VwGH 95/04/0253

VwGH95/04/02538.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, in der Beschwerdesache der C Ges.m.b.H. in Wien, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 2. November 1995, Zl. MA 63-F 207/95, betreffend Untersagung der Gewerbeausübung, den Beschluß gefaßt:

Normen

11992E048 EGV Art48;
11992E177 EGV Art177;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art1;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art2;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art3;
61977CJ0030 Bouchereau VORAB;
61992CJ0419 Scholz VORAB;
61993CJ0279 Schumacker VORAB;
61993CJ0415 Bosman VORAB;
61995CJ0266 Merino Garcia VORAB;
61996CJ0015 Schoening-Kougebetopoulou VORAB;
61996CJ0350 Clean Car Autoservice VORAB;
GewO 1994 §39 Abs2;
11992E048 EGV Art48;
11992E177 EGV Art177;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art1;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art2;
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art3;
61977CJ0030 Bouchereau VORAB;
61992CJ0419 Scholz VORAB;
61993CJ0279 Schumacker VORAB;
61993CJ0415 Bosman VORAB;
61995CJ0266 Merino Garcia VORAB;
61996CJ0015 Schoening-Kougebetopoulou VORAB;
61996CJ0350 Clean Car Autoservice VORAB;
GewO 1994 §39 Abs2;

 

Spruch:

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. 1.) Sind Art. 48 EGV und Art. 1 bis 3 der VO 1612/68 dahingehend auszulegen, daß daraus auch inländischen Arbeitgebern das Recht erfließt, Arbeitnehmer, die Angehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, ohne Bindung an Bedingungen zu beschäftigen, die - auch wenn sie auf die Staatsangehörigkeit nicht abstellen - typisch mit der Staatsbürgerschaft verbunden sind.
  2. 2.) Wenn das im Punkt 1.) genannte Recht inländischen Arbeitgebern zusteht: Sind Art. 48 EGV und Art. 1 bis 3 der VO 1612/68 dahin auszulegen, daß eine Regelung wie § 39 Abs. 2 GewO 1994, wonach der Gewerbeinhaber nur eine Person zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellen darf, die ihren Wohnsitz im (österreichischen) Inland hat, damit im Einklang steht?

Begründung

Die F Ges.m.b.H., nunmehr C Ges.m.b.H., mit dem Sitz in Wien, meldete mit Schriftsatz vom 13. Juni 1995 beim Magistrat der Stadt Wien, Mag. Bezirksamt für den 13. und 14. Bezirk, das Gewerbe: "Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (Servicestation) unter Ausschluß jedweder handwerklicher Tätigkeit" am Standort 1230 Wien, B-Straße 164, an. Gleichzeitig teilte sie mit, Herrn Rudolf H, geboren 15. Jänner 1956, zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellt zu haben. Rudolf H sei deutscher Staatsbürger und gegenwärtig bemüht, eine Wohnung in Österreich anzumieten, weshalb der Meldezettel für den österreichischen Wohnsitz zu einem späteren Zeitpunkt vorgelegt werde.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien,

Mag. Bezirksamt für den 23. Bezirk, vom 20. Juli 1995 wurde festgestellt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung dieses Gewerbes nicht vorlägen und es wurde die Ausübung dieses Gewerbes mit der Begründung untersagt, gemäß § 39 Abs. 2 der (österreichischen) Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) müsse der Geschäftsführer den für die Ausübung des Gewerbes vorgeschriebenen persönlichen Voraussetzungen entsprechen, seinen Wohnsitz im Inland haben und in der Lage sein, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen. Der namhaft gemachte Geschäftsführer habe seinen Wohnsitz in Berlin und somit nicht im Inland.

In der dagegen erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, der bestellte Geschäftsführer habe nunmehr seinen Wohnsitz in Wien III, A-Gasse 2. Darüber hinaus werde festgehalten, daß seit dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union die Voraussetzung des Wohnsitzes im Inland dahin zu interpretieren sei, daß ein Wohnsitz innerhalb der Europäischen Union ausreichend sei, um den gesetzlichen Verpflichtungen eines gewerberechtlichen Geschäftsführers nachkommen zu können.

Dieser Berufung gab der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 2. November 1995 keine Folge. In der Begründung dieses Bescheides wird im wesentlichen dargelegt, bei der gemäß § 340 Abs. 1 GewO 1994 vorzunehmenden Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes durch die Anmelderin im betreffenden Standort vorliegen, sei wegen des konstitutiven Charakters der Gewerbeanmeldung - von einer hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme abgesehen - von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung auszugehen. Zu diesem Zeitpunkt habe der bestellte gewerberechtliche Geschäftsführer keinen Wohnsitz im Inland gehabt. Die zwingende Bestimmung des § 39 Abs. 2 GewO 1994 lasse eine Auslegung im Sinne des Berufungsvorbringens nicht zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Beschwerde, in der geltend gemacht wird, der in Aussicht genommene gewerberechtliche Geschäftsführer sei gleichzeitig Angestellter der Beschwerdeführerin. Durch den angefochtenen Bescheid würden insbesondere die Art. 6 und 48 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 verletzt. Sowohl die erstinstanzliche als auch die zweitinstanzliche Entscheidung berücksichtige in keiner Weise den von der Beschwerdeführerin in der Berufung vorgebrachten Einwand, seit dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union sei jedenfalls ein Wohnsitz innerhalb der Europäischen Union ausreichend, um den gesetzlichen Verpflichtungen eines gewerberechtlichen Geschäftsführers nachkommen zu können. Es werde in diesem Zusammenhang insbesondere auf das Diskriminierungsverbot des Art. 6 des Unionsvertrages verwiesen, welcher insbesondere im Abs. 1 grundsätzlich die Ungleichbehandlung von Inländern und Ausländern auf Grund der Staatsangehörigkeit verbiete. Die Mitgliedstaaten dürften eine schlechterstellende Differenzierung nicht auf das Kriterium der Staatsangehörigkeit stützen. Darüber hinaus sei auch die versteckte Diskriminierung verboten, welche wohl im vorliegenden Fall von der Behörde vorgenommen werde. Eine solche versteckte Diskriminierung liege nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes jedenfalls dann vor, wenn eine Differenzierung nicht unmittelbar auf die Staatsangehörigkeit abstelle, wohl aber auf Kriterien, die typischerweise nur Ausländer oder Inländer erfüllten, wie beispielsweise Erfordernisse hinsichtlich des Wohnsitzes oder des Herkunftsortes. Die angefochtene Entscheidung verstoße auch gegen Art. 48 des Unionsvertrages, welcher die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und somit eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union regle. Kernstück dieses Artikels sei ebenfalls das Diskriminierungsverbot auf Grund der Staatsangehörigkeit. Der von der Beschwerdeführerin bestellte Geschäftsführer sei gleichzeitig Angestellter des Unternehmens der Beschwerdeführerin und somit ihr Arbeitnehmer, weshalb ihm das Freiheitsrecht des Art. 48 zugute komme. Auch in diesem Zusammenhang gelte die hier von der Behörde angewandte versteckte Diskriminierung als verboten. Österreich sei bereits zum Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung Mitglied der Europäischen Union gewesen, weshalb der Wohnsitz des namhaft gemachten Geschäftsführers in der Bundesrepublik Deutschland als ein Wohnsitz innerhalb des Territoriums der Europäischen Union einem Wohnsitz innerhalb von Österreich gleichzusetzen sei.

Der erkennende Senat des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Entscheidung über diese nach Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG erhobene Beschwerde berufen. Für seine Entscheidung sind folgende Bestimmungen der (österreichischen) Gewerbeordnung 1994 von Bedeutung:

Nach § 9 Abs. 1 können juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechtes (Offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften) sowie eingetragene Erwerbsgesellschaften (offene Erwerbsgesellschaften und Kommandit-Erwerbsgesellschaften) Gewerbe ausüben, müssen jedoch einen Geschäftsführer oder Pächter (§§ 39 und 40) bestellt haben.

§ 39 Abs. 1 bis 3 GewO 1994 hat folgenden Wortlaut:

"§ 39. (1) Der Gewerbeinhaber kann für die Ausübung seines Gewerbes einen Geschäftsführer bestellen, der dem Gewerbeinhaber gegenüber für die fachlich einwandfreie Ausübung des Gewerbes und der Behörde (§ 333) gegenüber für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften verantwortlich ist; er hat einen Geschäftsführer zu bestellen, wenn er keinen Wohnsitz im Inland hat.

(2) Der Geschäftsführer muß den für die Ausübung des Gewerbes vorgeschriebenen persönlichen Voraussetzungen entsprechen, seinen Wohnsitz im Inland haben und in der Lage sein, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen. Handelt es sich um ein Gewerbe, für das die Erbringung eines Befähigungsnachweises vorgeschrieben ist, so muß der gemäß § 9 Abs. 1 zu bestellende Geschäftsführer einer juristischen Person außerdem

  1. 1. dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ der juristischen Person angehören oder
  2. 2. ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein.

Der gemäß Abs. 1 für die Ausübung eines Gewerbes, für das die Erbringung eines Befähigungsnachweises vorgeschrieben ist, zu bestellende Geschäftsführer eines Gewerbeinhabers, der keinen Wohnsitz im Inland hat, muß ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein. Die bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 29/1993 geltenden Bestimmungen des § 39 Abs. 2 gelten für Personen, die am 1. Juli 1993 als Geschäftsführer bestellt sind, bis zum Ablauf des 31. Dezember 1998 weiter.

(3) In den Fällen, in denen ein Geschäftsführer zu bestellen ist, muß der Gewerbeinhaber sich eines Geschäftsführers bedienen, der sich im Betrieb entsprechend betätigt."

Gemäß § 370 Abs. 2 GewO 1994 sind, wenn die Bestellung eines Geschäftsführers angezeigt oder genehmigt wurde, Geldstrafen gegen den Geschäftsführer zu verhängen.

Gemäß § 5 Abs. 1 dürfen - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - Gewerbe bei Erfüllung der allgemeinen und der etwa vorgeschriebenen besonderen Voraussetzungen auf Grund der Anmeldung des betreffenden Gewerbes (§ 339) ausgeübt werden.

Nach § 339 Abs. 1 hat, wer ein Gewerbe ausüben will, soweit es sich nicht um ein bewilligungspflichtiges gebundenes Gewerbe handelt, die Gewerbeanmeldung bei der Bezirksverwaltungsbehörde des Standortes zu erstatten.

Gemäß § 340 Abs. 1 hat die Bezirksverwaltungsbehörde auf Grund der Anmeldung des Gewerbes (§ 339 Abs. 1) zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes durch den Anmelder in dem betreffenden Standort vorliegen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat sie nach dem Abs. 7 dieser Gesetzesstelle dies mit Bescheid festzustellen und die Ausübung des Gewerbes zu untersagen.

Von dieser Gesetzeslage ausgehend ist für das in der vorliegenden Sache zu schöpfende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes die Entscheidung der Frage von Bedeutung, ob es dem durch Art. 48 EGV und Art. 1 bis 3 der VO 1612/68 geprägten Gemeinschaftsrecht widerspricht, wenn der österreichische Gesetzgeber dem Gewerbeinhaber untersagt, einen Angestellten zum gewerberechtlichen Geschäftsführer zu bestellen, der seinen Wohnsitz nicht im (österreichischen) Inland hat. Das von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang in ihrer Berufung gegen den erstbehördlichen Bescheid erstattete Vorbringen, der bestellte Geschäftsführer habe nunmehr ohnedies einen Wohnsitz im Inland, vermag daran nichts zu ändern, weil gemäß § 5 GewO 1994 bei einem Anmeldungsgewerbe bereits die Anmeldung des Gewerbes zu dessen Ausübung berechtigt, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür gegeben sind. Da somit die Anmeldung konstitutiven Charakter hat, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Prüfung der Erfüllung der Voraussetzungen für die Gewerbeausübung auf den Zeitpunkt der Anmeldung abzustellen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Mai 1990, Zl. 89/04/0242).

Da sich die Norm des § 39 Abs. 2 GewO 1994 an den Gewerbetreibenden richtet, ist zunächst die Frage zu beantworten, ob aus Art. 48 EGV bzw. Art. 1 bis 3 der VO 1612/68 , die primär die Rechtsstellung von Arbeitnehmern regeln, auch dem inländischen Arbeitgeber ein Rechtsanspruch erfließt, Arbeitnehmer, die Angehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, ohne Bindung an Bedingungen zu beschäftigen, die - auch ohne auf die Staatsangehörigkeit abzustellen - für Inländer nicht gelten.

Wird diese Frage vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bejaht, ist die weitere Frage zu lösen, ob die genannten Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes einer Auslegung dahin zugänglich sind, daß eine Regelung, wie sie § 39 Abs. 2 GewO 1994 vorsieht, wonach in Österreich nur solche Personen zu gewerberechtlichen Geschäftsführern der in Rede stehenden Art bestellt werden dürfen, die ihren Wohnsitz im (österreichischen) Inland haben, damit im Einklang steht. Bei Beantwortung dieser Frage wird - nicht zuletzt im Hinblick auf die Bestimmung des § 370 Abs. 2 GewO 1994, wonach gegenüber der Behörde der gewerberechtliche Geschäftsführer bei der Ausübung des Gewerbes für die Einhaltung der gewerberechtlichen Rechtsvorschriften haftet - auch auf die aus der Parenthese im Einleitungssatz des Abs. 3 des Art. 48 EGV erfließenden Einschränkungen Bedacht zu nehmen sein.

Da, soweit ersichtlich, die gestellten Fragen weder durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geklärt sind, noch deren Lösung derart offenkundig ist, daß für einen Zweifel kein Raum bliebe, werden diese Fragen gemäß Art. 177 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 EG-Vertrag dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt.

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