VwGH 94/20/0801

VwGH94/20/080123.5.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde 1.) der S A, mit den mj. Kindern 2.) T, 3.) mj. M und 4.) mj. R, alle in F, alle vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. August 1994, Zl. 4.334.820/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. August 1994 wurde die Berufung der Erstbeschwerdeführerin, einer irakischen Staatsangehörigen, die mit ihren mj. Kindern am 13. Februar 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 15. Februar 1992 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 19. März 1992, mit dem festgestellt worden war, daß sie die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllten, abgewiesen und damit die Gewährung von Asyl versagt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides habe das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin keine Anhaltspunkte ergeben, daß sie und ihre mj. Kinder Flüchtlinge "im Sinne des Asylgesetzes" (gemeint offenbar: 1991) seien. Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 27. Februar 1992 hat die Erstbeschwerdeführerin angegeben, sie sei irakische Staatsangehörige und in religiöser Hinsicht der Minderheit der Schiiten zuzurechnen. Sie sei nie Mitglied einer Partei oder einer anderen politischen Organisation gewesen. Als Ledige habe sie keine Probleme gehabt, diese hätten erst mit ihrer Verehelichung begonnen. Da es in ihrer Gesellschaft als unmöglich bezeichnet worden sei, einen Kommunisten zu heiraten, sei ihre Schwester mit einem Heiratsverbot bedacht worden. Sie sei mit ihrem Ehemann und den Kindern in der Folge in den Jemen geflüchtet, weil er zum Tode verurteilt worden sei. Im Jemen sei ihr dreizehn Monate altes Kind an Unterernährung gestorben. In der Zeit von 1981 bis 1984 sei ihr Ehemann in den Nordirak zurückgekehrt und habe dort den Widerstandskämpfern gegen das Regime Saddam Husseins geholfen. Anschließend sei er wieder (in den Jemen) zurückgekehrt. Durch Vermittlung der kommunistischen Partei und des Roten Kreuzes sei es möglich gewesen, ihre beide Kinder in ein Internat in die Nähe von Moskau zu schicken, wo sie in der Zeit von 1982 bis 1986 verblieben seien. Da nach ihrem Ehemann gesucht worden sei, seien sie gemeinsam nach Budapest geflogen, wo er sich wegen Verletzungen durch Mißhandlungen einer Leberoperation habe unterziehen müssen. Auch sie habe im Jemen eine Krankheit bekommen und habe sich ebenfalls operieren lassen müssen. Bis 1990 sei die Familie in Budapest geblieben, ihr Ehemann habe in dieser Zeit studiert. Anschließend seien sie nach Lybien zurückgekehrt, hätten aber nicht mehr lange dort bleiben können, weshalb sie sich entschlossen hätten, nach Schweden zu reisen und dort um Asyl anzusuchen. Im Falle der Rückkehr in den Irak sei ihr Ehemann in Todesgefahr und sie selbst habe Angst, "wie eine Sklavin behandelt zu werden". In ihrer Berufung bekräftigte die Beschwerdeführerin diese Darstellung und ergänzte, in der Zeit der Abwesenheit ihres Ehegatten habe sie selbst mit ihren Kindern im Irak verbleiben und viel erdulden müssen, weil der irakische Geheimdienst andauernd das Haus überwacht und am Abend oder in den Nachtstunden vor den Augen der Kinder nach Dokumenten gesucht hätte. Man habe sie unter Androhung der Geiselnahme ihrer Kinder zwingen wollen, einen Brief an ihren Ehegatten zu verfassen, um ihn zur Rückkehr zu bewegen. Sie sei in der Folge aus Angst mit Hilfe ihres Bruders M nach Bulgarien geflüchtet. Ihr Bruder sei in der Folge von der irakischen Sicherheitspolizei festgenommen worden, seither fehle jede Nachricht von ihm. Des weiteren bestehe gegen ihren Ehegatten ein im Jahr 1978 verhängtes Todesurteil, dessen Gültigkeit auch nach Übernahme der Macht durch Sadam Hussein nicht verloren gegangen wäre, insbesondere, da sämtliche Amnestien nicht eingehalten worden seien, was Tausenden das Leben gekostet habe. Wegen der Tätigkeit ihres Ehegatten als politischer Berater der kurdischen Oppositionellen bestehe auch die Möglichkeit, daß ein zweites Todesurteil gegen ihn erlassen worden sei. Auch ihre eigene Familie sei - wie dargelegt - vor Verfolgung nicht verschont geblieben. Sie müsse annehmen, daß ihr Bruder wegen Fluchthilfe mittlerweile hingerichtet worden sei.

Dazu hat die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht ausgeführt, nur solche Umstände könnten der (gemeint offenbar: positiven) Entscheidung zugrundegelegt werden, die eine Person unmittelbar betreffen und daher könnten Ereignisse gegen Familienmitglieder nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken. Ebensowenig könnten allgemein herrschende politische Verhältnisse, Hausdurchsuchungen, Verhöre oder Befragungen oder die innere Abneigung des Asylwerbers gegen das in seiner Heimat herrschende System oder subjektive Furcht vor Verfolgung Flüchtlingseigenschaft begründen, vielmehr seien hiefür konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen und solche Zustände im Heimatland des Asylwerbers erforderlich, die aus objektiver Sicht betrachtet, einen weiteren Verbleib unerträglich machten.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht keinen Anlaß, grundsätzlich von der auch von der belangten Behörde zu Stützung ihrer rechtlichen Beurteilung herangezogenen Judikatur abzugehen. Die belangte Behörde übersieht aber, daß in Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalles die - für sich allein noch keine Asylrelevanz aufweisenden - Merkmale in ihrem Zusammenwirken doch begründete Furcht vor Verfolgung darzutun geeignet sein können. In diesem Zusammenhang ist auch unrichtig, die Beschwerdeführerin habe konkrete, gegen sie selbst gerichtete Verfolgungshandlungen nicht dargetan. Die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung setzt nämlich nicht voraus, daß die Beschwerdeführerin vor ihrer Ausreise eine individuell gegen sie gerichtete Verfolgung bereits erlitten haben müßte oder ihr zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre. Eine derartige Befürchtung wäre nämlich auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland der Beschwerdeführerin dergestalt wären, daß von einer "Sippenhaftung" gesprochen werden könnte, weil die Beschwerdeführerin dadurch der Gefahr ausgesetzt wäre, selbst mit ihren Kindern davon unmittelbar betroffen zu sein. Das gesamte Vorbringen der Beschwerdeführerinin enthielt einen deutlichen Hinweis darauf, daß für SIE eine aus der den Behörden ihres Heimatstaates bekannten politischen Aktivität ihres Ehemannes resultierende Verfolgungsgefahr von erheblicher Intensität bestanden habe. Dabei handelt es sich NICHT ALLEIN um Hausdurchsuchungen, Verhöre und Befragungen oder die "allgemein herrschenden politischen Verhältnisse" im Heimatland der Beschwerdeführerin, sondern im Zusammenhang mit der über ihren Ehegatten wegen seiner regimefeindlichen Tätigkeit verhängten Todesstrafe (wie dies die Androhung der Geiselnahme ihrer Kinder zur Erpressung der Rückkehr ihres Gatten zeigt) sowie dem "Verschwinden" ihres Bruders auch um von ihr persönlich zu erwartende Repressionshandlungen, die eine Rückkehr in ihr Heimatland unzumutbar erscheinen ließen.

Aus all diesen Gründen erweist sich der angefochtene Bescheid bei Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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