VwGH 95/20/0210

VwGH95/20/02106.3.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Oktober 1994, Zl. 4.343.741/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am 1. November 1993 in das Bundesgebiet ein und stellte am 3. November 1993 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren.

Anläßlich der vor dem Bundesasylamt am 3. November 1993 erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer, zu seinen Fluchtgründen befragt, im wesentlichen an, er gehöre der assyrischen Volksgruppe an und bekenne sich zur "assyrischen Religion". Er sei seit Winter 1991 Mitglied der GAM-Partei und habe für diese Mitteilungen im Bazar verteilt und auch selbst Mitteilungen in seiner Wohnung mit einem Kopiergerät vervielfältigt. Er wisse zwar nicht, seit wann es diese Partei gebe, Ziel derselben sei es aber, die Leute über die derzeitige Regierung aufzuklären und sie davon zu überzeugen, daß die Rückkehr der Monarchie das Beste sei. Die GAM-Partei sei die Partei der SALTANAT-TALAB-Bewegung und werde vom Ausland aus vom Sohn des Schah unterstützt. Wie dies in der Praxis geschehe, könne er nicht sagen. Es gebe nur zwei Personen im Iran, die Kontakt mit den Personen in Australien hätten. Er habe mit diesen nur kurz Kontakt gehabt, als er im März 1993 eine symbolische Anerkennung durch die Herren S und E bekommen habe. Diese seien die Kontaktpersonen zu A, der die Zentrale für "Merkblätter" in Australien leite. Er habe sonst mit niemandem Kontakt und auch keine Informationen. Die zwei Kontaktpersonen hießen V und K. Diese seien monatlich zum Beschwerdeführer gekommen und hätten die Originale des jeweils neuen "Merkblattes" (wohl Zeitung) gebracht, diese habe er dann mit dem eigenen Kopierer, den er seit Oktober 1992 besitze, vervielfältigt, und K habe diese dann in die Provinz mitgenommen. Der Beschwerdeführer habe auch ein Kassettenvervielfältigungsgerät gehabt, wobei seine Kontaktpersonen ihm auch Kassetten mitgebracht hätten, auf denen Reden des Anushirawan Madani enthalten gewesen seien. Auf solch einem "Merkblatt" sei z.B. von Treffen der GAM-Partei in Australien berichtet worden oder von einer Diskussion über die Rolle der Frauen im Iran. Es sei auch aufgezeigt worden, welche Vorteile das monarchistische Regime hätte. Diese "Merkblätter" habe der Beschwerdeführer auch in seinem Textilgeschäft aufgelegt und an Interessenten verteilt. Am 21. August 1993 habe er in seiner Wohnung die letzte derartige Vervielfältigung vorgenommen, es seien die Blätter wie üblich von K abgeholt worden. Zwei Tage später sei V in der Früh in sein Geschäft gekommen und habe ihm berichtet, daß K am 22. August 1993 (also am Vortag) auf dem Weg nach Ahwaz mit den Mitteilungen verhaftet worden sei. V selbst habe seine Flucht ins Ausland bereits veranlaßt und auch ihm (dem Beschwerdeführer) geraten, infolge auch für ihn bestehender großer Gefahr das Land zu verlassen. Er habe ihm sogar die Adresse eines Schleppers genannt. Darüber hinaus habe er gesagt, daß K sicherlich gefoltert werde und ihre Namen verraten werde, er habe keine Informationen darüber, wie K verhaftet worden oder was ihm passiert sei, er wisse auch nicht, wo V die Information über K Verhaftung hergehabt habe, dieser sei sehr in Eile gewesen. Er habe dann sofort sein Geschäft geschlossen und sei zu einem Freund nach Karadj gefahren und nicht mehr in seine Wohnung zurückgekehrt. Zwei Tage später sei dieser Freund zum Geschäft des Beschwerdeführers gefahren, um nachzuschauen, was in der Zwischenzeit passiert sei. Er habe berichtet, daß alles vom Revolutionskomitee beschlagnahmt und ein Schild angebracht worden sei, auf dem gestanden sei: "Hier wurde gegen das islamische Recht und gegen die islamische Sitte verstoßen." Er vermute, daß seine Wohnung auch überwacht werde. Er habe aber keine Informationen darüber, ob in der Vergangenheit Monarchieanhänger verhaftet worden seien. Er wisse aber, daß Regimegegner in der Regel das Gefängnis nicht lebend verließen. Alle Regimegegner würden prinzipiell verhaftet und gefoltert. Vor diesem Vorfall habe er immer wieder stundenweise zum Revolutionskomitee gehen müssen, weil es vorgekommen sei, daß Frauen in seinem Kinderbekleidungsgeschäft den Schleier nicht ordnungsgemäß getragen hätten, weshalb er vom Komitee wiederholt belehrt worden sei, daß dies gegen die islamische Sitte verstoße. Dabei sei er nie mißhandelt worden, diese Aktionen seien jedoch geschäftsschädigend gewesen. 1991 habe er beim Versuch, einen Paß ausgestellt zu erhalten, erfahren, daß wegen eines illegalen Ausreiseversuches im Jahr 1985, infolge dessen er drei Monate in Maku in Haft gewesen sei, über ihn ein Ausreiseverbot verhängt worden sei. Sonst habe er keine Probleme gehabt. K und V habe er während seiner Militärdienstzeit 1988 bis 1990 kennengelernt, erst nach der Militärzeit seien sie jedoch in engeren Kontakt geraten und hätten über ihre politische Einstellung geredet. Dabei hätten sie ihn überzeugt. Über die hierarchische Gliederung der GAM-Partei sei er nicht informiert, er habe jedoch das Gefühl gehabt, daß V eine wichtige Position innegehabt habe.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. November 1993 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, er habe wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen können, weshalb ihm Flüchtlingseigenschaft im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 nicht zukomme, zum anderen sei er bereits vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in einem anderen Staat, nämlich der Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn vor Verfolgung im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 sicher gewesen.

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer sein bisheriges Sachvorbringen, legte Kopien der von ihm vervielfältigten Mitteilungen (Zeitschriften) sowie einer Bestätigung der GAM-Partei über seine dortige Mitgliedschaft und Tätigkeit vor und ergänzte, kenne man die Situation im Iran, wisse man auch, daß man damit rechnen müsse, daß die Revolutionswächter, sobald sie jemanden mit regierungsfeindlichen Materialien aufgriffen und verhafteten, auch alles unternehmen würden, um von dem Betreffenden die Namen anderer Mitglieder dieser Gruppierung zu erfahren. Folter und Mißhandlung im Gefängnis zur Erpressung von Geständnissen sei im Iran weiterhin an der Tagesordnung. Die Tatsache, daß in der Zwischenzeit sein Geschäft vom Revolutionskomitee beschlagnahmt worden sei, beweise auch, in welch gefährlicher Situation er sich befunden habe. Der Argumentation und Verharmlosung durch die belangte Behörde könne nicht gefolgt werden, die Behörde verkenne völlig die Gefährlichkeit für die politische Opposition im Iran. Daß der Beschwerdeführer bisher keine diesbezüglichen Schwierigkeiten gehabt habe, sei allein darauf zurückzuführen gewesen, daß ihn die Revolutionswächter bis jetzt nicht als Oppositionellen entdeckt gehabt hätten. Vervielfältigung sowie Verteilung von regimekritischen Schriften gehöre im Iran absolut nicht zu den harmlosen Tätigkeiten, sondern es werde gegen jede politisch oppositionelle Tätigkeit auf das Härteste vorgegangen. Die Ziele der GAM-Partei habe er bereits in seinem Interview ausgeführt. Im übrigen trat er der Annahme der erstinstanzlichen Behörde, er sei bereits in anderen Ländern vor Einreise in das Bundesgebiet vor Verfolgung sicher gewesen, entgegen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab (Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides) und bewilligte den befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet bis 27. Oktober 1995 gemäß § 8 Abs. 1 und 2 AsylG 1991 (Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides).

Die Abweisung der Berufung begründete sie im wesentlichen mit dem Hinweis, die bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen könne nicht als ausreichend angesehen werden. Auch die bloß ablehnende Haltung eines Asylwerbers gegenüber dem in seinem Heimatstaat herrschenden innen- und außenpolitischen System bilde für sich allein noch keinen Grund, ihn als Flüchtling anzuerkennen. Auch sei einem Asylwerber wohlbegründete Furcht vor Verfolgung allein deswegen noch nicht zuzubilligen, weil dieser in seiner Heimat für eine dort verbotene politische Partei Flugblätter verteile. Zu den in der Berufung beantragten Beweisanträgen meinte die belangte Behörde, daß stets konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden müßten, der allgemeine Hinweis auf den Jahresbericht von Amnesty International 1993 genüge nicht. Auch die vorgelegte Bestätigung über die Mitgliedschaft bei bzw. Tätigkeit für die GAM-Partei sowie die Zeitung und die Vorladung der "Einheit für Information und Operation der Armee der Wächter der islamischen Revolution" könnten den gewünschten Verfahrensausgang nicht bewirken, zumal er keine konkrete, gegen ihn selbst gerichtete Verfolgung durch iranische Behörden behauptet hätte. Im übrigen fehle den von ihm geschilderten Ereignissen das notwendige Ausmaß an Intensität und Qualität.

Den Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 zog die belangte Behörde - im Gegensatz zur Behörde erster Instanz - für die Abweisung der Berufung nicht mehr heran.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, daß die Vorgangsweise der belangten Behörde, die Darlegungen des Beschwerdeführers einmal als "bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen" zu qualifizieren, zum anderen die von ihm vorgelegten, auch seine Person konkret betreffenden Urkunden ohne nähere darauf eingehende Begründung abzutun, den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Bescheidbegründung nicht entspricht. Gemäß § 16 AsylG 1991 hat die Asylbehörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder ungenügende Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltenden Umstände vervollständigt werden, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet und die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Die Behörden haben im Rahmen ihrer Ermittlungspflicht allfällige Zweifel über den Inhalt und die Bedeutung eines Vorbringens durch entsprechende Erhebungen, insbesondere ergänzende Befragung zu beseitigen, wenn das Vorbringen eines Asylwerbers einen hinreichend deutlichen Hinweis auf einen Sachverhalt enthält, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Konvention in Betracht kommt (vgl. als Beispiel für viele hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1995, Zl. 94/20/0877, und die dort wiedergegebene Judikatur). Derartige Hinweise sind aber dem Vorbringen des Beschwerdeführers in erster Instanz durchaus zu entnehmen, insbesondere im Zusammenhalt mit den im Berufungsverfahren erwähnten vorgelegten Urkunden, die die belangte Behörde im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 zu einer Gesamtschau hätten veranlassen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß auch aus allgemeinen Verhältnissen im Heimatland eines Asylwerbers nach den Umständen des Einzelfalles (hier:

Verhaftung eines Kontaktmannes und Beschlagnahme des Geschäftes) auf die konkrete Verfolgung einer Person rückgeschlossen werden kann. Nichts anderes macht der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall geltend. Es ist keineswegs erforderlich - auch dies wurde bereits wiederholt vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen -, daß eine Verfolgungshandlung gegen den Asylwerber bereits konkret gesetzt worden ist, geht doch selbst Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nur von der "Wohlbegründetheit" der Furcht vor Verfolgung aus. Es entspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, daß "eine bloß ablehnende Haltung eines Asylwerbers gegenüber dem in seinem Heimatstaat herrschenden innen- und außenpolitischen System ALLEIN" keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bildet, ebensowenig wie die Verteilung von Flugblättern für eine in der Heimat des Asylwerbers verbotene politische Partei "ALLEIN", doch ist bereits aus den von der belangten Behörde verwendeten Textbausteinen ersichtlich, daß eben - in den meisten Fällen - nicht "allein" der eine oder der andere Grund herangezogen wird, sondern meist ein Zusammenspiel mehrerer vorliegt. Erst aus einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalles kann abgeleitet werden, inwieweit Intensität und Qualität der befürchteten Verfolgung Asylrelevanz aufweisen oder nicht. Im übrigen läßt der angefochtene Bescheid gänzlich eine Begründung dafür vermissen, warum die vom Beschwerdeführer vorgelegten, ihn selbst betreffenden Urkunden "nicht den von Ihnen gewünschten Verfahrensausgang bewirken" könnten. Daß er eine konkret gegen ihn selbst gerichtete Verfolgung durch iranische Behörde nicht behauptet habe, ist angesichts der Tatsache, daß er bereits in seinem erstinstanzlichen Interview angegeben hatte, jede regimekritische oder oppositionelle Tätigkeit werde aufs Härteste bestraft, schlichtweg unrichtig. Aus welchen Erwägungen die belangte Behörde darüber hinaus den vom Beschwerdeführer geschilderten, von ihm befürchteten bzw. ihm drohenden Ereignissen ein asylrechtlich relevantes Ausmaß von "Intensität und Qualität" abspricht, erscheint gerade im Hinblick auf die Angaben des Beschwerdeführers, Regimegegner würden in der Regel das Gefängnis nicht lebend verlassen, alle Regimegegner würden prinzipiell verhaftet und gefoltert, als nicht nachvollziehbar.

Da die belangte Behörde ihren Bescheid im aufgezeigten Sinne mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastete, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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