VwGH 94/10/0091

VwGH94/10/009116.12.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerde der Niederösterreichischen Umweltanwaltschaft gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 20. April 1994, Zl. II/3-1391, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf naturschutzbehördliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei: D-Gesellschaft m.b.H. in W), zu Recht erkannt:

Normen

BauO NÖ 1976 §4 Abs3;
NatSchG NÖ 1977 §2 Abs4;
NatSchG NÖ 1977 §6 Abs2 Z3;
VwRallg;
BauO NÖ 1976 §4 Abs3;
NatSchG NÖ 1977 §2 Abs4;
NatSchG NÖ 1977 §6 Abs2 Z3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Das Land Niederösterreich hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug erlassenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der mitbeteiligten Partei, die Errichtung einer thermochemischen Rückgewinnungsanlage auf den Parzellen 109/1 und 109/2 KG N. gemäß den §§ 6 und 59 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Z. 1 und 6 des Niederösterreichischen Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500, zurück. Begründend wird dargelegt, die Mitbeteiligte habe bei der Bezirkshauptmannschaft um die naturschutzbehördliche Bewilligung gemäß § 6 NSchG für die Errichtung einer thermochemischen Rückgewinnungsanlage angesucht. Dem Ansuchen seien Baupläne, Baubeschreibung und baubehördliche Bewilligung angeschlossen gewesen. Aus den Planunterlagen ergebe sich, daß die Grundstücke, auf denen die Anlage errichtet werden solle, im Landschaftsschutzgebiet "Forstheide" lägen. Die Grundstücke seien im Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde K. in der Fassung vom 21. Juni 1993 als Grünland-Materialgewinnung-Schottergrube mit der Folgewidmung Bauland-Industriegebiet ausgewiesen. Die Marktgemeinde K. habe mit Schreiben vom 29. November 1993 mitgeteilt, daß auf den Grundstücken der Schotterabbau bereits erfolgt und nunmehr die Folgewidmung "Bauland-Industriegebiet" wirksam sei. Gemäß § 6 Abs. 2 Z. 3 NSchG bedürften in Landschaftsschutzgebieten Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 und § 5 Abs. 1 Z. 1 außerhalb des Geltungsbereiches von Bebauungsplänen der Bewilligung durch die Behörde. Eine Interpretation dieser Gesetzesstelle nach dem Wortlaut führe zu keinem eindeutigen Ergebnis, da der Verweis auf "Maßnahmen gemäß § 5 Abs. 1 Z. 1" sowohl in einer die Wortfolge "im Grünland" ein- als auch ausschließenden Bedeutung verstanden werden könne. Werde jedoch die Bestimmung des § 2 Abs. 4 NSchG, wonach die Nutzung von Flächen, die nach Maßgabe der Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes, LGBl. 8000, als Bauland gewidmet seien, durch die naturschutzbehördliche Maßnahme nach diesem Gesetz nicht berührt werde, berücksichtigt, so ergebe sich, daß unter "Maßnahmen gemäß § 5 Abs. 1 Z. 1 NSchG" in § 6 Abs. 2 Z. 3 NSchG die Errichtung von Baulichkeiten "mit Einschränkung auf Grünland" zu verstehen sei. Die Errichtung von Baulichkeiten in Landschaftsschutzgebieten bedürfe somit keiner Bewilligung der Behörde, wenn diese Baulichkeiten auf Grundstücken errichtet würden, die nach den Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes die Widmung "Bauland" oder "Verkehrsfläche" aufwiesen. Da die verfahrensgegenständlichen Grundstücke als "Bauland-Industriegebiet" gewidmet seien, sei eine naturschutzbehördliche Bewilligung für das Vorhaben nicht erforderlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde der Niederösterreichischen Umweltanwaltschaft, die inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend macht. Die Beschwerde vertritt mit näherer Begründung die Auffassung, die Verweisungsbestimmung in § 6 Abs. 2 Z. 3 NSchG knüpfe - wie sich aus dem Zweck und der Systematik des § 6 ergebe - nur an die in der verwiesenen Norm (§§ 4 Abs. 1 Z. 1 und 5 Abs. 1 Z. 1 leg. cit.) genannten Maßnahmen an, nicht aber am Eingangssatz der §§ 4 und 5. Eine Einbeziehung von § 2 Abs. 4 NSchG in die systematische Interpretation ändere nichts an diesem Ergebnis. Die zuletzt zitierte Vorschrift schränke die Möglichkeiten der Naturschutzbehörde (ausgenommen im Verfahren zur Erklärung eines Naturgebildes zum Naturdenkmal) auf Maßnahmen ein, die die Baulandnutzung selbst bzw. die Nutzung einer Verkehrsfläche ungeschmälert zuließen. Durch diese Einschränkung des Anwendungsbereiches werde der Geltungsbereich des NSchG und damit auch die Zuständigkeit der Naturschutzbehörde nicht berührt, sodaß im Verfahren gemäß § 6 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. Rahmenbedingungen auch für Grundstücke mit Baulandwidmung vorgeschrieben werden könnten, soferne die Nutzung als Bauland gewährleistet bleibe.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird. In der Gegenschrift der mitbeteiligten Partei wird darauf verwiesen, daß in der Nachbarschaft des beabsichtigten Standortes für die Errichtung der thermochemischen Rückgewinnungsanlage eine Asphaltmischanlage sowie eine Abfallsortieranlage mit großem Abfallager zur Aufarbeitung von Schrott in Betrieb seien. Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Oktober 1989, Zl. 89/10/0116, wird die Auffassung vertreten, daß ein naturschutzbehördliches Bewilligungsverfahren für das Vorhaben der Mitbeteiligten nicht durchzuführen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Absätze 1 und 2 des mit "Landschaftsgebietsschutz"

überschriebenen § 6 NSchG lauten:

"(1) Gebiete, die eine hervorragende landschaftliche Schönheit oder Eigenart aufweisen, als charakteristische Kulturlandschaft von Bedeutung sind, oder die der Erholung der Bevölkerung oder dem Fremdenverkehr dienen, können durch Verordnung der Landesregierung zu Landschaftsschutzgebieten erklärt werden.

(2) In Landschaftsschutzgebieten bedürfen der Bewilligung durch die Landesregierung

1. die Widmung von Grundstücken als Bauland und als Verkehrsfläche, sowie die Festlegung von Nutzungsarten im Grünland, mit Ausnahme jener, die der Land- und Forstwirtschaft vorbehalten sind, nach Maßgabe der Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes;

2. die Erlassung von Bebauungsplänen nach Maßgabe der Bestimmungen der NÖ Bauordnung, LGBl. 8200;

und in folgenden Fällen der Bewilligung durch die Behörde

3. Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 und § 5 Abs. 1 Z. 1 außerhalb des Geltungsbereiches von Bebauungsplänen;

  1. 4. ...
  2. 5. ..."

Die in § 6 Abs. 2 Z. 3 NSchG verwiesene Vorschrift des § 5 Abs. 1 Z. 1 NSchG lautet:

"(1) Im Grünland bedürfen der Anzeige an die Behörde:

1. Die Errichtung von Baulichkeiten sowie die Vornahme von Zu- und Umbauten;"

Im Beschwerdeverfahren ist nicht strittig, daß es sich beim Vorhaben der Mitbeteiligten um die "Errichtung einer Baulichkeit" (vgl. § 5 Abs. 1 Z. 1 NSchG) handelt, die in Rede stehende Fläche im Landschaftsschutzgebiet "Forstheide" (vgl. § 2 Z. 21 der Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung über die Landschaftsschutzgebiete, LGBl. 5500/34) liegt, ein Bebauungsplan, der Festlegungen für diese Fläche enthält, nicht besteht, und die Fläche im Flächenwidmungsplan der Gemeinde als "Bauland-Industriegebiet" ausgewiesen ist.

Im Beschwerdeverfahren ist die Frage zu lösen, ob auch angesichts der Widmung des Grundstückes als "Bauland-Industriegebiet" die Errichtung einer Baulichkeit nach § 6 Abs. 2 Z. 3 iVm § 5 Abs. 1 Z. 1 NSchG einer naturschutzbehördlichen Bewilligung bedarf.

Die Beschwerde gelangt zu ihrer Auffassung, der Bewilligungstatbestand des § 6 Abs. 2 Z. 3 NSchG umfasse - bei Zutreffen der dort genannten Tatbestandselemente (Lage im Landschaftsschutzgebiet außerhalb des Geltungsbereiches von Bebauungsplänen) auch Vorhaben auf Flächen, die als Bauland gewidmet seien, auf Grund von systematisch-teleologischen Überlegungen, die am Begriff des Landschaftsschutzgebietes nach § 6 Abs. 1 NSchG und dem im Abs. 2 leg. cit. normierten System allgemeiner und besonderer Bewilligungspflichten anknüpfen. Diese Überlegungen greifen zu kurz, weil sie auf die zur Regelung des Anwendungsbereiches des NSchG gehörende Vorschrift des § 2 Abs. 4 NSchG nicht hinreichend Bedacht nehmen bzw. von einer Auslegung der soeben zitierten Vorschrift ausgehen, die in den äußersten Grenzen ihres Wortsinnes keine Deckung findet.

Der Abs. 4 des unter der Überschrift "Anwendungsbereich" stehenden § 2 NSchG lautet:

"(4) Die Nutzung von Flächen, die nach Maßgabe der Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes, LGBl. 8000, als Bauland oder als Verkehrsflächen gewidmet sind, wird, soweit nicht § 9 entgegensteht, durch naturschutzbehördliche Maßnahmen nach diesem Gesetz nicht berührt."

Es ist nicht zweifelhaft, daß sowohl die Erlassung einer Verordnung nach § 6 Abs. 1 NSchG als auch die an die Verordnung anknüpfende Bewilligung bzw. im Rahmen der Bewilligung nach § 6 Abs. 4 NSchG vorgeschriebene Vorkehrungen "naturschutzbehördliche Maßnahmen nach diesem Gesetz" im Sinne des § 2 Abs. 4 leg. cit. darstellen. Ebensowenig ist zu bezweifeln, daß der Begriff der "Nutzung von Flächen, die ... als Bauland gewidmet sind", auch die Errichtung von Baulichkeiten umfaßt. Zu klären bleibt somit die Bedeutung, die dem Begriff "berührt" im vorliegenden Zusammenhang zukommt.

Die Beschwerde vertritt dazu die Auffassung, § 2 Abs. 4 NSchG bedeute eine Anordnung, die den "Geltungsbereich" des NSchG nicht berühre. Es würden lediglich die "Ingerenzmöglicheiten" der Naturschutzbehörde (ausgenommen den Bereich des § 9 NSchG) auf Maßnahmen eingeschränkt, die "die Baulandnutzung selbst" bzw. die Nutzung als Verkehrsfläche ungeschmälert zuließen. Es könnten im Verfahren nach § 6 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. somit "Rahmenbedingungen" vorgeschrieben werden, soferne die "Nutzung als Bauland gewährleistet" bleibe.

Der Beschwerde schwebt somit eine Regelung vor, die § 6 Abs. 4 NSchG dahin modifizierte, daß eine Bewilligung (ungeachtet des Vorliegens einer Beeinträchtigung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle) nicht versagt werden bzw. Vorkehrungen nicht vorgeschrieben werden dürfen, wenn dadurch die Nutzung der Fläche in der im Flächenwidmungsplan festgelegten Nutzungsart verhindert würde. Eine solche Regelung ist dem Gesetz aber nicht zu entnehmen.

Eine Vorschrift, die unter der Überschrift "Anwendungsbereich" anordnet, daß bestimmte Tatbestände von "Maßnahmen nach diesem Gesetz nicht BERÜHRT" werden, kann innerhalb der Grenzen des Wortsinnes nicht anders als dahin gedeutet werden, daß unter den Tatbestandsvoraussetzungen der (Ausnahme-)Regelung "Maßnahmen nach diesem Gesetz" nicht angewendet bzw. vorgeschrieben werden dürfen.

Die Vorschrift kann auch nicht dahin gedeutet werden, daß die darin normierte Einschränkung des Anwendungsbereiches nur insoweit zum Tragen käme, als sich in den folgenden Tatbeständen des Gesetzes in dieselbe Richtung gehende konkrete Anordnungen fänden. Einem solchen Verständnis der Regelung, das in § 2 Abs. 4 NSchG lediglich ein "Programm" sähe, steht die dort ausdrücklich normierte Ausnahme für den Bereich des § 9 NSchG entgegen; denn die Normierung eines Ausnahmetatbestandes wäre entbehrlich, wenn die Anwendbarkeit der Regelung deren weitere Konkretisierung im jeweiligen Tatbestand des Gesetzes voraussetzte.

Die Auslegung von § 6 Abs. 2 Z. 3 NSchG unter Einbeziehung der Anordnung des § 2 Abs. 4 leg. cit. ergibt somit, daß Bewilligungspflicht nach der erstzitierten Gesetzesstelle nur insoweit besteht, als die betreffende Fläche nicht (im Sinne des § 2 Abs. 4) "nach Maßgabe der Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes, LGBl. 8000, als Bauland oder als Verkehrsfläche gewidmet" ist. Ein anderes Verständnis der Regelung im Gesamtkontext ist auch nicht deshalb geboten, weil § 6 Abs. 2 Z. 3 NSchG an die Lage des Vorhabens außerhalb des Geltungsbereiches von Bebauungsplänen anknüpft; denn die Regelungen der Bebauungspläne können nach § 4 Abs. 3 der Nö BauO 1976 auch für das Grünland getroffen werden (vgl. das Erkenntnis vom 31. Jänner 1994, Zl. 92/10/0388).

Die Auffassung der belangten Behörde, im Hinblick auf die Baulandwidmung der betreffenden Fläche bestehe wegen der Regelung des § 2 Abs. 4 NSchG für das Vorhaben der Mitbeteiligten keine Bewilligungspflicht nach § 6 Abs. 2 Z. 3 NSchG, entspricht daher dem Gesetz; die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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