VwGH 95/04/0063

VwGH95/04/006326.9.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 15. Dezember 1994, Zl. GZ 314.634/2-III/A/2a/94, betreffend Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Partei: Raiffeisen-Lagerhaus X reg. Gen.m.b.H., vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Normen

ArbIG 1993 §13;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
B-VG Art131 Abs2;
GewO 1994 §81 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
ArbIG 1993 §13;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
B-VG Art131 Abs2;
GewO 1994 §81 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, Zl. 92/04/0283, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 22. September 1992, betreffend Abweisung der Berufung der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 5. August 1991, - mit dem im Verfahren über die Genehmigung der Änderung der Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei aufgrund der Berufung des Arbeitsinspektorates für den

5. Aufsichtsbezirk der erstbehördliche Bescheid vom 23. März 1994 gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben worden war -, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Dies, weil der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten - ausgehend von seiner im zitierten Erkenntnis näher dargelegten unrichtigen Rechtsansicht - die für die abschließende Beurteilung der Parteistellung des Arbeitsinspektorates für den

5. Aufsichtsbezirk entscheidungswesentlichen Feststellungen nicht getroffen hatte.

Mit dem nunmehr als Ersatzbescheid ergangenen Bescheid vom 15. Dezember 1994 gab der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten der Berufung der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 5. August 1991 insoferne Folge, als er diesen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG behob. Hiezu wurde - nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und den Entscheidungsgründen des hg. Erkenntnisses vom 21. Dezember 1993 - im wesentlichen ausgeführt, im gegenständlichen Fall seien vor einer Entscheidung i.S. dieses Erkenntnisses Erhebungen erforderlich, ob es sich bei der mitbeteiligten Partei um eine land- und forstwirtschaftliche Ein- und Verkaufsgenossenschaft oder um eine Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft i.S.d.

NÖ Landarbeitsordnung oder um einen dem Arbeitsinspektionsgesetz unterliegenden Betrieb handle. Diese Erhebungen könnten jedoch auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung durchgeführt werden, weshalb die Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG nicht anwendbar sei. Da "Sache" des Berufungsverfahrens lediglich der Spruch des bei der Berufungsbehörde angefochtenen Bescheides sei (im vorliegenden Fall sei dies der Abspruch nach § 66 Abs. 2 AVG), sei es dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten versagt, meritorisch zu entscheiden. Der Landeshauptmann von Niederösterreich habe daher nunmehr in der Sache zu entscheiden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig zurück-, bzw. in eventu abzuweisen.

Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides im wesentlichen mit der Begründung, die belangte Behörde hätte über die Rechtmäßigkeit der Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde erster Instanz entscheiden und dazu die Frage der Parteistellung des Arbeitsinspektorates klären müssen. In dieser Frage habe die zweite Instanz sehr wohl in der Sache entschieden; indem die Berufung des Arbeitsinspektorates nicht als unzulässig zurückgewiesen worden sei, habe die Behörde zweiter Instanz dessen Parteistellung bejaht, was auch in der Bescheidbegründung zum Ausdruck komme. Die Berufung der mitbeteiligten Partei gegen diesen Bescheid habe sich ausschließlich gegen die Zuerkennung der Parteistellung des Arbeitsinspektorates gerichtet, ebenso ihre Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den (mittlerweile) aufgehobenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 22. September 1992. Auch die Aufhebung dieses Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof sei wegen mangelnder Ermittlungen zur Frage der Parteistellung des Arbeitsinspektorates erfolgt. "Sache" im Verfahren dritter Instanz sei demnach die Frage der Parteistellung des Arbeitsinspektorrates bzw. die Frage gewesen, ob die Behörde zweiter Instanz zu Recht über die Berufung des Arbeitsinspektorrates entschieden hatte oder diese Berufung - im Falle des Zutreffens der Ausnahmebestimmungen des § 1 Abs. 1 Z. 1 ArbIG 1974 auf den Betrieb der mitbeteiligten Partei - mangels Parteistellung hätte zurückweisen müssen. Der angefochtene Bescheid sei zwar auf § 66 Abs. 4 AVG gestützt, er stelle jedoch seinem Wesen nach eine weitere Zurückverweisung nach § 66 Abs. 2 AVG dar, wobei das Zutreffen der Voraussetzungen hiefür nicht nur nicht einmal behauptet, sondern ausdrücklich in Abrede gestellt worden seien. Die belangte Behörde habe daher § 66 Abs. 4 AVG unrichtig angewendet und unzulässigerweise keine Sachentscheidung hinsichtlich der Parteistellung des Arbeitsinspektorates getroffen.

Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift die Zurückweisung der Beschwerde beantragt, weil dem Bundesminister für Arbeit und Soziales "die Beschwer" mangle, verkennt sie, daß der Bundesminister für Arbeit und Soziales gemäß § 13 des ArbIG 1993 bei Verwaltungsverfahren in Angelegenheiten, die den Arbeitnehmerschutz berühren, berechtigt ist, gegen Bescheide, die in letzter Instanz ergangen sind, i.S.d. Art. 131 Abs. 2 B-VG Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben (vgl. auch RV, 813 BlgNR, XVIII GP, 27), es hier also um den Fall einer Beschwerde wegen objektiver Rechtsverletzung geht. Daß es sich aber bei dem, dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren nicht um eine, den Arbeitnehmerschutz berührende Angelegenheit handle, behauptet die belangte Behörde selbst nicht.

Die Beschwerde ist berechtigt.

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, soferne die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.

"Sache" der Berufungsbehörde ist die Angelegenheit, die den Inhalt des normativen Abspruches der Unterinstanz gebildet hat, soweit diese Angelegenheit - ihre rechtliche Teilbarkeit vorausgesetzt - mit Berufung angefochten wurde (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens4 (1990) 542 f. referierte hg. Judikatur).

"Sache" i.S.d. § 66 Abs. 4 AVG der belangten Behörde war daher im vorliegenden Fall die aufgrund der Berufung des Arbeitsinspektorates für den 5. Aufsichtsbezirk vom Landeshauptmann von Niederösterreich ausgesprochene Behebung des Genehmigungsbescheides der Bezirkshauptmannschaft X vom 24. März 1984 und Zurückverweisung dieser Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an diese Behörde. Da die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG das Vorliegen einer zulässigen Berufung voraussetzt, hat der Landeshauptmann dadurch, daß er die Berufung des Arbeitsinspektorates gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht als unzulässig zurückwies, sondern im Gegenteil aufgrund dieser Berufung den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behob, zum Ausdruck gebracht, daß er die Parteistellung des Arbeitsinspektorates bejahte.

Sache i.S.d. § 66 Abs. 4 AVG der belangten Behörde war demnach auch die Parteistellung des Arbeitsinspektorrates. Es war der belangten Behörde daher verwehrt, den Bescheid des Landeshauptmannes gemäß § 66 Abs. 4 AVG lediglich zu beheben und in der Begründung ihres Bescheides die zur Beurteilung der Parteistellung des Arbeitsinspektorates notwendigen Schritte darzulegen, ohne selbst darüber abzusprechen. Sie wäre vielmehr gehalten gewesen, auch die von der Unterinstanz als gegeben erachteten Prozeßvoraussetzungen zu prüfen und ihre - allenfalls gegenteilige - Auffassung an die Stelle jener der Unterinstanz zu setzen.

Indem die belangte Behörde daher verkannte, daß die Beurteilung der Prozeßvoraussetzungen durch den Landeshauptmann von Niederösterreich von der ihr vorliegenden "Sache" i.S.d.

§ 66 Abs. 4 AVG umfaßt waren, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

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