Normen
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 25. August 1991 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 5. September 1991 Asyl. In seinem schriftlichen Asylantrag gab er an, er sei Kurde und von Beruf Landwirt. Seine Fluchtgründe beschrieb er wie folgt:
"Vor ca. 6 Monaten ist meine Schwester C als Mitglied der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in den Untergrund gegangen, um die Guerilla zu unterstützen. Danach verstärkten sich die schon bis dahin üblichen Kontrollen durch die örtliche Gendarmerie zusehends. Ich sowie alle meine Familienmitglieder wurden wiederholt und immer wieder auf das örtliche Kommissariat geladen. Dort wurde ich nach dem Aufenthalt meiner Schwester befragt, den ich jedoch nicht angeben konnte. Ich wurde hiebei immer wieder mit Holz- und Gummiknüppeln geschlagen. Bei diesen Vernehmungen wurde mir auch vorgeworfen, daß ich den Guerillas Unterkunft gewährte bzw. sie anderweitig unterstützte.
In den letzten Juniwochen wurde ich unter diesem Vorwurf von der örtlichen Gendarmerie für sieben Tage im Gendarmeriegefängnis von Tunceli festgehalten. In dieser Zeit wurde ich von Beamten mißhandelt und geschlagen, weiters wurde ich von ihnen wiederholt in die umliegenden Wälder ausgeführt und sollte ich dabei der Gendarmerie Schleichwege und Verstecke der Guerilla mitteilen, was ich jedoch nicht konnte.
Da ich in Hinblick auf die sich ständig verstärkenden Repressionen durch die örtlichen Behörden um mein Leben fürchtete, entschloß ich mich, nach Österreich zu fliehen. Wenige Tage nach meiner Freilassung reiste ich daher von Tunceli nach Istanbul, um von dort meine Flucht zu organisieren.
Die Niederschrift über die Einvernahme des Beschwerdeführers am 5. November 1991 enthielt in bezug auf seine Fluchtgründe nur einen Verweis auf den schriftlichen Asylantrag und den Satz des Beschwerdeführers, er habe "dem nichts hinzuzufügen". Zu seinem beruflichen Werdegang gab er u. a. an, er habe vier Jahre lang, jedoch ohne Abschluß, eine Lehrerausbildungsschule besucht.
Mit Bescheid vom 11. November 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling. Die formularmäßige Begründung enthielt keine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers.
In seiner Berufung vom 25. November 1991 rügte der Beschwerdeführer letzteres als Verstoß gegen die Begründungspflicht der Behörde erster Instanz. Im übrigen verwies er unter teilweiser Wiederholung seiner Behauptungen im schriftlichen Asylantrag auf diese und darauf, daß "somit sämtliche Voraussetzungen" für seine Anerkennung als Flüchtling gegeben seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. April 1995 wies die belangte Behörde die Berufung ab. Sie verneinte die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers, ohne auf die Glaubwürdigkeit seiner Angaben einzugehen, mit der Begründung, die von ihm behaupteten Umstände seien nicht geeignet, die Voraussetzungen des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 zu erfüllen. Im einzelnen führte sie dazu aus, der Beschwerdeführer - dessen Schulausbildung auf einen "hohen sozialen Integrationsgrad" hinweise - habe nicht behauptet, "selbst politisch organisiert" oder "aktiv tätig" gewesen zu sein. Für den gesamten Zeitraum bis etwa sechs Monate vor seiner "behaupteten Flucht" habe er keinerlei Tätigkeiten seiner Person "in derart exponierter Lage" geltend machen können, die für ihn "eine Verfolgungsgefahr durch den angeblichen Verfolgerstaat" begründen könnte. "Darüber hinaus" habe er "für diesen Zeitraum" keine "Verfolgungshandlungen bzw. Beeinträchtigungen" releviert.
Mit den vom Beschwerdeführer beschriebenen Ereignissen im letzten halben Jahr vor seiner Ausreise befaßte sich die belangte Behörde insoweit, als sie den "angeblich verstärkten Kontrollen, Vorladungen durch die Gendarmerie, Anhaltungen bzw. Mißhandlungen" die Asylrelevanz mit der Begründung absprach, sie seien aufgrund einer Mitgliedschaft der Schwester des Beschwerdeführers bei der PKK erfolgt, um vom Beschwerdeführer Informationen über deren Aufenthaltsort zu erlangen. Grund für die "Befragungen" sei somit ein beim Beschwerdeführer vermutetes "Sonderwissen" gewesen, über welches er - nach "vernünftiger Auffassung der türkischen Behörden" - auch nicht wegen seiner Zugehörigkeit zur selben Familie und somit einer "sozialen Gruppe", sondern aufgrund des vorangegangenen und, wie "anzunehmen" gewesen sei, auch bestehenden "sozialen Kontakts" mit seiner Schwester verfügt habe.
Abschließend fügte die belangte Behörde hinzu, sie werde in der Ansicht, daß der Beschwerdeführer keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei "bzw." im Falle seiner Rückkehr keine solche zu befürchten gehabt habe, dadurch "bestärkt", daß er sich vor seiner Ausreise "unbehelligt" in Istanbul aufhalten konnte und er auch nicht dargetan habe, daß ihm aufgrund der "angeblichen Vorfälle ... weitere Nachteile erwachsen" seien.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Es versteht sich von selbst, daß die Darstellung des Beschwerdeführers, insoweit sie den Zeitraum VOR dem Einsetzen der von ihm behaupteten Beeinträchtigungen betrifft, seine Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen vermag. Daß die erwähnten Beeinträchtigungen erst etwa ein halbes Jahr vor der Ausreise des Beschwerdeführers begonnen haben sollen, ist aber auch kein Grund für die Abweisung des Asylantrages. Entscheidungswesentlich ist die Beurteilung der nach den Angaben des Beschwerdeführers in den Monaten vor seiner Ausreise gegen ihn gesetzten Maßnahmen. In dieser Hinsicht ist der Bescheid der belangten Behörde rechtswidrig, weil er die Darstellung des Beschwerdeführers ausschließlich unter dem Gesichtspunkt eines bei ihm vermuteten "Sonderwissens" über den Aufenthaltsort seiner Schwester würdigt. Die Ausführungen zu diesem Thema verfehlen ihr Ziel schon deshalb, weil das Vorbringen des Beschwerdeführers auch die Behauptung enthielt, ihm selbst sei im Zuge der zahlreichen Vernehmungen, bei denen er immer wieder mit Holz- und Gummiknüppeln geschlagen worden sei, vorgeworfen worden, er gewähre den Guerillas Unterkunft und anderweitige Unterstützung, und er sei "UNTER DIESEM VORWURF" zuletzt sieben Tage lang festgehalten, während dieser Zeit erneut mißhandelt und geschlagen und in die umliegenden Wälder ausgeführt worden, wo er der Gendarmerie Schleichwege und Verstecke der Guerillas zeigen sollte. Diesen Aspekt des Vorbringens, das die belangte Behörde ihrer Beurteilung in seiner Gesamtheit zugrunde legte, hat sie nicht erkannt. Sie hat ihren Bescheid dadurch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weil unter dem Gesichtspunkt der asylrechtlich erforderlichen Eingriffsintensität nicht von vornherein gesagt werden kann, die vom Beschwerdeführer beschriebenen Maßnahmen gegen ihn seien nicht geeignet, als Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 gewertet zu werden.
In bezug auf seinen kurzen Aufenthalt in Istanbul hat der Beschwerdeführer schon in seinem Asylantrag behauptet, er habe sich dorthin begeben, um seine Flucht zu organisieren. Er wiederholt dies in der Beschwerde und rügt das Unterbleiben einer näheren Prüfung der Umstände seines Aufenthaltes in Istanbul mit dem Hinweis, daß sich ergeben hätte, er sei dort "untergetaucht" gewesen. Damit zeigt er insoweit, als die belangte Behörde den Bestand einer inländischen Fluchtalternative angenommen haben sollte, einen wesentlichen Verfahrensmangel auf (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 12. Juli 1989, Zlen. 89/01/0143, 0144, und vom 27. Juni 1995, Zlen. 94/20/0859, 0860).
Der angefochtene Bescheid war daher - in vorrangiger Wahrnehmung der inhaltlichen Rechtswidrigkeit - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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