VwGH 95/20/0570

VwGH95/20/057021.11.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des B in V, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. August 1995, Zl. 4.303.317/11-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §69 Abs2;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §69 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und reiste am 23. September 1990 in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 25. September 1990 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren.

Anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung am 1. Oktober 1990 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gab er im Rahmen der Erfragung seiner Personalien an, "Schiit" zu sein, in der Zeit von 1973 bis 1978 die Grundschule, von 1978 bis 1984 die Mittelschule mit Maturaabschluß in Ahvaz besucht zu haben, von 1986 bis 1989 Mitinhaber einer Kinderboutique und von 1989 bis zu seiner Flucht Eisverkäufer in Ahvaz gewesen zu sein. Zu seinen Fluchtgründen gab er anläßlich dieser Niederschrift folgendes an:

"Ich gehöre keiner politischen Partei an, noch war ich politisch tätig. Auch werde ich nicht aus Glaubensgründen verfolgt.

Der Grund meiner Flucht war jener, da ich studieren möchte. Im Iran werden jedoch nur Studenten aufgenommen, die dem jetzigen Regime sehr nahe stehen. Da dies bei mir nicht der Fall ist und ich aus diesem Grund keine Möglichkeit habe, jemals zu studieren, entschloß ich mich nach Österreich zu gehen und hier die Universität zu besuchen (Med. Studium). Sonst hatte ich keinen Grund, mein Heimatland zu verlassen."

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 4. Dezember 1990 wurde formularmäßig - ohne Eingehen auf individuelle Fluchtgründe - festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten rechtzeitigen Berufung rügte der Beschwerdeführer zunächst Begründungsmängel des Bescheides erster Instanz und stellte seine Fluchtgründe "in Wiederholung" seines erstinstanzlichen Vorbringens wie folgt dar:

"Ich lernte die Mojahedinorganisation im Jahre 1981 kennen und arbeitete mit M und H zusammen. Wir schrieben Parolen auf die Wände und verteilten Flugblätter. Das erste Mal wurden wir alle drei im November 1983 verhaftet. Ich wurde um 23.30 Uhr von Pasdaran von meiner Wohnung in Ahvaz abgeholt. Sie verwüsteten auch die Wohnung. Ich wurde 24 Stunden lang ununterbrochen verhört, ohne ein Glas Wasser zu bekommen. Da wurde ich von der Decke her durch ein Loch mit Seilen in eine winzige fenster- und türlose Zelle gesteckt, wo ich 48 Stunden lang festgehalten wurde, ohne mich rühren zu können. Ich war danach so schwach, daß die Pasdaran mich in ein Krankenhaus bringen mußten. Danach wurde ich freigelassen.

Ich wurde so mißhandelt, da die Pasdaran Informationen jeder Art aus mir herauspressen wollten. Sie drohten, daß mich andernfalls das gleiche Schicksal wie meine beiden Gesinnungsfreunde ereilen würde. Nach drei Monaten erfuhr ich, daß die beiden hingerichtet worden waren. Ihre Begräbnisstätte ist mir nicht bekannt. Danach wurde ich viele Male mit verbundenen Augen von zuhause abgeholt und an irgendeinen Ort gebracht. Die Pasdaran sagten zu mir, daß es für meine Hinrichtung noch zu früh sei. Ich solle vorher alles preisgeben, was ich wisse. Die Sicherheitskräfte schlugen und schikanierten mich. Ich fragte sie, wie lange sie glaubten, daß ein junger Mensch wie ich diese Torturen aushalten könne. Eine Foltermethode bestand darin, daß ständig Druck auf den Brustkorb ausgeübt wurde und stundenlang ein Tropfen Wasser auf den Kopf tropfte. Gleichzeitig wurde ich immer verhört. Das wiederholte sich fast monatlich. Ich habe gesundheitliche Schäden davongetragen, die ich durch eine ärztliche Untersuchung bestätigen lassen möchte.

Nach meinem Abitur legte ich die Aufnahmeprüfung für die Universität ab, wußte aber genau, daß ich sie nicht würde bestehen können, da mir schon früher angekündigt worden war, daß man Menschen wie mich nicht an die Universität lassen wolle, da ich die anderen schlecht beeinflussen würde. Deswegen mußte ich mir in Shahin Dasht, bei Isfehan, ein Geschäft einrichten.

Wegen der ständigen Verhöre und meines erzwungenen Schweigens darüber, begannen meine Familie und Freunde sogar Verdacht zu schöpfen, daß ich mit den Pasdaran zusammenarbeite. Ich war so verzweifelt, daß ich bei einem Psychiater vorsprach, der mir sehr half. Ich hatte keinen Kontakt mit anderen Menschen mehr, ging nur zur Arbeit und wieder nach Hause. Deshalb sah ich in der Flucht den einzigen Ausweg aus meiner hoffnungslosen Situation. Mit Bestechungsgeldern beschaffte ich mir einen Paß und konnte so nach Österreich kommen."

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 22. Mai 1993 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Dieser Bescheid wurde auf Grund der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0736, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) aufgehoben, sodaß das Berufungsverfahren bei der belangten Behörde wiederum anhängig wurde.

Bereits am 16. November 1993 hatte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Asylverfahrens gestellt und als Wiederaufnahmegrund das Hervorkommen neuer Bescheinigungsmittel, nämlich einer Vorladung zum islamischen Revolutionskomittee zur Einvernahme unter Androhung strafrechtlicher Verfolgung für den 12. Dezember 1993 (richtig: 1990) sowie eine Ladung zum Gerichtshof der Islamischen Revolution für den 15. September 1993 (richtig: 1990) unter Anschluß der bezughabenden Urkunden samt beglaubigter Übersetzung beantragt.

Mit Bescheid vom 15. März 1994 wurde der Antrag auf Wiederaufnahme (mangels Angabe des genauen Zeitpunktes der Kenntnisnahme vom behaupteten Wiederaufnahmsgrund) zurückgewiesen.

Über Aufforderung der belangten Behörde mit Manuduktionsschreiben vom 16. Mai 1995 ergänzte der Beschwerdeführer sodann im (fortgesetzten) Berufungsverfahren seine Berufung dahingehend, es werde schwere Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie Aktenwidrigkeit und in deren Folge unrichtige rechtliche Beurteilung durch die Behörde erster Instanz geltend gemacht. Die schwerwiegenden Verfahrensmängel hätten schon bei seiner niederschriftlichen Vernehmung begonnen, wobei seine Ausführungen falsch bzw. unvollständig protokolliert worden seien und es der vernehmende Beamte unterlassen habe, Zusammenhänge, die ihm unklar gewesen seien, durch präzise Fragestellung zu erhellen. Es sei dem Beschwerdeführer die Niederschrift nicht übersetzt worden, sodaß ihm die Möglichkeit einer Replik zur Verbesserung von Fehlern, Auslassungen und Unschärfen genommen worden sei. Auch ein Merkblatt sei ihm nicht ausgehändigt worden. Daraus ergebe sich bereits, daß die Behörde es verabsäumt habe, ihrer besonderen Anleitungs- und Belehrungspflicht gemäß § 16 Abs. 1 AsylG 1991 sowie ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht gemäß § 39 AVG nachzukommen - "zumal sich schon damals eindeutig aus meiner Aussage ergab, daß ich als Christ, als führende Persönlichkeit der Jugendorganisation der assyrisch-christlichen Religionsgemeinschaft und Angehöriger ethnischer Minderheit staatlicher Verfolgung ausgesetzt war, die sich auch persönlich gegen mich richtete". Im übrigen habe er bei seinem Erstinterview in Traiskirchen Angst gehabt, der Dolmetsch sei ein Perser gewesen, kenne man die Verhältnisse im Iran, dann wüßte man auch, daß das faschistische Regime einen langen Arm habe, der auch ins Ausland reiche, was seine Angst verständlich mache. Die Sicherheitsorgane des iranischen Regimes seien immer noch hinter ihm her, besuchten nach wie vor seine Eltern und machten Hausdurchsuchungen. Sie beschädigten bewußt die elektronischen Anlagen und suchten nach Beweisdokumenten. Sein alter Vater müsse sich immer noch an seiner Stelle beim Komittee melden und dort Fragen beantworten. Des Beschwerdeführers Geschäft sei verwüstet worden und mit einem großen Transparent sei bekanntgegeben worden "hier wurde antirevolutionäre Tätigkeit betrieben. Diese antiislamische Tätigkeit wurde zerschlagen", womit den Leuten Angst gemacht werden solle. Wäre er in seiner Heimat länger geblieben bzw. müsse er dorthin zurückkehren, würde er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getötet werden. Er werde noch immer als Sympathisant der Modjahedin gesucht.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und begründete dies nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage "im Rahmen der Beweiswürdigung" dahingehend, daß "die bloß ablehnende Haltung eines Asylwerbers gegenüber dem in seinem Heimatstaat herrschenden innen- und außenpolitischen System" "für sich allein noch keinen Grund" bilde, ihn als Flüchtling anzuerkennen. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei ein Eingriff des Staates bzw. seiner Organe von "erheblicher Intensität und Qualität" in zu schützende Rechtssphären des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen gewesen. Die verweigerte Aufnahme an der Universität stelle kein verfolgungsmäßiges Verkürzen des Bildungsweges dar, mit dem auch nicht notwendigerweise der Verlust der Lebensgrundlage verbunden gewesen sei. Überdies habe der Beschwerdeführer die Verweigerung der Zulassung "aus politischen Gründen" "lediglich behauptet". Dem Vorwurf der unrichtigen und unvollständigen Protokollierung und Übersetzung seiner erstinstanzlichen Angaben hielt die belangte Behörde entgegen, der Beschwerdeführer sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß seine Antworten die Grundlage für die Entscheidung über den Asylantrag bildeten. Weiters habe der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift bestätigt, daß ihm der Inhalt der Niederschrift in persischer Sprache vorgelegen und zur Kenntnis gebracht worden sei. Überdies habe er mit seiner Unterschrift bestätigt, daß er alles verstanden und nichts mehr hinzuzufügen gehabt hätte. Die belangte Behörde schlußfolgert daraus, daß den "diesbezüglichen Ausführungen" des Beschwerdeführers "daher nicht die erforderliche Glaubwürdigkeit beigemessen werden" könne. Im übrigen verwies die belangte Behörde durch Zitat auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Umfang der behördlichen Ermittlungspflicht, um sodann abschließend auszuführen, daß im Hinblick auf die Bestimmung des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 auf das "überschießende Berufungsvorbringen" des Beschwerdeführers nicht näher einzugehen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht zutreffend geltend, die belangte Behörde habe seinen Wiederaufnahmeantrag und die damit vorgelegten Urkunden zu Unrecht völlig unberücksichtigt gelassen. Obwohl er - mit dem Inhalt der vorgelegten Urkunden übereinstimmend - das Vorbringen im Wiederaufnahmsantrag nunmehr in der Beschwerde dahingehend korrigiert, die Ladungen seien für jeweilige Termine im September 1990 (und nicht 1993) ausgestellt worden, hätte die belangte Behörde doch den Wiederaufnahmeantrag zum Anlaß nehmen müssen, im ergänzenden Berufungsverfahren zu prüfen, inwieweit einer der Fälle (hier insbesondere: der zweite Fall) des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 vorgelegen sein könnte. Die belangte Behörde hat auch eine diesbezügliche negative Feststellung (nämlich, es läge keiner der Fälle des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 vor) nicht getroffen. Der erstinstanzliche Bescheid wurde am 14. Dezember 1990 erlassen. In seinem Wiederaufnahmeantrag vom 16. November 1993 hatte der Beschwerdeführer angegeben, er habe die beiden Ladungen "soeben" von seiner Familie zugesandt erhalten und sie "sofort nach Erhalt" übersetzen lassen (Datum der Übersetzung 8. November 1993). Daran anschließend behauptet der Beschwerdeführer, er habe diese Beweismittel nicht früher geltend machen können, weil sie nicht in seinem Besitze gewesen seien, woran ihn keine Schuld treffe. Eine der Bestimmung des § 69 Abs. 2 AVG entsprechende Befristung der Antragstellung (oder sonstiger Verfahrenshandlungen der Partei) sieht § 20 Abs. 2 AsylG 1991 nicht vor, weshalb auch die an die zuvor genannte Bestimmung des AVG geknüpfte - von der belangten Behörde im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens zutreffend angewandte - Judikatur zu der den Antragsteller im Wiederaufnahmeverfahren treffenden Behauptungspflicht hinsichtlich der Rechtzeitigkeit im Rahmen des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 nicht herangezogen werden kann. Wurden vom Beschwerdeführer im ergänzenden Berufungsverfahren Urkunden aber vorgelegt, die ihm nach seinem Vorbringen im Verfahren erster Instanz nicht zur Verfügung gestanden sind, so hätte sich die belangte Behörde zu einer Ergänzung oder Wiederholung des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens, jedenfalls aber zu einem Eingehen auf die Frage der Anwendbarkeit des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 veranlaßt sehen müssen. Im angefochtenen Bescheid geht sie jedoch begründungslos darüber hinweg.

Des weiteren hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß dem Vorwurf eines Beschwerdeführers, es sei ihm die Niederschrift seiner Angaben im erstinstanzlichen Verfahren nicht rückübersetzt worden, diese seien falsch bzw. unvollständig protokolliert worden, nicht mit einem bloßen Hinweis auf § 15 AVG begegnet werden kann, schließt doch die mangelnde Rückübersetzung das Verständnis für die Bedeutung des Vorhaltes vor Beginn der Vernehmung als auch jener der beendenden Unterschrift möglicherweise aus. Da aber den im Berufungsergänzungsverfahren vorgebrachten Schilderungen des Beschwerdeführers nicht von vornherein die Asylrelevanz abgesprochen werden kann, erweisen sich auch die der Behörde im aufgezeigten Sinn unterlaufenen Verfahrensfehler als wesentlich, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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