VwGH 95/05/0237

VwGH95/05/023719.12.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde der K-Speditionsgesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 20. Juni 1995, Zl. MD-VfR-B XX-19/94, betreffend Erteilung einer Baubewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

BauO Wr §4 Abs2;
BauO Wr §5;
BauO Wr §70;
BauRallg;
B-VG Art10 Abs1 Z9;
B-VG Art118 Abs3 Z9;
B-VG Art15 Abs1;
EisenbahnG 1957 §10;
VwRallg;
BauO Wr §4 Abs2;
BauO Wr §5;
BauO Wr §70;
BauRallg;
B-VG Art10 Abs1 Z9;
B-VG Art118 Abs3 Z9;
B-VG Art15 Abs1;
EisenbahnG 1957 §10;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen 2 Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 35, vom 27. August 1948 wurde die Errichtung eines Büro- und Lagergebäudes auf dem Grundstück Nr. n/1, Eisenbahnbuch, Kat.Gem. B, gemäß § 71 der Wiener Bauordnung (BO) auf jederzeitigen Widerruf bewilligt. In der Folge wurden bauliche Änderungen durch Abtragung und Neuaufstellung von Zwischenwänden und Widmungsänderungen mit Bescheid derselben Behörde vom 8. April 1993 ebenfalls nach § 71 BO bewilligt.

Mit Schreiben vom 4. Mai 1993, eingelangt beim Magistrat am 6. Mai 1993, beantragte die Beschwerdeführerin, die Baubewilligung für das gegenständliche Gebäude in eine solche nach § 70 BO umzuwandeln. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Magistratsabteilung 35 vom 20. Oktober 1994 abgewiesen. In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung führte die Beschwerdeführerin im wesentlichen aus, die Rechtskraft einer gemäß § 71 BO auf Widerruf erteilten Baubewilligung stehe der Erteilung einer definitiven Baubewilligung (§ 70 BO) nicht entgegen. Weiters wurde die Feststellung der Erstbehörde, daß die gegenständliche Baulichkeit einer eisenbahnfremden Tätigkeit diene, bekämpft. Das Gebäude der Beschwerdeführerin verfüge über einen Gleisanschluß mit einer Laderampe und es sei die Beschwerdeführerin als Bestandnehmerin des Eisenbahngrundes vertraglich verpflichtet, einen bestimmten jährlichen Waggonumsatz zu erbringen. Dadurch unterscheide sich das gegenständliche Gebäude von anderen Betriebsgebäuden eines beliebigen Transportunternehmens. Im übrigen seien für vergleichbare Bauwerke auf dem Gelände des Nordwestbahnhofes Baubewilligungen gemäß § 70 BO erteilt worden, weshalb sich die dem erstinstanzlichen Bescheid zugrundeliegende Rechtsansicht als nicht zutreffend und überdies dem verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz widersprechend erweise.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 20. Juni 1995 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 20. Oktober 1994 abgewiesen. Zur Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens im wesentlichen ausgeführt, es sei der Beschwerdeführerin vorerst Recht zu geben, daß das Vorliegen einer auf Widerruf erteilten Baubewilligung der Erteilung einer definitiven Baubewilligung für dieselbe Baulichkeit nicht entgegenstehe. Die definitive Baubewilligung werde aber nur zu erteilen sein, wenn dem Vorhaben kein gesetzliches Hindernis entgegenstehe. Bei dem gegenständlichen Büro- und Lagergebäude handle es sich nicht um eine Eisenbahnanlage im Sinne des § 10 des Eisenbahngesetzes, die ganz oder teilweise, unmittelbar oder mittelbar der Abwicklung oder Sicherung des Eisenbahnbetriebes oder des Eisenbahnverkehrs diene. Träfe diese Voraussetzung zu, dann wäre die Erteilung einer Errichtungsbewilligung schon aus kompetenzrechtlichen Gründen der Baubehörde entzogen. Für den Bereich des Nordwestbahnhofes, auf dem sich das gegenständliche Büro- und Lagergebäude befinde, sei kein eigenes Plandokument festgesetzt. Möge auch der Widmung Verkehrsband in einem Flächenwidmungsplan bei einer Eisenbahnanlage nur deklaratorische Wirkung zukommen, so könne dennoch die bloße Tatsache des Vorliegens einer Eisenbahnanlage und Eintragung der Liegenschaft im Eisenbahnbuch noch keine gültige Flächenwidmung nach der Bauordnung für Wien bewirken. Daraus folge, daß für das durch die Festsetzung von Bebauungsplänen nicht erfaßte Stadtgebiet nach § 8 Abs. 1 BO Bausperre bestehe. Nur mit Zustimmung des Gemeinderates könnten für Bauten, die öffentlichen Zwecken dienten, fallweise Baubewilligungen unter Festsetzung der nach den Bestimmungen dieser Bauordnung notwendigen Bedingungen erteilt werden; sonst könnten Baubewilligungen nur ausnahmsweise mit dem Vorbehalt des jederzeit möglichen Widerrufes oder auf eine bestimmte Zeit nach den Bestimmungen des § 71 BO erteilt werden. Solche widerruflichen Bewilligungen seien der Beschwerdeführerin erteilt worden. Es handle sich bei dem gegenständlichne Gebäude nicht um einen öffentlichen Zwecken dienenden Bau, weshalb die Erteilung einer Baubewilligung nach § 70 BO zufolge der Bestimmung des § 8 Abs. 1 BO nicht in Betracht komme.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin rügt, daß der angefochtene Bescheid in sich widersprüchlich sei, da er einerseits davon ausgehe, daß "kein eigenes Plandokument" festgesetzt und "keine gültige Flächenwidmung" bewirkt sei, aber andererseits vom Bestehen eines Flächenwidmungsplanes mit der Widmung "Verkehrsband" in diesem Flächenwidmungsplan ausgehe. Tatsächlich sei die gegenständliche Liegenschaft im Flächenwidmungsplan als Verkehrsband ausgewiesen. Gemäß § 4 Abs. 2 BO würden "Straßenzüge und Verkehrswege von übergeordneter Bedeutung" als Verkehrsband gewidmet. Schon aufgrund dieser gesetzlichen Festlegung der Widmung Verkehrsband ergebe sich, daß in dieser Weise gewidmete Flächen üblicherweise nicht bebaut würden, sodaß auch die Erlassung von Bebauungsplänen nicht vorgesehen sei. Gemäß § 8 Abs. 1 BO bestehe ausschließlich für das durch die Festsetzung von Bebauungsplänen noch nicht erfaßte Stadtgebiet bis zur Festsetzung dieser Pläne die Bausperre. Da aber für das gegenständliche Bahnhofsgebiet die Festsetzung von Bebauungsplänen gar nicht vorgesehen sei bzw. nie erfolgen werde, sei nach Ansicht der Beschwerdeführerin § 8 BO nicht anwendbar. Weiters wird in der Beschwerde ausgeführt, es sei richtig, daß das Gebäude keine Eisenbahnanlage im Sinne des § 10 des Eisenbahngesetzes sei. Dies jedoch lediglich deshalb, weil es nicht im Eigentum der ÖBB stehe. Sonstige Voraussetzungen für die Qualifikation als Eisenbahnanlage lägen jedoch vor, da sich das Gebäude auf Bahngrund befinde, es wesentlich der Abwicklung des Eisenbahnverkehrs diene und infolge der Waggonverpflichtung auch rechtlich ein Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb bestehe. Die belangte Behörde habe das Recht der Beschwerdeführerin auf Parteiengehör verletzt, da sie erstmalig und abweichend vom Akteninhalt und den Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides von der Annahme ausgehe, es liege für den Bereich des Nordwestbahnhofes kein eigenes Plandokument vor. Ob überhaupt und gegebenenfalls welches Ermittlungsverfahren dieser Feststellung vorausgegangen sei, sei der Beschwerdeführerin unbekannt. Bei ordnungsgemäßer Gewährung des Parteiengehörs bzw. Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme hätte aber die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid kommen müssen.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 2 Wiener Bauordnung in der Fassung LGBl. Nr. 31/1992 (BO) können in den Flächenwidmungsplänen folgende Widmungen der Grundflächen ausgewiesen werden:

A. Grünland, B. Verkehrsbänder, C. Bauland und

D. Sondergebiete, wobei als Verkehrsbänder (auch) Straßenzüge und Verkehrswege von übergeordneter Bedeutung ausgewiesen werden können; als solche können auch die durch Akte der Vollziehung des Bundes auf dem Gebiet des Verkehrswesens (Art. 10 Abs. 1 Z. 9 B-VG) in Anspruch genommene Grundflächen ausgewiesen werden.

Der Inhalt der Bebauungspläne ist im § 5 BO geregelt; nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle haben Bebauungspläne die Widmungen der Grundflächen und der darüber- oder darunterliegenden Räume, die Fluchtlinien, für Verkehrsflächen die Höhenlagen zu enthalten. Neben diesen Festsetzungen haben die Bebauungspläne nach Abs. 3 dieser Bestimmung im Bauland mit Ausnahme der Gartensiedlungsgebiete, Industriegebiete und Gebiete für Lagerplätze und Ländeflächen entweder die Bauklassen und Bauweisen oder die Strukturen zu enthalten. Über diese Festsetzungen nach Abs. 2 und 3 können die Bebauungspläne noch zusätzliche Festsetzungen enthalten (Abs. 4). Nach § 5 Abs. 8 BO können die Flächenwidmungspläne und die Bebauungspläne für dieselben Plangebiete in einem Plan zusammengefaßt werden.

Nach einer von der Berufungsbehörde eingeholten Auskunft der zuständigen Fachabteilung (Magistratsabteilung 21) ist für das gegenständliche Gebiet des Nordwestbahnhofes kein eigener Flächenwidmungs- und Bebauungsplan beschlossen worden. Die diesbezügliche Stellungnahme der Magistratsabteilung 21 vom 4. April 1995 wurde zwar der Beschwerdeführerin während des Verwaltungsverfahrens nicht zur Kenntnis gebracht, die Aufhebung eines Bescheides wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften setzt jedoch die Wesentlichkeit des vorliegenden Verfahrensmangels voraus, das heißt, daß die Behörde bei Vermeidung des Fehlers zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Aufgrund der Verfahrensrüge hat die Partei jene Umstände bekanntzugeben, die der Behörde unbekannt geblieben sind, und die zu einem anderen Bescheidergebnis geführt hätten (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, auf Seite 593 dargestellte Judikatur). Nun hat es die Beschwerdeführerin unterlassen, in der Beschwerde darzulegen, was sie vorgebracht hätte, wenn ihr die belangte Behörde die Auskunft der Magistratsabteilung 21 zur Kenntnis gebracht hätte. Im übrigen sind sowohl der Flächenwidmungsplan als auch der Bebauungsplan Verordnungen, die dem Rechtsbestand angehören, wenn sie ordnungsgemäß kundgemacht sind. Der Beschwerdeführerin wäre es freigestanden, vor Einbringung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof das ihrer Meinung nach bestehende Plandokument, das den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan enthält, zu ermitteln und zu benennen; dies hat sie aber unterlassen. Auch der Verwaltungsgerichtshof konnte für das gegenständliche Gebiet kein Plandokument ermitteln. Es ist daher davon auszugehen, daß die Auskunft der Magistratsabteilung 21 vom 4. April 1995 richtig ist, wonach für den Bereich des Nordwestbahnhofes kein eigenes Plandokument, das einen Flächenwidmungs- und Bebauungsplan enthält, beschlossen wurde.

Nach § 10 des Eisenbahngesetzes 1957, BGBl. Nr. 60 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 899/1993, sind Eisenbahnanlagen Bauten, ortsfeste eisenbahntechnische Einrichtungen und Grundstücke einer Eisenbahn, die ganz oder teilweise, unmittelbar oder mittelbar der Abwicklung oder Sicherung des Eisenbahnbetriebes oder Eisenbahnverkehrs dienen. Ein räumlicher Zusammenhang mit der Fahrbahn ist nicht erforderlich. Wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom 17. Oktober 1963, Slg. Nr. 6123/A, ausgesprochen hat, liegt eine Eisenbahnanlage dann vor, wenn sie mit dem Eisenbahnbetrieb oder dem Eisenbahnverkehr in einem solchen Zusammenhang steht, daß ohne diese ein geordneter Eisenbahnbetrieb oder Eisenbahnverkehr nicht möglich ist. Das Gebäude, dessen definitive Bewilligung gemäß § 70 BO beantragt wurde, dient nicht ganz oder teilweise, unmittelbar oder mittelbar der Abwicklung oder Sicherung des Eisenbahnbetriebes oder Eisenbahnverkehrs und ist für einen geordneten Eisenbahnbetrieb bzw. -verkehr nicht unerläßlich. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang und die vertragliche Verpflichtung, eine bestimmte Zahl von Waggons in Anspruch zu nehmen, macht das Speditionsgebäude zu keiner Eisenbahnanlage im Sinne des § 10 des Eisenbahngesetzes 1957. Wäre dies der Fall, so wäre, wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt wird, eine Zuständigkeit der belangten Behörde nicht gegeben gewesen, da der Kompetenztatbestand Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen (Art. 10 Abs. 1 Z. 9 B-VG) der Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz des Bundes zugewiesen ist und diese Kompetenz als eine ausschließliche Bundeskompetenz angesehen wird. Da aber nicht jeder Bau eines bahnfremden Dritten, welchen bahnfremden Zwecken dieser Bau auch dient, unter den Begriff einer Eisenbahn als Teil des Verkehrswesens zu subsumieren ist (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 1965, Slg. 5019), und das gegenständliche Gebäude bahnfremden Zwecken dient, war die Zuständigkeit der belangten Behörde gegeben (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 17. Jänner 1966, Zl. 2175/64).

Wenn es um ein bahnfremdes Gebäude auf Eisenbahngrund geht, dann besteht auch eine Planungskompetenz der Gemeinde (siehe das Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis vom 5. Oktober 1967, Slg. 5578; in diesem Sinne auch Geuder in "Die rechtliche Stellung der Eisenbahnanlage im gemeindlichen Planungs- und Baurecht" Gdz 1969, 2/36).

Wie schon ausgeführt worden ist, hat die zuständige Magistratsabteilung mitgeteilt, daß ein Flächenwidmungs- und Bebauungsplan nicht erlassen wurde, weshalb davon auszugehen ist, daß keine derartige Verordnung erlassen worden ist. Nach § 8 Abs. 1 BO besteht für das durch die Festsetzung von Bebauungsplänen noch nicht erfaßte Stadtgebiet bis zur Festsetzung dieser Pläne die Bausperre. Diese Bausperre besteht kraft Gesetzes.

Da die Erteilung einer Baubewilligung nach § 70 BO infolge der Bestimmung des § 8 Abs. 1 BO nicht in Betracht kam, wurde die Beschwerdeführerin durch die Versagung der definitiven Baubewilligung für das verfahrensgegenständliche Büro- und Lagergebäude im Ergebnis in keinem Recht verletzt. Der Umstand, daß allenfalls für vergleichbare Bauten eine definitive Bewilligung erteilt wurde, vermag keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu begründen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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