VwGH 94/07/0010

VwGH94/07/001015.11.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Bumberger, Dr. Pallitsch und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bachler, über die Beschwerde der Agrargemeinschaft H in E, vertreten durch Dr. Z, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 8. Juli 1993, Zl. LAS-379/2-92, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §10 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §9;
FlVfGG §36;
FlVfLG Tir 1978 §35 Abs1;
FlVfLG Tir 1978 §35 Abs7;
FlVfLG Tir 1978 §36 Abs1;
VwGG §48 Abs1 Z2;
VwGG §49 Abs1;
AVG §10 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §9;
FlVfGG §36;
FlVfLG Tir 1978 §35 Abs1;
FlVfLG Tir 1978 §35 Abs7;
FlVfLG Tir 1978 §36 Abs1;
VwGG §48 Abs1 Z2;
VwGG §49 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Land Tirol hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz hat mit Bescheid vom 23. November 1992 über Antrag der Eigentümer der U-Alpe und der O-Alpe Bestand und Umfang von Einforstungsrechten der Antragsteller auf Grundstücken der beschwerdeführenden Partei festgestellt.

Gegen diesen Bescheid wurde namens der beschwerdeführenden Partei eine von deren Obmann und einem weiteren Mitglied unterfertigte Berufung eingebracht.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 8. Juli 1993 wurde diese Berufung als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß der erstinstanzliche Bescheid der beschwerdeführenden Partei am 27. November 1992 zu Handen ihres Obmannes zugestellt worden sei. Dieser habe in der Folge den Bescheid dem weiteren Mitglied A.L. gezeigt und die beiden hätten dann die Einbringung einer Berufung gegen den Bescheid vereinbart. F.W., der Vater des Eigentümers der dritten Stammsitzliegenschaft sei vom Obmann aufgefordert worden, bei A.L. vorbeizuschauen und den Bescheid durchzulesen. Dies habe er auch getan und alle drei (der Obmann, A.L. und F.W.) seien darin übereingekommen, daß A.L. als der in der Angelegenheit am besten Informierte die Berufung schreiben solle. Die so erstellte Berufung sei dann vom Obmann der beschwerdeführenden Partei unterfertigt worden. Eine Vollversammlung habe in der betreffenden Angelegenheit nicht stattgefunden, ein entsprechendes Beschlußbuch werde bei der beschwerdeführenden Partei nicht geführt. Dieser Sachverhalt ergäbe sich einesteils aus dem Inhalt des Regulierungsaktes H, R, andernteils aus dem glaubwürdigen Vorbringen des Obmannes der beschwerdeführenden Partei anläßlich der Befragung durch ein Amtsorgan am 19. Jänner 1993.

Mitglieder der beschwerdeführenden Partei seien die jeweiligen Eigentümer der Stammsitzliegenschaft in EZ 1 GB E, 2 und 3, GB B. In den Verwaltungssatzungen der beschwerdeführenden Partei seien als Organe die Vollversammlung, der Obmann und der Kassier vorgesehen. § 7 der Satzungen enthalte eine taxative Umschreibung des Aufgabenbereiches des Obmannes, während § 6 sämtliche übrige Angelegenheiten der Beschlußfassung der Vollversammlung vorbehalte. Eine Befugnis zur selbständigen Einbringung von Berufungen könne den Zuständigkeitsbestimmungen für den Obmann nicht entnommen werden. Damit falle aber die Einbringung von Rechtsmitteln auf Grund der im § 6 der Verwaltungssatzungen enthaltenen Generalklausel in die Zuständigkeit der Vollversammlung. Das Verfahren zur Beschlußfassung in der Vollversammlung sei gleichfalls in den Verwaltungssatzungen geregelt und das Zustandekommen eines Beschlusses habe unter anderem zur Voraussetzung, daß die Vollversammlung durch den Obmann schriftlich unter Angabe der Tagesordnung mindestens 8 Tage vor der Versammlung einberufen werde. Ein Antrag gelte zum Beschluß erhoben, wenn die Mehrzahl der Erschienenen dafür gestimmt habe. Nach dem Ergebnis des zweitinstanzlichen Ermittlungsverfahrens hätten sich zwar der Obmann und das weitere Agrargemeinschaftsmitglied A.L. auf die Einbringung einer Berufung geeinigt und habe dem auch der Vater des dritten Agrargemeinschaftsmitgliedes zugestimmt, eine schriftliche Einberufung der Vollversammlung und eine förmliche Beschlußfassung seien jedoch unterblieben. Damit liege aber ein zur Erhebung von Rechtsmitteln legitimierender Beschluß der Vollversammlung nicht vor. Nach § 35 Abs. 7 des Tiroler Flurverfassungslandesgesetzes 1978 (TFLG) müsse aber im Fall einer Berufung durch den Obmann einer Agrargemeinschaft innerhalb der Rechtsmittelfrist auch die entsprechende Willensbildung durch das zuständige Organ erfolgt sein.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der jedoch mit Beschluß vom 30. November 1993, B 1600/23-8, ihre Behandlung ablehnte und sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Die beschwerdeführende Partei bringt vor, der Wirkungsbereich des Obmannes der beschwerdeführenden Partei umfasse auf Grund der Verwaltungssatzung (§ 7.9) den Schutz der Gemeinschaft gegen fremde Eingriffe und das Recht, unaufschiebbare Verfügungen unter eigener Verantwortung auch in Angelegenheiten zu treffen, die der Vollversammlung vorbehalten sind (§ 7.10). Es gäbe wohl keinen Zweifel, daß die Berufung durch den Obmann zum Schutz der Gemeinschaft gegen fremde Eingriffe, nämlich Holzbezüge und Weiderechte Dritter auf Agrargemeinschaftsgrund diene, sodaß die alleinige Legitimation des Obmannes gegeben sei. Selbst wenn man aber dieser Argumentation nicht folgte, handelte es sich bei der Berufung um eine im ureigensten Interesse der beschwerdeführenden Partei gelegene Maßnahme, wäre doch der im erstinstanzlichen Bescheid vom 23. November 1992 angeführte Holzbezug höher als der Zuwachs des gesamten Waldes der beschwerdeführenden Partei, sodaß nicht auszuschließen sei, daß deren Weiterbestand gefährdet sei.

Es gäbe keinen Zweifel, daß die Einbringung eines Rechtsmittels eine unaufschiebbare Verfügung im Sinn des § 7.10 der Verwaltungssatzung sei.

Hinzu komme noch, daß von der belangten Behörde § 13 AVG mißachtet worden sei. Das Fehlen eines Vollversammlungsbeschlusses sei ein Formgebrechen, dessen Behebung nach § 13 Abs. 3 AVG von der belangten Behörde hätte veranlaßt werden müssen.

Die Berufung sei von zwei Mitgliedern der beschwerdeführenden Partei, also von der Mehrheit der Köpfe der Agrargemeinschaft unterschrieben worden. Damit seien schon durch die Unterschriften alle Mehrheiten für eine Willensbildung in einer Vollversammlung dokumentiert. Dazu komme noch, daß das dritte Mitglied mit dieser Berufung ausdrücklich einverstanden gewesen sei. F.W., der Vater des dritten Mitgliedes der beschwerdeführenden Partei, habe Vertretungsbefugnis für seinen Sohn. Es gäbe also keinen Zweifel daran, daß eine Beschlußfassung unter den Mitgliedern der Agrargemeinschaft stattgefunden habe und daß die erforderlichen Mehrheiten für die Einbringung der Berufung vorgelegen seien.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die beschwerdeführende Partei ist eine Agrargemeinschaft im Sinne des TFLG. Auf sie findet daher die Bestimmung des § 35 Abs. 7 leg. cit. Anwendung. Nach dem ersten Satz dieser Bestimmung obliegt dem Obmann die Einberufung der Vollversammlung und des Ausschusses. Zufolge des zweiten Satzes hat er in den Sitzungen der Vollversammlung und des Ausschusses den Vorsitz zu führen und die Beschlüsse der Vollversammlung und des Ausschusses durchzuführen. Gemäß dem dritten Satz vertritt der Obmann die Agrargemeinschaft nach außen, in Angelegenheiten, die der Beschlußfassung durch die Vollversammlung oder den Ausschuß unterliegen, jedoch nur im Rahmen entsprechender Beschlüsse.

Zu dieser Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Dezember 1987, Slg. N.F. 12594/A ausgeführt, die Vertretung des Obmannes der Agrargemeinschaft sei dadurch beschränkt, daß sie sich im jeweiligen (durch die Satzung bestimmten) Aufgabenbereich der Vollversammlung und des Ausschusses im Rahmen der von diesen Organen gefaßten Beschlüsse zu halten hat. Dies bedeutet, daß ein Rechtsmittel namens der Agrargemeinschaft nur dann rechtswirksam durch den Obmann erhoben werden kann, wenn das Rechtsmittel durch einen entsprechenden Beschluß des zuständigen Organes der Agrargemeinschaft gedeckt ist, sofern nach der Verwaltungssatzung ein solcher erforderlich ist.

Nach § 5 der Verwaltungssatzung der beschwerdeführenden Partei führen die Verwaltung die Vollversammlung der Mitglieder, der Obmann und der Kassier.

Nach § 6 dieser Verwaltungssatzung ist der Vollversammlung die Beschlußfassung in allen Angelegenheiten vorbehalten, welche die Befugnisse des Obmannes überschreiten. Im Anschluß an diese Generalklausel findet sich eine demonstrative Aufzählung von Kompetenzen der Vollversammlung. Die Erhebung von Berufungen gegen verwaltungsbehördliche Bescheide ist darin nicht genannt.

Die Aufgaben des Obmannes sind im § 7 der Verwaltungssatzung taxativ aufgezählt. Nach § 7.9 obliegt dem Obmann die Obsorge zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Nutzungsausübung durch die Mitglieder sowie der Schutz der Gemeinschaft gegen fremde Eingriffe.

Im Beschwerdefall geht es um die Berufung gegen einen Bescheid der Agrarbehörde, mit dem strittige Rechte Dritter an Grundstücken der beschwerdeführenden Partei festgestellt wurden. Eine solche Entscheidung kann einen fremden Eingriff in die Rechte der beschwerdeführenden Partei darstellen; eine Berufung gegen einen solchen Bescheid ist daher der im § 7.9 der Verwaltungssatzung normierten Kompetenz des Obmannes zuzuordnen. Die belangte Behörde durfte daher die Berufung nicht als unzulässig zurückweisen.

Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Neben dem Schriftsatzaufwand gibt es keine gesonderte Vergütung der Mehrwertsteuer (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 697 angeführte Judikatur). Das diesbezügliche Mehrbegehren war daher abzuweisen.

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