Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.470,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahr 1960 geborene Beschwerdeführer stellte am 14. Jänner 1991 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG), weil er während der Ableistung seines Präsenzdienstes infolge eines Sturzes im Kasernengelände schwere Kopfverletzungen davongetragen habe.
Mit Bescheid vom 25. Juni 1991 erkannte das Landesinvalidenamt für Oberösterreich die geltend gemachte Gesundheitsschädigung "Hinterhauptfraktur mit Folgeschäden" gemäß den §§ 1 und 2 HVG nicht als Dienstbeschädigung an. Ein Anspruch auf Versorgungsleistungen gemäß § 4 HVG bestehe nicht und der Antrag auf Zuerkennung der Beschädigtenrente werde gemäß § 21 Abs. 1 HVG abgelehnt.
In der Begründung zum erstinstanzlichen Bescheid ist davon die Rede, daß der Beschwerdeführer vom 1. Oktober 1990 bis 31. März 1991 Präsenzdient beim Bundesheer geleistet habe. Am 14. Dezember 1990 sei der Beschwerdeführer während einer Pause im Soldatenheim ohne Vorzeichen und ohne Fremdverschulden zu Boden gestürzt und dabei verletzt worden. Die durchgeführten Ermittlungen hätten für die Zeit vor dem schädigenden Ereignis keine Anhaltspunkte für eine besondere physische oder psychische Belastung des Beschwerdeführers ergeben. Die Tatsache, daß die Gesundheitsschädigung beim Bundesheer eingetreten sei, genüge nicht zur Anerkennung einer Dienstbeschädigung. Neben einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang sei nämlich zur Anerkennung einer Dienstbeschädigung das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen schädigendem Ereignis und den Eigentümlichkeiten des Präsenzdienstes erforderlich. Dieser Kausalzusammenhang könne im vorliegenden Fall nicht bejaht werden.
In der Berufungsschrift brachte der Beschwerdeführer vor, er sei zum Zeitpunkt des gegenständlichen Unfalles dem Militärspital dienstzugeteilt gewesen. Am 14. Dezember 1990 habe er gegen 9.45 Uhr in einer bewilligten Pause (Ende der Pause: 10.00 Uhr) seinen Sold ausbezahlt erhalten. Nach Ausbezahlung des Soldes habe er das Gebäude verlassen und über den vereisten Hof zur Kantine gehen wollen. Der Hof sei gänzlich ungestreut gewesen. Der Beschwerdeführer sei auf dem vereisten Hof ausgerutscht und habe sich dabei eine Kopfverletzung sowie Abschürfungen an den Ellbogen zugezogen. Wie in Trance habe er nochmals aufstehen können und sei in die Kantine gegangen. Dort sei er nach einigen Augenblicken "ansatzlos nach links umgekippt". Der Unfallsort habe sich auf dem Gelände des Militärspitales Innsbruck befunden. Obwohl sich der Unfall bereits um 9.45 Uhr ereignet gehabt habe, und die Universitätsklinik Innsbruck vom Unfallsort maximal acht Minuten entfernt sei, sei der Beschwerdeführer erst um
11.30 Uhr in die Universitätsklinik eingeliefert worden. In der Universitätsklinik Innsbruck seien diverse schwerste Kopfverletzungen, primär eine Hinterhauptfraktur mit frontaler Kontusion links mit subduralem Hämatom festgestellt worden. Dem erstinstanzlichen Bescheid sei nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Erwägungen die Behörde zum festgestellten Sachverhalt gelangt sei. Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer im Soldatenheim anläßlich einer Pause ohne ersichtliches Vorzeichen und ohne Fremdverschulden zu Boden gestürzt sei, sei unrichtig. Tatsächlich sei er in einer bewilligten kurzen Pause nach Erhalt seines Soldes über den vereisten und gänzlich ungestreuten Hof des Militärspitales gegangen und auf dem Eis ausgerutscht. Er habe seine Verletzungen - verbunden mit einem kurzzeitigen Gedächtnisverlust - am Hof erlitten und sei dann nochmals im Soldatenheim gestürzt. Die Behörde erster Instanz habe es unterlassen, ihn vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zu verständigen, und er sei bisher überhaupt nicht als Partei einvernommen worden. Die festgestellten Spät- und Dauerfolgen, nämlich ein nach wie vor eingeschränktes Gesichtsfeld, seien auch darauf zurückzuführen, daß der Beschwerdeführer, nachdem sich der Unfall um 9.45 Uhr ereignet gehabt habe, erst um
11.30 Uhr in der Universitätsklinik eingeliefert worden sei. Erst nach der Einlieferung in die Universitätsklinik hätten entsprechende medizinische Maßnahmen gesetzt werden können. Wäre der Beschwerdeführer sogleich in die Universitätsklinik Innsbruck eingeliefert worden, hätten die erwähnten Spät- und Dauerfolgen vermieden werden können. Weshalb es zu einer derartigen Verzögerung der Einlieferung gekommen sei, "konnte mir von keinem Verantwortlichen des Heeres mitgeteilt werden".
Nachdem im folgenden Ermittlungsverfahren von der belangten Behörde die medizinische und berufskundliche Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers durch die Sturzverletzung in Auftrag gegeben und dafür laut Aktenlage entsprechende Gutachten erstellt worden waren, erging der nunmehr angefochtene Bescheid, mit dem der Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG i. V.m. § 82 Abs. 1 HVG bestätigt wurde. Für diese Bescheiderlassung war nach der Aktenlage erkennbar eine schriftliche Weisung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 14. Oktober 1993 maßgebend, die auch inhaltlich der Begründung des angefochtenen Bescheides zugrundegelegt wurde.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird ausgeführt, die Behörde erster Instanz sei in ihrer Entscheidung davon ausgegangen, daß sich der Beschwerdeführer die geltend gemachte Gesundheitsschädigung bei einem Sturz in der Kantine zugezogen hätte. Die Berufung, wonach der Beschwerdeführer bereits vorher auf dem vereisten Hof zu Sturz gekommen sei, enthalte eine gänzlich andere Sachverhaltsdarstellung. Nach Zitierung des § 2 Abs. 1 HVG wird im angefochtenen Bescheid weiters die Ansicht vertreten, nicht jede während des Präsenzdienstes entstandene Gesundheitsschädigung sei als solche zu werten, die der Wehrpflichtige "infolge des Präsenzdienstes" erlitten habe. Auch wenn die in der Berufung erfolgte Sachverhaltsdarstellung als glaubhaft angenommen werden könne, fehle nicht nur ein für den Wehrdienst typisches Ereignis, es kämen auch nicht der Dienstleistung eigentümliche Verhältnisse als Ursache für die vom Beschwerdeführer erlittene Gesundheitsschädigung in Betracht. Ein Sturz auf einem vereisten - möglicherweise ungestreuten - Weg bzw. Platz des Kasernengeländes sei ein Vorgang, der sich "genauso gut" außerhalb der Ableistung des Präsenzdienstes hätte zutragen können. Der nach § 2 Abs. 1 HVG erforderliche ursächliche Zusammenhang hätte allenfalls dann angenommen werden können, wenn sich der Sturz im Rahmen der militärischen Ausbildung (z.B. beim Exerzierdienst auf dem Kasernenhof) ereignet oder seine Ursache in spezifischen, der Dienstleistung beim Bundesheer eigentümlichen Verhältnissen (z.B. gebotene Eile beim Überqueren des Hofes) gehabt hätte. Derartige besondere Umstände seien jedoch nach der Aktenlage nicht gegeben und vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet worden. Zum weiteren, durch keinerlei Unterlagen belegten Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach entsprechende medizinische Maßnahmen verspätet gesetzt worden seien und die festgestellten Dauerfolgen bei unverzüglicher Einlieferung in die Universitätsklinik hätten vermieden werden können, sei festzustellen, daß der Beschwerdeführer nach der Aktenlage sofort nach erfolgter Erste-Hilfe-Leistung durch einige am Unfallsort anwesende Sanitäter in das Militärspital Innsbruck und von dort in die Universitätsklinik Innsbruck eingeliefert worden sei. Hiezu sei ferner zu bemerken, daß selbst bei Zutreffen der Behauptung des Beschwerdeführers keine andere Kausalitätsbeurteilung möglich wäre, weil allfällige negative gesundheitliche Folgen einer unzureichenden ärztlichen Behandlung keinesfalls "dem Präsenzdienst oder dessen Eigentümlichkeiten zuzurechnen sind".
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde hat dieser mit Beschluß vom 13. Juni 1994, B 509/94-3, abgelehnt. In der antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 1 HVG wird eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des ordentlichen oder außerordentlichen Präsenzdienstes (§ 27 Wehrgesetz 1990), einschließlich einer allfälligen beruflichen Bildung im freiwillig verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat erlitten hat, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung entschädigt (§ 2).
Nach dem ersten Satz des § 2 Abs. 1 HVG ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.
Das HVG macht die Gewährung von Versorgungsleistungen für Gesundheitsschädigungen davon abhängig, daß das schädigende Ereignis mit dem (durch das HVG) geschützten Bereich in tatsächlichem Zusammenhang steht. Die Zurechnung eines schädigenden Ereignisses hat (auch im Bereich der Heeresversorgung) nach der sogenannten Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung zu erfolgen (vgl. z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1967, Slg. Nr. 7.140/A, und vom 10. April 1997, 95/09/0133).
Im Beschwerdefall wird die geltend gemachte Gesundheitsschädigung "Hinterhauptfraktur mit Folgeschäden" vom Beschwerdeführer einerseits auf einen Sturz im Kasernenhof und andererseits auf eine verspätete Einlieferung in die Universitätsklinik Innsbruck zurückgeführt.
Zum Sturz auf dem Kasernenhof stellt auch die belangte Behörde nicht in Abrede, daß sich dieser Vorfall "im Dienst" (während einer dienstlich genehmigten Pause) ereignet und der Beschwerdeführer den Weg zur Kantine nicht etwa weisungswidrig zurückgelegt hat (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 1996, 94/09/0117). Der Sturz ereignete sich nach den auch im angefochtenen Bescheid nicht als unglaubwürdig hingestellten Angaben des Beschwerdeführers auf dem "vereisten und gänzlich ungestreuten" Hof des Kasernengeländes. Damit war aber der ursächliche Zusammenhang mit dem durch das HVG geschützten Bereich gegeben. Der Dienstleistung eigentümliche Verhältnisse sind nämlich auch dann anzunehmen, wenn die Gesundheitsschädigung zwar eine vom Wehrdienst unabhängige Ursache hatte, für das Zustandekommen jedoch die besonderen örtlichen Umstände von Bedeutung waren (vgl. dazu die EB zum § 2 HVG in seiner Stammfassung BGBl. Nr. 27/1964, 158 BlgNR X. GP, mit Hinweis auf das
hg. Erkenntnis vom 21. März 1957, 945/56). Insoweit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.
Dasselbe gilt für die weiters dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Ansicht, daß selbst bei Zutreffen der Behauptungen des Beschwerdeführers über die verspätete Einlieferung in die Universitätsklinik Innsbruck "keine andere Kausalitätsbeurteilung möglich wäre, weil allfällige negative gesundheitliche Folgen einer unzureichenden ärztlichen Behandlung keineswegs dem Präsenzdienst oder dessen Eigentümlichkeiten zuzurechnen sind". Grundsätzlich ist die ärztliche Versorgung in einem Heeresspital ebenfalls den der militärischen Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen zuzuordnen (zu Recht wird hier in der Beschwerde auch auf die Bestimmung des § 10 der ADV hingewiesen, wonach Wehrpflichtige primär von militärischen Sanitätseinrichtungen zu versorgen sind). War die in Rede stehende Gesundheitsschädigung (auch) auf der ärztlichen Versorgung im Heeresspital zuzurechnende Unzulänglichkeiten zurückzuführen, lag ebenfalls der im § 2 Abs. 1 HVG geforderte wesentliche Zusammenhang vor. Soweit in der Gegenschrift der belangten Behörde die Ansicht vertreten wird, die Durchführung eines näheren Ermittlungsverfahrens zur Frage der ärztlichen Versorgung im Militärspital Innsbruck sei schon deshalb entbehrlich gewesen, weil der angefochtene Bescheid weisungsgemäß aufgrund einer von der Oberbehörde "vorgegebenen rechtlichen Beurteilung" zu treffen gewesen sei, ist darauf hinzuweisen, daß sich aus einer Berufung auf verwaltungsinterne Anweisungen in bezug auf die rechtliche Richtigkeit des angefochtenen Bescheides nichts gewinnen läßt.
Der angefochtene Bescheid war daher insgesamt wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff (insbesondere § 59 Abs. 1) VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
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