VwGH 93/13/0072

VwGH93/13/007217.9.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und Senatspräsident Dr. Pokorny sowie die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Dr. MP in W, vertreten durch

Dr. Christiane Pirker, Rechtsanwalt in Wien 1, Salztorgasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 11. März 1993, Zl. GA 7 - 1363/33/92, betreffend Widerruf einer Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §236;
BAO §294 Abs1;
BAO §236;
BAO §294 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Schreiben vom 31. Jänner 1990 ersuchte der Beschwerdeführer um Bewilligung von Zahlungserleichterungen (monatliche Raten in Höhe von S 18.000,--) und um Gewährung einer Teilnachsicht. Durch die Monatsraten werde sich der Abgabenrückstand von S 567.930,69 (einschließlich der Einkommensteuervorauszahlungen 1990) bis Ende des Jahres auf S 369.930,69 verringern. Dieser Betrag werde sich noch durch die Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1989 zusätzlich verringern, weil für dieses Jahr "mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" mit einer Gutschrift zu rechnen sei (den

Einkommensteuervorauszahlungen 1989 in Höhe von S 249.900,-- werde eine wesentlich geringere Einkommensteuerschuld gegenüberstehen).

Weiters bitte er um Gewährung einer Teilnachsicht in der Höhe von S 200.000,-- "für den Fall der Einhaltung der oben angebotenen Ratenzahlungen". Die angebotenen Ratenzahlungen stellten ein Maximum dessen dar, was er ohne Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz sowie seiner beruflichen Verpflichtungen zu zahlen in der Lage sei. Schließlich verwies der Beschwerdeführer "auf die mündlichen Ausführungen meines Rechtsvertreters bei der am 19. d.M. stattgefundenen Besprechung mit dem dortamtlichen Amtsvorstand".

Das Finanzamt gewährte mit Bescheid vom 31. Dezember 1990 die erbetene Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO "gegen jederzeitigen Widerruf". Als Begründung wurde auf eine Rücksprache mit dem zuständigen Referenten im Bundesministerium für Finanzen verwiesen, wonach "nach Ablauf und Erfüllung der Ratenvereinbarung Nachsicht zugesagt" worden sei.

Mit Bescheid vom 7. April 1992 wurde die Abgabennachsicht gemäß § 294 Abs. 1 lit. b BAO widerrufen. Im Nachsichtsansuchen sei fälschlich behauptet worden, die Einkommensteuerveranlagung für das Kalenderjahr 1989 werde mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu einer wesentlich geringeren Einkommensteuerschuld führen. Dies sei nicht der Fall gewesen; vielmehr habe die Veranlagung zu einer Nachforderung von S 45.000,-- geführt.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Die Abgabenbehörde habe den Widerrufsbescheid erlassen, ohne dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Geltendmachung seiner Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Im Nachsichtsbescheid finde sich kein Hinweis auf die im Widerrufsbescheid herangezogene Begründung. Auch sei vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden, daß die Einkommensteuerveranlagung zu einer geringeren Einkommensteuerschuld führen werde, sondern bloß, daß dies mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Fall sein werde. Außerdem habe sich dieser Hinweis auf das Ersuchen um Bewilligung von Ratenzahlungen bezogen. Die Nachsicht sei lediglich davon abhängig gemacht worden, daß der Beschwerdeführer die "angebotenen Ratenzahlungen auch pünktlich vornehme". Weitere (in der Folge nicht eingehaltene) Zusagen oder (nicht eingetroffene) Prognosen habe der Beschwerdeführer in seinem Nachsichtsansuchen nicht vorgebracht, sondern diesbezüglich lediglich auf eine Vorsprache beim Amtsvorstand verwiesen. Bei dieser Vorsprache habe der Beschwerdeführer den Umstand hervorgehoben, daß der hohe Abgabenrückstand darauf zurückzuführen sei, daß im Zuge einer Betriebsprüfung bisher jahrelang unbeanstandet gebliebene steuerliche Absetzposten nicht mehr anerkannt worden seien. Daß die Abgabennachsicht unter der Voraussetzung pünktlicher Ratenzahlungen gewährt worden sei, gehe auch daraus hervor, daß das Finanzamt den Nachsichtsbescheid erst Ende 1990 - also nach Entrichtung der beantragten Raten - erlassen habe. Schließlich habe das Einkommen 1989, das höher als erwartet erzielt worden sei, nichts an dem Vorliegen jener Unbilligkeit geändert, die für die Abgabennachsicht maßgebend gewesen sei. Durch die entsprechend hohe Einkommensteuerschuld seien nämlich "keine größeren Mittel zur Verfügung gestanden .... als in jenem Fall, wenn ich - wie von mir ursprünglich angenommen - ein niedrigeres Einkommen erzielt hätte".

Die belangte Behörde wies die Berufung ab.

Da der Widerrufsvorbehalt nicht besonders determiniert gewesen sei, sei davon auszugehen, daß nur zureichende sachliche Gründe zur Ausübung des Widerrufs berechtigten. In der unrichtigen Prognose des Beschwerdeführers betreffend sein Einkommen für das Jahr 1989 sei ein solcher sachlicher Grund zu erblicken. Aber auch abgesehen von dieser Prognose sei eine "günstigere Entwicklung", die nicht beabsichtigte positive Auswirkung der Abgabennachsicht sei, als Widerrufsgrund geeignet. Daß das höhere Einkommen 1989 mit Steuer belastet sei, ändere nichts daran, daß der nach Abzug der Steuer dem Beschwerdeführer verbleibende Betrag zur Entrichtung der ursprünglich nachgesehenen Steuer zur Verfügung stehe.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 294 Abs. 1 BAO ist eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betrifft, durch die Abgabenbehörde, die den Bescheid erlassen hat - soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten sind - nur zulässig,

a) wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen sind, oder

b) wenn das Vorhandensein dieser Verhältnisse aufgrund unrichtiger oder irreführender Angaben zu Unrecht angenommen worden ist.

Zu Recht geht die belangte Behörde davon aus, daß von einem vorbehaltenen Widerruf im Sinne der zitierten gesetzlichen Bestimmung nur gesprochen werden kann, wenn dieser determiniert ist, d.h. wenn der Bescheid erkennen läßt, unter welchen Umständen ein Widerruf in Betracht kommt. Die Zurücknahme bedarf daher zureichender sachlicher Gründe, die im kausalen Zusammenhang mit der ursprünglichen Erlassung des Bescheides stehen (vgl. Stoll, BAO Kommentar Band 3 Seite 2851/F).

Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, daß sich die tatsächlichen Verhältnisse, die für die Erlassung des Nachsichtsbescheides maßgebend waren, geändert hätten bzw. daß diese Verhältnisse aufgrund unrichtiger oder irreführender Angaben des Beschwerdeführers zu Unrecht angenommen worden seien.

Daran mangelt es im Beschwerdefall schon deswegen, weil einerseits sowohl das Nachsichtsbegehren "für den Fall der Einhaltung der oben angebotenen Ratenzahlungen" gestellt wurde als auch der Nachsichtsbescheid in seinem Begründungsteil" Ablauf und Erfüllung der Ratenvereinbarung" erwähnt und andererseits den Verwaltungsakten nichts entnommen werden kann, was einen gegenteiligen Schluß erlaubt; in diesen Verhältnissen ist unbestritten weder eine Änderung eingetreten noch ist ihr Vorhandensein zu Unrecht angenommen worden. Es ist auch durchaus nicht ungewöhnlich, daß eine Abgabennachsicht davon abhängig gemacht wird, daß (zunächst) ein Teil der aushaftenden Abgabenschuld (im Wege von Ratenzahlungen) entrichtet wird. Dies hat der Beschwerdeführer getan. Daß für die Nachsicht darüberhinaus ein Absinken des Einkommens Voraussetzung war, läßt sich weder dem Nachsichtsbescheid noch den Verwaltungsakten entnehmen. Auch bleibt die belangte Behörde eine Erklärung dafür schuldig, warum sich das Finanzamt mit einer Einkommensprognose - diese bestand im übrigen nur in der Annahme, die Einkommensteuervorauszahlungen würden die Einkommensteuerschuld 1989 übersteigen - begnügt hat, wenn der Einkommensentwicklung entscheidende Bedeutung für die Nachsichtsgewährung zugekommen wäre. Das Finanzamt erließ nämlich den Nachsichtsbescheid Ende 1990, also zu einem Zeitpunkt, zu dem dem Finanzamt üblicherweise die Einkommensteuererklärungen für das Vorjahr längst bekannt sind. Wenn dies beim Beschwerdeführer nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre es naheliegend gewesen, die Einreichung der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1989 als Voraussetzung für die Abgabennachsicht zu verlangen und diesbezüglich keine ungewöhnlich lange Frist zu gewähren. Der Umstand, daß das Finanzamt dies nicht getan hat, spricht ebenfalls dagegen, daß das im Jahr 1989 erzielte Einkommen des Beschwerdeführers zu den für die Nachsichtsgewährung maßgebenden Verhältnissen zählte. Da somit die von der belangten Behörde für den Widerruf der Abgabennachsicht ins Treffen geführten Gründe nicht vorliegen, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil bei dem in der zitierten Verordnung pauschalierten Schriftsatzaufwand weder eine Erhöhung um einen "Einheitssatz" noch ein zusätzlicher Zuspruch von Umsatzsteuer vorgesehen ist; letztere ist vielmehr bereits im Pauschbetrag enthalten.

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