VwGH 93/18/0181

VwGH93/18/018119.1.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des R in H, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 10. Februar 1993, Zl. Senat-BN-92-058, betreffend Bestrafung wegen einer Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, zu Recht erkannt:

Normen

AAV §59 Abs1;
AAV §59 Abs6;
ASchG 1972;
VStG §5 Abs2;
VwRallg;
AAV §59 Abs1;
AAV §59 Abs6;
ASchG 1972;
VStG §5 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 10. Februar 1993 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es als zur Vertretung nach außen Berufener einer näher bezeichneten Gesellschaft m.b.H. zu verantworten, daß am 28. Mai 1991 ein namentlich genannter Arbeitnehmer dieser Gesellschaft beim Reinigen im Inneren einer näher bezeichneten Bettfedernmischmaschine auf ein Greiferblatt des Rührwerkes gestiegen sei, welches gegen ein Bewegen nicht gesichert gewesen sei. Dadurch habe der Beschwerdeführer eine Übertretung des § 59 Abs. 6 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) begangen. Über ihn wurde wegen dieser Übertretung eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der in der Anzeige beschriebene Sachverhalt werde nicht bestritten. Der Beschwerdeführer habe auch seine Verantwortlichkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG nicht bestritten, jedoch einen entschuldbaren Rechtsirrtum geltend gemacht.

Bei der in Frage stehenden Doppelwellen-Federnmischmaschine handle es sich um ein Gerät im Sinne der Bestimmung des § 59 Abs. 6 AAV. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum des Beschwerdeführers liege nicht vor. Das von ihm vorgelegte Gutachten eines technischen Sachverständigen sei erst nach der Anzeige in Auftrag gegen worden. Die Schlußfolgerungen des Sachverständigen könnten daher keinen Schuldausschließungsgrund bilden. Der Beschwerdeführer wäre verpflichtet gewesen, sich mit den für die Beschäftigung von Arbeitnehmern geltenden Vorschriften - sohin auch mit der AAV - vertraut zu machen und sich im Falle von Unklarheiten - allenfalls durch Anfrage bei der zuständigen Behörde - über den Inhalt der anzuwendenden Vorschriften zu unterrichten. Der Beschwerdeführer sei dieser Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen und habe daher Fahrlässigkeit zu verantworten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. § 59 Abs. 1 und 6 AAV lautet wie folgt:

"(1) Wenn Betriebseinrichtungen, wie Behälter, Silos, Schächte, Gruben, Kanäle oder Rohrleitungen, befahren werden, ist eine geeignete, fachkundige Person zu bestellen, welche die notwendigen Schutzmaßnahmen für das Befahren schriftlich anordnet; das Befahren solcher Einrichtungen ist nur mit Zustimmung dieser Person gestattet. Die Einhaltung der Schutzmaßnahmen muß durch eine ständig anwesende Aufsichtsperson sichergestellt sein.

(6) Vor dem Befahren von Einrichtungen nach Abs. 1, die sich bewegen lassen, wie rotierende Behälter, oder die im Inneren bewegliche Teile, wei Rühr-, Misch- oder Becherwerke, haben, müssen Maßnahmen gegen Ingangsetzen und Bewegen getroffen sein. Als solche Maßnahmen gelten insbesondere allpoliges Abschalten und Versperren des Schalters, erforderlichenfalls mit mehreren Schlössern, Ersatz der Sicherungen durch Sperrstöpsel, Verriegeln der beweglichen Teile oder Feststellen und Versperren vorhandener Bremseinrichtungen. An den Schalt-, Sperr- und Verriegelungsstellen müssen zusätzlich diesbezügliche Warntafeln angebracht sein, die nach Beendigung der Arbeiten zu entfernen sind. Schutzmaßnahmen dürfen nur von der Aufsichtsperson aufgehoben werden."

2.1. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, aus der wörtlichen Interpretation des im § 59 Abs. 6 AAV verwendeten Begriffs "Befahren" ergebe sich, daß es sich dabei um eine Fortbewegung unter Zuhilfenahme technischer Einrichtungen im Inneren von Einrichtungen, wie Behältern, Silos, Schächten, Kanälen oder Rohrleitungen, handle. Der Arbeitnehmer, der bei der Reinigung der Bettfedernmischmaschine eine Verletzung erlitten habe, habe die von ihm zu reinigende Maschine jedoch ohne Zuhilfenahme technischer Mittel besteigen können. Er habe die Maschine sohin "bestiegen" und nicht "befahren".

Aus der Verweisung auf § 59 Abs. 1 AAV ergebe sich, daß die im zweiten Satz des § 59 Abs. 6 dieser Verordnung genannten Maßnahmen nur auf solche Betriebseinrichtungen Anwendung fänden. § 59 Abs. 1 dieser Verordnung enthalte zwar keine taxative Aufzählung, doch sei davon auszugehen, daß dann, wenn damit auch Maschinen hätten erfaßt werden sollen, diese in der beispielsweisen Aufzählung genannt worden wären. Durch die beispielsweise Aufzählung werde zum Ausdruck gebracht, daß nur bei Einrichtungen, die ein bestimmtes räumliches Ausmaß aufwiesen und somit auch ein gewisses Gefahrenmoment mit sich brächten, die im Abs. 6 genannten Schutzmaßnahmen zu erfüllen seien. Ein "Befahren" setze ein Inneres mit großen Dimensionen voraus. Dafür spreche auch die Bestimmung des § 59 Abs. 10 AAV, in der Fälle des Einfahrens ohne Verwendung von Befahreinrichtungen geregelt seien. Hätte die belangte Behörde Feststellungen über das Ausmaß der Maschine getroffen, so hätte sie zu dem Ergebnis kommen müssen, daß sie zu klein dimensioniert sei, um eine Betriebseinrichtung im Sinne des § 59 Abs. 1 und 6 AAV zu sein.

2.2. Mit diesen Ausführungen vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Mit dem Begriff "Befahren" im Sinne der genannten Verordnungsstelle ist nicht das Fahren unter Zuhilfenahme technischer Einrichtungen gemeint. Befahren ist hier im Sinne der Bergmannssprache zu verstehen (vgl. zu den Bedeutungen des Wortes "befahren" das große Wörterbuch der deutschen Sprache I, 319) und bedeutet im gegebenen Zusammenhang mit den in § 59 Abs. 1 AAV genannten Betriebseinrichtungen, daß eine Person sich - zur Gänze - in das Innere einer derartigen Betriebseinrichtung begibt (vgl. dazu § 3 Abs. 6 und § 24 Abs. 3 der Dampfkesselverordnung-DKV, BGBl. Nr. 510/1986; vgl. ferner Felix-Merkl-Vogt, Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung3, Anmerkung 3 zu § 41).

Die gegenständliche Federnmischmaschine hat nach dem vom Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren vorgelegten Gutachten (Skizze auf Seite 2 des Gutachtens) eine Länge und eine Breite von ca. 4 m und eine Höhe von mehr als 2 m. Es unterliegt daher keinem Zweifel, daß es sich nach dem zuvor Gesagten um eine "befahrbare" Betriebseinrichtung handelt. Daß Mischmaschinen, die regelmäßig ein großes Volumen haben, in § 59 Abs. 1 AAV nicht ausdrücklich genannt sind, schadet nicht, weil die Aufzählung im § 59 Abs. 1 AAV nicht taxativ ist. Die Anführung von "Maschinen" schlechthin in der beispielsweisen Aufzählung wäre nicht zweckmäßig gewesen, weil die meisten Maschinen nicht befahrbar im Sinne des oben Gesagten sind. Der vom Beschwerdeführer aus der Tatsache, daß Maschinen im § 59 Abs. 1 AAV nicht ausdrücklich genannt sind, gezogene Schluß ist demnach verfehlt. Entscheidend für die Anwendung des § 59 AAV ist, daß es sich um im Sinne der obigen Bedeutung befahrbare Betriebseinrichtungen handelt. Dies hat die belangte Behörde mit Recht bejaht.

Die belangte Behörde hat im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers nicht die Ansicht vertreten, § 59 Abs. 6 AAV sehe eine Erweiterung der Anwendung auf andere als im § 59 Abs. 1 dieser Verordnung genannte Betriebseinrichtungen vor. Sie hat vielmehr richtig erkannt, daß im § 59 Abs. 6 AAV für Einrichtungen nach Abs. 1, die besondere Gefahrenquellen haben, nämlich solche, die sich bewegen lassen oder im Inneren bewegliche Teile haben, besondere Sicherheitsvorschriften gelten.

Die Tatsache, daß im § 59 Abs. 10 AAV Fälle des Einfahrens ohne Einsatz von Befahreinrichtungen geregelt sind, spricht nicht für, sondern gegen den Standpunkt des Beschwerdeführers, daß Befahren das Fahren unter Zuhilfenahme technischer Einrichtungen bedeute.

3.1. Der Beschwerdeführer hält § 59 Abs. 6 AAV auch deshalb für nicht anwendbar, weil dort das Feststellen oder Versperren vorhandener Bremseinrichtungen gefordert werde. Da die gegenständliche Federnmischmaschine keine Bremseinrichtungen habe und eine Verpflichtung zum Einbau derartiger Mechanismen aus der geannten Bestimmung nicht ableitbar sei, habe er § 59 Abs. 6 AAV nicht verletzt.

3.2. Der Beschwerdeführer verkennt mit diesem Vorbringen, daß § 59 Abs. 6 AAV vom Arbeitgeber fordert, daß vor dem Befahren von Einrichtungen im Sinne dieser Verordnungsstelle Maßnahmen gegen Ingangsetzen und Bewegen getroffen werden müssen. Auf welche Weise dies bewerkstelligt wird, ist dem Arbeitgeber überlassen; wesentlich ist, daß die Maßnahmen das Ingangsetzen und Bewegen verhindern. Der zweite Satz des § 59 Abs. 6 AAV enthält eine beispielsweise Aufzählung von in Betracht kommenden geeigneten Maßnahmen, darunter das Feststellen und Versperren vorhandener Bremseinrichtungen. Aus dem Fehlen von Bremseinrichtungen an der gegenständlichen Maschine kann der Beschwerdeführer demnach nicht ableiten, daß keine Maßnahmen gegen Ingangsetzen und Bewegen getroffen werden mußten.

4.1. Der Beschwerdeführer meint, er habe sich in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befunden, weshalb ihn an der Verletzung des § 59 Abs. 6 AAV kein Verschulden treffe. Daß es sich bei seiner Auffassung, die Bettfedernmischmaschine sei keine Einrichtung im Sinne des § 59 Abs. 1, um eine vertretbare Rechtsansicht handle, ergebe sich aus dem von ihm vorgelegten Gutachten eines Sachverständigen für Maschinenbau.

4.2. Diesem Vorbringen ist zu erwidern, daß derjenige, der ein Gewerbe betreibt, verpflichtet ist, sich über die einschlägigen Vorschriften, wozu auch die Arbeitnehmerschutzvorschrifen gehören, zu unterrichten (siehe die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, unter E. Nr. 3a und b zu § 5 Abs. 2 VStG zitierte hg. Rechtsprechung). Der Beschwerdeführer behauptet, § 59 Abs. 6 AAV gekannt, jedoch mangels eines Zweifels am Inhalt dieser Verordnungsstelle keine Auskünfte eingeholt zu haben.

Wie oben dargelegt wurde, ist die vom Beschwerdeführer vorgenommene Auslegung unrichtig. Sie ist aber auch nicht vertretbar, weil sie zu einer sachlich durch nichts gerechtfertigten Regelungslücke in Ansehung befahrbarer Maschinen führen würde. Die AAV enthält keine Sondervorschriften für befahrbare Maschinen. Es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, der Verordnungsgeber habe Arbeitnehmer bei ihrer Tätigkeit im Inneren von Maschinen nicht in gleicher Weise schützen wollen wie bei ihrer Tätigkeit im Inneren von anderen Betriebseinrichtungen. Bei Anwendung entsprechender Sorgfalt hätte der Beschwerdeführer daher zumindest Zweifel am Inhalt der in Rede stehenden Vorschrift hegen müssen, weshalb in der Unterlassung von diesbezüglichen Erkundigungen zumindest Fahrlässigkeit gelegen ist (vgl. die bei Hauer-Leukauf, a.a.O., unter E. Nr. 42 zu § 5 Abs. 2 VStG zitierte hg. Rechtsprechung).

Das vom Beschwerdeführer genannte Gutachten eines Sachverständigen für Maschinenbau war schon im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Erstellung nicht geeignet, den Rechtsirrtum des Beschwerdeführers zur Tatzeit zu entschuldigen.

5. Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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