VwGH 95/18/0866

VwGH95/18/086621.12.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. März 1995, Zl. SD 133/95, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs1;
SGG §12 Abs1;
SGG §12 Abs3 Z3;
VwRallg;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs1;
SGG §12 Abs1;
SGG §12 Abs3 Z3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 20. März 1995 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer, der sich seit 1977 mit seiner gesamten Familie in Österreich aufhalte, sei mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 1. März 1994 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 12 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 3 des Suchtgiftgesetzes sowie wegen unbefugten Waffenbesitzes zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Es könne kein Zweifel bestehen, daß die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG gegeben seien. Das der Verurteilung zugrundeliegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers rechtfertige aufgrund der dadurch bewirkten Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme. Im Hinblick auf den seit 1977 bestehenden Aufenthalt des Beschwerdeführers und seiner Familie in Österreich stelle die Erlassung des Aufenthaltsverbotes einen schwerwiegenden Eingriff in dessen Privat- und Familienleben dar. Der Bestrafung des Beschwerdeführers läge zugrunde, daß er versucht habe, etwa ein halbes Kilogramm Heroin - das sei weit mehr als das 25-fache derjenigen Menge, welche geeignet wäre, im großen Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen - gemeinsam mit einem Mittäter in Verkehr zu setzen. Zur Vollendung des Deliktes sei es nur deshalb nicht gekommen, weil der Beschwerdeführer kurz vor Übergabe des Suchtgiftes an den Käufer auf frischer Tat betreten und festgenommen worden sei. Im Hinblick auf "die Schwere dieses Verhaltens" falle das Fehlen von Vorstrafen nicht entscheidend ins Gewicht. Aufgrund dieses Fehlverhaltens sei die fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit - dringend geboten und daher im Grunde des § 19 FrG zulässig.

Auch wenn die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie aufgrund deren hoher Integration als erheblich zu werten seien, falle die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung zuungunsten des Beschwerdeführers aus. In diesem Zusammenhang sei auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig sei.

Im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelikten sei das Aufenthaltsverbot zu Recht auf unbestimmte Zeit erlassen worden, weil derzeit nicht abgeschätzt werden könne, innerhalb welchen Zeitraumes die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt hätten, wegfallen würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerde, daß die belangte Behörde nur "lapidar" die Tatsache der gerichtlichen Verurteilung festgestellt habe, ohne die zugrundeliegende Straftat genauer darzustellen. Hätte die belangte Behörde - wie in der Berufung beantragt - den gerichtlichen Strafakt beigeschafft und den Beschwerdeführer vernommen, wären ihr die entscheidungswesentlichen Tatsachen bekannt geworden, daß bezüglich des unerlaubten Waffenbesitzes möglicherweise ein achtenswertes Motiv vorgelegen habe, der Beschwerdeführer nicht nur unbescholten gewesen sei, sondern auch seine - aus Unbesonnenheit begangenen - Straftaten mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch gestanden hätten und für die vom Gericht vorgenommene Strafzumessung neben diesen Milderungsgründen vor allem generalpräventive Gründe ausschlaggebend gewesen seien. Durch die Unterlassung der Beischaffung des Strafaktes und der Einvernahme des Beschwerdeführers habe die belangte Behörde somit notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens gemäß § 66 AVG unterlassen.

Hiezu ist zunächst auszuführen, daß sich die wesentlichen Teile des gerichtlichen Strafaktes (Hauptverhandlungsprotokoll und Urteile erster und zweiter Instanz) ohnehin beim Verwaltungsakt befinden und die belangte Behörde nicht nur die Tatsache der Verurteilung festgestellt hat, sondern auch genauere Umstände der Tat (versuchter Verkauf von einem halben Kilo Heroin). Weiters hat die belangte Behörde auch das "Fehlen von Vorstrafen" berücksichtigt. Daß der Beschwerdeführer die Straftaten vorsätzlich begangen hat, steht wegen der rechtskräftigen Verurteilung fest. Im Hinblick darauf waren weitere Feststellungen, ob der Beschwerdeführer unbesonnen gehandelt habe oder ihm bezüglich des Waffenbesitzes achtenswerte Motive zu unterstellen seien, nicht erforderlich. Das Beschwerdevorbringen, es seien für das Strafausmaß vor allem generalpräventive Gründe ausschlaggebend gewesen, wird bereits durch die in der Beschwerde wiedergegebene Begründungspassage des Urteiles des Oberlandesgerichtes Innsbruck, wonach das Ausmaß der Strafe der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Beschwerdeführers gerecht werde, widerlegt.

1.2. In diesem Zusammenhang führt die Beschwerde aus, daß die belangte Behörde begründen hätte müssen, warum sie "entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichtes Innsbruck, das dem Beschwerdeführer attestiert, daß er mit Ausnahme der Straftat ein normales, bürgerliches, gesetzestreues Leben mehr als 17 Jahre in Österreich führt", die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes für gerechtfertigt halte. Die Nicht-Beischaffung des Strafaktes stelle eine "vorgreifende Beweiswürdigung" bezüglich der "Sozialschädlichkeit" des Beschwerdeführers dar.

Dem ist - abgesehen davon, daß das Oberlandesgericht Innsbruck dem Beschwerdeführer bei der Strafzumessung (lediglich) zugute gehalten hat, die strafbaren Handlungen stünden in auffallendem Widerspruch zu seinem sonstigen Verhalten - zu entgegnen, daß auch die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keine weiteren strafbaren Handlungen vorgeworfen hat. Im übrigen ist die zur Vollziehung des Fremdengesetzes zuständige Behörde bei der Prüfung der Frage, ob die von einem Fremden begangene Straftat die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigt, nicht an die Erwägungen des für die strafrechtliche Beurteilung dieser Tat zuständigen Gerichtes gebunden. Sie hat diese Frage vielmehr eigenständig und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdengesetzes zu beurteilen (vgl. dazu die zur Frage der nicht gegebenen Bindung an die für die Gewährung bedingter Strafnachsicht maßgeblichen Erwägungen des Gerichtes entwickelte ständige hg. Rechtsprechung, etwa das Erkenntnis vom 20. Juli 1995, Zl. 95/18/0896).

1.3. Der Beschwerdeführer vermeint weiters, die belangte Behörde hätte ihn (neuerlich) vernehmen müssen und aufgrund dieser Vernehmung konkrete Feststellungen als Grundlage für die nach § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung zu treffen gehabt. Insbesondere wäre festzustellen gewesen, daß der Beschwerdeführer seit 17 Jahren einer "sozialversicherungspflichtigen Arbeit" nachgehe. Weiters hätte auch das Ausmaß der Integration seiner Familie festgestellt werden müssen.

Dazu ist zunächst auszuführen, daß die belangte Behörde ohnehin einen hohen Grad der Integration des Beschwerdeführers und seiner Familie angenommen hat. Welche konkreten Feststellungen in bezug auf die privaten und familiären Verhältnisse darüberhinaus zu treffen gewesen wären, bringt die Beschwerde nicht vor. Eine Feststellung, ob der Beschwerdeführer auch berufstätig ist, war im vorliegenden Fall entbehrlich, weil nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Falle von Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. September 1995, Zl. 95/18/1212).

Der Beschwerdeführer hat somit die Relevanz der geltend

gemachten Verfahrensmängel nicht dargetan.

2. Die Auffassung der belangten Behörde, daß der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt und die in § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet keinen Bedenken. Die Beschwerde enthält dazu auch keine Ausführungen.

Daß mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes ein "schwerwiegender Eingriff" in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne des § 19 FrG verbunden ist, wurde von der belangten Behörde berücksichtigt. Ihre Beurteilung, daß die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zielen, nämlich zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Gesundheit, dringend geboten sei, entspricht der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. auch dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 28. September 1995, 95/18/1212).

Im Rahmen der gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmenden Interessenabwägung hat die belangte Behörde den aufgrund des langdauernden Aufenthalts gegebenen hohen Integrationsgrad des Beschwerdeführers und seiner Familie berücksichtigt und daher die negativen Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und dessen Familie als erheblich gewertet. Dieser zutreffenden Einschätzung stellte sie aber ebenso zutreffend das sehr große Gewicht der maßgeblichen, für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes sprechenden, öffentlichen Interessen gegenüber. Wenn die belangte Behörde wegen der Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers nicht als schwerer wiegend ansah, als das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes, kann ihr nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. Diese Wertung ist angesichts der mit der Suchtgiftkriminalität verbundenen erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht als rechtswidrig zu erkennen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. September 1995, Zl. 95/18/0881). Im vorliegenden Fall werden die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes noch durch den Verstoß des Beschwerdeführers gegen das Waffengesetz 1986 verstärkt. Wie bereits zu 1.3. ausgeführt, ist es daher unerheblich, ob zugunsten des Beschwerdeführers auch noch die Berufstätigkeit berücksichtigt wird.

3. Da sich die Beschwerde somit insgesamt als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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