nie in der Lage gewesen, einer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bewertbaren Beschäftigung nachzugehen. Der Verwaltungsgerichtshof habe jedoch in seinem Erkenntnis vom 21. November 1990, 90/13/0129, ausgesprochen, die Forderung, daß sich das Kind den Unterhalt mit dem üblichen, zum Erwerb normalerweise erforderlichen Mittel bzw. unter den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Bedingungen verschaffen könne, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die belangte Behörde vertrete daher die Auffassung, daß alleine aufgrund des Dienstverhältnisses und ohne Berücksichtigung des anschließenden Bezuges der Leistung aus der Arbeitslosenversicherung davon auszugehen sei, daß RF über das 21. Lebensjahr hinaus zumindest bis Jänner 1993 erwerbsfähig gewesen sei, zumal auch die Entlohnung, die er erhalten habe, dem Kollektivvertrag entsprochen habe. Die Einholung des dem Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter zugrundeliegenden medizinischen Sachverständigengutachtens bzw. eines medizinischen Gutachtens über den Gesundheitszustand von RF durch einen neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen - dies sei von der Beschwerdeführerin beantragt worden - könne im gegenständlichen Fall zu keinem anderen Ergebnis führen. Somit sei davon auszugehen, daß die im Zeitpunkt der Vollendung des 21. Lebensjahres des RF vorhandene Behinderung keine dauernde Erwerbsunfähigkeit bewirkt habe. Sohin sei ein Anspruch auf Familienbeihilfe im Berufungszeitraum nicht gegeben gewesen. Gemäß § 33 Abs. 4 Z. 3 lit. a EStG 1988 stehe einem Steuerpflichtigen, dem aufgrund des FLAG 1967 Familienbeihilfe gewährt werde, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag zu; mangels Anspruches auf Familienbeihilfe habe im Berufungszeitraum auch der Anspruch auf Kinderabsetzbetrag nicht bestanden.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin bringt vor, für die Lösung des gegenständlichen Rechtsstreites sei entscheidend, ob die von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogene gegenwärtige Berufsunfähigkeit von RF bereits vor Vollendung seines 21. Lebensjahres bestanden habe. Die belangte Behörde stütze sich im wesentlichen darauf, daß RF von August 1985 bis Jänner 1993 als Hilfsarbeiter im Stift W beschäftigt gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe im Verfahren vorgebracht und unter Beweis gestellt, daß RF zu keinem Zeitpunkt der Beschäftigung im Stift W (sowie der Beschäftigung in geschützten Werkstätten) in der Lage gewesen sei, sich seinen Unterhalt selbst zu verschaffen. Es seien caritative Erwägungen ausschlaggebend dafür gewesen, den praktisch keine verwertbaren Arbeitsleistungen erbringenden RF in der Gärtnerei des Stiftes W zu beschäftigen. Wenn trotz einer Anstellung eine Bezahlung nicht für verrichtete Arbeiten, sondern aus anderen Gründen erfolge, nämlich wie hier aus ausschließlich caritativen Umständen, so könne auch bei langjähriger Anstellung nicht auf die Fähigkeit zum Erwerb des Unterhaltes geschlossen werden. Im gegenständlichen Fall sei dargetan worden, daß trotz Anstellung des RF zu keinem Zeitpunkt eine Erwerbsfähigkeit, also die Fähigkeit am Arbeitsmarkt Einkünfte zu erzielen, gegeben gewesen sei. Sollte nach den vorliegenden Beweisergebnissen diese Annahme aber noch nicht gerechtfertigt sein, so wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, im Sinne der konkreten Beweisanträge der Beschwerdeführerin nähere Nachforschungen anzustellen. Insbesondere hätte durch Einholung eines entsprechenden Gutachtens und durch Beischaffung der beantragten Unterlagen mit letzter Sicherheit bewiesen werden können, daß RF bereits von Kindheit an so stark behindert gewesen sei, daß er zu keinem Zeitpunkt fähig gewesen sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

§ 33 Abs. 4 Z. 3 lit. a EStG 1988 in der für die Streitjahre geltenden Fassung regelt, daß einem Steuerpflichtigen, dem aufgrund des FLAG Familienbeihilfe gewährt wird, ein Kinderabsetzbetrag im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe zusteht.

Im gegenständlichen Fall ist die Anspruchsvoraussetzung der Beschwerdeführerin auf Gewährung der Familienbeihilfe für ihren Sohn nach dem ersten Fall des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG strittig.

Voraussetzung für den Anspruch auf Familienbeihilfe nach der genannten Bestimmung ist, daß das Kind wegen seiner vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes widerlege die für den Anspruch auf Familienbeihilfe nach der genannten Bestimmung notwendige Annahme, das Kind sei infolge seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. Oktober 1995, 91/14/0197, vom 21. November 1990, 90/13/0129 und vom 25. Jänner 1984, 82/13/0222). Von einer beruflichen Tätigkeit kann indes nicht gesprochen werden, wenn der "beruflich Tätige" keine (Arbeits)Leistungen erbringt, wenn also eine Einrichtung bereit ist, aus caritativen Überlegungen oder zu therapeutischen Zwecken eine Person ohne Erwartung einer Gegenleistung wie einen Dienstnehmer zu behandeln. Im Erkenntnis 90/13/0129 hat der Verwaltungsgerichtshof - zur vergleichbaren Bestimmung des § 6 Abs 2 lit d FLAG - zwar ausgesprochen, es komme nicht darauf an, daß der Erwerb unter den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Bedingungen verschafft werden könne, er hat aber darauf abgestellt, ob sich die betreffende Persone durch Arbeitsleistungen () den Unterhalt verschaffen kann.

Im gegenständlichen Fall lag der belangten Behörde die Zeugenaussage des Pater G vom Stift W vor; aus dieser ergab sich, daß RF dem Stift W im wesentlichen keine Arbeitsleistungen erbracht hat. Angesichts dieser Aussage und weil die Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren vorgebracht hat, es sei kein "normales Dienstverhältnis" vorgelegen, RF sei im Stift "geduldet" und aus Nächstenliebe nicht entlassen worden, seine Tätigkeit könne nicht als Arbeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens betrachtet werden, durfte die belangte Behörde die Beschäftigung des RF im Stift W nicht als berufliche Tätigkeit ansehen, die die Annahme widerlege, RF sei infolge seiner Behinderung (bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres) außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Bei dieser Sachlage wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu entsprechen und das dem Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (vom 4. Februar 1994) zugrundeliegende medizinische Sachverständigengutachten zu berücksichtigen, zumal die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren - wie nunmehr in der Beschwerde - vorgebracht hat, aus dem Gutachten ergebe sich, daß ihr Sohn niemals imstande gewesen sei, einer auf dem Arbeitsmarkt bewertbaren Beschäftigung nachzugehen.

Die belangte Behörde hat sohin Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 416/1994.

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