VwGH 94/19/0282

VwGH94/19/028224.3.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des G in V, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Februar 1993, Zl. 4.322.722/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der am 13. September 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 18. September 1991 einen schriftlichen begründeten Asylantrag gestellt hat, hat gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 29. Oktober 1991, mit welchem festgesstellt worden war, daß beim Beschwerdeführer die Voraussetzung für die Anerkennung als Flüchtling im Sinn des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vorliegen, mit Berufung bekämpft.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Bei seiner Ersteinvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich am 17. Oktober 1991 hatte der Beschwerdeführer im wesentlichen in Übereinstimmung mit der Begründung seines Asylantrages angegeben, er habe im Kohlebergwerk Z gearbeitet. Ende März 1991 sei es auf Grund mangelnder Rechte der Bergarbeiter zu einem Streik gekommen. Eine Demonstration sei abgehalten worden, in deren Verlauf Polizei und Militär eingegriffen hätten und mehrere Demonstranten verhaftet und auch geschlagen worden seien. Auch er selbst habe zur Polizei in Z gemußt und sei dort in einem Vernehmungszimmer mit Gummiknüppeln und Faustschlägen gefoltert worden. Nach einer Woche sei er entlassen worden, wobei ihm die Polizei gedroht habe, daß er im Wiederholungsfalle mit einer strengeren Folter und mit dem Tod zu rechnen hätte. Der Beschwerdeführer sei seit 1976 Sympathisant der Dev-Sol und habe kurz nach seiner Freilassung wiederum Flugblätter mit regimekritischen Äußerungen verteilt. Beim Aufkleben eines Plakates seien er und seine Freunde von der Polizei "erwischt" worden, wobei es zu einer Auseinandersetzung bzw. Schießerei gekommen sei, bei der es auf Seiten der Regimegegner zwei Schwerverletzte gegeben habe. Er sei jedoch nicht verletzt worden und habe fliehen können. Die Verletzten jedoch hätten auf Grund der Folter durch die Polizei u.a. auch seinen Namen bekanntgegeben, sodaß er sich habe verstecken müssen. Es seien überall Photos von ihnen aufgehängt worden. Von Freunden habe er dann Geld bekommen und habe sich nach Ankara begeben, wo er gegen Bezahlung von etwa 2 Millionen türkische Lira einen Paß mit einem Visum für Österreich bekommen habe. Auf Grund der geschilderten Umstände habe er sich gezwungen gesehen, die Türkei zu verlassen und nach Österreich zu fliehen.

In der Berufung vertrat der Beschwerdeführer die Ansicht, bei ihm lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling im Sinne des Art. I Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention vor und verwies im übrigen auf seine Angaben im erstinstanzlichen Verfahren.

Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid im wesentlichen mit der Begründung ab, das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere auch die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers, habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß er Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Seinem Vorbringen, er sei im März 1991 wegen der Teilnahme an einer Demonstration von der Polizei festgenommen und gefoltert worden, werde entgegengehalten, daß nicht jede staatliche Maßnahme die Flüchtlingseigenschaft indizieren könne und somit die Gewährung von Asyl rechtfertigen würde. Entscheidend sei, daß der Staat eine Person aus einem im § 1 AsylG 1991 taxativ aufgezählten Gründen treffen wolle. Die erforderliche Verfolgungsmotivation sei jedoch nicht gegeben, wenn die behördlichen Maßnahmen rechtsstaatlich legitimen Zwecken wie der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung dienten. Auch die Beschränkungen des Versammlungsrechtes oder der Abhaltung von Demonstrationen in einem Lande, stellten keinen im § 1 AsylG 1991 genannten Grund dar, den Bewohnern dieses Landes deshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Damit im Zusammenhang stehende polizeiliche Maßnahmen, wie die Festnahme und Anhaltung von Teilnehmern an verbotenen Demonstrationen erwiesen sich daher nicht als Verfolgungshandlung im Sinne des Asylgesetzes. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Mißhandlungen anläßlich seiner Festnahme und Vernehmung seien lediglich "Polizeiübergriffe", die allein aus objektiver Sicht betrachtet, einen weiteren Verbleib in seinem Heimatlannd noch nicht als unzumutbar erscheinen ließen. Die von ihm geltend gemachten Eingriffe in die körperliche Integrität stellten auf Grund ihrer Intensität keinen ernsthaften Nachteil im Sinne des Asylgesetzes 1991 dar. Es handle sich vielmehr um Routinevorkommnisse von geringer Eingriffsdauer und Intensität, in deren Folge dem Beschwerdeführer keine weiteren Nachteile erwachsen seien. Überdies bestünde kein unmittelbarer zeitlicher Konnex zwischen diesen Vorfällen und seiner Ausreise. Im übrigen sei die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung wegen krimineller Handlungen, an denen er beteiligt gewesen sei, erfolgt, da es sich bei der von ihm unterstützten Organisation Dev-Sol um eine gewaltbejahende bzw. gewaltausübende Gruppierung handle. Auch Schärfen bei der Aufklärung und Bestrafung gemeiner Verbrechen hielten sich im Rahmen der Verbrechensbekämpfung und könnten als solche nicht den Mangel des Vorliegens eines Konventionsgrundes substituieren. Darüberhinaus bestünde im vorliegeden Fall sogar der begründete Verdacht, daß der Beschwerdeführer selbst mit Waffengewalt gegen Polizisten vorgegangen sei, als er beim Affichieren von Plakaten betreten worden sei, was bereits die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ausschließe.

In seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft nach den "einschlägigen Bestimmungen" des Asylgesetzes verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Da das Asylverfahren im vorliegenden Fall am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres bereits anhängig war, hatte die belangte Behörde gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 1991 dieses Gesetz anzuwenden.

Der Beschwerdeführer weist zunächst darauf hin, die belangte Behörde habe selbst nicht in Abrede gestellt, daß er im Jahr 1991 wegen Teilnahme an einer Demonstration von der Polizei nach Festnahme gefoltert worden sei. Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner Ersteinvernahme auch konkret angegeben, wie die Mißhandlungen erfolgt seien, nämlich durch Schlagen mit Gummiknüppeln und Faustschlägen. Für den Wiederholungsfall wurde ihm darüberhinaus eine strengere Folter angedroht. Wenn nun die Behörde zu diesen Mißhandlungen die Ansicht vertritt, diese seien in ihrer Intensität nicht geeignet gewesen, einen ernsthaften Nachteil im Sinne des Asylgesetzes darzustellen oder dem Beschwerdeführer einen weiteren Verbleib im Heimatland unzumutbar erscheinen zu lassen, so kann dem nicht gefolgt werden. Mißhandlungen und Folterungen, die aus einem der im § 1 Abs. 1 AsylG 1991 genannten Gründe erfolgen, können vielmehr eine "begründete" Furcht vor Verfolgung indizieren. Insoweit sich die belangte Behörde darauf beruft, der Beschwerdeführer sei für die Organisation Dev-Sol unterstützend tätig gewesen, eine gewaltbejahende bzw. gewaltausübende Gruppierung, die deswegen gegen ihn ergriffenen behördlichen Maßnahmen seien nicht wegen seiner politischen Gesinnung, sondern wegen krimineller Handlungen gesetzt worden, decken sich diese Ausführungen im wesentlichen mit jener Begründung, der sich die belangte Behörde auch hinsichtlich der unterstützenden Tätigkeiten für die PKK bedient hat (vgl. hiezu insbesondere das hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Dieser von der belangten Behörde herangezogenen Argumentation kann - wie auch in den die unterstützende Tätigkeiten für die PKK betreffenden Beschwerdefällen - mangels Durchführung weiterer Ermittlungen und entsprechender Feststellungen im Verwaltungsverfahren, nicht gefolgt werden.

Insoweit die belangte Behörde von der Annahme ausgeht, anläßlich der "Schießerei" Ende März 1991 sei auch der Beschwerdeführer mit Waffengewalt gegen Polizisten vorgegangen, als er beim Affichieren von Plakaten betreten worden sei, entfernt sie sich von den, von ihr gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 zu beachtenden Ermittlungsergebnissen des Verfahrens erster Instanz. Aus den dortigen Angaben läßt sich nur erkennen, daß es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung gekommen ist, von wem die dabei gefallenen Schüsse abgegeben wurden, geht aus der Aktenlage nicht hervor, ebensowenig wie daß der Beschwerdeführer überhaupt bewaffnet gewesen wäre. Die von der belangten Behörde gezogene Schlußfolgerung entbehrt daher jeder Grundlage.

Auch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ende März 1991 abgehaltenen Demonstration, einer einwöchigen Haft sowie der "einige Tage später erfolgten Schießerei" einerseits und der am 12. September 1991 erfolgten Ausreise des Beschwerdeführers andererseits kann entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung ein zeitlicher Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden, dies insbesondere im Hinblick darauf, daß der Zeitpunkt des Bekanntwerdens seiner Involvierung in die "Schießerei" (durch Namensnennung infolge Folterung seiner inhaftierten Freunde) nicht bekannt ist und der Beschwerdeführer sich nach seiner Darstellung überdies unmittelbar nach diesen Vorfällen vorerst aus seinem Heimatort nach Ankara begeben hat.

Da die belangte Behörde daher ihren Bescheid mit Verfahrensfehlern belastete, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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