VwGH 95/11/0302

VwGH95/11/030222.2.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 27. Juli 1995, Zl. UVS 30.13-5/95-6, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (mitbeteiligte Partei: F in U, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Normen

AZG §1 Abs2 Z8;
AZG §28;
VStG §44a Z1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4;
AZG §1 Abs2 Z8;
AZG §28;
VStG §44a Z1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hartberg vom 1. Dezember 1994 war der Mitbeteiligte schuldig erkannt worden, es als Bevollmächtigter einer näher genannten

Gesellschaft m.b.H. mit dem Sitz in Wien zu verantworten zu haben, daß sich in einer in Hartberg gelegenen Filiale dieses Unternehmens zehn näher umschriebene Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz ereignet hätten. Über ihn wurden zehn Geldstrafen verhängt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Mitbeteiligten Folge gegeben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.

In seiner auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützten Beschwerde macht der beschwerdeführende Bundesminister Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen Aufhebung. Die belangte Behörde und der Mitbeteiligte haben Gegenschriften erstattet, in denen sie jeweils die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Grund für die Aufhebung des Straferkenntnisses vom 1. Dezember 1994 und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens war, daß die belangte Behörde festgestellt hat, daß hinsichtlich der in Rede stehenden Filiale und der Einhaltung des AZG überlappende Verantwortungsbereiche von zwei Bevollmächtigten bestünden:

Außer dem Beschwerdeführer (dem Filialleiter) sei auch der ihm vorgesetzte Bezirksleiter als Bevollmächtigter anzusehen. Das im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. April 1995, Zl. 94/02/0470, zum Ausdruck gebrachte Erfordernis, daß der Verantwortungsbereich eines verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 2 und 4 VStG eindeutig abgegrenzt sein müsse und daß sich die Verantwortungsbereiche verschiedener verantwortlicher Beauftragter nicht überschneiden bzw. überlappen dürfen, sei auf die Bevollmächtigten zu übertragen.

Der beschwerdeführende Bundesminister bestreitet die Richtigkeit dieser Rechtsansicht und weist dazu auf die grundsätzliche Verschiedenheit der Verantwortlichkeit von Bevollmächtigten nach § 28 AZG und von verantwortlichen Beauftragten nach § 9 Abs. 2 VStG hin, die sich insbesondere daraus ergebe, daß der Arbeitgeber bzw. die nach § 9 Abs. 1 VStG verantwortlichen Organe neben den Bevollmächtigten grundsätzlich strafbar bleiben, während sie bei einer rechtswirksamen Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten nicht mehr strafbar sind. Bei Bestellung eines Bevollmächtigten müßten die zuerst genannten Personen nachweisen, daß sie den Bevollmächtigten ausreichend kontrolliert haben, um straflos zu bleiben. Bei Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten blieben sie von vornherein straflos, weil letzterer an ihrer Stelle in die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit einträte. Bei Bevollmächtigten ergäben sich daher begrifflich immer überlappende Verantwortungsbereiche.

Die belangte Behörde erwiderte in ihrer Gegenschrift, daß es sich im vorliegenden Fall um überlappende Verantwortungsbereiche zweier Bevollmächtigter (und nicht des primär Verantwortlichen sowie eines Bevollmächtigten) gehe. Im übrigen habe der Mitbeteiligte seiner Bestellung zum Bevollmächtigten nicht zugestimmt.

Der Mitbeteiligte tritt der Sache nach der Auffassung der belangten Behörde bei, die im Erkenntnis vom 7. April 1995 zum verantwortlichten Beauftragten entwickelten Grundsätze seien auf die Bevollmächtigung im Sinne des § 28 AZG zu übertragen. Ferner sei Verfolgungsverjährung eingetreten. Schließlich könne er nicht für Verstöße gegen das AZG verantwortlich gemacht werden, die seine Person beträfen (vier der insgesamt 10 Verstöße betreffen den Mitbeteiligten als Arbeitnehmer).

Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich in seinem Erkenntnis vom 7. April 1995 ausschließlich mit dem durch die VStG-Novelle 1983 geschaffenen Rechtsinstitut des verantwortlichen Beauftragten auseinanderzusetzen gehabt. Er kam zu seinen oben wiedergegebenen Aussagen u.a. unter dem Gesichtspunkt, daß die Rechtslage vor der Novelle 1983 insofern rechtspolitisch fragwürdig sei, als mehrere zur Vertretung einer juristischen Person nach außen berufene Organe ungeachtet ihrer konkreten Tätigkeitsbereiche und auch kumulativ für Verstöße gegen Verwaltungsstrafvorschriften zur Verantwortung gezogen werden dürften. Bei dem durch die Schaffung von verantwortlichen Beauftragten ermöglichten Vermeiden dieser unbefriedigenden Situation müsse aber eine eindeutige Lösung gefunden werden, damit sie sich nicht - nunmehr auf niedrigerer Ebene - wiederhole. Diese Aussagen können sich daher auf die Bevollmächtigten im Sinn des § 28 AZG, die schon vor der VStG-Novelle 1983 rechtlichen Bestand gehabt haben, nicht beziehen. Was deren Verantwortlichkeit betrifft, die nach der Rechtsprechung neben der Verantwortung des Arbeitgebers besteht (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Oktober 1992, Zl. 90/19/0532, zum Bevollmächtigten nach dem damals in Geltung gestandenen Arbeitnehmerschutzgesetz), hat das Rechtsinstitut des verantwortlichen Beauftragten nichts Neues gebracht, abgesehen davon, daß die rechtswirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten auch die Verantwortlichkeit eines Bevollmächtigten zum Erlöschen bringt. Diesbezüglich besteht eben der frühere, ebenfalls rechtspolitisch (wenngleich nicht im selben Ausmaß wie bei mehreren Organen im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG) fragwürdige Zustand weiter. Dem hat der Gesetzgeber auch teilweise bereits Rechnung getragen, indem er etwa das Rechtsinstitut des Bevollmächtigten nach dem Arbeitnehmerschutzgesetz beseitigt hat (§ 130 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz BGBl. Nr. 450/1994).

Die Beschwerde ist demnach begründet, weil die belangte Behörde das gegen den Mitbeteiligten geführte Verwaltungsstrafverfahren zu Unrecht eingestellt hat.

Zu den in den Gegenschriften angeführten Gründen, wonach die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens unter anderen Gesichtspunkten rechtmäßig sei, ist davon auszugehen, daß in einer rechtsunwirksam gebliebenen Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten (der der Mitbeteiligte der Aktenlage nach zugestimmt hat) sehr wohl eine Bestellung zum Bevollmächtigten liegen kann. Mangels diesbezüglicher Feststellungen im angefochtenen Bescheid war darauf nicht näher einzugehen.

Die vom Mitbeteiligten ins Treffen geführte Verfolgungsverjährung ist nicht eingetreten, weil durch die Abfertigung des an ihn ergangenen Ladungsbescheides der Erstbehörde vom 15. November 1993 innerhalb der am 31. Jänner 1994 endenden Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 VStG eine wirksame Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG gesetzt wurde.

Die Bevollmächtigung nach § 28 AZG hat - sofern ihr Inhalt nicht ausdrücklich anderes besagt - zur Folge, daß der Bevollmächtigte wie der Arbeitgeber verantwortlich wird. Seine Verantwortung ist von der des Arbeitgebers abgeleitet. Er kann daher durchaus als Arbeitnehmer Schutzobjekt, als Bevollmächtigter hingegen auch in Ansehung seiner eigenen Person verantwortlich sein. Er muß eben auch diesbezüglich - wie sein Arbeitgeber - für die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes Sorge tragen. Daß ihm dies für sich selbst wie für seine Untergebenen durch Anordnungen des Arbeitgebers unmöglich gemacht wurde, behauptet er nicht. Auch wurde er durch die Bestellung zum Bevollmächtigten nicht leitender Angestellter im Sinne des § 1 Abs. 2 Z. 8 AZG, der in Ansehung seiner Person vom Geltungsbereich des AZG überhaupt ausgenommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

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