VwGH 95/11/0225

VwGH95/11/022523.4.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des M in Z, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 16. Juni 1995, Zl. I/7-St-M-949, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §66 Abs1 lita;
KFG 1967 §66 Abs2;
KFG 1967 §66 Abs1 lita;
KFG 1967 §66 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, E, F und G für die Dauer von drei Monaten, gerechnet ab Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides (das war der 22. Mai 1995), vorübergehend entzogen. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 28. Oktober 1994 rechtskräftig wegen einer Übertretung des § 99 Abs. 2 lit. c in Verbindung mit § 20 Abs. 2 StVO 1960 bestraft worden. Nach dem Spruch des Straferkenntnisses sei er am 9. Juni 1994 um 22.30 Uhr an einer näher bezeichneten Stelle der A 1 "unter besonderer Rücksichtslosigkeit auf der Autobahn schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h gefahren. 247 km/h gemessene Geschwindigkeit". Auf Grund dieses rechtskräftigen Straferkenntnisses stehe für die belangte Behörde fest, daß die Tat wie in der Tatumschreibung ausgeführt begangen worden sei. Auf Grund des enormen Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung sei davon auszugehen, daß weiterhin die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers anzunehmen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Auf die Frage, ob die belangte Behörde auf Grund der Bindung an das rechtskräftige Straferkenntnis vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 auszugehen hatte (zur Frage der Bindung vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1989, Zl. 89/11/0126, mwN), und die vom Beschwerdeführer dagegen ins Treffen geführten Argumente brauchte nicht näher eingegangen zu werden, denn das Vorliegen einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 KFG 1967 allein rechtfertigt noch nicht die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit der betreffenden Person. Gemäß § 66 Abs. 1 lit. a leg. cit. gilt eine Person unter anderem dann als verkehrsunzuverlässig, wenn auf Grund bestimmter erwiesener Tatsachen UND IHRER WERTUNG angenommen werden muß, daß sie auf Grund ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen der in Betracht kommenden Gruppe die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr gefährden wird.

Gemäß § 66 Abs. 3 KFG 1967 sind für die Wertung bestimmter Tatsachen im Sinne des Abs. 1 bei strafbaren Handlungen ihre Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

Auch unter Zugrundelegung, daß die strafbare Handlung des Beschwerdeführers eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 darstellt und im Rahmen der Wertung von der Verwerflichkeit der Straftat und von ihrer Begehung unter gefährlichen Verhältnissen auszugehen ist, fällt das Wertungskriterium der seit der Tat verstrichenen Zeit und des Verhaltens während dieser Zeit deshalb entscheidend zugunsten des Beschwerdeführers ins Gewicht, weil er bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (durch seine Zustellung am 22. Mai 1995), in dem einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, also fast ein Jahr lang, im Besitz der Lenkerberechtigung und des Führerscheines war und in dieser Zeit nach der Aktenlage keine weitere Übertretung begangen hat. Die belangte Behörde hat auch keine bei der Wertung zu Lasten des Beschwerdeführers zu berücksichtigenden Vorstrafen ins Treffen geführt.

Der in Ausübung der Kontrollfunktion (siehe dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A) ergangene Bescheid der belangten Behörde wäre nur dann rechtmäßig gewesen, wenn die belangte Behörde annehmen durfte, der Beschwerdeführer werde die Verkehrszuverlässigkeit nicht vor Ablauf von drei Monaten ab der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides, sohin erst rund 14 1/2 Monate nach der Tat wiedererlangen. Diese Annahme ist im Hinblick auf die Länge der seit der Tat verstrichenen Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers während dieser Zeit nicht begründet (vgl. dazu die ähnliche Fälle behandelnden hg. Erkenntnisse vom 24. Oktober 1989, Zl. 88/11/0229 und Zl. 88/11/0230). In diesem Zusammenhang war zu beachten, daß das Verwaltungsstrafverfahren mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 28. Oktober 1994 beendet wurde und der Beschwerdeführer von der Einleitung des Entziehungsverfahrens erst durch die Zustellung des Schreibens der Erstbehörde vom 14. April 1995 Kenntnis erlangt hat, sodaß nicht gesagt werden kann, sein Wohlverhalten seit der Tat sei im Hinblick auf ein anhängiges Entziehungsverfahren von geringer Bedeutung.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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