VwGH 95/20/0124

VwGH95/20/012416.1.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des Z, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Jänner 1995, Zl. 4.291.728/5-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, ist am 1. Oktober 1994 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 11. Oktober 1994 einen Asylantrag gestellt.

Dem Akteninhalt kann entnommen werden, daß der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlich festgehaltenen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 2. November 1994 als Fluchtgrund angegeben hat, er sei in der Zeit von Jänner bis Dezember 1993 wegen des Verdachtes, die PKK finanziell unterstützt zu haben, inhaftiert gewesen. Während des ersten Monats seiner Haft sei er auch verhört und dabei gefoltert (mit dem Oberkörper in einen Traktorreifen gesteckt und mit einem Gummiknüppel ca. eine Stunde lang auf die Fußsohlen und auf das Gesäß geschlagen) worden. Nach der am 9. November 1993 stattgefundenen Gerichtsverhandlung sei er schließlich von der gegen ihn erhobenen Anklage freigesprochen worden. Nach seiner Entlassung habe er bei seinen Eltern gewohnt, wo die Polizeibeamten wöchentlich über seinen Aufenthalt Erkundigungen eingeholt hätten. Im Sommer 1994 hätten Polizeibeamte das Elternhaus nach Waffen und verbotenen kurdischen Büchern sowie Kassetten durchsucht, dabei aber lediglich einen Kalender gefunden, auf dem die Farben der PKK sichtbar gewesen seien. Aus Angst vor einer neuerlichen Verhaftung sei er aus seinem Heimatland über Ungarn nach Österreich geflohen. Auf den Vorhalt der Behörde erster Instanz, daß Ungarn als "sicherer Mitgliedsstaat im Sinne der Genfer Konvention" bekannt sei und Flüchtlingen Asyl gewähre, erklärte der Beschwerdeführer, daß er dies nicht gewußt habe. Er habe "auch nicht gehört, daß türkische Staatsbürger, welche in Ungarn eingereist sind, zurückgeschoben werden".

Mit Bescheid vom 27. Dezember 1994 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers aus dem allein herangezogenen Grund, daß dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme, ab.

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23. Jänner 1995 gab der Bundesminister für Inneres der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers nicht Folge und versagte damit die Gewährung von Asyl.

In der Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung allgemein gehaltener rechtlicher Erwägungen aus:

"Das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere auch Ihre niederschriftliche Einvernahme, hat jedoch nicht ergeben, daß Sie Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sind ... Das Vorliegen Ihrer Flüchtlingseigenschaft wurde von der erkennenden Behörde gründlich geprüft, mußte aber verneint werden und konnte auch deshalb kein Asyl gewährt werden". Eine weitergehende Begründung, warum dem Beschwerdeführer ausgehend von seinen (im Bescheid nicht festgestellten) niederschriftlichen Angaben vor dem Bundesasylamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme, enthält die angefochtene Entscheidung nicht. Die belangte Behörde setzt sich in der Bescheidbegründung lediglich noch mit dem von ihr angenommenen Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 auseinander, wonach der Beschwerdeführer vor seiner Einreise nach Österreich in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei in Ungarn keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen und hätte dort einen Asylantrag stellen können. Es sei nämlich festzustellen, daß Ungarn die Genfer Flüchtlingskonvention zwar mit dem Vorbehalt ratifiziert habe, daß sich seine daraus erwachsenden Verpflichtungen lediglich auf asylrechtlich relevante Ereignisse in Europa beschränke. Jedoch ergebe sich aus einem von der belangten Behörde zitierten, im Akt allerdings nicht aufliegenden Gutachten des UNHCR vom 4. Juli 1994 gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht, daß ungeachtet des von Ungarn erklärten geographischen Vorbehalts ein faktischer Abschiebungsschutz auch für außereuropäische Flüchtlinge bestünde. Da dem Beschwerdeführer von der Behörde erster Instanz die Annahme der Verfolgungssicherheit in Ungarn vorgehalten worden sei, er diesem Vorhalt "nichts Einschlägiges entgegenzusetzen vermocht" habe, sei dadurch das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers zu dem nunmehr von der belangten Behörde herangezogenen Asylausschlußgrund gewahrt worden und davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muß in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachte.

Soweit sich der angefochtene Bescheid ohne nähere Darlegung auf den Abweisungsgrund der mangelnden Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers stützt, wird er diesen Erfordernissen nicht gerecht. Nach dem Inhalt des vorliegenden Bescheides hat die belangte Behörde weder die Feststellungen noch die rechtlichen Ausführungen des Bundesasylamtes übernommen (vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen Vorgangsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Oktober 1995, Zl. 95/01/0045). Im angefochtenen Bescheid findet sich lediglich der Hinweis, daß die Frage der Flüchtlingseigenschaft von der belangten Behörde "gründlich geprüft" worden, diese jedoch zu verneinen sei und das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers (deren Inhalt nicht festgestellt wurde), nicht ergeben habe, daß der Beschwerdeführer Flüchtling sei. Damit erweist sich die Bescheidbegründung in Bezug auf die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers als eine inhaltsleere Floskel, der weder Sachverhaltsfeststellungen noch irgendeine argumentative Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde liegt. Die Schlußfolgerung im angefochtenen Bescheid ist vielmehr jeder verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen.

Trotz Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft wäre jedoch für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, wenn einer der Ausschlußgründe des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vorläge, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war.

Die belangte Behörde ging bei Heranziehung dieses die Gewährung von Asyl ausschließenden Grundes von den Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt aus, daß er sich vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Ungarn (während seiner Durchreise) aufgehalten habe, und befaßte sich in rechtlicher Hinsicht näher mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" im Sinne der genannten Gesetzesstelle.

Dazu führte die belangte Behörde zunächst zutreffend weiter aus, daß sie die Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn nicht aus dessen Mitgliedschaft bei der Genfer Konvention ableite, weil Ungarn seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention auf Ereignisse beschränkt habe, die in Europa - und nur dort - eintreten. Die belangte Behörde berief sich aber auf ein "Gutachten" des UNHCR vom 4. Juli 1994 gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht, woraus sich sachverhaltsmäßig die Feststellung ergebe, daß in Ungarn auch für außereuropäische Flüchtlinge und Asylwerber ein faktisch lückenloser Abschiebungsschutz bestehe.

Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang rügt, daß die belangte Behörde - anders als das Bundesasylamt - erstmals den Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. herangezogen hat, so ist ihm zunächst zu entgegnen, daß die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG berechtigt ist, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Sie ist nicht an die von der Unterinstanz getroffenen Feststellungen gebunden und hat ihrer Entscheidung den ihrer Überzeugung nach maßgebenden Sachverhalt zugrundezulegen. Richtig ist allerdings, daß die Berufungsbehörde sich dabei innerhalb der Grenzen der vorliegenden Verwaltungssache zu halten hat, sich also auf das in erster Instanz Gegenstand gewesene Prozeßthema zu beschränken hat. In diesem Sinn war Verfahrensgegenstand in erster Instanz die Gewährung von Asyl gemäß § 3 Asylgesetz 1991 und nicht nur die Frage, ob dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft zukomme oder nicht. Demgemäß durfte die belangte Behörde unter der Voraussetzung, daß sie dem Beschwerdeführer Parteiengehör gewährte und dahingehende Ermittlungsergebnisse vorlagen, entsprechend ihrer Befugnis zur umfassenden rechtlichen Beurteilung selbständig auch den für die Frage der Asylgewährung maßgeblichen Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 aufgreifen.

Im vorliegenden Fall hat nun die belangte Behörde dem Beschwerdeführer selbst keine Gelegenheit gegeben, zu dem von ihr erstmals herangezogenen Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. eine Stellungnahme abzugeben. Die belangte Behörde hat die Wahrung des rechtlichen Gehörs des Beschwerdeführers darin gesehen, daß ihm vom Bundesasylamt vorgehalten worden war, daß er bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen sei. Dazu habe der Beschwerdeführer nichts Gegenteiliges vorgebracht, weshalb es einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens nicht bedurft habe.

Bei dieser Argumentation beachtet jedoch die belangte Behörde nicht, daß sie dadurch den Beschwerdeführer einerseits um die Möglichkeit gebracht hat, im Berufungsverfahren zu dem neu herangezogenen Ausschlußgrund Umstände im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 darzutun, die allenfalls eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens erforderlich gemacht hätten. Andererseits übersieht die belangte Behörde, daß sie ihre Feststellung der erlangten Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn nicht auf die dem Beschwerdeführer vom Bundesasylamt vorgehaltene Annahme gestützt hat, wonach sich aus der Zugehörigkeit Ungarns zur Genfer Flüchtlingskonvention die Möglichkeit der Asylantragstellung und die Verpflichtung zur Einhaltung des Refoulementverbots ergebe. Die belangte Behörde hat vielmehr in ihrem Bescheid die vom Bundesasylamt aus der Mitgliedschaft Ungarns bei der Genfer Flüchtlingskonvention abgeleitete Verfolgungssicherheit ausdrücklich als nicht zutreffend qualifiziert und die Verfolgungssicherheit in Ungarn auf die ergänzende Feststellung gestützt, daß sich diese aus einem Gutachten des UNHCR vom 4. Juli 1994 für das deutsche Bundesverfassungsgericht ableite. Damit hat die belangte Behörde eine von den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens in erster Instanz nicht gedeckte, zusätzliche Sachverhaltsfeststellung getroffen, ohne dem Beschwerdeführer dazu Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Insoweit also die belangte Behörde dieses "Gutachten des UNHCR" vom 4. Juli 1994 gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht zitiert und darauf die Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn zu stützen sucht, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Parteiengehörs zu Recht, ganz davon abgesehen, daß eine derartige Stellungnahme im Akt nicht aufzufinden ist. Wendet sich daher der Beschwerdeführer gegen die Annahme der Verfolgungssicherheit in Ungarn mit der Behauptung, wäre ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt worden, hätte er allenfalls weitere Ermittlungen vornehmen lassen und Auskünfte vom UNHCR einholen können, was zum Ergebnis hätte führen können, daß es sich bei Ungarn nicht um ein sicheres Drittland handle, verstößt dieses Vorbringen nicht gegen das gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich geltende Neuerungsverbot.

Da die belangte Behörde dadurch, daß sie den angefochtenen Bescheid ohne Vorliegen von - unter dem Blickwinkel der Beschwerdeausführungen - entsprechenden Ergebnissen eines unter Wahrung des Parteiengehörs durchgeführten Ermittlungsverfahrens erlassen hat, in wesentlichen Punkten eine der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugängliche Sachverhaltsfeststellung überhaupt unterlassen hat, hat sie diesen mit entscheidungsrelevanten Verfahrensmängeln belastet.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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