VwGH 95/19/0027

VwGH95/19/002714.12.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über den Antrag des M in W, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, auf Wiederaufnahme des mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1994, Zl. 94/19/1137, abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §9;
VwGG §36 Abs2;
VwGG §45 Abs1 Z5;
VwGG §61;
ZustG §9 Abs1;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §9;
VwGG §36 Abs2;
VwGG §45 Abs1 Z5;
VwGG §61;
ZustG §9 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird nicht stattgegeben.

Begründung

Der Beschwerdeführer brachte beim Bundesasylamt am 22. Dezember 1992 einen Antrag ein, mit Bescheid festzustellen, daß er gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 1991 zum vorläufigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei, in eventu ihm gemäß § 7 Abs. 4 leg. cit. eine Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung auszustellen. Mit der am 24. Juni 1993 bei der belangten Behörde eingelangten Eingabe beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 2 AVG deren Entscheidung über die genannten Anträge.

Mit seiner am 15. Juni 1994 beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Säumnisbeschwerde machte der Beschwerdeführer die Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Bundesminister für Inneres geltend. Mit Beschluß vom 21. Juni 1994 leitete der Gerichtshof das Vorverfahren gemäß § 35 Abs. 3 VwGG über die Säumnisbeschwerde ein; die Beschwerde wurde der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 1 VwGG mit der Aufforderung zugestellt, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen. Innerhalb der gesetzten Frist erließ die belangte Behörde den mit 25. Oktober 1994 datierten Bescheid, mit dem sie die Anträge des Beschwerdeführers zurückwies. Dieser Bescheid wurde dem Rechtsfreund des Beschwerdeführers am 27. Oktober 1994 zugestellt. Mit dem Beschluß vom 25. November 1994 stellte daraufhin der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht ein. Dieser Beschluß wurde gemäß den Behauptungen des Beschwerdeführers seinem Rechtsfreund am 20. Februar 1995 zugestellt.

Der Beschwerdeführer beantragt nunmehr die Wiederaufnahme des mit Beschluß vom 25. November 1994 eingestellten Verfahrens mit der Begründung, daß das beim Bundesminister für Inneres anhängige Verwaltungsverfahren nach wie vor nicht abgeschlossen sei; der Rechtsfreund des Beschwerdeführers habe diesen im Verwaltungsverfahren nicht vertreten, die Zustellung an ihn habe daher eine Zustellung an die Partei nicht bewirkt. Auch eine Heilung im Sinne des § 7 ZustellG sei nicht eingetreten.

Gemäß dem § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG ist die Wiederaufnahme eines unter anderem durch Beschluß abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag der Partei zu bewilligen, wenn das Verfahren vor dem Gerichtshof wegen Klaglosstellung eingestellt, die behördliche Maßnahme, die die Klaglosstellung bewirkt hatte, jedoch nachträglich behoben wurde. Wenn dem Gesetz gemäß die Wiederaufnahme zu bewilligen ist, sofern die die Klaglosstellung bewirkende behördliche Maßnahme nachträglich behoben wurde, dann muß dies nach der aus der zuvor angeführten Gesetzesstelle hervorleuchtenden Absicht des Gesetzgebers kraft Größenschlusses umso mehr dann gelten, wenn eine solche Maßnahme überhaupt nicht gesetzt worden war (vgl. den hg. Beschluß vom 11. Februar 1970, Zl. 163/70, Slg. Nr. 7727/A). Zu prüfen ist daher, ob die Zustellung des Bescheides der belangten Behörde vom 25. Oktober 1994 an den Rechtsfreund des Beschwerdeführers eine Maßnahme war, die die Klaglosstellung herbeiführte.

Der Beschwerdeführer vertritt in diesem Zusammenhang unter Berufung auf die hg. Rechtsprechung (Erk. vom 25. Februar 1981, Zl. 03/1694/79, Erk. vom 18. Juni 1990, Zl. 90/10/0035, B. vom 13. März 1990, Zl. 89/11/0198) die Ansicht, daß die Klaglosstellung durch Nachholung des versäumten Bescheides dann nicht mit dessen Zustellung an den Beschwerdevertreter eintritt, wenn dieser den Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht vertreten hat.

Zur Frage, ob die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegte Vollmacht auch die Zustellung eines von der belangten Behörde erlassenen Klaglosstellungsbescheides umfaßt, wurden vor der Novellierung des § 10 Abs. 1 AVG durch BGBl. Nr. 357/1990 in der Rechtsprechung verschiedene Auffassungen vertreten. Im hg. Erkenntnis vom 29. April 1955, Slg. NF Nr. 3726/A, wurde ausgesprochen, daß die Zustellung eines Klaglosstellungsbescheides zu Handen des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausgewiesenen Vertreters darin seine Deckung findet, daß der genannte Rechtsanwalt in eben dieser Sache als bevollmächtigter Vertreter des Beschwerdeführers vor dem Verwaltungsgerichtshof eingeschritten war und durch die Vollmachtsvorlage sowohl seine Vertretungsbefugnis in dieser Sache wie auch den Willen seines Mandanten, sich in dieser Sache durch ihn vertreten zu lassen, dem Verwaltungsgerichtshof und der Gegenseite kundgetan hatte. Demgegenüber vertritt der hg. Beschluß vom 13. März 1990, Zl. 89/11/0198, - ohne nähere Begründung - die Auffassung, daß eine Klaglosstellung durch Nachholung des versäumten Bescheides nicht schon mit Zustellung desselben an den Beschwerdevertreter eintritt. Das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1981, Zl. 03/1694/79, spricht ausdrücklich davon, daß die belangte Behörde mangels des ihr vorliegenden NACHWEISES über die BEVOLLMÄCHTIGUNG eines Vertreters, also mangels der VOLLMACHTSURKUNDE, vom Inhalt und Umfang der Bevollmächtigung keine Kenntnis haben könne, sodaß auch nicht davon ausgegangen werden könne, daß sich der im Säumnisbeschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof einschreitende Vertreter durch eine schriftliche Vollmacht der Behörde gegenüber ausgewiesen hätte.

Das vom Beschwerdeführer ebenfalls ins Treffen geführte hg. Erkenntnis vom 18. Juni 1990, Zl. 90/10/0035, enthält demgegenüber keine Aussage darüber, ob die Vollmacht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch die Zustellung eines Klaglosstellungsbescheides der belangten Behörde umfaßt, sondern gibt lediglich die diesbezügliche Judikatur wieder.

In seinem Beschluß vom 27. Juli 1995, Zl. 94/19/1390, hat der Verwaltungsgerichtshof die hier zu entscheidende Frage auf Basis der Rechtslage nach Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 357/1990, wie folgt gelöst:

Gemäß § 10 Abs. 1 AVG in der Fassung der genannten Novelle ersetzt die Berufung eines Rechtsanwaltes auf die ihm erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis. Im Hinblick auf diese geänderte Gesetzeslage würde somit die Berufung auf die erteilte Vollmacht vor der säumigen Verwaltungsbehörde der von dem bereits zitierten Erkenntnis vom 25. Februar 1981 geforderten Vorlage der Vollmachtsurkunde gleichkommen. Schreitet nunmehr unter Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht ein Rechtsanwalt für die Partei des Verwaltungsverfahrens als Vertreter im Verfahren über eine Säumnisbeschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof ein und erhält die belangte, säumige Behörde davon Kenntnis, so hat sie im Sinne des § 10 Abs. 2 AVG zu prüfen, ob Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis zur Zustellung des nachgeholten Bescheides an den Rechtsanwalt berechtigen und verpflichten. Dabei ist davon auszugehen, daß der gemäß § 10 Abs. 1 AVG Bevollmächtigte auch Zustellbevollmächtiger im Sinne des § 9 ZustellG ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. Juni 1983, Slg. Nr. 11487/A, und vom 15. Juni 1987, Zl. 86/10/0073). Wurde etwa der Rechtsanwalt der vor dem Verwaltungsgerichtosf einschreitenden Partei als Verfahrenshelfer beigegeben, so scheidet schon mangels der Berufung auf die erteilte Vollmacht eine Prüfung nach § 10 Abs. 2 AVG aus (vgl. etwa den hg. Beschluß vom 7. November 1989, Zl. 88/11/0243). Eine ausdrückliche Einschränkung des Vollmachtsumfanges nur auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof würde gleichfalls eine Prüfung im dargelegten Sinne gegenstandslos machen. Sobald aber die belangte Behörde keine Zweifel (mehr) hat, daß Inhalt und Umfang der Vollmacht nach dem objektiven Erklärungswert (auch) für das von ihr in der gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten richterlichen Frist allenfalls abzuführende Verfahren gelten soll, ist sie zur Zustellung an den ausgewiesenen Vertreter berechtigt (und verpflichtet). Im hier zu beurteilenden Fall durfte die belangte Behörde nach dem äußeren Erscheinungsbild des ihr übermittelten Schriftsatzes davon ausgehen, daß eine Einschränkung der dem Rechtsfreund des Beschwerdeführers erteilten Vollmacht nicht vorlag.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war daher gemäß § 45 Abs. 3 VwGG mit Beschluß abzuweisen, wobei es einer Verstärkung des Senates aus dem Grunde des § 13 Abs. 1 Z. 1 oder 2 VwGG im Hinblick auf die Änderung der Rechtslage durch die Novelle BGBl. Nr. 357/1990 nicht bedurfte.

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