VwGH 95/01/0642

VwGH95/01/064225.6.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des G in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. November 1995, Zl. 4.338.999/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und reiste im August 1991 (laut Bescheid am 11. Juni 1991) aus Ungarn kommend in das Bundesgebiet ein. Mit Schreiben vom 11. Februar 1992 beantragte er die Gewährung von Asyl und begründete diesen Antrag damit, er sei nigerianischer Staatsbürger und gehöre der christlichen Minderheit an. Im vergangenen Jahr sei es mehrmals zu Übergriffen von moslemischen Bürgern auf Christen (Niederbrennen von Häusern, in denen Christen wohnen) gekommen. Im Juni und Juli 1991 seien mehrere Personen zu dem Haus seiner Eltern, in dem auch er gelebt habe, gekommen, hätten die Tür eingebrochen und die Einrichtung verwüstet. Seine Eltern, sein Bruder und er selbst seien durch die Hintertüre geflohen. In der Nachbarschaft seien bei ähnlichen Überfällen die Hauseinwohner auch getötet worden. Die Polizei sei nicht willens, ihr Leben zu schützen. Im August 1991 habe er daher Nigeria verlassen. Ohne weiteres aktenkundiges Verfahren wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 3. April 1992 abgewiesen. In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen die auch den schriftlichen Asylantrag begründenden Angaben.

Anläßlich der über Auftrag der belangten Behörde durch das Bundesasylamt am 11. Oktober 1995 vorgenommenen niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers gab dieser im Rahmen der Befragung über seine Fluchtbewegung an, er sei von Lagos direkt mit der Balkan Air nach Prag geflogen und habe dabei einen britischen Paß, der für eine andere Person ausgestellt worden sei, verwendet. Diesen Paß habe er an einer Stelle in Lagos gekauft, wo man "alles kaufen" könne. Er habe damals umgerechnet etwas weniger als 50 US-Dollar bezahlt. Dieser Paß sei nicht verfälscht. An Einzeldaten daraus könne er sich nicht erinnern. Er habe ihn etwa einen Monat vor dem Abflug gekauft. Über Anraten von Landsleuten habe er diesen Paß verbrannt. Seinen im Jahr 1991 ausgestellten Reisepaß habe er erst später durch die Post von zuhause am 27. Juni 1991 nachgesandt erhalten. Er habe diesen Paß noch selbst in Nigeria beantragt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, er habe im Jahr 1991 während der fundamentalistischen Ausschreitungen in Nigeria Probleme politischer und religiöser Natur bekommen. Er habe im nördlichen Teil des Landes gelebt, wo die Mehrzahl der Leute, die auch an der Macht seien, Moslems seien. Er selbst sei Christ. Während dieser Ausschreitungen sei er vom Militär für 21 Tage an einem Platz festgehalten worden, wo er mit dem Hubschrauber hingebracht worden sei. In diesem Gefängnis hätte man keine Briefe schreiben und keine Besuche empfangen dürfen. Nach 21 Tagen sei er freigelassen worden, ohne daß Anklage gegen ihn erhoben worden sei. Er sei auch nicht nach Hause zurückgebracht worden, sondern habe die Rückreise selbst organisieren müssen. Da er mit seiner Familie im Norden gelebt habe, habe es Drohungen gegen seine Familie gegeben, weil sie alle Christen seien. Ihr Haus sei auch niedergebrannt worden. Das sei bei der Polizei zwar angezeigt worden, aber da die Leute, die an der Macht seien, aus dem Norden seien, sei dagegen nichts unternommen worden. Während dieser Zeit seien auch viele Leute getötet worden und die Polizei habe dagegen nichts unternommen. Dies sei der eigentliche Grund gewesen, weshalb er das Land verlassen habe. Im Rahmen einer Detailbefragung gab der Beschwerdeführer auf die Frage, weshalb von dem Detention-Camp nichts im Asylantrag aufgeschienen sei, an, es habe damals mit einem Flüchtlingsberater nur ein kurzes Gespräch gegeben und es sei ihm gesagt worden, es würde nur ein kurzer Antrag gestellt werden, alles weitere solle er in Traiskirchen erzählen. Dort seien ihm aber nur Fingerabdrücke abgenommen worden, zu einem Interview sei es nicht gekommen. Er sei 1991 in K in der M-Road festgenommen worden, weil es Ausschreitungen gegen die Regierung gegeben habe, an denen er, allerdings nicht aktiv, beteiligt gewesen sei. Es habe im ganzen Land Ausschreitungen gegeben. Mit dem von ihm verwendeten Begriff "Sub-Riad" meine er lediglich die Ausschreitungen in K. Er sei kein Parteimitglied, fühle sich aber verpflichtet, sich wie die anderen gegen die Regierung zu wehren. Auf die Frage, ob er selbst an Gewalttaten teilgenommen habe, gab der Beschwerdeführer an, es seien sehr viele Menschen anwesend gewesen, die demonstriert hätten. Die Demonstration sei zunächst friedlich verlaufen, dann seien die Demonstranten aber vom Militär angegriffen, geschlagen und geprügelt worden und hätten begonnen, sich zu verteidigen. Dabei sei es zu Ausschreitungen gekommen, wobei sich die Demonstranten mit Schlagstöcken verteidigt hätten. Er selbst habe keine Gewalt angewendet, aber in dieser Menge sei er "untergegangen". Als die Leute dann begonnen hätten zu flüchten, sei er zu Sturz gekommen und sei auf diese Weise festgenommen worden. Es seien damals nach Angaben in den Zeitungen 500 Festnahmen erfolgt, allein in K 360. Er selbst sei in einer Gruppe von zehn Festgenommenen in einem Lkw in ein Camp gebracht worden, in dem gut 500 Leute Platz gefunden hätten. Das Lager sei voll gewesen. Zur Art der Verbringung gab der Beschwerdeführer an, er sei zunächst auf einem Lkw weggebracht und dann in einem Hubschrauber in dieses Camp geflogen worden, daher wisse er auch nicht, wo dieses liege. In dem Lager sei er nicht nur festgehalten, sondern auch gefoltert worden. Dies habe darin bestanden, daß genau um vier Uhr alle aufgeweckt worden seien und sich in einer Reihe hätten aufstellen müssen. Sei seien dann mit einer Flüssigkeit für die Wasseraufbereitung bespritzt worden, um so die Schmerzen beim Auspeitschen zu erhöhen. Dabei sei eine Art Reitpeitsche verwendet worden. Sonst habe es keine Torturen gegeben, sie hätten aber z.B. zwei Tage lang keine Nahrung erhalten. Nach 21 Tagen sei er dann freigelassen worden. Zu Beginn seiner Anhaltung sei er anfangs jeden Tag, später aber nicht mehr so häufig geschlagen worden. Seine damals erlittenen Verletzungen seien heute nicht mehr sichtbar. Bei der Freilassung seien Gruppen namentlich aufgerufen worden und hätten sich zu einer bestimmten Örtlichkeit begeben müssen. Eines Tages habe man ihn auch aufgerufen und am Portal gesagt, er sei nun frei. Die Freigelassenen hätten keinerlei Bescheinigungen erhalten, es habe auch kein Verfahren gegeben. Er habe dann einen Lkw gestoppt, der ihn nach Hause gebracht habe. Das Lager befinde sich außerhalb der Stadt Kasina, etwa fünf Fahrstunden von K entfernt. Nachdem er freigelassen worden sei, sei - etwa zwei Monate vor seiner Ausreise - im Rahmen weiterer fundamentalistischer Ausschreitungen sein Haus niedergebrannt worden. Es seien nicht nur sein Haus, sondern viele Häuser von Christen betroffen gewesen. Er sei auch oft von moslemischen Fanatikern in der Nacht bedroht worden. Auf die Frage, ob es ihm und seiner Familie damals möglich gewesen sei, in anderen Teilen des Landes respektive im Süden zu leben, antwortete der Beschwerdeführer, möglich sei dies schon gewesen, aber er habe ja "nirgends anders" ein Haus gehabt. Auf die Frage, ob er einer direkten staatlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, antwortete der Beschwerdeführer, diese Vorfälle seien direkt von der Regierung gesteuert worden, diese sei heute noch immer an der Macht. Die Staatsreligion sei moslemisch. Man dürfe zwar die christliche Religion praktizieren, habe dann aber große Probleme. Maskierte Leute verfolgten die Christen und zerstörten die Kirchen, die meisten Kirchen im Norden seien schon zerstört. Auf die Frage, weshalb seine Haft in der Berufung nicht angeführt worden sei, verwies der Beschwerdeführer sinngemäß wiederum darauf, daß diese Berufung, deren Inhalt er nicht gekannt habe, von einem Dritten verfaßt und von ihm lediglich unterschrieben worden sei. Auf weitere Fragen durch das Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer an, diese Demonstration (offenbar gemeint: unmittelbar vor seiner Haft) sei nicht die erste und auch nicht die letzte gewesen, diese Demonstrationen richteten sich gegen das Regime von Babangida. Etwa ein Jahr vor der beschriebenen Festnahme in K sei er schon einmal während einer Studentendemonstration festgenommen, jedoch wiederum nicht angeklagt oder vor Gericht gestellt worden. Er habe sich damals auch nicht "in Haft" befunden. Über weitere Befragung gab der Beschwerdeführer an, sein Haus sei von moslemischen Fundamentalisten mit Masken, genannt die "Satans of Sokoto", niedergebrannt worden. Alle seien zur Polizei gegangen, nicht nur er. Die Polizei habe gesagt, sie wisse Bescheid, habe aber nichts getan. Er gehöre einer Freiheitsbewegung an, die keinen speziellen Namen habe. Im Falle seiner Rückkehr habe er keinen Platz mehr, wo er leben könnte, da Nigeria noch immer ein Land ohne Freiheit, Recht oder Schutz sei. Eine direkte Anklage habe er nicht zu erwarten, könne aber jederzeit getötet werden und "niemand fragt und niemand tut was dagegen". Es könnte auch sein, daß er verhaftet würde. Seine Religion müsse er immer leugnen. Auf den Vorhalt, daß Christen auch höhere Funktionen in der Armee innehaben, sagte der Beschwerdeführer, es gebe z.B. den zweiten Kommandanten von Babangida, der Christ sei, aber der habe nichts zu reden. Er sei nur "eine Figur".

Mit Bescheid vom 2. November 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage dahingehend, der Umstand, daß der Beschwerdeführer Christ sei, könne einen Asylanspruch nicht begründen, zumal Nigeria keine Staatsreligion habe. Auch seine Angaben, daß es im Laufe des Jahres 1991 zu Übergriffen von moslemischen Bürgern auf Christen gekommen sei, wodurch auch einige Leute aus der Nachbarschaft getötet worden seien, seien nicht geeignet, eine konkrete, gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete Verfolgung glaubhaft zu machen, da der allgemeine Hinweis auf die Situation der Christen in Nigeria nicht genüge, zumal eine den Beschwerdeführer betreffende differenzierte Behandlung nicht erkennbar sei und er auch keine erlittene oder drohende staatliche Verfolgung entsprechend darzulegen vermocht habe. Die Überfälle, insbesondere der Einbruch und die Verwüstung seines Elternhauses, könne nicht als asylbegründende mittelbare staatliche Verfolgung gewertet werden, da dies "Übergriffe von Einzelpersonen" gewesen seien, welche sich nicht als politisch, religiös oder ethnisch motivierte, vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen darstellten. Solche Übergriffe indizierten noch keine systematische Verfolgung eines Asylwerbers im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat. Betreffend die Festnahme des Beschwerdeführers im Jahr 1991 sei anzumerken, daß er ja wieder freigelassen worden sei, ohne daß der Vorwurf einer strafbaren Handlung gegen ihn erhoben worden sei. Dies lasse die schlüssige Folgerung zu, daß die maßgeblichen staatlichen Stellen davon überzeugt gewesen seien, daß zwischen ihm und etwaigen oppositionellen Gruppen keine ernstzunehmenden Verbindungen bestünden. Es sei daher auch nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen er einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sein solle bzw. eine solche im Falle seiner Rückkehr hätte befürchten müssen.

Darüber hinaus hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer eine sogenannte "inländische Fluchtalternative" im Süden seines Heimatlandes und ein mangelndes subjektives Schutzbedürfnis vor, weil der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise in seinem Heimatland einen Reisepaß beantragt und diesen auch "am 27.06.1991 persönlich erhalten" habe. Daran schloß die belangte Behörde die Mutmaßung, wenn der Beschwerdeführer eine religiöse Verfolgung zu erwarten gehabt hätte, so hätte man ihm sicherlich keinen Reisepaß ausgestellt, um ungehindert sein Heimatland verlassen zu können. Dieses Faktum der bewußt legalen Ausreise sei jedenfalls als ein Indiz dafür zu sehen, daß er zumindest zu diesem Zeitpunkt kein subjektiv asylrechtlich relevantes Schutzbedürfnis gehabt habe. Im übrigen wies die belangte Behörde ergänzende Beweisanträge des Beschwerdeführers wegen mangelnder Relevanz ab.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften wendet sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde zunächst gegen die Annahme der "inländischen Fluchtalternative" mit dem Hinweis, er sei in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt, weil man ihm lediglich die Frage gestellt habe, ob es ihm und seiner Familie möglich gewesen sei, in anderen Teilen des Landes respektive im Süden zu leben. Er sei jedoch nicht gefragt worden, ob er auch im Süden vor Verfolgung von Angehörigen der moslemischen Glaubensgemeinschaft und in weiterer Folge von Regierungsseite sicher gewesen sei. Hätte man ihm Parteiengehör in dieser Weise eingeräumt, hätte er sagen können, daß die moslemische Glaubensgemeinschaft, die im Heimatland des Beschwerdeführers die Regierung bilde, Christen vehement verfolge. Personen, die den christlichen Glauben ausübten, würden als Regimegegner angesehen, dabei handle es sich bei den Übergriffen auf Christen um staatlich initiierte und geduldete Verfolgungshandlungen.

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung erweist sich das dem Beschwerdeführer anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung gewährte Parteiengehör als gesetzmäßig, weil die Frage einer Wohnmöglichkeit in einem anderen Teil seines Heimatlandes in ausreichender Form sachverhaltsmäßig erörtert wurde. Die daraus von der Behörde zu ziehende rechtliche Schlußfolgerung ist nach herrschender Judikatur nicht Gegenstand des Rechtes auf Parteiengehör (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S. 234, E 30). Liegt aber keine diesbezügliche Verfahrensverletzung vor, unterliegt der Beschwerdeführer mit seinem erstmals in der Beschwerde erstatteten Vorbringen, auch im Süden seines Heimatlandes von zumindest mittelbarer staatlicher Verfolgung bedroht gewesen zu sein, dem aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitenden Neuerungsverbot. Ein Eingehen auf dieses Vorbringen ist dem Verwaltungsgerichtshof im Sinne der obgenannten Bestimmung verwehrt. Bestand aber für den Beschwerdeführer eine inländische Fluchtalternative, so erübrigt es sich, auf die weiteren, die Abweisung des Asylantrages tragenden Begründungselemente der belangten Behörde und die darauf Bezug habenden Ausführungen in der Beschwerde (aktenwidrige Annahme der legalen Ausreise des Beschwerdeführers, Zurechenbarkeit der Verfolgung zum Heimatstaat) einzugehen.

Die Beschwerde war daher im Ergebnis als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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