Normen
AVG §38;
GewO 1994 §29;
GewO 1994 §349 Abs1;
GewO 1994 §349 Abs3;
GewO 1994 §366 Abs1 Z1;
AVG §38;
GewO 1994 §29;
GewO 1994 §349 Abs1;
GewO 1994 §349 Abs3;
GewO 1994 §366 Abs1 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 26. Februar 1996 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, es als gewerberechtlicher Geschäftsführer der X-GesmbH zu verantworten zu haben, daß, wie anläßlich einer am 6. November 1993 um 11 Uhr vom Organ der Wirtschaftskammer Steiermark an einem näher genannten Ort durchgeführten Kontrolle festgestellt worden sei, 12 Korrektionsbrillen mit Dioptrienstärke 1,5 bis 3,5, die laut Beschreibung der Herstellerfirma "A" eine Sehschwäche von 30 cm bis 40 cm ausglichen (die Beschreibung habe sich auf dem Verkaufsständer befunden) von der genannten Gesellschaft zum Verkauf angeboten worden seien und damit das Augenoptikerhandwerk ausgeübt worden sei, obwohl er nicht im Besitz der hiefür erforderlichen Gewerbeberechtigung gewesen sei. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 94 lit. f Z. 65 iVm § 96 sowie § 366 Abs. 1 Z. 1 iVm § 370 Abs. 2 "GewO 1993" (gemeint: 1973) in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1992 begangen, weshalb über ihn nach diesen Gesetzesstellen eine Geldstrafe von S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe drei Tage) verhängt wurde. Nach Darstellung des Verfahrensganges und des Inhaltes der bezughabenden gesetzlichen Bestimmungen führte der Unabhängige Verwaltungssenat im wesentlichen aus, nach den Ausführungen des im Berufungsverfahren beigezogenen gerichtlich beeideten Sachverständigen für Augenoptik seien die vom Beschwerdeführer angebotenen Fertig-Lesebrillen als Brillen mit geschliffenen Gläsern zu qualifizieren, da auch gespritze Kunststoffscheiben dieselbe optische Wirkung wie geschliffene Gläser besäßen. Diese gelangten somit als Korrektionsbrillen, die ausschließlich als Lesehilfe zum Ausgleich der Altersweitsichtigkeit dienten, zur Verwendung. Bei Fertig-Lesebrillen sei die Brillenglasstärke bei beiden Gläsern dieselbe, da es sich um ein Massenprodukt handle. Die meisten Brillenträger jedoch benötigten Brillen, die die unterschiedliche Brechkraft ihrer Augen korrigierten. Der Unterschied in der Brillenglasstärke zwischen der Fertig-Lesebrille und der Brillenkorrektur des Auges sei oftmals beträchtlich und könne zu Augenbeschwerden führen. Auch könne die angebotene Fertig-Lesebrille keinen Astigmatismus korrigieren und biete daher keine ausreichende Korrektur der Brechkraft des Auges. In Fällen nicht vorhandenen Astigmatismusses bzw. nicht unterschiedlicher Brechkraft könnten derartige Brillen aber unbestrittenermaßen als Lesebrillen zur Verwendung kommen. Um dies feststellen zu können, bedürfe es allerdings einer Fachberatung durch einen qualifizierten Augenoptiker. Bei den in Rede stehenden Korrekturbrillen handle es sich keineswegs lediglich um Lupen oder Vergrößerungsgläser auf Brillengestellen, zumal Vergrößerungsgläser allesamt eine wesentlich höhere Dioptrienzahl aufwiesen. Die im gegenständlichen Fall zum Verkauf angebotenen massengefertigten, in Fertigbrillen montierten Kunststoffscheiben wiesen somit dieselbe optische Wirkung wie alle anderen optischen Brillengläser mit Dioptrien auf. Derartige Sehhilfen seien in ihrer Wirkungsweise und Funktionsweise allen anderen optischen Korrektionsbrillen daher gleichzustellen und als solche einzustufen. Diese in Form eines Befundes bzw. Gutachtens getroffenen Feststellungen seien dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden, doch habe er keine auf gleicher fachlicher Ebene vorgebrachte Entgegnung geäußert, weshalb davon auszugehen gewesen sei, daß die anläßlich des Berufungsverfahrens vorgebrachten Ausführungen des gerichtlich beeideten Sachverständigen bei dieser Entscheidung als sachverständige Grundlage für die zu beantwortende Rechtsfrage herangezogen werden könnten. § 96 GewO 1994 stelle gegenüber dem Begriff "Ausübung des Handelsgewerbes" eine lex specialis dar. Durch diese Bestimmung sei hinreichend klargestellt, daß der Verkauf von Korrektionsbrillen ausschließlich Augenoptikern vorbehalten sei. Daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Übertretung nicht im Besitz einer entsprechenden Gewerbeberechtigung gewesen sei, werde in der Berufung zugestanden. Ein schuldausschließender Rechtsirrtum sei nicht vorgelegen, weil derjenige, der ein Gewerbe auszuüben gedenke, sich vorher eingehend mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften vertraut zu machen habe. Es folgen sodann die für die Strafbemessung maßgebenden Erwägungen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht verletzt, bei dem gegebenen Sachverhalt nicht der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung schuldig erkannt und hiefür bestraft zu werden. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes macht er geltend, (aus näher dargelegten Gründen) handle es sich bei den in Rede stehenden Brillen nicht um Korrektionsbrillen im Sinne des § 96 GewO 1994. Die belangte Behörde habe darüber hinaus die verletzte Rechtsvorschrift unrichtig zitiert, weil es eine Gewerbeordnung 1993 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1992 nie gegeben habe. Auch mit der subjektiven Tatseite habe sich die belangte Behörde nicht ausreichend befaßt. Es treffe zwar zu, daß jeder, der ein Gewerbe auszuüben gedenke, sich vorher eingehend mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften vertraut zu machen habe, im Verwaltungsstrafverfahren habe der Beschwerdeführer aber dargetan, daß er dieser Anforderung hinreichend nachgekommen sei. Mit der Frage des Vorliegens eines schuldausschließenden Rechtsirrtums habe sich die belangte Behörde inhaltlich nicht befaßt, sondern lediglich die Behauptung aufgestellt, ein solcher liege nicht vor. Verfehlt sei es auch gewesen, daß die belangte Behörde sich auf das in der Begründung zitierte Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen bezogen habe, weil sich dieser mit der Lösung der Rechtsfrage befaßt habe, während Sachverständigen lediglich die Beantwortung von Sachfragen vorbehalten sei. Auch lasse der angefochtene Bescheid jede Begründung dafür vermissen, wieso nach Auffassung der belangten Behörde der Beschwerdeführer in den Schriftsätzen im vorangegangenen Verfahren diesem Gutachten "nicht auf gleicher sachlicher Ebene" entgegengetreten sei. Ein Blick auf die einschlägigen Schriftsätze zeige bereits das Gegenteil.
Gemäß § 366 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 begeht eine Verwaltungsübertretung, die nach dem Einleitungssatz dieser Gesetzesstelle mit einer Geldstrafe bis zu S 50.000,-- zu bestrafen ist, wer ein Gewerbe ausübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben.
Bei dem Gewerbe der Augenoptiker handelt es sich gemäß § 94 Z. 64 leg. cit. um ein Handwerk, das gemäß § 96 leg. cit. zur Anpassung und Abgabe von Korrektionsbrillen einschließlich der Brillenglasbestimmung berechtigt.
Gemäß § 29 leg. cit. ist für den Umfang der Gewerbeberechtigung der Wortlaut des Gewerbescheines (§ 340) - sofern dieser noch nicht ausgestellt worden ist, der Gewerbeanmeldung (§ 339) - oder bei Gewerben, deren Ausübung an den Nachweis einer Bewilligung gebunden ist, des Bescheides, mit dem die Bewilligung erteilt worden ist, im Zusammenhang mit den einschlägigen Rechtsvorschriften maßgebend. Im Zweifelsfalle sind die den einzelnen Gewerben eigentümlichen Arbeitsvorgänge, die verwendeten Roh- und Hilfsstoffe sowie Werkzeuge und Maschinen, die historische Entwicklung und die in den beteiligten gewerblichen Kreisen bestehenden Anschauungen und Vereinbarungen zur Beurteilung des Umfanges der Gewerbeberechtigung heranzuziehen.
Zufolge § 349 Abs. 1 Z. 1 GewO 1994 ist zur Entscheidung über den Umfang einer Gewerbeberechtigung (§ 29) im Verhältnis zu einer anderen Gewerbeberechtigung der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten berufen. Nach dem Abs. 3 dieser Gesetzesstelle ist der Antrag auf Entscheidung gemäß Abs. 1 von Amts wegen zu stellen, wenn die betreffende Frage eine Vorfrage in einem nicht beim Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten anhängigen Verwaltungsverfahren ist und nicht ohne Bedachtnahme auf die im § 29 zweiter Satz enthaltenen Gesichtspunkte beurteilt werden kann, es sei denn, daß die Voraussetzungen für die Zurückweisung des Antrages gemäß Abs. 4 vorliegen. Nach dem Abs. 4 dieser Gesetzesstelle kann der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten den Antrag zurückweisen oder von der Einleitung eines Verfahrens gemäß Abs. 1 von Amts wegen absehen, wenn ein ernst zu nehmender Zweifel über die zur Entscheidung gestellte Frage nicht besteht oder wenn über die Frage in den letzten fünf Jahren vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten oder vom Verwaltungsgerichtshof aufgrund einer Säumnisbeschwerde (Art. 132 B-VG) entschieden worden ist.
In einem Strafverfahren wegen Überschreitung des Umfanges einer Gewerbeberechtigung, bildet die Frage des Berechtigungsumfanges für die Beurteilung des Tatbestandes eine Vorfrage. Da im vorliegenden Fall überdies weder gesagt werden kann, daß die Frage des Berechtigungsumfanges der dem Beschwerdeführer zustehenden Gewerbeberechtigung ohne Bedachtnahme auf die im § 29 zweiter Satz leg. cit. enthaltenen Gesichtspunkte beurteilt werden könne, noch daß kein ernst zu nehmender Zweifel über die Lösung dieser Frage bestehe, sowie überdies kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß diese Frage in den letzten fünf Jahren vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten oder vom Verwaltungsgerichtshof entschieden worden sei, sind in der vorliegenden Angelegenheit die Tatbestandselemente des § 349 Abs. 3 GewO 1994 erfüllt. Es hätte daher die belangte Behörde die in Rede stehende Vorfrage nicht selbst lösen dürfen, sondern gemäß § 349 Abs. 3 GewO 1994 beim Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten einen Antrag auf Entscheidung gemäß § 349 Abs. 1 leg. cit. stellen müssen.
Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid erließ, ohne diese Vorgangsweise einzuhalten, erweist sich dieser als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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