VwGH 95/18/1139

VwGH95/18/113914.12.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des A in Wien, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. April 1995, Zl. SD 460/95, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §20 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 27. April 1995 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer halte sich - abgesehen von einem illegalen Aufenthalt von Jänner bis April 1992 - seit dem Jahre 1991 legal in Österreich auf. Er sei am 28. April 1993 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs. 1, 224 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Aus der polizeilichen Vernehmung des Beschwerdeführers gehe hervor, daß er bei der dieser Verurteilung zugrunde liegenden Tat in seinem Bekanntenkreis für den Erwerb von seinem Wissen nach gefälschten Führerscheinen Werbung gemacht habe. Dieses Verhalten sei "äußerst schwerwiegend", werde doch dadurch - es handle sich bereits um Formen der organisierten Kriminalität - bewirkt, daß eine größere Zahl von Personen "ständig Kraftfahrzeuge unbeanstandet lenken kann, ohne dazu berechtigt zu sein". Der Beschwerdeführer sei deshalb auch verwarnt worden und es sei ihm mitgeteilt worden, bei einer neuerlichen Verurteilung mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechnen zu müssen. Dennoch sei er am 25. Mai 1994 vom Strafbezirksgericht Wien wegen (versuchten) Diebstahles zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt worden, weil er in einem Supermarkt Waren im Wert von über S 1.500,-- hätte stehlen wollen. Da der Beschwerdeführer somit nicht gewillt sei, die "österreichischen Rechtsvorschriften des Strafgesetzes" zu beachten, gefährde sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und laufe den im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Interessen zuwider. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 FrG seien daher gegeben.

Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Kinder. Da seine Eltern und drei Geschwister in Österreich lebten, greife das Aufenthaltsverbot in sein Familienleben ein. Angesichts des geschilderten Verhaltens sei diese Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten (und daher im Grunde des § 19 FrG zulässig).

Im Rahmen der nach § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmenden Interessenabwägung seien der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit 1991, seine durchgehende Beschäftigung, die Tatsachen, daß er eine eigene Hauptmietwohnung und Kreditverbindlichkeiten habe, der Aufenthalt von Angehörigen im Inland, die Heiratsabsichten des Beschwerdeführers und die Situation in dessen Heimat zu berücksichtigen. All diese Umstände seien jedoch nicht so gewichtig, daß sie die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes überwögen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet begehrte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Soweit die Beschwerde zunächst rügt, daß die belangte Behörde aktenwidrig eine Verurteilung des Beschwerdeführers wegen § 36 Abs. 1 Z. 2 Waffengesetz festgestellt habe, ist ihr zu entgegnen, daß eine derartige Feststellung im angefochtenen Bescheid - anders als im erstinstanzlichen Bescheid - nicht enthalten ist.

1.2. Der Beschwerdeführer bestreitet die Tatsache seiner gerichtlichen Verurteilungen nicht und räumt auch ein, daß diese Verurteilungen "als Tatbestandsmerkmal für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zu akzeptieren" seien. Er wendet sich somit nicht gegen die Rechtsansicht der belangten Behörde, daß die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Mit Rücksicht auf die den Verurteilungen zugrundeliegenden strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers, insbesondere der Mittäterschaft hinsichtlich der Fälschung öffentlicher Urkunden, ausgehende erhebliche Gefährdung öffentlicher Interessen und auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach ein Aufenthaltsverbot gestützt auf § 18 Abs. 1 FrG auch dann erlassen werden kann, wenn keiner der Tatbestände des § 18 Abs. 2 leg. cit. erfüllt ist, jedoch triftige Gründe vorliegen, die in ihrer Gesamtheit die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 94/18/0184), hegt der Gerichtshof dagegen keine Bedenken.

1.3. Der Beschwerdeführer vermeint, daß bei der "gemäß §§ 19 und 20 FrG" vorzunehmenden Interessenabwägung die näheren Umstände, unter denen die Verurteilung wegen Urkundenfälschung erfolgte, zu berücksichtigen gewesen wären. Dazu hätte die belangte Behörde den gerichtlichen Strafakt einsehen und den Beschwerdeführer ergänzend vernehmen müssen. Diesfalls wäre hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer kein "übermäßig inkriminierendes Verhalten an den Tag gelegt" habe. Er habe keinen einzigen gefälschten Führerschein hergestellt und einen solchen auch nicht verwendet. Es sei ihm lediglich vorzuwerfen, daß er - wie die belangte Behörde richtig festgestellt habe - im Bewußtsein, daß es sich um gefälschte Führerscheine handle, in seinem Bekanntenkreis "dafür Werbung" gemacht habe. Dieses "Bewußtsein" sei in Wahrheit nur eine "starke Vermutung" gewesen. Die Ansicht der belangten Behörde, daß sein Verhalten eine Form der organisierten Kriminalität darstelle, sei ebenfalls unrichtig.

Dazu ist zunächst auszuführen, daß aufgrund der rechtskräftigen Strafurteile die schuldhafte Begehung der Straftaten durch den Beschwerdeführer feststeht. Im übrigen hat die belangte Behörde, wie aus den Verwaltungsakten ersichtlich, die gerichtlichen Strafakten eingesehen und daraus auch Feststellungen getroffen. Das vom Beschwerdeführer zugestandene Verhalten, zumindest in der "starken Vermutung", daß es sich um gefälschte Führerscheine handle, für deren Erwerb "Werbung" gemacht zu haben, vermag den Unrechtsgehalt seiner Tat im Hinblick auf die Beeinträchtigung öffentlicher Interessen nicht zu schmälern. Die - im Verwaltungsverfahren gar nicht beantragte - ergänzende Vernehmung des Beschwerdeführers zu den näheren Umständen, welche zu seiner Verurteilung geführt haben, war daher nicht erforderlich. Angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Verwendung von gefälschten Führerscheinen begegnet - unabhängig davon, ob das Verhalten des Beschwerdeführers bereits als Form der "organisierten Kriminalität" zu bezeichnen ist - die Ansicht der belangten Behörde, daß die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele (hier: zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten und daher im Grunde des § 19 FrG zulässig sei, keinen Bedenken.

1.4. Zum Ergebnis der Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG bringt der Beschwerdeführer vor, daß die belangte Behörde die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation nicht ausreichend berücksichtigt habe. Er sei seit dem Jahre 1991 durchgehend beschäftigt und verdiene S 30.000,-- bis S 40.000,-- netto monatlich. Für seine Hauptmietwohnung habe er S 250.000,-- an Ablöse bezahlt, wofür er sich einen Kredit aufgenommen habe. Aufgrund des Aufenthaltsverbotes müßte er die Wohnung wieder aufgeben und könnte den Kredit nicht zurückzahlen. Dies würde auch das öffentliche Interesse Österreichs an einer möglichst geordneten Kreditrückzahlung beeinträchtigen. Seine Eltern und Geschwister lebten in Österreich (der Vater bereits seit 1972). Er beabsichtige seine bereits seit zehn Jahren in Österreich lebende Lebensgefährtin zu heiraten. Weitere Angehörige habe er weder im In- noch im Ausland. Weites sei zu berücksichtigen, daß die Probezeit von drei Jahren "ohne jegliche Vorkommnisse" bereits zur Hälfte verstrichen sei.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat die belangte Behörde die Dauer des Aufenthalts, die Anwesenheit der Familienangehörigen in Österreich, die vorhandene Hauptmietwohnung, den aufgenommenen Kredit und die Absicht, die Lebensgefährtin zu heiraten, bei der Abwägung ohnehin berücksichtigt. Die in der Berufung zum Beweis für diese Umstände angebotene Vernehmung der in Österreich lebenden Angehörigen brauchte daher nicht durchgeführt zu werden.

Der Berufstätigkeit des Beschwerdeführers kann nur ein geringes Gewicht beigemessen werden, zumal die für eine daraus abzuleitende Integration wesentliche soziale Komponente durch die von ihm über einen längeren Zeitraum begangenen Straftaten beeinträchtigt wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Juli 1995, Zl. 95/18/1141). Die Erschwerung von Kreditrückzahlungen durch das Aufenthaltsverbot kann nicht als erhebliche Beeinträchtigung der Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie gewertet werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/18/0535). Soweit sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf das öffentliche Interesse an einer geordneten Kreditrückzahlung beruft, ist ihm zu entgegnen, daß nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei der Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG zugunsten des Beschwerdeführers nur den privaten und familiären Bereich betreffende Umstände zu berücksichtigen sind (vgl. etwa das Erkenntnis vom 7. September 1995, Zl. 95/18/1162). Da der Beschwerdeführer mit seinen Geschwistern und Schwägern nicht in Hausgemeinschaft lebt, ist die Beziehung zu diesen Personen nicht vom Schutzumfang des § 20 Abs. 1 FrG umfaßt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, Zl. 93/18/0491). Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer erwachsen ist, kommt auch der Beziehung zu seinen Eltern, mit denen er ebenfalls nicht zusammenlebt, kein besonders hohes Gewicht zu. Da der Beschwerdeführer bereits ein Jahr nach seiner ersten Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe neuerlich (zu einer Geldstrafe) gerichtlich verurteilt wurde, kann keine Rede davon sein, daß er sich bisher in der Probezeit wohlverhalten habe.

Aufgrund all dieser Umstände kommt der Integration des Beschwerdeführers insgesamt kein besonders hohes Gewicht zu. Mit Rücksicht auf die von seinem festgestellten Verhalten ausgehende erhebliche Beeinträchtigung öffentlicher Interessen, wobei auch auf den viermonatigen illegalen Aufenthalt im Jahre 1992 Bedacht zu nehmen ist, begegnet das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG keinen Bedenken.

2. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als zur Gänze unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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